Autor: Fluff

  • Gewaltfreie Kommunikation als Waffe

    Ein Plenum, eine Arbeitssitzung, eine Gruppe diskutierender Menschen, eine hitzige Situation. Unterschiedliche Meinungen.
    Dann die mahnende Stimme aus dem Off, alle Beteiligten mögen sich der Grundsätze von „gewaltfreie Kommunikation“ besinnen. Und wieder auf ein freundliches, sachliches, nettes, positives Feld der Kommunikation zurückkehren. Das ist dann immer der Moment, in welchem ich mich, als Autist_in, wehrlos und überfordert fühle. Ab jetzt werde ich kein Teil der Diskussion mehr sein können.

    Doch, was ist das eigentlich, „gewaltfreie Kommunikation“ (kurz: GFK)?
    Es wurde in den 1960er Jahren von Marshall Rosenberg entwickelt und kommt eigentlich aus der klinischen Psychotherapie.

    Was ist Gewaltfreie Kommunikation?

    Rosenberg nimmt an, dass jeder Mensch gern bereit sei, etwas für einen anderen Menschen zu tun, sofern bestimmte Bedingungen erfüllt sind (z. B. die Anfrage als Bitte formuliert ist und nicht als Forderung, er nicht den Eindruck hat, dadurch eine Pflicht abzuarbeiten oder den anderen in eine Pflicht zu setzen und so weiter).

    Dieses Menschenbild geht auf die der humanistischen Psychologie entlehnte Haltung zurück, in einer schädigenden Aktion eines Individuums nicht den Ausdruck des inneren Wesens zu sehen, sondern die „fehlgeleitete“ Strategie eines eigentlich lebensdienlichen Impulses. Rosenberg bezieht sich besonders auf Carl Rogers. So nennt Rosenberg jede Form von Gewalt einen tragischen Ausdruck eines unerfüllten Bedürfnisses.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Gewaltfreie_Kommunikation
    Die Grundpfeiler

    Gewaltfreie Kommunikation unterteilt sich in vier Schritte:

    1. Beobachtung bedeutet, eine konkrete Handlung (oder Unterlassung) zu beschreiben, ohne sie mit einer Bewertung oder Interpretation zu vermischen. Es geht hierbei darum, nicht zu bewerten, sondern die Bewertung von der Beobachtung zu trennen. Das Gegenüber erhält Klarheit, worauf man sich bezieht.
    2. Die Beobachtung löst ein Gefühl aus, das im Körper wahrnehmbar ist und mit mehreren oder einem…
    3. Bedürfnis in Verbindung steht. Damit sind allgemeine Qualitäten gemeint, die vermutlich jeder Mensch auf Erden gerne in seinem Leben hätte. Beispielsweise Sicherheit, Verständnis, Kontakt oder Sinn. Gefühle sind laut GFK eine Art Indikator bzw. Ausdruck dessen, ob ein Bedürfnis gerade erfüllt ist oder nicht. Für den einfühlsamen Kontakt sind Bedürfnisse sehr wichtig, da sie den Weg zu einer kreativen Lösung weisen, die für alle Beteiligten passt.
    4. Aus dem Bedürfnis geht schließlich eine Bitte um eine konkrete Handlung im Hier und Jetzt hervor. Um sie möglichst erfüllbar zu machen, lassen sich Bitten und Wünsche unterscheiden. Bitten beziehen sich auf Handlungen im Jetzt, Wünsche dagegen sind vager, beziehen sich auf Zustände („sei respektvoll“) oder auf Ereignisse in der Zukunft.

    Klingt alles erstmal richtig gut, ja? Ja. Grundsätzlich schon. Wenn es sich um einen Raum voller neurotypischer Personen handelt, die sich selbst dauerhaft reflektieren (wollen). Im Folgenden gehe ich auf die Punkte ein und formuliere meine Kritik daran. Anschließend werde ich die Problematik des Konzepts „Gewaltfreie Kommunikation“ im Ganzen fokussieren.

    Die Problematik

    Beobachtung

    Eine neutrale Beschreibung einer Situation. Leider sind die meisten Beschreibungen nicht neutral, da (vor allem) neurotypische Menschen (also jene, die nicht auf dem Autismus/ADHS-Spektrum sind), nicht nur auf der Informationsebene kommunizieren, sondern gleichzeitig auf der emotionalen Ebene und der Beziehungsebene. Es werden also ohnehin noch mehr Dinge vermittelt, als die reine Information. Neurotypische Menschen reagieren intuitiv auf das, was sie (vermeintlich) auf emotionaler und/oder Beziehungsebene verstehen.

    Gefühl

    Äh… ja. Gefühle sind im Körper wahrnehmbar? Willkommen in meiner Welt, leider nicht. Ich nehme zwar körperlich wahr, dass sich etwas „unangenehm“ oder „angenehm“ anfühlt, aber mehr auch nicht. Ich kann Wut, Angst, Trauer, etc. nicht voneinander unterscheiden, weil sie sich alle als „Bauchschmerzen“ manifestieren. Mein Gefühlsspektrum umfasst die Felder „gut“, „schlecht“, „neutral“ und „leer“, wobei „leer“ sowohl eine depressive Episode, als auch ein Overload bedeuten kann. Ich finde das ausdifferenzierte Gefühlsspektrum neurotypischer Personen sehr faszinierend, kann damit aber leider nicht dienen. Grundsätzlich kann ich mir vorstellen, wie sich Menschen fühlen könnten, allerdings ist es mir deutlich lieber, Menschen würden mir sagen, wie sie sich fühlen.

    Ich weiß es nämlich nicht. GFK wird dagegen in den meisten Kontexten so gelehrt, dass Menschen sich „in das Gegenüber einfühlen“ sollen, um dessen Gefühle „empathisch zu erleben“. Das Risiko der Projektion eigener Emotionen auf das Gegenüber ist hierbei hoch. Missverständnisse – vor allem in Bezug auf neurodiverse Menschen, aber auch bei neurotypischen Menschen, scheinen vorprogrammiert.

    Bedürfnis

    Wenn ich die Gefühle bereits nicht spezifisch benennen kann, ist es absolut unmöglich, daraus ein Bedürfnis abzuleiten. Die Suche nach dem Bedürfnis, es „erspüren zu müssen“, endet in allen Fällen im Overload, weil ich die Anforderungen weder erfüllen, noch verarbeiten kann. Es zu rationalisieren, wird dagegen als „entfremdete Kommunikation“ abgelehnt. (Wozu das im Extremfall führen kann, könnt ihr hier nachlesen.)

    Bitte/Wunsch

    Konkrete Bitten sind durchaus erfüllbar, solange sie auf der Informationsebene dargebracht werden. Wünsche wie „sei respektvoll“ sind für mich nicht umsetzbar, weil ich nicht einmal weiß, was die Person erwartet, wenn sie „respektvoll“ sagt. Worte sind definiert. Aber gerade jene, welche für soziale Interaktionen verwendet werden, enthalten Definitionen und Erwartungen, die weder der Duden, noch Übersetzungsprogramme wie „leo“ in petto haben. Das Ergebnis ist, dass ich eine Aufgabe bekomme, die ich jedoch nicht in eine Handlungsanweisung übersetzen kann. Ergebnis: Overload.

    Gebrauch als Waffe

    Unabhängig von der ableistischen Komponente in dieser Form der Kommunikation, kommt noch eine handlungsspezifische Komponente hinzu. Sehr oft wird das „Wie“ über das „Was“ gestellt. Die Art und Weise, etwas zu diskutieren, ist wichtiger als der Inhalt der Debatte. Das hat bereits Sebastian Friedrich in der ak Nr. 612, (19. Januar 2016, S. 2) treffend formuliert. Wer diesen Forderungen nicht nachkommt, erhält „Nachhilfe“ in GFK.

