CN Sucht, Entgiftung, Entzug, Substanzen
3. Tag in der Entgiftung
09.04.21
Der Tag begann, wie immer, mit Medizin und Frühstück. Ich hatte so gut geschlafen wie zuletzt vor einigen Jahren und begab mich zunächst ins Foyer, wo uns der Tagesablauf erläutert wurde.
Im Anschluss fand mein erstes Einzeltherapiegespräch statt, welches eine wirklich befreiende Wirkung auf mich hatte. Ich fühlte mich bei meinem Therapeuten gut aufgehoben und ernst genommen. Kurz darauf erfolgte eine Bettenvisite, bei der mir versichert wurde, körperlich vollkommen gesund, und damit für sportliche Aktivitäten qualifiziert, zu sein.
Die soziale Interaktion mit den anderen Patient*innen fiel mir zunehmend leichter. Beim Rauchen lernte ich viele neue Gesichter kennen, die fast alle zu äußerst herzlichen Menschen gehörten. Ich war erstaunt, wie viele Senior*innen mir nach kürzester Zeit wie gleichaltrige Freund*innen vorkamen, weil wir einen ähnlichen (wenn auch unterschiedlich langen) Leidensweg bestritten hatten.
Kurz darauf nahm ich zum ersten Mal an der Gruppentherapie teil, in der unser Leseauftrag ausgewertet wurde (vgl letzter Beitrag der Reihe). Viele der Teilnehmenden konnten sich im Konzept des Kapitels wiederfinden und einige Gedanken dazu äußern. Eine der Personen musste vor einigen Jahren den Tod einer sehr nahe stehenden Person verschmerzen und stellte damit den Bezug zur Trennungsmetapher her. Die Gruppe konnte Trost spenden und die Person im Vorsatz der Abstinenz bestärken.
Am Ende der Sitzung verließen die meisten zuversichtlich und und gelassen den Raum, um Mittagessen zu gehen. Die Küche hatte meine Wünsche erhört und mir einen schmackhaften Teller Sojabolognese zubereitet. Durch Therapie und leckeres Essen, mental und körperlich gestärkt, nutzte ich meine Zeit, um ein paar Seiten zu schreiben. Außerdem blätterte ich in einem Bildband namens „Geniale Dilletanten“, der die westdeutsche Punk- und NDW-Subkultur der 80er Jahre in Schrift und Bild thematisiert.
Gegen Abend wurde mir ziemlich langweilig. Dass der dritte Versuch, ein EKG durchzuführen, erneut an technischen Schwierigkeiten scheiterte, half mir dabei nicht wirklich. Zum Glück öffnete gegen Abend die, von Reha-Patient*innen betriebene, Cafeteria. Dort ließ ich mich für eine Weile mit meinen neuen Freund*innen nieder. Das Angebot bestand aus Wiener Würstchen, Kuchen und viel zu starkem Filterkaffee. Wohlwissend bestellte ich nur eine halbe Tasse und verdünnte den Inhalt mit meiner Hafermilch. Trotzdem fühlte ich mich nach dem Austrinken, als hätte ich gerade gekokst. (Note to self: Nicht mehr diese Herzinfarktbrühe saufen!)
Völlig aufgedreht inhalierte ich mein Abendessen, rauchte den ersten Tabakbeutel leer, nahm meine Tabletten und begab mich 20:15 Uhr in den Fernsehraum, um mit den anderen „R.E.D.“ zu schauen. Ein eigentlich absolut stumpfer, wenn auch humorvoller Actionfilm mit Bruce Willis, der nur so vor sexistischen Tropes strotzt. Irgendwie hatte ich trotzdem meinen Spaß daran. Vielleicht lag es am Gemeinschaftsgefühl, vielleicht daran, dass ich den Film mit meinen Eltern gesehen hatte, als meine Welt noch halbwegs in Ordnung schien.
Nach meiner Tasse Schlaftee lag ich noch eine Weile wach und beantwortete neugierige Nachrichten meiner Freund*innen außerhalb der Klinik, bis mir schließlich die Augen zufielen.
Insgesamt ging es mir heute um Welten besser als in den letzten beiden Tagen, geschweige denn den letzten Jahren. Langsam erscheint mir der Gedanke, noch weitere 18 Tage hier zu verbringen, auch immer angenehmer.
Jack