Das Minzgespinst-Logo, eine helle Zuckerwatte vor einem dunkelgrünen Hintergrund mit Monstera-Umrissen. Darunter steht: MINZGESPINST.
Die beste Rache ist ein gutes Leben.

Berlin, die rastlose Stadt am Meer. Hier ragen die Türme der Zauberer bis in den Himmel. Im Schein der Glühlichter werden rauschende Partys gefeiert. Zucker wird in Gold aufgewogen und die Geheimpolizei wacht über den zerbrechlichen Frieden zwischen Zauberern und Erfindern.

https://amrun-verlag.de/produkt/berlin/

Berlin, die Stadt der Türme, der Zauberer_innen und der Erfindenden - eine Dystopie, ein wenig Urban Fantasy, ein wenig Puderzucker (und der Geschmack von Macarons).

Berlin liegt neuerdings am Meer. "Neuerdings" ist allerdings grob gesagt einige hundert bis tausend Jahre in einer nicht näher definierten Zukunft (aber den Klimawandel scheint es auch dort gegeben zu haben).
Kurz vorm dem Auslöschen der Menschheit kommen die Magiebegabten zurück und retten die Überlebenden.

Ergebnis ist ein halb magisches, halb technisches Gesellschaftserleben, mit steampunkartiger Glasur und einer kleinen, aber feinen Unterscheidung zwischen "Fingerschnipsern" und "Rostfressern" - die einen führten die Menschheit in den Untergang, die anderen erretteten sie.

Zentrum der Geschichte ist eine lesbische Erfinderin, deren beste Freundin und langjähriger, heimlicher Schwarm vor ihren Augen ermordet wird (und da diese aus einer Zaubererfamilie stammt, muss natürlich die Protagonistin schuld sein). Daraus entwickelt sich eine interessante, bildgewaltige Jagd nach dem_der wahren Strippenzieher_in und den echten Täter_innen, inklusive Katz-und-Maus-Spiel, Befreundung eigentlich verfeindeter Personen, ein wenig Detektivarbeit und sehr viel Aktion.

Das Buch punktet mit seinen lebhaften Beschreibungen, es lässt sich gut in die Geschichte eintauchen und wer schon einmal (oder öfter) im heutigen Berlin war, wird sich darin wiederfinden. Die Routen der Protagonist_innen lassen sich jedenfalls ganz hervorragend mit ein paar Macarons in der Hand im heutigen Berlin flanierend nachvollziehen, wenn auch die Dystopie nicht viel der Stadt übrig gelassen hat.
Wer mag, darf sich das dazu passende Outfit anziehen und ein wenig vom Steampunk träumen.

Der Plot ist solide, der Umgang der Held_innen mit Schmerz und Trauma nicht wegwischend lapidar, sondern nachfühlbar - ohne dabei zu pathetisch zu werden. Magie und Erfindungsreichtum runden es ab, nebenbei wird noch ein wenig klassische Gesellschaftskritik vermittelt. So weit, so gelungen.

Kritikwürdig (gerade in einem Setting, in dem Homosexualität vollständig akzeptiert zu sein scheint) ist die Reproduktion klassischer Geschlechterrollen in Kleidung und Haarpracht - Männer tragen Anzug, Frauen Kleider (maximal noch einen dezenten Hosenanzug). Trans Personen gibt es in der Gesellschaft schlicht und ergreifend nicht, latenten Sexismus dagegen schon - sowohl die mächtigen Erfinder, Zuckerbäcker, als auch die mächtigsten Zauberer sind Männer, die weiblichen Rollen (bis auf die Protagonistin und eine weitere Person) bleiben blass, beinahe farblos. Da ginge mehr und da würde ich mir bei den kommenden Bänden mehr wünschen - gerade in einem Roman, der sich LGBTIQ+ auf die Fahne geschrieben hat. Gleichzeitig ist eine lesbische Frau als Protagonistin einer Fantasy-Reihe schon ein Fortschritt dieses Genres, den ich freudig begrüße, davon braucht es definitiv mehr!