    Ist mir auch schon passiert, danach habe ich Gruppen jedes Mal verlassen. Gewaltfreie Kommunikation nimmt die Emotionen und Bedürfnisse von (neurotypischen) Menschen ernst und geht auf die verschiedenen Ebenen der Kommunikation neurotypischer Menschen ein – die Beobachtung findet auf der Informationsebene statt, Gefühle und Bedürfnisse decken die emotionale Ebene ab und durch die Bitten/Wünsche sind wir auf der Beziehungsebene. Mir steht dabei ausschließlich die Informationsebene zur Verfügung, deshalb kann ich die restlichen Ebenen weder nachvollziehen, noch selbst betreten. Ich sehe die Ergebnisse von Kommunikation, aber ich verstehe nicht, wie sie zustandegekommen sind.

    Von mir also zu erwarten, ich könne dieses Modell anwenden, bezeichne ich als gewaltvoll, weil ein Overload als annehmbarer Kollateralschaden gilt. Kommunikation – und vor allem autistische Kommunikation – ist ein komplexer Vorgang. Die Reizverarbeitung in Gesprächen (und vor allem Gruppen) fordert bereits von neurotypischen Menschen viel (deshalb sind Sitzungen so anstrengend), von Autist_innen (aufgrund der Reizverarbeitungsschwäche) noch deutlich mehr.

    Fazit

    Gleichzeitig baut die Erwartung, alle Menschen müssten GFK anwenden können, auch innerhalb von neurotypischen Gruppen ein Machtgefälle auf. Dieses wird teilweise als Gewaltinstrument genutzt. Wer „noch nicht so weit ist“ oder „es einfach nicht kann“, dessen Inhalt ist weniger wert. Die Art und Weise ist wichtiger als der Inhalt. Vor allem positive Emotionen (Dankbarkeit, Zustimmung, Freude) werden honoriert. Wut und Zorn sollen bevorzugt zugedeckt oder „mit Zuckerguss übergossen“ – schließlich können sie bei den Anderen negative Emotionen auslösen. Gerade in einer Gesellschaft, in der von FLINTA – Personen ohnehin erwartet wird, dass sie ausschließlich positive Vibes verströmen und „wütende Frauen“ ganz schnell die Diskursfähigkeit abgesprochen wird, halte ich diesen Umgang mit Emotionen für mindestens gefährlich.

    Ebenso ist der Umgang innerhalb von gesellschaftlichen Machtverhältnissen (Diskriminierungen sind in unserer Sozialisation derzeit verankert) bei GFK nicht ausreichend reflektiert – und am Ende stehen wieder die objektiven, weißen, cis Männer als jene dar, die andere anleiten, weil sie es eben „schon besser können“. Gerne wird GFK auch in Kombination mit „Kritischer Männlichkeit“ angewandt, um sich nach außen hin von „toxisch männlicher Kommunikation“ abgrenzen zu können.

  • Swiss: Heilige, Hure und die Andern – missglückte Welt

    Dankenswerterweise eingelesen von Daniel Friedl.

    Bitte, lass uns einfach losfahren. Die erzählen da was von Antifa und dann stehen da nur halbnackte Macker auf der Bühne.

    Freund eines Freundes, von der Arbeit auf einem Swiss Konzert kommend.

    Ich kannte diesen Freund vorher nicht, aber nach der Aussage ist er in meiner Sympathie sprunghaft in die Höhe geschnellt. Ich saß nämlich, während wir vor der Location auf ihn warteten, auf dem Rücksitz und kritisierte monologisierend die auftretende Band.

    Eine Band (und explizit deren Sänger, welcher namentlich die Band anführt), die ich als sektenähnliche Strukturen fördernd, misogyn, sexistisch, mackerhaft, frauenfeindlich und latent (kolonial)rassistisch einordnen würde. Es geht um „Swiss und die Andern“, teilweise aber auch um die Werke von Swiss solo.
    Hier gibt es einen zweiten Teil.

    Da das hier ein längerer Text wird, sind die jeweiligen Quellen und Belege immer hinter den direkten Zitaten, ihr erkennt sie an den hochgestellten Zahlen. Das sind Hyperlinks, die direkt zu den Seiten führen, auf die ich mich beziehe. Die Initialbuchstaben zeigen jeweils einen neuen Abschnitt an. Am Anfang wird es um die sektenähnliche Struktur der Sippschaften gehen. Danach gehe ich genauer auf den Sexismus und die Misogynie der Texte ein, um im Anschluss den Unterschied von „damals zu heute“ (also Swiss solo vs. Swiss und die Andern) herauszuarbeiten. Im Anschluss gibt es ein Fazit (oder ich hab den Kaffeebecher auf den Laptop geworfen, je nachdem).

    Sippschaften

    Eine Band, deren Fangemeinde in „Sippschaften“ organisiert ist, mittlerweile gibt es in jeder größeren Stadt eine. Hauptaufgabe der „Sippschaften“ ist es, Promo für die „Missglückte Welt“ zu machen – also mehr oder weniger für Swiss (und die Andern), deren Markenzeichen (und offizielles Label) ebenjene „missglückte Welt“ ist. Für eine Sippschaft braucht es mindestens fünf Leute, die gemeinsam eine_n Postmeister_in bestimmen, der_die für die Promo-Pakete und die organisatorische Ansprechbarkeit zuständig ist. Außerdem gibt es die Möglichkeit, Kutten (Jeansweste (80 Euro Bearbeitungsgebühr) bzw. Bomberjacke (90 Euro Bearbeitungsgebühr) zu leihen. Sie müssen nach Ende der Sippschaftsangehörigkeit zurückgegeben werden, dürfen jedoch individualisiert werden. Das Geld gibt es selbstverständlich nicht zurück. Außerdem sind Sippschaftszecken verpflichtet, einander zu helfen und zu unterstützen.1

    Es gibt also eine Band, die ihre eigene Fangemeinde zu Promotern erzieht, indem sie ihnen Erkennungszeichen und Gruppenzugehörigkeit (und ab und zu, das wird nicht näher definiert, Gästelistenplätze und Freikarten) ermöglicht. Außerdem „darf“ man der Band bereits beim Soundcheck zusehen und es gibt ein Vorzugsrecht bezüglich Merch und Tickets. Einige Sippschaften haben ein „Anwärter_innensystem“ entwickelt, um Neue genau unter die Lupe nehmen zu können und zu bestimmen, wer dabei sein darf.

    Linke Burschenschaft?

    Ein Prinzip, das ich vor allem aus rechtsoffenen bis konservativen Kontexten kenne, namentlich Studentenverbindungen und Burschenschaften. Im Gegensatz zu jenen geht 1 bei den Sippschaften keinen „Lebensbund“ ein und es sind Frauen erlaubt. Höchst progressiv.

    Nachteil dagegen ist, dass Swiss und die Andern vor allem von jungen Menschen und Teenagern gehört wird, auch wenn das Altersspektrum bis in die Dreißiger hinaufgeht und somit eine – meiner Meinung nach – sektenähnliche Struktur gefördert wird, indem einige Fans Privilegien genießen, für die jedoch auch Promotionsarbeit übernehmen müssen. Eine Aufgabe, die normalerweise von Menschen geleistet wird, die dafür bezahlt werden, anstatt Jugendliche (durch den Merch und die Sippschaftskutten) dafür auch noch zahlen zu lassen. Im Gegenzug gibt es Zugang zu einer Struktur, die „Unterstützung“ und familiäres Umfeld propagiert – solange 1 spurt und ordentlich „Randale“ macht. Das Umfeld und der Zusammenhalt wird auch auf jedem Album in mehreren Texten beschworen und besungen – meist in „Du“-Botschaften, die Hörende direkt ansprechen und in die Gemeinschaft ziehen, bzw. darin halten sollen. Eine „Wir gegen Die“-Mentalität, welche Außenstehende schnell zu Feind_innen erklärt.

    Sexismus

    Gleichzeitig kommen in den Liedern immer wieder frauenfeindliche und misogyne Grundannahmen durch. Damit ich mir nicht vorwerfen lassen muss, ich würde dem Verfasser „seine alten Schinken“ vorwerfen, bewegen wir uns von der nahen Vergangenheit in die Ferne – und von subtilem Sexismus zu offener Frauenverachtung.

