Wir brauchen kein Awarenessteam. Wir sind doch schon alle aware und passen gut aufeinander auf! Awarenessarbeit ist überflüssig!
Veranstalter.
Sagen wir so, meine Sympathie mit den Veranstaltenden war zu dem Zeitpunkt ohnehin auf den Grad flüssigen Stickstoffs gesunken. Aber ich war ja nicht da, um den Veranstaltenden zu gefallen, sondern, um meinen Job zu machen.
Awarenessarbeit
Mein Job nennt sich „Awarenessarbeit“. Awareness kommt aus dem Englischen und bedeutet soviel wie „Achtsamkeit“. Im deutschen Sprachgebrauch wird damit eine Sensibilität gegenüber strukturellen Diskriminierungen und sexualisierter Gewalt gemeint. Ein Awarenessteam soll also dafür sorgen, dass Betroffene von sexualisierter Gewalt und/oder Diskriminierungen einen Anlaufpunkt haben. Wir sind die, an die sich Leute wenden können.
Ein Awarenessteam ist nicht dazu da, betroffene Personen zu trösten oder mit ihnen über ihre Erfahrungen zu diskutieren. Wir wollen die Veranstaltung zu einem sichereren und diskriminierungsärmeren Raum machen. Meine Veranstaltungen sollen nicht sein wie Jeja Klein hier sehr gut kritisiert. Ich will kein Feigenblatt sein. Sondern fundamentale Veränderung.
Umsetzung
Es gibt verschiedene Varianten, wie Awareness aussehen kann. Ich persönlich habe eine sehr spezialisierte und konkrete Vorstellung davon, wie sie auszusehen hat. In meinen Workshops biete ich aber auch immer die jeweiligen Alternativen an.
Definitionsmacht
Definitionsmacht (oder DefMa) ist ein Konzept, dass Betroffenen die alleinige Macht gibt, Situationen als Übergriff zu bezeichnen. Entwickelt wurde das Konzept, um patriarchalen Strukturen (victim blaming) und bürgerlichen Gesetzestexten eine alternative, autonome und empowernde Möglichkeit entgegenzusetzen. Es ist also nicht Aufgabe des Awarenessteams, die Darstellung der betroffenen Person zu hinterfragen. Sie gehört als gegeben hingenommen
Machtgefälle
Machtgefälle. Nein, Awarenessteams sind nicht dazu da, dass sich „alle“ wohlfühlen. Wir sind dafür da, dass sich „vor allem Marginalisierte“ wohlfühlen können. Wir sind nicht die Schlichtungseinrichtung und wir sind nicht dafür da, auszudiskutieren, „ob das jetzt wirklich schlimm war“. Unser Job ist es, Marginalisierte zu schützen und zu unterstützen. Wer sich konfliktscheu zurückzieht und Nazis die Tanzfläche überlässt, weil sie ja (noch) nicht übergriffig waren, macht seinen Job falsch. Ja, Awareness schafft ein Machtgefälle. Dieses Machtgefälle gleicht (wenn auch nicht mal annähernd) das strukturelle Machtgefälle aus, das sexualisierte Gewalt und Diskriminierungen unterstützt und schützt.
Voraussetzungen
Awareness ist Arbeit. Wir sind diejenigen, die Ahnung von Substanzenkonsum haben müssen. (Weil wir vor allem auf Partys zwangsläufig diejenigen sind, die auch Menschen mit Überkonsum betreuen).
Uns mit Gewalt auskennen, strukturelle Diskriminierung erkennen und benennen. Wir stehen (teilweise über Stunden) mit Betroffenen in engem Kontakt.
Awarenessarbeit ist anstrengend. Sie ist belastend (physisch und psychisch). Es sollte definitiv nicht von Leuten gemacht werden, die zu langsam waren, als die Frage aufkam, wer „heute Abend die Awareness macht“.
(In Teams, in denen ich arbeite, gibt es für neue Menschen ein Tandemprinzip, damit Leute voneinander lernen können. Außerdem ist die Faustregel „zwei Menschen pro Floor“, damit ausreichend Ressourcen für Fälle zur Verfügung stehen.)
struktureller Ansatz
Awarenessarbeit ist kein „Trost“. Wir sollen strukturelle Probleme auf eine individuelle Situation anpassen und erkennen. Danach eine Lösung für die Situation finden, welche die Diskriminierung mit einbezieht. Es geht nicht (nur) darum, einer Person über den Rücken zu streicheln und ihr zu sagen, dass alles gut wird. Eher darum, der Person zu ermöglichen, eine machtlose Situation in eine zu verändern, in der sie Selbst_Ermächtigung erfährt. Übergriffe sind in den meisten Fällen etwas, womit Betroffene aufgrund der gesellschaftlichen Struktur ohnehin dauerhaft konfrontiert werden. Awarenessarbeit ist, den Kreislauf von 1. Ich wurde in eine machtlose Situation gebracht.
2. Niemensch hilft mir.
3. Ich bleibe allein und machtlos.
zu brechen und Menschen handlungsfähig zu machen.
Abschluss
Eine letze Anmerkung noch zu dem Typen aus dem Eingangszitat. Wenn hier alle so aware und achtsam wären, hätte ich nicht vor Beginn der Party zwei Shoa-leugnende-Hippies verweisen müssen. (In diesem Fall auch wichtig: Eine Security, die das Awarenesskonzept unterstützt.)
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