Alles in allem ist "Rostiges Herz Berlin" von Sarah Stoffers eine Bereicherung meines Fantasy-Regals und ich würde jeder Person, die gut gemachte Fantasy genießt, empfehlen, es zu lesen. Am besten mit ein paar guten (!) Macarons in einer Schüssel neben sich und einem heißen Kaffee.
Den zweiten Band habe ich schon vorbestellt und werde natürlich auch dann wieder darüber berichten!

Das Missy-Magazin hat ein neues Layout. Sie präsentieren stolz einen "eigenen" Asterisk (umgangssprachlich "Genderstern" genannt) und ein "missy-exklusives m". Der Asterisk wird für geschlechterneutrale Sprache verwendet. Das "m" hat einen kleinen Schnörkel nach unten. Es wird von jetzt an in jeder Überschrift, die ein "m" enthält, sein.
Schwerpunkt des Heftes ist - unter Anderem - feministisches Design. Für ein Heft, das sich "intersektionalen Feminismus" auf die Fahne geschrieben hat, ein etwas kläglicher Schwerpunkt. Denn an Autismus, Neurodivergenz und Leseschwächen wurde nicht gedacht.

Intersektionalität ist die Verschränkung unterschiedlicher Diskriminierungsformen. Die Bezeichnung geht auf die Arbeit Schwarzer Feminist_innen zurück. Sie sahen sich weder von weißem Feminismus, noch der Schwarzen, männlich dominierten Bürgerrechtsbewegung in ihren Kämpfen repräsentiert.
Das Einstellen ausschließlich weißer Frauen und Schwarzer Männer (wenn Unternehmen verpflichtet sind, Minderheiten einzustellen) ist legal. Selbst wenn Schwarze Frauen dadurch spezifisch diskriminiert werden.

Kurzer Exkurs, zurück zur heutigen Problematik der Intersektionalität. Auch die Verflechtungen von Ableismus, Sexismus, Trans- und Queerfeindlichkeit fallen darunter.
Und da kommen wir zum Problem: Design und geschlechterneutrale Sprache. Autismus und Neurodivergenzen.

Geschlechterneutrale Sprache

Sprache schafft Realität - und bildet Realitäten ab. Unterschiedliche Studien haben bewiesen, dass das generische Maskulinum dazu führt, dass Lesende/Hörende ein männliches Bild im Kopf haben. Das verunsichtbart alle Personen, die nicht männlich sind. Es sorgt langfristig dafür, dass unsere Realität weiterhin eine männlich geprägte, männlich dominierte ist. (Und dafür, dass beispielsweise Mädchen eher Berufe als Wunschberuf angeben, die mit "Weiblichkeit" assoziiert sind.)

Eine Lösung dafür können Passivkonstruktionen (Lesende, Lernende, Hörende, etc.) sein. Unterschiedliche Varianten des Entgeschlechtlichens - also beispielsweise Sonderzeichen oder Binnen-I. (Lehrer_innen, Lehrer*innen, LehrerInnen). Sonderzeichen wurden vor allem aus der trans Community heraus entwickelt und gefordert. Es geht um Sichtbarkeit von nichtbinären Personen (und die Einbeziehung dieser). Das Binnen-I kommt vor allem aus einer cis-feministischen Perspektive und war dazu gedacht, Frauen sichtbarer zu machen. Geschlechterneutrale Sprache hat also unterschiedliche Möglichkeiten.

Klingt gut? Klingt gut. Bisschen ungewohnt, aber da gewöhnen sich Menschen nach und nach dran.
Aber.

Probleme

Ich kann die Missy in Zukunft nur noch mit Pausen lesen. Die Variante des * (in der Mitte des Wortes statt hochgestellt) und des "m" kann ich nicht flüssig lesen. Ich bin Autist_in. Autimus ist eine Neurodivergenz. Unser Gehirn arbeitet ein wenig anders als die Norm.

Viele Autisten, Autistinnen und Autist_innen haben das Problem, dass wir Sprache anders wahrnehmen. Uns fehlt ein Filter, der Reize sortiert und in "wichtig" und "unwichtig" einordnet. Wenn in einem Text (sehr viele) Sonderzeichen auftauchen, wird dieser Text für neurodiverse schlecht bis un-lesbar. Das betrifft auch blinde und sehbehinderte Menschen. Screenreader sind Programme, die Schriftsprache in Lautsprache übersetzen. Gerade Screenreader können oft Sonderzeichen nicht adäquat (als Glottal Stop) übersetzen. Dadurch klingt ein Text dann so: Lehrer_innen wird zu LehrerUnterstrichInnen. Klingt anstrengend? Ist es auch.