    Der subtilere Sexismus der neueren Alben (von „Große Freiheit“ bis „Saunaclub“) zeichnet sich vor allem durch ein Bild aus, das seit Jahrhunderten gepflegt und gehegt wird: die Frau, als entweder „unerreichbare Heilige“ oder „schamlose Hure“, niemals als Freundin, gleichberechtigtes Subjekt oder gar Gegnerin – ausschließlich als Objekt in Abhängigkeit vom männlichen Subjekt.

    Innerhalb der Songtexte (wir beginnen mit „Saunaclub“ von 2020 und arbeiten uns in die Vergangenheit vor) sehen wir das daran, dass beispielsweise „Alkohol“ seine Alkoholabhängigkeit beschreibt, bei der „Uschi“ ihn betrügt – und er sich in den Alkohol flüchtet.2 Während in „Besteste Band“, die zweite Strophe – in welcher er die Eltern seiner Freundin kennenlernt, aber nur der Vater der Freundin seine Meinung thematisiert. Sie selbst scheint zum Thema nichts zu sagen zu haben, die Meinung eines anderen Mannes zu ihrem Partner wiegt schwerer.3

    Beispiele

    Dieser Punk

    In „Dieser Punk“ rühmt er sich darin, dass Frauen „keine Opfer von Männern“ seien, sondern „Sie benehm‘ sich wie ein Haufen von besoffenen Pennern – Ist normal, wenn man unser’n Scheiß hört“ – auch hier treffen Frauen keine eigenständigen Entscheidungen, sondern sind abhängig von ihrem Musikgeschmack. (Im gleichen Song werden „Hausmänner“ außerdem abwertend verwendet, denn offensichtlich reicht es nicht für einen „echten Mann“, zu Hause zu bleiben.)3

    zehn kleine Punkah

    Unabhängig davon, dass „zehn kleine Punkah“ Assoziationen mit einem gewissen, rassistischen Kinderlied wecken, ist der Sexismus und die Frauenverachtung, die in „Der letzte kleine Punkah ist voll einsam
    Randale macht ohne die ander’n Punkah kein Spaß
    Drum trifft er Neun and’re im Bett von deiner Mama
    So werden aus einem ganz schnell Zehn kleine Punkah“ stecken, nicht einmal mehr subtil. Come on, andere Typen aufgrund der Sexgewohnheiten ihrer Mütter abwerten? Junge, das ist nicht links und nicht emanzipatorisch, sondern mittlerweile sogar da, wo es herkommt, im Battle-Rap, ein peinlicher Move.4

    kein Blatt Papier

    In „Kein Blatt Papier“ wird seine Freundschaft zu einem anderen Mann beschrieben – dessen Frau kommt nur vor, weil sie ihm schon die Couch bereitgemacht hat, wenn er „keine Penne hat“. Eine Meinung oder Freundschaft zu ihm scheint sie nicht zu haben – er ist Familie für den Angesprochen, nicht für dessen Familie. Frauen als Beiwerk, als nützliche Objekte und Dienstleistungserbringerinnen.5

    (Ich bin ehrlich, ich möchte mich nicht durch die nächsten Jahre arbeiten. Aber machen wir erstmal weiter, ich werde dafür auch mit Kaffee versorgt. Küsschen an die Menschen im Hintergrund.)

    Voicemail

    2018 erschien „Randalieren für die Liebe“, in der das übliche Muster beibehalten wird. In der „Voicemail“ von Pat wird beklagt, dass das Album zu wenig „Mainstreamsongs“ hätte. „Wo, wo ist der Song, den Gertrude 5, beim Bügeln irgendwie mal locker mitsummen kann?
    Wo? Wo?“ – Klar. Gertrude, fünf Jahre alt, muss bügeln können. Kleine Mädchen gehören schließlich in die Küche und die Wäschekammer.6 (Das schlimme ist, es ist immer noch subtiler als in der Vergangenheit.)
    Edit: Mir wurde gesagt, dass meine Quelle fehlerhaft sei. Gertrude sei 53, nicht fünf. Der Sexismus (Frauen in die Küche, die Wäschekammer) bleibt meiner Meinung nach dennoch bestehen – es ist ein Trope, das nicht noch weiter gefördert werden sollte.

    Hassen oder Lieben

    In „Hassen oder Lieben“ wird die Kritik an ihnen damit abgeschmettert, dass sie „Patte machen“ und „die längste Penisse“ hätten. Feministische Kritiker_innen als „provinziell“, „neidisch“ oder „ungefickt“ darzustellen, ist ein tiefer Griff in die Mottenkiste der Misogynie. Außer einem „in Afrika verhungern die Kinder“-Take, wonach die Kritiker_innen selbst viel weniger links wären, weil sie Swiss und die Andern mit Eiern bewerfen, während „anderswo Menschen hungern“, kommt keine inhaltliche Auseinandersetzung. Diskreditierung statt Reflektion.7

    Älteres

    In den älteren Liedern (wir machen einen Sprung, ansonsten wird dieser Text wirklich viel zu lang) werden Frauen als „Votze“ bezeichnet8 und hindern entweder den Punk an der Entfaltung (die Frau als „häuslich bürgerlich“)9 oder stoßen ihn weg (weil er zu wenig Geld verdient)10 oder nutzen ihn aus11. Das transportierte Frauenbild ist wahlweise „unerreichbare Heilige“ (er liebt so sehnsüchtig, aber sie weiß nichts davon bzw. wurde grausam von ihm getrennt12) oder „bösartige Hure“ (er liebt sie, aber sie nutzt ihn nur aus13).
    Freundschaft wird vor allem zwischen Männern thematisiert, die im Zweifelsfall von ihren Frauen am Mann-Sein gehindert werden.

    Noch ältere Lieder, von Swiss damals noch solo veröffentlicht, thematisieren u.A. Sex mit toten Kindern14, Gewalt, Stalking/häusliche Gewalt/Folter/Gefangenschaft15, Vergewaltigung/Inzest/rape drugs16 (die Tatsache, dass es als Spendenaktion für dunkelziffer e.V. entstanden ist, macht die Themen der anderen Texte noch ein wenig ekelhafter) und Mord17, meistens grafisch beschrieben. (Bitte bedenkt das, bevor ihr euch die Quellen durchlest.) Auch hier sind Frauen die Objekte der Handlung, während den Tätern, als Subjekten, der Raum und die Definitionsmacht überlassen wird. Während damals Gewalt deutlich mehr Raum einnahm, wird die Frauenverachtung heute vor allem durch das Heilige/Hure Bild transportiert – in der „linken“ Szene machen sich vergewaltigte Frauen und tote Mädchen wahrscheinlich nicht so gut wie objektifizierte Frauen (weshalb Feminismus dringend notwendig ist, auch und gerade bei Zecken).

    Fazit

    Der Text hier ist sehr, sehr lang geworden – danke für die Menschen, die bis zum Ende gelesen haben. Abschließend kann ich nur sagen, dass ich entsetzt darüber bin, wie unreflektiert und fanatisch diese Band, aber auch der Sänger alleine, in „linken Kreisen“ angenommen und gefeiert werden. Andererseits wird diese Selbstdarstellung eben auch durch die sektenhafte Struktur der Sippschaften und die „Randale“ (also die aggressive Promotion) unterstützt und gefördert. Ich persönlich halte es für problematisch bis gefährlich, nicht intensiv auf „Swiss und die Andern“ aufmerksam zu machen und erwarte eigentlich von einer „linken“ Szene eine intensivere Auseinandersetzung als das plumpe Abfeiern von „wir sind gegen Nazis und den Staat“ – the bar is so low, you need a grave. (Der Anspruch ist so niedrig, du brauchst ein Grab (um ihn zu erreichen)).

  • Awarenessarbeit – Partypolizei mit Machtgelüsten

    Wir brauchen kein Awarenessteam. Wir sind doch schon alle aware und passen gut aufeinander auf! Awarenessarbeit ist überflüssig!

    Veranstalter.

    Sagen wir so, meine Sympathie mit den Veranstaltenden war zu dem Zeitpunkt ohnehin auf den Grad flüssigen Stickstoffs gesunken. Aber ich war ja nicht da, um den Veranstaltenden zu gefallen, sondern, um meinen Job zu machen.

    Awarenessarbeit

    Mein Job nennt sich „Awarenessarbeit“. Awareness kommt aus dem Englischen und bedeutet soviel wie „Achtsamkeit“. Im deutschen Sprachgebrauch wird damit eine Sensibilität gegenüber strukturellen Diskriminierungen und sexualisierter Gewalt gemeint. Ein Awarenessteam soll also dafür sorgen, dass Betroffene von sexualisierter Gewalt und/oder Diskriminierungen einen Anlaufpunkt haben. Wir sind die, an die sich Leute wenden können.

    Ein Awarenessteam ist nicht dazu da, betroffene Personen zu trösten oder mit ihnen über ihre Erfahrungen zu diskutieren. Wir wollen die Veranstaltung zu einem sichereren und diskriminierungsärmeren Raum machen. Meine Veranstaltungen sollen nicht sein wie Jeja Klein hier sehr gut kritisiert. Ich will kein Feigenblatt sein. Sondern fundamentale Veränderung.

    Umsetzung

    Es gibt verschiedene Varianten, wie Awareness aussehen kann. Ich persönlich habe eine sehr spezialisierte und konkrete Vorstellung davon, wie sie auszusehen hat. In meinen Workshops biete ich aber auch immer die jeweiligen Alternativen an.

    Definitionsmacht

    Definitionsmacht (oder DefMa) ist ein Konzept, dass Betroffenen die alleinige Macht gibt, Situationen als Übergriff zu bezeichnen. Entwickelt wurde das Konzept, um patriarchalen Strukturen (victim blaming) und bürgerlichen Gesetzestexten eine alternative, autonome und empowernde Möglichkeit entgegenzusetzen. Es ist also nicht Aufgabe des Awarenessteams, die Darstellung der betroffenen Person zu hinterfragen. Sie gehört als gegeben hingenommen

    Machtgefälle

    Machtgefälle. Nein, Awarenessteams sind nicht dazu da, dass sich „alle“ wohlfühlen. Wir sind dafür da, dass sich „vor allem Marginalisierte“ wohlfühlen können. Wir sind nicht die Schlichtungseinrichtung und wir sind nicht dafür da, auszudiskutieren, „ob das jetzt wirklich schlimm war“. Unser Job ist es, Marginalisierte zu schützen und zu unterstützen. Wer sich konfliktscheu zurückzieht und Nazis die Tanzfläche überlässt, weil sie ja (noch) nicht übergriffig waren, macht seinen Job falsch. Ja, Awareness schafft ein Machtgefälle. Dieses Machtgefälle gleicht (wenn auch nicht mal annähernd) das strukturelle Machtgefälle aus, das sexualisierte Gewalt und Diskriminierungen unterstützt und schützt.

    Voraussetzungen

    Awareness ist Arbeit. Wir sind diejenigen, die Ahnung von Substanzenkonsum haben müssen. (Weil wir vor allem auf Partys zwangsläufig diejenigen sind, die auch Menschen mit Überkonsum betreuen).
    Uns mit Gewalt auskennen, strukturelle Diskriminierung erkennen und benennen. Wir stehen (teilweise über Stunden) mit Betroffenen in engem Kontakt.
    Awarenessarbeit ist anstrengend. Sie ist belastend (physisch und psychisch). Es sollte definitiv nicht von Leuten gemacht werden, die zu langsam waren, als die Frage aufkam, wer „heute Abend die Awareness macht“.
    (In Teams, in denen ich arbeite, gibt es für neue Menschen ein Tandemprinzip, damit Leute voneinander lernen können. Außerdem ist die Faustregel „zwei Menschen pro Floor“, damit ausreichend Ressourcen für Fälle zur Verfügung stehen.)

    struktureller Ansatz

    Awarenessarbeit ist kein „Trost“. Wir sollen strukturelle Probleme auf eine individuelle Situation anpassen und erkennen. Danach eine Lösung für die Situation finden, welche die Diskriminierung mit einbezieht. Es geht nicht (nur) darum, einer Person über den Rücken zu streicheln und ihr zu sagen, dass alles gut wird. Eher darum, der Person zu ermöglichen, eine machtlose Situation in eine zu verändern, in der sie Selbst_Ermächtigung erfährt. Übergriffe sind in den meisten Fällen etwas, womit Betroffene aufgrund der gesellschaftlichen Struktur ohnehin dauerhaft konfrontiert werden. Awarenessarbeit ist, den Kreislauf von 1. Ich wurde in eine machtlose Situation gebracht.
    2. Niemensch hilft mir.
    3. Ich bleibe allein und machtlos.
    zu brechen und Menschen handlungsfähig zu machen.

    Abschluss

    Eine letze Anmerkung noch zu dem Typen aus dem Eingangszitat. Wenn hier alle so aware und achtsam wären, hätte ich nicht vor Beginn der Party zwei Shoa-leugnende-Hippies verweisen müssen. (In diesem Fall auch wichtig: Eine Security, die das Awarenesskonzept unterstützt.)

  • Jüdischer Widerstand – ein Gastbeitrag von Naomi

    In diesem Gerichtssaal hängt die Frage in der Luft, warum hat sich das [jüdische] Volk nicht erhoben. Als kämpferischer Jude protestiere ich mit aller Leidenschaft gegen diese Frage, soweit sie auch nur die Spur eines Vorwurfs enthält. Dem Mann [Adolf Eichmann], der mir hier gegenüber sitzt und den 80 Millionen, die auf der Straße das Lied sangen ‚Wenn Judenblut vom Messer spritzt‘, denen schulde ich keine Antwort.

    Abba Kovner, während des Eichmannprozesses

    Diese Worte sprach Abba Kovner, leidenschaftlicher Widerstandskämpfer aus Vilnius, während des Eichmannprozesses in Jerusalem. Er antwortete damit auf eine zentrale Frage, die sich bis heute zahlreiche Menschen innerhalb und außerhalb der jüdischen Community stellen.

    Auf der, vom fzs, von JSUD und anderen studentischen Gruppen 2019 organisierten, Deutsch-Israelischen Studierendenkonferenz wurde eine Diskussionsrunde mit Shahar Arieli, Botschaftsrat und außenpolitischer Sprecher der Israelischen Botschaft in Berlin, veranstaltet. In dieser ging es auch um die Bedeutung der Worte „Never Again“. Nach Arieli bedeuten diese Worte für die Jüdische Gemeinschaft, dass sie sich nie wieder wehrlos gegenüber einer solchen Katastrophe ergeben werden. Auch dieser Ausdruck fügt sich ein in das Narrativ folgender Frage: Warum lies die Jüdische Bevölkerung die Shoah über sich ergehen? Warum gingen sie „wie die Schafe zur Schlachtbank“?

    „Wie die Schafe zur Schlachtbank“
    Noch immer wird dieses Narrativ präsentiert. Was wird damit impliziert? Die „Juden“ hätten sich nicht gewehrt, sie wären also in Teilen selber Schuld an dem, was passiert ist. Wenn sie überleben, nicht untergehen sollen, dann brauchen sie andere Leute, die sie beschützen. Zelebriert werden also meist (deutsche) Widerstandskämpfer_innen, um sich selbst das Gefühl zu geben, es wären ja nicht alle schlecht gewesen, es hätte auch „gute Deutsche“ gegeben. Die einzige Geschichte, die hin und wieder bekannt ist, ist die des Aufstands im Warschauer Ghetto. Er wird jedoch weniger als Befreiungsversuch dargestellt, sondern vielmehr symbolisch für die Brutalität des NS-Regimes verwendet und präsentiert.

    Max Czollek spricht in „Desintegriert Euch!“ davon, dass die „Juden“ Objekte sind, anhand deren die Deutschen ihre Identität als geläuterte Gesellschaft entwickeln und aufrechterhalten können. Dieses Bild schließt sich auch das von mir dargestellte Narrativ ein. Wehrhafte jüdische Menschen würden einfach nicht hineinpassen.