Screenreader sind eine technische Problematik. Technik ist lösbar. Die Gehirne jener neurodiversen Menschen mit dieser Problematik, sind nicht durch ein IT-Update behandelbar.

Bedürfnisse

Wir haben also zwei unterschiedliche Bedürfnisse, die sich konträr gegenüberstehen. Einerseits Sichtbarkeit (die zur Normalisierung führt), andererseits Lesbarkeit und Erfassbarkeit von Informationen.

Ist eines dieser Bedürfnisse (ich las kürzlich von Exkludierung 1. und 2. Ordnung) dadurch wichtiger als das andere? Ich denke nicht. Studien haben die Problematik des generischen Maskulinums belegt (nämlich, dass es Assoziationen zu Männern herstellt und eben nicht neutral wirkt). Es ist eine komplexe und nicht individuelle Situation. Die Lösung muss eine gesellschaftliche sein. Unsichtbarkeit von nicht-männlichen Personen in der Sprache hat Konsequenzen auf das Leben dieser. Ausschließende Texte aufgrund von Unlesbarkeit haben Konsequenzen für Personen, die diese Texte nicht lesen können.

Das wiederum gilt auch für beispielsweise Hashtags wie #noAfD oder #TSGabschaffen. Sie werden synonym zum kritisierten Gegenstand verwendet. Es geht darum, z.B. der AfD keine Reichweite zu geben. Der #AfD würde ihr Reichweite geben. Wird statt "AfD" in einem Tweet #noAfD verwendet, brauche ich deutlich länger, um den Inhalt zu verstehen. Statt flüssigem Lesen ist es eine bewusst-kognitive Handlung - und die kostet deutlich mehr Energie.

Eine einheitliche, neutrale Form ist wünschenswert. Sowohl für Personen, die unter geschlechtlicher Diskriminierung leiden, als auch für alle, die unter Ableismus leiden. Und noch viel mehr für alle Personen, die von beidem betroffen sind.

Fazit

Sonderzeichen waren ein weiterer Schritt auf einem langen Weg. Aber sie sind nicht das Ende der Debatte - auch nicht die Diskussion um ein "korrektes" Sonderzeichen.
Gleichzeitig schmerzt es mich, dass ich mich zerrissen fühle zwischen den Bedürfnissen als trans Person und als Autist_in. Hier habe ich schon darüber geschrieben. Als ob es nur eine Möglichkeit gäbe, anstatt gemeinsam nach einer Lösung zu suchen.
(Ich persönlich verwende den Unterstrich. Er bietet mir die bestmögliche Variante, meine eigenen Texte zu schreiben, zu lesen und zu verstehen.)

4 Menschen sind gestorben. Eine Frau wurde verletzt.

Moment einmal?

„Gestorben“?

So, wie in: „nach langer Krankheit gestorben“?

Oder wie in „in hohem Alter lebenssatt gestorben“?

Oder wie in „durch einen Unfall gestorben“? Ein Erdbeben“?

Ist Jesus „gestorben“?

Friedlich, lebenssatt oder durch einen Unglücksfall?

Oder wurde er ans Kreuz geschlagen?

Durch Menschen?

Ermordet?

Starb er friedlich?

„Eli eli lama sabachtani“ schrie er.

Mein Gott.

Mein Gott.

Warum

Hast

Du

Mich

Verlassen.

Wer ist „gestorben“?

Sind nicht 4 Menschen ermordet worden und eine schwer verletzt?

Ermordet.

Bestialisch.

Quälend.

Eli

Eli

Lama

Sabachtani

Haben sie gewiss nicht gesagt.

Aber vielleicht geschrien. Vielleicht wollten sie schreien. Vielleicht haben sie gebetet. Vielleicht gejammert.

Mein Gott

Mein Gott

Warum

Hast

Du

Mich

Verlassen

Oder gestöhnt vor Qual. Sich geängstigt. In gottesferner Todesqual.