    Wie perfide dies ist, zeigt sich anhand des oben bereits erwähnten, symbolischen Zitat „wie die Schafe zur Schlachtbank“. Dieses Zitat wurde von ebenjenem Abba Kovner benutzt. Nicht jedoch als Beschreibung der Shoah:

    „Jüdische Jugend! Traut nicht jenen, die euch zu täuschen versuchen. Hitler plant die Zerstörung aller Juden [sic!] in Europa. […] Wir werden nicht wie die Schafe zur Schlachtbank gehen! Es stimmt dass wir schwach und wehrlos sind, aber die einzige Antwort auf den Mörder ist Widerstand! Brüder! Lieber fallen wir als freie Kämpfer[_innen] als bei der Gnade der Mörderer[_innen] zu leben. Wehrt euch! Wehrt euch bis zum letzten Atemzug!“

    Abba Kovner, Anfang 1942

    Diese Worte fielen Anfang 1942. Sie stehen in komplettem Widerspruch zum Narrativ, welches sich hinter diesem Zitat heute verbirgt. Ein Narrativ, das nicht nur einen Jüdischen Schlachtruf für sich beansprucht, sondern dessen Bedeutung fundamental die eigentlichen Tatsachen verschweigt. Ein Narrativ, das jedoch nicht überall besteht, denn die US-Amerikanische jüdische Community zelebriert und gedenkt dem Widerstand.

    Welche Folgen hat dies alles? Es gibt kein Selbstbewusstsein, kein Bewusstsein hinsichtlich des Widerstands, geschweige denn Gedenken oder Zelebrieren. Jüdische Menschen werden noch weiter zu Objekten degradiert. Nicht nur zum Bekämpfen oder Erlangen der Absolution, sondern auch zum Beschützen und Verteidigen. Quer durch die Lager hinweg, von Antideutschen, die „ein sicheres Zuhause für ihre jüdischen Freund_innen“ schaffen wollen und in diesem Kontext Bestrafungen auch innerhalb von Freundeskreisen verteilen, bis hin zu Nationalist_innen, welche die Jüdische Bevölkerung vor dem bösen Islam schützen wollen. Wahrlich, ihr seid edle Ritter_innen, was wäre ich armes, kleines, jüdisches Wesen nur ohne euch. (Sarkasmus aus).

    Das ist keine Hilfe, das ist Bevormundung. Ich will und ich werde mich nicht von Goyim (nichtjüdische Menschen) abhängig machen, nur damit sie sich ach so geläutert, ach so offen, ach so anti-antisemitisch präsentieren können. Eine Abhängigkeit, symbolisch an der Thematik der stabilen Holztür in Halle darstellbar.

    Wir haben gekämpft und gesiegt! Wir haben in Konzentrationslagern Menschen befreit, in Armeen und in Partisan_innengruppen Wehrmacht und SS das Leben schwer gemacht! Wir haben Menschen versteckt, zur Flucht verholfen, außer Landes gebracht und versorgt, teilweise gegen unsere eigenen Leute.

    Abba Kovner, Vitka Kempner, Itizk Vitnberg, Zivia Lubetkin, der Aufstand in Sobibor, die Armée Juive, die FPO …

    Wir werden sie ehren. Und wir werden all dies, wenn es sein muss, wieder tun. Mag sein, dass nur die Alliierten Deutschland besiegen konnten und nicht wir allein, mag sein, dass Polizei vor Synagogen weiterhin notwendig ist (und am Ende dennoch stabile Holztüren uns besser schützen als die vormals so edlen Ritter_innen). Aber uns die Schuld dafür geben? Niemals! „[…] den 80 Millionen, die auf der Straße das Lied sangen ‚Wenn Judenblut vom Messer spritzt‘, denen schulde ich keine Antwort.“

    Gerade jetzt braucht es keine Geschichten der Angst und des Leids. Es braucht Wehrhaftigkeit, Widerstand und vor allem Selbstbewusstsein. Widerstand muss zelebriert werden, denn er zeigt, dass wir uns wehren können, wehren dürfen! Liebe Goyim, mit welchem Recht nehmt ihr uns diese Geschichten weg, mit welchem Recht zelebriert ihr, gerade ihr, euren Widerstand, ohne unseren zu erwähnen? Wenn ihr tatsächlich Hilfe sein wollt, dann verteidigt uns nicht nur, sondern helft uns, unsere Wehrfähigkeit, unser Selbstbewusstsein zu erlangen!

    Disclaimer: Es gab und es gibt auch in Deutschland Personen und Projekte, welche Widerstand, auch jüdischen, zelebrieren und ehren. Ihnen gebührt Dank, dass sie diese Erzählung, dieses kleine Licht, am Leben halten.

  • Über Transmisogynie und Transfeindlichkeit – „u can’t trust the AFAB!“

    „Afab nichtbinäre Personen werden immer die sein, die transmisogyn sind. Du kannst ihnen nicht trauen!“

    Ein Take auf Twitter, unterschiedlich gesehen, zusammengefasst und verkürzt. Von trans Frauen geteilt und favorisiert. Schwierig, freundlich ausgedrückt, finde ich.

    Aber fangen wir mit Begriffsdefinitionen an. Ich mag Definitionen, sie bringen alle Beteiligten auf das gleiche Level an Informationen. Weniger Raum für Interpretationen, mehr klare Kommunikation. Winwin – und so.

    Transfeindlichkeit: Abwertung von trans Personen, weil sie trans sind. (Die Kurzfassung.)
    AMAB: Assigned male at birth (bei der Geburt dem männlichen Geschlecht zugeordnet.)
    AFAB: Assigned female at birth (bei der Geburt dem weiblichen Geschlecht zugeordnet.)
    Transmisogynie: Eine bestimmte Form der Transfeindlichkeit, die nur transfeminine Personen betrifft.

    Jetzt kommen die Langfassungen und die Begründungen, warum ich den Take so schwierig finde.

    Kindern wird – durch Genitalienbeschau – ein Geschlecht zugeordnet. Dieses Geschlecht wird mit Erwartungen verknüpft, die wiederum mit den Genitalien gleichgesetzt werden. Ein Penis = cis Männlichkeit. Eine Vulva = cis Weiblichkeit. Diese Zuordnung an und für sich ist bereits inhärent transfeindlich, weil Genitalien kein eigenes Geschlecht haben – sie haben nur das Geschlecht der Person, zu der sie gehören. Gleichzeitig ist es eine Gleichsetzung, mit der wir in dieser Gesellschaft aufwachsen – und die erst mühsam verlernt werden muss.
    Währenddessen wird AFAB Personen beigebracht, dass von Jungs und Männern (also innerhalb der cissexistischen Gesellschaft „Menschen mit Penis“) eine gewisse Gefahr ausgeht. „Selbst wenn sie dich mögen, werden sie dir wehtun.“ ist der Schlüsselsatz, der hängenbleibt, wenn „was sich liebt, das neckt sich“ und „der X, der meint das nicht so, wenn er dir an den Haaren zieht, der kann nur seine Sympathie nicht anders ausdrücken“ als Relativierung und „boys will be boys“ verwendet wird. „Geh nicht alleine nach Hause!“, „Geh nicht im Dunkeln nach Hause!“, „Zieh das nicht an!“ sind ebenfalls Glaubenssätze, mit denen AFAB Personen aufwachsen – und die auch in „züchtige Kleidung für die Schule“ Verwendung finden. Selbst bei den berechtigten Kritikstürmen, die regelmäßig entstehen, wenn Schulen auf so eine Idee kommen – die grundsätzliche Annahme, das AFAB Körper sexualisierend und problematisch sind, bleibt bestehen. (Etwas, wogegen der Feminismus seit Jahren kämpft. Aus Gründen.)

    Wir haben also eine Ausgangslage, die für trans Frauen in feministischen Räumen ziemlich beschissen ist. Weil die Gleichsetzung von Genitalien mit Geschlecht und die daraus folgende Erziehung zu Männern als „Gefährdern“ in Form von Transmisogynie direkt auf (trans) Frauen projiziert wird. Und während feministische Strukturen gegen Patriarchat und Sexismus kämpfen, unterstützen sie häufig aufgrund dieser unreflektierten Projektion den Ausschluss von trans Frauen aus feministischen Räumen. Das beginnt bei „Frauen*“ und endet beim „transsexual Empire“ und dem richtig harten TERF-Shit.

    Wir haben aber auch eine Ausgangslage, die AFAB nichtbinäre Personen zu „Frauen light“ oder auch „cis Frauen mit ein bisschen Glitzer“ erklärt. Schließlich wollen sie sich aus der patriarchalen Kategorie „Frau“ lösen, aber ja „nicht so richtig“ (i.S.v. binäre Transition.) Das kann dazu führen, dass AFAB nichtbinäre Personen (und teilweise trans Männer) Zugang zu feministischen Räumen haben, der AMAB Personen verwehrt bleibt. Aufgrund internalisierter Transmisogynie wird dann diese Form von Transfeindlichkeit („Frau light“) als Waffe gegen unliebsame AMAB Personen verwendet. Weil „Penis = Mann = gefährlich“ oft nicht ausreichend reflektiert wird – und tief in der derzeitigen Gesellschaft steckt. Weil AFAB Personen von Kindheit an die Gleichsetzung „Penis = Männlichkeit = Gefahr“ internalisiert haben, projizieren sie diese in Form von Transmisogynie auf trans Frauen und AMAB nichtbinäre Personen, was zum Ausschluss jener aus feministischen Räumen führt. Im Wissen, dass sie als „weiblich gelesen“ bzw. „Frauen light“ in feministischen Räumen eher Schutz zu erwarten haben, da bei anderen AFAB Menschen (wie beispielsweise cis Frauen) der gleiche Bias besteht. Muss bewusst verlernt werden, muss nicht bewusst passieren. Aber. Hat bewusst verlernt zu werden. Ja.

    Aber auch AFAB Personen leiden unter Transfeindlichkeit.

    1. „Aufsteigen“ im Patriarchat muss bestraft werden, weil „Frau muss an ihren Platz“.
    2. Fragile Heterosexualität, weil cis male Heten AFAB bestrafen müssen, dass sie auf selbige stehen, weil Bedrohung ihrer Heterosexualität.

    AMAB Personen erleben es in folgender Ausprägung:

    1. Die Transgression bei einer transfem Transition ist größer. („Mann sein zu wollen“ gilt als „natürliches Streben der Frau“) Bei AMAB Transition wird es dagegen als „pathologiesierender Wahnsinn“ wahrgenommen – und abgewertet.
    2. Fragile Heterosexualität und (CN T****) are gay aka gay/trans panic defense.

    Schlussendlich läuft Transfeindlichkeit also grundsätzlich auf eine Angst vor der Fragilität des Cistems hinaus. Transmisogynie dagegen ist die Projektion internalisierter Erwartungen an Männlichkeit auf Frauen. (Auch gerne mit vermeintlich „männlicher Sozialisierung“ begründet. Was die Komplexität von Sozialisation zwar unfassbar verkürzt, aber hübsch einfach klingt.)

    Als Person, die sehr lange (fast zehn Jahre) in femicistischen Gruppen aktiv war, kann ich aber – im Gegensatz zu transfemininen Personen, die diesen Zugang nie erhielten, auch diese Sichtweise beitragen:
    Die gefallene Schwester zu sein, die im Patriarchat aufsteigen will und den Feminismus verraten hat, der mehr oder weniger direkt psychiatrischer Aufenthalt nahegelegt wird und die gleichzeitig weder im Feminismus, noch auf der Straße stealth (also im korrekten Geschlecht, aber unerkannt) leben kann, von „du verstümmelst deinen Körper“ ganz abgesehen – der Vergewaltigungsvorwurf kommt auch da. Spätestens, wenn 1 mit Testo anfängt, weil wieder „Testosteron = Männlichkeit = Gefahr“ greift.

    Ja, es gibt bestimmt AFAB Personen, welche den Vorteil des „feministische Räume schützen mich“ gegen AMAB Personen verwenden. Das ist problematisch. Daraus einen Vorwurf an eine Gruppe zu imaginieren, die ebenfalls massiv unter dem Cistem leidet – und niemals die Option auf Passing (als das Geschlecht wahrgenommen werden, das 1 ist) hat – ist mindestens genauso problematisch.

    Der eigene Tellerrand eignet sich nur schlecht bis gar nicht für eine strukturelle Machtanalyse.

  • Suck my dick, Boi!

    Ich bin wütend. Ich bin außerdem aufgedreht, empowert und habe Lust auf Sekt, aber vorher will ich diesen Artikel schreiben, solange der Eindruck noch frisch ist.

    Linke Männer. Nehmen wir einen Typen, nennen wir ihn Matze. Matze ist gar kein Macker, Matze ist „kritisch männlich“. Matze kennt alle Buzzwords (Feminismus, Aktivismus, Anarchismus, Männlichkeit, Diskriminierung). Matze lebt schon irgendwie in einer offenen Beziehung, zumindest hat seine Freundin zugestimmt, dass er herumvögeln kann. Laut ihm kommt sie damit zwar nicht gut zurecht, aber er hat halt so große Lust dazu.

    Matze ist ein Arschloch. Aber weil Matze das immer nur bei einzelnen Personen macht, wird Matze dafür nicht zur Rechenschaft gezogen. Matze trifft vor allem FLINT-Personen. Er übertritt keine Grenzen, er verschiebt nur Grenzen immer weiter nach hinten, bis er bekommt, was er will.
    Wird er dafür kritisiert, tut er überrascht – er würde NIE eine Grenze überschreiten, das wäre ja fürchterlich!
    Zurück bleibt eine verwirrte Person, die ihre eigenen Erfahrungen hinterfragt. Aber Matze ist für ihre emotionalen Bedürfnisse auch nicht zuständig, schließlich sei ja alles casual und abgesprochen.

    Im besten Fall redet diese Person mit Freund_innen. Im allerbesten Fall trifft die Person Menschen, die ebenfalls Erfahrungen mit Matze haben. Und dann stellen alle fest: Es sind immer wieder die gleichen Geschichten, sie unterscheiden sich nur situativ. Hinterher steht im Raum… …was jetzt? Und: Warum haben wir das nicht viel früher erkannt?

    Weil patriarchale Strukturen auch in linken Räumen ein Problem sind. Weil Menschen wie Matze geschickt darin sind, ihr manipulatives Verhalten hinter „Szenezugehörigkeit“ zu verstecken. Weil FLINT immer noch vorgeworfen wird, sie würden ihre „persönlichen Probleme“ in Gruppen tragen, wenn sie darüber reden wollen. Weil das private, das sexuelle bitte innerhalb der eigenen vier Wände zu bleiben hat. Weil linke Räume immer noch eher Rufmord wittern, als Verhalten zu hinterfragen.
    Weil das Patriarchat auch unsere Szene vergiftet und FLINT die Verantwortung bei sich suchen, anstatt auf ihre eigenen Grenzen zu hören und sie zu beachten.

    Wir alle kennen einen solchen Matze. Aber die Szene ist klein, wir können nicht alle cis Dudes verlieren, die irgendwie uncool sind. Und wir wollen ja auch nicht, dass Menschen Angst vor einem Outcall haben müssen.

    Wollen wir nicht? Ich schon. Ich will, dass Menschen den Arsch hochkriegen. Und wenn sie es aus Angst vor feministischer Intervention tun, nun, dann ist dem eben so. Befreite Gesellschaft heißt, dass wir Normen überwinden und die des Patriarchats sind eindeutig Teil davon. Ich will ohne Angst reden können. Ich will das Private politisch machen.

    Und vor allem… Ich will Anerkennung für die Arbeit, die jeder Matze auslöst. Treffen organisieren. Erfahrungen abgleichen. Die eigene Betroffenheit von Übergriffen anerkennen. Die Auseinandersetzung mit eigenen Emotionen. Die Übersetzung eigener Emotionen in strukturelle Diskriminierungen. Die Abgrenzung. Das Aushalten von Schmerz, von „Warum hab ich nichts getan“, von internalisiertem victim blaming.

    Das Verhalten von Matze hat Auswirkungen – und die wenigsten Matze machen sich Gedanken darum. Nebenbei Tätertum – obwohl ja „eigentlich“ nichts schlimmes passiert ist. Bla.