Überraschend ermordet.

Hinterrücks.

Unerwartet.

Von einer, die für sie zu sorgen versprach.

Die dafür ausgebildet war.

Dafür eingestellt.

Dafür bezahlt.

Einer wie uns. Die wir gerne auf „die geringsten Brüder und Schwestern unseres Herrn Jesus Christus“ herab sehen. Denn WIR sind ja die „Besseren“, die „nicht Geringen“.

Aber – sind sie nur „Geschwister“ und dann noch „geringste“?

Oder steht nicht der Gekreuzigte, der Leidende, der Schreiende

Eli

Eli

Laba

Sabachtani

Mein

Gott

Mein

Gott

Warum

Hast

Du

Mich

Verlassen

an ihrer Seite? An ihrem Bett? Leidend wie sie?

Und NEIN. Nicht der Auferstandene. Nicht der, den wir uns so gern malen. Der „im Himmel“ mit dem vergeistigten Leib. Oder dort, wo, wie ein Plakat sagte, „die Toten jetzt fliegen können wie die Engel.“

Es war Mord.

Es war Qual.

Es war Menschenferne.

Es war Gottesferne.

Eli

Eli

Laba

Sabachtani

Mein

Gott

Mein

Gott

Warum

Hast

Du

Mich

Verlassen

Und sie hauchten ihren Geist aus.

„Hauchten“? Haucht jemand, der mit dem Messer an der Kehle ermordet wird?

Haben sie nicht eher ihren „Geist ausgeröchelt“? Sind elend gestorben?

Sie starben nicht lebenssatt. Sie „hauchten“ nicht. So einfach dürfen wir uns das nicht machen mit dem konkreten Tod. An Ermordung ist nichts Sanftes. Nichts friedlich. Auch wenn Jesus der Überlieferung nach „haucht“ am Ende.

Und wir? Wir „trösten“ uns. Mit Auferstehungslauben und „Hoffnung“.

Verkaufen den Karfreitag für ein billiges Ostern.

Nein.

Nein.

Nein.

Karfreitag war real für uns.

Karfreitag ist.

Karfreitag war in dieser Nacht.

Und nicht Ostern.

Für einige, die Mitbehinderten, wird es für lange Zeit Karsamstag sein.

Grablegung.

Grabesruhe.

Vermissen.

Angst haben.

Not haben.

Klittern wir ihnen nicht UNSER Wohlfühl- und Todesneutralisationsostern um die Ohren, bevor wir auch ihr

Eli

Eli

Laba

Sabachtani

Mein

Gott

Mein

Gott

Warum

Hast

Du

Mich

Verlassen

Wahrgenommen haben. Ernst genommen haben.

Dann brauchen wir auch keine Klitterung mehr. Keinen Glaubenszuckerguss über die elende Welt.

Denn dann ist das Elend etwas, in dem Christus neben uns ist. Solidarisch und wissend. Nicht „schon überwindend“. Elend, am Kreuz. Leidend. Sterbend.

Und er hauchte seinen Geist aus.

Martina W.
Geboren 1990
Ermordet in ihrem Bett im Oberlinhaus am 28.4.2021

Christian S.
Geboren 1985
Ermordet in seinem Bett im Oberlinhaus am 28.4 2021

Lucille H.
Geboren 1978
Ermordet in ihrem Bett im Oberlinhaus am 28.4 2021

Andreas K.
Geboren 1964
Ermordet in seinem Bett im Oberlinhaus am 28.4 2021

Ihr seid zu Hause. An einem Ort, den ihr seit eurer Kindheit kennt. Den einzigen Ort, den ihr "Zuhause" nennen könnt. Ihr könnt euch nicht äußern. Ihr könnt nicht mitteilen, ob es euch gut geht oder nicht. 
Ihr seid abhängig von den Menschen, die um euch herum sind. Und eines Abends kommt eine Person, eine Person, die ihr kennt, die sich um euch kümmert - und tötet euch. 

Klingt wie der Beginn eines Horrorfilms? Mag sein. Ist aber leider Realität. Es ist die Realität jener Menschen, die in Potsdam-Babelsberg getötet wurden. Es ist die Realität jener Person, die in der gleichen Einrichtung schwer verletzt worden ist. Es ist das Risiko jeder Person, die in einer stationären Einrichtung lebt. Es ist eine banale Realität der Bösartigkeit. Das Böse ist schlussendlich... banal.

Da läuft eine Person herum und tötet Menschen….
Und die Berichterstattung enthält einen Werbeblock für die betreffende Einrichtung.

Da läuft eine Person herum und tötet Menschen….
Und am Ende wird über die Überforderung des_r Täter_in geredet.

Da läuft eine Person herum und tötet Menschen….
Aber es waren ja nur Behinderte.

Da läuft eine Person herum und tötet Menschen….
Aber es war ja nur ne Psychose, die_r Täter_in war psychisch krank!

Im Oberlinhaus wurden vier Menschen getötet, eine Person wurde schwer verletzt. In Bad Oeynhausen läuft die Anklage gegen eine Person, die in 145 Fällen Freiheitsberaubung gegen Behinderte begangen haben soll. In Japan tötete ein Mann 19 Behinderte, erhält die Todesstrafe - und die Medien nehmen ihn in Schutz. Gewalt in Werkstätten für Menschen mit Behinderung ist soweit Alltag, als das es eine Broschüre in Leichter Sprache gibt, um Betroffene aufzuklären. Die Gewalt ist so weit Alltag, dass die Begründung "sind häufiger Gewalt ausgesetzt" nicht einmal mehr einem Beleg bedarf und sich die Studie speziell mit betroffenen Frauen auseinandersetzt. Die Gewalt ist so weit Alltag, dass ich mir vorwerfen lassen muss, mit der "Nazikeule" zu kommen, wenn ich die Aktion T4 in den Kontext dieser Taten setze - oder eben die nationalsozialistische Lehre der sogenannten "Euthanasie".

Eigentlich dürfte nichts davon existieren. Eigentlich gibt es die UN-Behindertenrechtskonvention, die für eine Teilhabe an der Gesellschaft für ALLE sorgen soll. Eigentlich sollte es weder Werkstätten für Menschen mit Behinderung (WfbM) geben (in denen diese für ein "Taschengeld" ausgebeutet werden), noch sogenannte "Kümmerknäste" (entschuldigung, selbstverständlich meinte ich "stationäre Einrichtungen"), in denen Behinderte teilweise von Kindheit an isoliert leben. Eigentlich.

Aber es existiert. Alles davon existiert und es existiert nicht in einem luftleeren Raum. Ich trauere und ich habe Angst. Ich bin behindert, ich bin pflegebedürftig. Das Damoklesschwert einer Einrichtung schwebt unsichtbar über meinem Kopf (Redewendung). Ich kenne die Toten nicht. Sie haben keine Namen. Ich weiß nicht, wie es den anderen Menschen in der Einrichtung geht. Darüber wird nicht berichtet. Die gesamte Berichterstattung kreist um die vermutliche Täterin. Sie kreist um ihre Gefühle, ihre Emotionen, ihr Motiv. Sie enthält Werbung für die Einrichtung des Oberlinhaus, darüber, wie lange es diese gibt und wie "aufopferungsvoll" sich das Personal "kümmert". Es wird gesagt, dass nicht einmal Zeit bliebe, zu trauern, da "gearbeitet werden müsse". Ich weiß immer noch nicht, wie es jenen geht, deren Zuhause, deren Sicherheit gerade zerstört wurde. Wird ihnen gesagt, was passiert ist? Wird diese Situation psychologisch aufgefangen? Wird auf die Bedürfnisse eingegangen? Warum wird darüber berichtet, dass für die schwerverletzte Person gebetet wird, nicht aber, wie es den Menschen, die nicht dort arbeiten, die dort leben, geht?

Ich habe Fragen. Ich habe viele Fragen, die sich alle darum drehen, was das mit Menschen macht, die so sind wie ich.
Wir unterscheiden uns darin, inwieweit wir in dieser Gesellschaft zurechtkommen, wir unterscheiden uns in der Ausprägung unserer Behinderung. Wir unterscheiden uns in unserer Wahrnehmung und in unserer physischen Gestalt. Aber wir sind dennoch - für jene, die es nicht betrifft - gleich. Wir sind "behindert".