    Ich möchte einen umfassenden Feminismus. Kein Feigenblatt, keine Kirsche auf der Torte. Und ja, heute bin ich nicht analytisch. Ich bin wütend über das Patriarchat und glücklich, dass Empowerment wichtig ist, richtig ist und funktioniert. Und jetzt gönne ich mir Sekt mit Glitzer und zeige den Matzes dieser Welt den Mittelfinger.

    Suck my Testodick, Boi.

  • „Kritische Männlichkeit“- Kritik

    „Ich habe meine Privilegien reflektiert und mir ist bewusst, dass dies nicht mein Sprechort ist, dennoch möchte ich sagen…“ – ich verdrehe innerlich die Augen. Ein weiteres Mal habe ich einen „kritischen Mann“ kennengelernt. Kritische Männlichkeit ist mittlerweile in Teilen feministischer Kreise der neue, heiße Shit. Ermöglicht sie doch Männern (hier vornehmlich cis Männern), sich aus dem patriarchalen Gefüge herauszulösen und ein besserer, ein kritischer Mann zu werden.

    So zumindest die Theorie und die Überzeugung jener, die ihre „kritische Männlichkeit“ wie einen Schild vor sich tragen. Ein Beispiel ist mein Exemplar von oben. (Seine gesamte Selbstreflektion hat ihn nicht daran gehindert, mir danach zu erklären, warum ich in all meinen Äußerungen falsch läge. Scheint ja gewirkt zu haben.)

    Wir merken, ich bin ein wenig ungehalten. Aber nun gut. Kommen wir zuerst zur Theorie.

    Patriarchat

    Wir leben alle im Patriarchat. Das Patriarchat hat ein sehr enges Bild von Geschlecht und dessen, wie Geschlecht performt werden muss. So werden Männer als stark, durchsetzungsfähig, entschlossen, mutig, objektiv (…) beschrieben – und die Performance dieser Eigenschaften im Umkehrschluss von ihnen erwartet. Das Bild von Männlichkeit (und in Abhängigkeit dazu Weiblichkeit) ist dabei gesellschaftlich wandelbar, gleichzeitig bleibt die Aufwertung des Mannes. (Alternativ dessen, was als „männlich“ definiert ist.) Einhergehend damit die Abwertung alles nicht-männlichen. (Weiblichkeit, aber auch Queerness und cis Männer, die sich nicht den Erwartungen an Männlichkeit anpassen können/wollen.)

    cis Männlichkeit

    Männlichkeit ist dabei (dank Kolonialismus) universell, wir wissen aufgrund unserer Sozialisierung intuitiv „wie ein Mann zu sein hat“. Es wurde uns bereits von Geburt an wissentlich und unwissentlich beigebracht. Durch den äußeren Druck und Zwang zur Performance entsteht ein Muster, das als „toxische Männlichkeit“ bekannt ist. Namentlich ist es das Konzept, dass unter den Erwartungen an Männlichkeit nicht nur diejenigen leiden, die vom Patriarchat als „das andere Geschlecht“ gekennzeichnet werden, sondern auch diejenigen, die den Zwang zur Performance verspüren. Kurz: Unter dem Patriarchat leiden auch cis Männer, unter Sexismus jedoch nur nicht-cis Männer.

    kritische Männlichkeit

    Das Verlernen dieser Erwartungen (die keinesfalls biologisch begründet sind) ist hierbei der Knackpunkt – und da setzt „Kritische Männlichkeit“ an.
    Schwerpunktmäßig werden in Vorträgen, Workshops, „kritischen Männlichkeitsrunden“ und den wenigen Büchern zum Thema zunächst die Erwartungen an Männlichkeit analysiert. Dann sollen sie schlussendlich geändert werden können.

    Meist richten sich die Aufrufe dieser Veranstaltungen explizit (und teilweise ausschließlich) an cis Männer. Schließlich sind sie diejenigen, um die es hauptsächlich geht. Gleichzeitig geht es in den meisten Runden, die ich erlebt habe, vor allem darum, Einzelfallsituationen und Verhaltensweisen zu analysieren. Im besten Fall hat es etwas von Gruppentherapie bzw. Selbsthilfegruppe, im schlechtesten Fall von „wir klopfen uns gegenseitig auf die Schulter und vermeiden direkte Kritik, immerhin haben wir uns alle schon mal irgendwie mies und/oder diskriminierend verhalten“. Alternativ wird direkte Kritik geübt und dann in die einzelne Verhaltensweise abgetaucht und ergründet, auf welchen gesellschaftlichen Strukturen sie beruht. Am Ende ist die Gruppe so weit in den Metaebenen der strukturellen Konstruktionen verschwunden, dass die einzelne Verhaltensweise mikroskopisch klein und unbedeutend wirkt.

    Nabelschau

    Die Gefahr hierbei ist, dass am Ende des Tages zwar sehr viel über strukturelle Diskriminierung, Erwartungen an Männlichkeit, Männlichkeit im Spiegel der Gesellschaft und ähnliche Dinge gesprochen wurde, aber das konkrete Verhalten nicht verändert wird.
    „Ich habe meine Privilegien reflektiert“ ist ein hübscher, aber unsinniger Satz. Er beruht auf der Tatsache, dass die Person jetzt möglicherweise ein erweitertes Wissen gewonnen hat, aber damit dennoch nichts tut.
    Die reine Nabelschau der eigenen Privilegien ändert weder an den Privilegien, noch an den diskriminierenden Strukturen oder den Verhaltensweisen der einzelnen Person etwas. Im Gegenteil. Gleichzeitig wird diese Reflektion als Argumentation verwendet, um die eigene Machtposition zu sichern, ohne sie als Machtposition anerkennen zu müssen. Die Arbeit (namentlich die Erkenntnis der eigenen Privilegien) haben sie schließlich bereits geleistet.

    erlernte Hilflosigkeit

    Die Erkenntnis, Teil einer diskriminierenden Struktur zu sein (gleichzeitig als Profiteur und als Betroffener) ist schmerzhaft, der Widerspruch schwierig auszuhalten. Gleichzeitig betrifft diese Struktur sowohl Vergangenheit, als auch Gegenwart. Sie ist schwierig bis unmöglich von Charakter und Sozialisierung der einzelnen Person zu trennen. Dennoch ist diese Trennung notwendig, um aus der Analyse konkrete Verhaltensweisen ableiten zu können.

    Beispielsweise hilft es nicht, zu wissen, dass cis Männer durchschnittlich einen höheren Redeanteil haben als nicht-cis Männer. Die Frage ist auch, woher dieser Redeanteil kommt und etwas dagegen tun zu können. Ähnlich verhält es sich mit der Erkenntnis, dass cis Männern selten bis nie lernten, auf konstruktive Weise über Emotionen zu reden. Die Sozialisierung als cis Mann sieht diese Verhaltensweise schlicht nicht vor. (Die Sozialisierung von nicht-cis Männern dagegen, sich vor allem um die emotionalen Belange ihrer Mitmenschen zu kümmern, tut ein übriges.) Bleibt die Frage: Wer bringt diese Verhaltensweise bei? Wie wird diese Verhaltensweise produktiv?
    Wie trennen wir die emotionalen Bedürfnisse gegenüber nicht-cis Männern von dem Anspruch, dass diese von der emotionalen Arbeit ent- und nicht belastet werden? Wo beginnen unsere Bedürfnisse, wo endet unsere Sozialisierung? Wie kann das getrennt werden, ohne, dass sich Personen in der Analyse und Nabelschau völlig verzetteln?

    Theorie statt Praxis

    Diese Fragen werden in den meisten Kontexten, die sich mit „Kritischer Männlichkeit“ beschäftigen, im besten Fall angerissen, nicht aber beantwortet. Hier spricht eine Gruppe von Menschen, die ein pro:feministisches Café organisiert hatten, von ihren Erfahrungen mit kritischer Männlichkeit. Und spart dabei nicht mit Selbstkritik.