Wir sind die, über die in den Kommentarspalten der Meldungen in einer dehumanisierenden, entmenschlichenden Art gesprochen wird, dass mir ganz schlecht wird. Wir sind "dieda", die "zu bekümmernden", die "Behinderten", "die aus den Werkstätten", die "Hochrisikogruppe" oder auch die, die umgebracht werden und hinterher wird von der Überforderung der Täter_innen gesprochen. Wir sind die, die an oder mit Corona sterben und hinterher als "Risikogruppe" oder als "behindert" oder als "mit Vorerkrankungen" in die Statistik eingehen.

Wir sind die, bei denen gerne weggeschaut wird, die außerhalb der Gesellschaft existieren und bei denen ohnehin niemand so richtig Interesse hat, dass sich das ändert.

Ich schreibe normalerweise Analysen. Heute weiß ich nicht, wo ich anfangen soll.

Behinderten die Menschlichkeit abzusprechen, ist alt. Es ist so alt, dass das dritte Reich, die nationalsozialistische Ideologie, es verhältnismäßig einfach hatte, das sogenannte "unwerte Leben" als erstes auslöschen zu wollen. Es ist so alt, dass Studien, in denen errechnet wird, wie viel ein autistischer Mensch im Leben den Sozialstaat kostet, kommentarlos durchgeführt werden. Es ist so alt, dass Menschen, die ein behindertes Kind erwarten, gefragt werden "ob das denn nötig sei".

Ich.... ich möchte das heute nicht analysieren. Ich möchte trauern, trauern um die ungenannten Menschen.
Ich möchte trauern um jene, die der Ideologie zum Opfer fielen, wir seien nichts wert.
Ich möchte trauern.

Und euch gleichzeitig ins Gesicht schreien, dass es an euch ist, die Informationen zu nehmen und zu nutzen und zu verbreiten. Lasst mir meine Trauer. Aber kümmert euch darum, dass es nie wieder geschehen mag!

Ich habe es schon öfter erwähnt, aber jetzt endlich kommt der Beitrag: Meine Rezension zu Tiimo.

Tiimo ist eine Art Kalenderapp, jedoch werden keine Ereignisse oder Termine eingetragen, sondern Routinen. Als Autist_in brauche ich Routinen, ich vergesse sonst Nahrung, Trinken, auf die Toilette zu gehen, wann ich losgehen muss (und verpasse dementsprechend den Bus oder bin viel zu früh da), etc.

Routinen geben mir Sicherheit und die Möglichkeit, mein Leben so "normal" wie möglich zu leben. (Nein, es ist nicht "normal". Aber es kommt nahe genug an eure Vorstellung von Normalität dran, um den Begriff zu rechtfertigen.) Mit funktionierenden Routinen bin ich entspannt(er), kann studieren, arbeiten und Texte wie diesen schreiben. Unvorhergesehene Ereignisse zerstören Routinen, sind deshalb nicht gerne gesehen.

Aber zurück zu Tiiimo. Es ist die erste App, der ich trotz Verbesserungsvorschläge fünf Sterne in der Bewertung geben würde. Ich nutze die Version für Android, kann also zur Apple-App nichts sagen (nehme aber gerne Eindrücke entgegen. Kommentarfunktion ist offen.).

Es gibt sowohl voreingestellte Routinen und Ereignisse, als auch die Option, eigene Routinen und Ereignisse zu erstellen. Dazu werden die Dauer des Ereignisses, ein Bild/Emoji, bei Bedarf eine Hintergrundfarbe und eine Checkliste erstellt. Außerdem kann eingestellt werden, ob die Aktivität vorzeitig begonnen oder beendet werden kann (praktisch bei variablen Aktivitäten wie beispielsweise "auf Toilette gehen").

Außer der Dauer der Aktivität sind alle Einstellungen optional. Damit ist Tiimo sowohl für Menschen, die es minimalistisch-übersichtlich brauchen, als auch für jene, die mittels Farben/Emojis eine sofortige Zuordnung machen können, geeignet. Die App kann auf mehreren Geräten gleichzeitig laufen und zusätzlich auch über den PC bearbeitet werden.