    Schwerwiegender ist die Auswirkung von „Kritischer Männlichkeit“, wenn selbige als Waffe wahrgenommen wird, um die eigene Machtposition zu sichern. Die Erkenntnisse verwenden diese Männer, sich besonders „woke“ und „reflektiert“ darzustellen. Nur, um dann die eigenen Bedürfnisse (emotionaler und politischer Literatur) in den Vordergrund zu rücken. Hier ist ein sehr guter Artikel, der sich mit linken Männlichkeitsbildern auseinandersetzt und diese kritisch beleuchtet.
    Gleichzeitig haben diese Männer das Vokabular erlernt, um ihre Bedürfnisse nicht „mackerhaft“, sondern „bedürfnisorientiert“ zu kommunizieren. Am Ende jedoch diejenigen zu sein, welche eine Debatte dominieren. Kritikabwehr mittels emotionaler Verletzlichkeit und die Verantwortung für einen liebevollen, freundlichen Umgang denjenigen gegeben, welche kritisierten. Das Eingehen auf Kritik elegant vermieden. Schließlich geht es dann nicht mehr um inhaltliche Fragen, sondern um Emotionen – und die BeKümmerung selbiger. Es wird Sprachkritik noch und nöcher geübt – aber die Strukturen bleiben die gleichen.

    Statt Nabelschau und Sprachkritik – für eine effektive Änderung der Verhältnisse!

  • Autismus, Baby!

    Frisch diagnostiziert sitze ich bei meiner Therapeutin. Sie hat keine Expertise bezüglich Autismus, sagt sie selbst. Sie weiß, dass es das gibt und wie die Diagnoseverfahren grob laufen – mehr nicht.
    Zuerst erklärt sie mir, dass sie bezweifelt, dass ich Autismus habe. Bei ihr wirke ich erst so, wie es im Gutachten steht, seitdem es im Gutachten steht.


    Ich denke mir: „Ja, weil ich jetzt die medizinische Erlaubnis habe, nicht immer angepasst sein zu müssen. Weil es jetzt okay ist, das ich krasse Überforderungen auch einfach nicht tue. Wie beispielsweise, Ihnen in die Augen sehen zu müssen.“ Aber als ich das sage, wirkt sie nicht überzeugt. Aber sie hat mir auch nicht geglaubt, dass ich trans bin oder eine HRT haben darf. Das hat ihr „Bauchschmerzen“ bereitet.

    Vermeidung

    Ich sitze verkrampft da. Ich sitze eigentlich immer im Gespräch verkrampft da. Ab und zu sagt sie mir, ich solle aufrecht sitzen. Ich richte mich dann auf. Stimmen ist auch verboten, weil Stimming würde bedeuten, dass ich das „innere Kind“ alleine lasse. Ich versuche also, unauffällig zu stimmen, aber ich darf mich dabei nicht erwischen lassen. Zum Glück erkennt sie viele Stimmingmethoden nicht. (Nicht behandeltes Stimming bei Autismus kann zu chronischen Schmerzen führen, weil beispielsweise auf Zähneknirschen oder Muskelverkrampfungen ausgewichen wird.)

    Es ist Schematherapie, ich muss mich also in die verschiedenen Modi begeben. Es gibt Elternmodi (die sind abwertend oder verlangen zu viel in Bezug auf (emotionale) Leistung), Bewältigungsmodi (Vermeidung, Unterwerfung, Überkompensation) und Kindmodi (wütendes, glückliches, verletzliches, impulsives Kind). Und ein sogenanntes „gesundes Erwachsenes“, das einerseits alles koordinieren soll, andererseits sich um den Modus des verletzlichen Kindes kümmern soll.

    „In die Modi begeben“ heißt Rollenspiele. Ich muss dieser Modus sein. Gleichzeitig darf ich nicht von den Modi als unterschiedliche, sich austauschende Persönlichkeiten denken, ich darf nicht von „wir“ sprechen. Warum? Keine Ahnung. Weil die Therapeutin sagt, dass das falsch ist.

    Überforderung

    Wenn ich Dinge nicht verstehe (und ich verstehe viele Dinge nicht), darf ich nicht nachfragen, weil kognitives Verständnis Teil der Vermeidung ist. Sagt meine Therapeutin.
    (Es ist auch die Art, wie Autismus sich äußert, aber das darf ich nicht sagen.)
    Sie versteht mich häufig nicht, wenn ich versuche, mit ihr zu kommunizieren. Da sind Worte und ich weiß, dass ich mit diesen Worten etwas wichtiges aussagen möchte, aber es kommt nicht an. Und wenn ich darüber verzweifele, dass ich mich nicht verständlich machen kann, dann sagt sie, es wäre eine wütender Modus. Oder Vermeidung.

    Die Depression könnte eine organische Krankheit sein, die organische Auswirkungen hat. Oder eine psychische Krankheit, die organische Auswirkungen hat. Oder eine „Strategie eines Bewältigungsmodus“, die organische Auswirkungen hat. Die organischen Auswirkungen sind da, die merke ich. Aber sie hat gesagt, dass die Bewältigungsmodi dazu da sind, das „innere Kind“ zu schützen. Die Depression (zumindest die organischen Auswirkungen wie Müdigkeit, Überempfindlichkeit, Geräuschempfindlichkeit, Schmerzen) sind aber doch kein Schutz? Das passt nicht. Das fühlt sich bis auf die Knochen verschoben und falsch an. Oder sind es keine depressiven Symptome? Ist es Autismus? Ich bin verwirrt.

    Overload

    Manchmal versuche ich, eine eindeutige Antwort zu bekommen. Ich bettele um eine Antwort. Ich verstehe das nicht. Sie sagt, ich solle nicht wütend sein. Das wäre Vermeidung. Ich sitze doch im Modus des gesunden Erwachsenen, der wäre aber zu wenig da. Ich solle den gesunden Erwachsenen verkörpern. Das würde ich aber nicht tun.

    Ich bin aber nicht wütend, ich versuche, ihr wichtige Dinge zu erklären. Aber „Dinge erklären“ ist Vermeidung, sagt sie. Ich weiß nicht, wie ich etwas richtig machen soll, wenn ich es nicht verstehe. Aber ich bekomme keine Bedienungsanleitung oder Handlungsanweisungen. Ich soll sie mir selbst erarbeiten, aber ich weiß nicht, wie.
    Ich kann doch nur Dinge aufschreiben, die ich bereits erfahren oder erkannt habe.
    Aber sie sagt, ich muss das selbst entwickeln. Beispielsweise, was eine „gesunde Beziehung“ ist. Aber ich kann das nicht, weil jedes Beispiel einer gesunden Beziehung auch Zeichen einer toxischen Beziehung sein könnte und es da keine klare Trennlinie gibt. Wie soll ich  Beispiele sammeln, wenn es keine klare Trennlinie gibt?

    Shutdown

    Ich sage ihr das. Sie sagt, sie wird sich nicht auf die Strategie der Vermeidung einlassen. Ich fange an zu wippen. Sie sagt, ich muss damit aufhören, ich würde das „innere Kind“ alleine lassen. Redet immer weiter. Wird immer lauter in meinen Ohren. Ich wippe stärker. Sie sagt, ich soll aufstehen und den Stuhl wechseln. Ich bettele, dass sie den Mund hält, ich kann nicht mehr. Ja, ich weiß, dass ich nicht wippen darf, aber ich kann nicht aufhören. Ich falle auseinander. Ich brauche das Wippen gerade. Sie hält den Mund. Ich kann ein bisschen atmen. Setze mich auf anderen Stuhl. Benutze mein StimToy zum stimmen.

    Sie erkennt das StimToy nicht als StimToy. Ich habe aufgehört zu wippen. Habe mich brav an ihre Aufgaben gehalten. Sie gibt mir eine Aufgabe. Ich merke, dass ich wegdrifte. Kann nicht mehr sprechen. Ich nehme mein Handy. Nehme meine Tasche. Ich gehe. Bin ein kleiner Ball, innen eingerollt in mich. Ich kann nicht mehr sprechen. Ich weiß, dass sich meine Menschen darum kümmern werden, dass ich nach Hause komme.
    Shutdown.

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