Mehrere Aktivitäten können zu Routinen zusammengefasst werden. Das erspart Zeit, da z.B. "Morgens" als Routine in meinem Fall sechs verschiedene Aktivitäten umfasst: Aufstehen, Skincare, Yoga (falls möglich), Morgenhygiene, Anziehen, ins Wohnzimmer wechseln. Einige dieser Aktivitäten sind in (per Checkliste abhakbare) Unteraktivitäten unterteilt, um beispielsweise die nötige Reihenfolge bei der Skincare und der Morgenhygiene einhalten zu können. Da diese Routine grundsätzlich gleich bleibt, muss die erstellende Person für den Wochenplan (in meinem Fall der Herzmensch) nicht sechs einzelne Aktivitäten eintragen, sondern nur den Startpunkt der Routine - den Rest erledigt die App.

Nachteile gibt es aber auch, deshalb hier meine Verbesserungsvorschläge:

  1. Eine Liste mit Aktivitäten, die nur einmal erstellt werden müssen. Derzeit wird jedes Mal eine "neue" Aktivität erstellt, wodurch die Auflistung sehr unübersichtlich wird und es schlussendlich einfacher ist, jedes Mal wieder eine Aktivität "neu" zu erstellen, anstatt sie in der Liste zu suchen.
  2. Eine Suchfunktion für Aktivitäten.
  3. Die Möglichkeit, Aktivitäten/Routinen löschen zu können.

Sollten diese Dinge umgesetzt werden, wäre die App perfekt für mich. Derzeit ist sie nur fast perfekt (aber hat dennoch meine Lebensqualität deutlich erhöht.) Diese lange Liste an sich doppelnden Aktivitäten überfordert mich, jedes Mal eine neue Aktivität zu erstellen, überfordert dagegen auch, weil ich es immer gleichbleibend (optisch) brauche. Damit muss ich immer überlegen, welche Farbe ich welcher Gruppe von Aktivitäten zugeordnet habe.

Kostenlos ist Tiimo nicht, dafür werbefrei und datensicher (nach eigener Aussage). Hinter der App steht ein Team, das sehr schnell und freundlich auf Kommentare und Anfragen reagiert. Meine Twitter-TL kann auch ihrem Twitter-Account folgen.
Die Kosten belaufen sich auf (entweder) monatlich $4.49 / €3.99 / £4.49 oder $23.49 / €19.99 / £17.99 im Jahr (Stand 28.04.2021). In Anbetracht dessen, was ich bekomme (eine App, die mir ein lebenswerteres Leben als vorher ermöglicht), empfinde ich den Preis als fair.

Falls eine Person diese Rezension auf Englisch übersetzen und Tiimo zukommen lassen möchte, wäre ich sehr dankbar!

Sag mal, so ganz unter uns: Brauchst du das wirklich oder hast du einfach beim Antrag übertrieben und willst das Geld?

Ein Freund, im Vertrauen.

Damals hab ich gelacht. Gelacht, weil die Frage mein Imposter (bin ich wirklich pflegebedürftig, wirklich behindert genug?) traf, gelacht, weil es gleichzeitig so absurd war, gelacht, weil ich überfordert war.

Aber es geht mir nicht aus dem Kopf und eigentlich ist es nicht zum Lachen. Die Frage geht in die gleiche Richtung wie "Du bist behindert? Du siehst gar nicht so aus!" und "Ach, komm schon, du bist viel zu hübsch, um pflegebedürftig zu sein!". Ob ich hübsch bin (oder zu hübsch), kann ich nicht beurteilen. Aber pflegebedürftig bin ich wohl - hat zumindest der MDK begutachtet und mir einen Pflegegrad von drei (von fünf) zugestanden.

Seitdem kann ich Witze darüber machen, dass der Herzmensch dafür bezahlt wird, mit mir zusammenzuleben. Witze machen die Angst, die Abhängigkeit erträglicher. Wenn er geht (und sich keine andere Person findet), komme ich ins Heim. Er kann gehen, ich nicht. Er trägt die Verantwortung für mich. Und ganz nebenbei versuchen wir, eine gleichberechtigte Beziehung, auf Augenhöhe, polyamor und mit Kommunikation zu führen.

Eine Beziehung, in der gleichzeitig er für mich verantwortlich ist, weil ich mich nicht alleine versorgen kann. Ich denke nicht an solche Sachen wie Essen, ich hab kein Zeitgefühl, kein Zahlengefühl, kein Gefühl für Verhältnisse. (Ich kann nicht einschätzen, ob etwas "viel" ist oder "wenig", ob eine Zeitspanne "lang" ist oder "kurz", ob ich "genug" mache - oder nicht.) Ich bekomme Panikattacken, weil ich nicht einschätzen kann, ob das Geld reicht oder die Zeit, die ich für meine Hausarbeit(en) aufwende.

Ich kann nicht alles essen - und was ich essen kann, ändert sich von Tag zu Tag, je nachdem, wie viele Reize ich gerade ertrage. Ich kann nicht alleine rausgehen, seit der Pandemie ist meine Reizschwelle so weit gesunken, dass ich bereits beim "aus der Tür treten" in einem Overload gefangen bin.

Ich kann mich meistens alleine waschen - aber eben nicht immer. Demütigung? Schamgefühl? Können wir uns nicht leisten. Es muss erledigt werden, es muss gepflegt und sich gekümmert werden. Darüber, ob wir die Badtür abschließen, weil "man das halt so macht" können wir nur müde lächeln - das Risiko, dass ich die Tür nicht öffnen kann und Hilfe brauche, ist zu groß. Er wäscht mich, cremt mich ein, zieht mich aus und wieder an.

Der Herzmensch organisiert meinen Alltag, unterstützt von Tiimo (dazu wird es noch einen eigenen Beitrag geben), einem Bullet Journal und einem Kalender. Er übersetzt für mich, wenn ich nonverbal bin, wir kommunizieren über Bildkarten und Telegram-Sticker (es gibt ein großartiges Stickerpack für solche Situationen, das sehr einfach und intuitiv ist). Er bietet mir Essen an, trinken, Stimming-Dinge, Kopfhörer, Ruhe, Decke. Er entscheidet für mich, wenn ich es nicht kann und setzt Grenzen, wo ich es nicht kann (wir erinnern uns, ich kann Verhältnisse nicht einschätzen, also auch nicht, wie viele Ressourcen ich für den Tag noch habe).

Gleichzeitig müssen wir die Balance finden, zwischen Pflege und Beziehung, zwischen notwendigen Entscheidungen und Paternalismus, zwischen "ich entscheide für dich, weil du es nicht kannst" und Übergriffigkeit. Es ist jedes Mal ein Abwägen, aber gleichzeitig bleibt nicht die Zeit, bewusst darüber nachzudenken oder es zu kommunizieren - das muss vorher geschehen, in ruhigen Momenten, nicht dann, wenn es notwendig ist, Entscheidungen zu treffen. (Ich kann da meist nicht helfen, mir in einem Overload Entscheidungen zu überlassen, sorgt zielsicher für Meltdown oder Shutdown. Es ist ohnehin alles zu viel.)

Aber... reicht das, um "pflegebedürftig" zu sein? Ist es wirklich Einschränkung genug? Ich habe keine Vorstellung davon, wie Menschen leben, die das nicht benötigen - ich habe es auch benötigt, als es noch nicht bezahlt wurde und der Herzmensch hat es bereitwillig übernommen.

Wie leben Menschen, die mein Leben als "seltsam" und "krank" und "ich könnte das nicht" beschreiben? Wie lebt ihr? Was ist eigentlich dieses "normal" und warum habe ich so oft das Gefühl, gar nicht so weit weg davon zu sein - und gleichzeitig, es nie erreichen zu können?

Ich hab nur ein Leben. Dieses. Mit all seinen Möglichkeiten und noch viel mehr seinen Begrenzungen. Brauche ich diese Unterstützung "wirklich"? Ja. Ja, brauche ich. Abhängigkeit und Hilflosigkeit sind keine schönen Gefühle, ich tausche die nicht begeistert gegen 500 Euro im Monat ein.

Feminist_innen hassen Männer. Männerhass ist das einzige, was Feminismus ausmacht.
Sie sind außerdem wahlweise ungefickt, hässlich, dumm, lesbisch oder beliebige weitere Abwertungen.
Klingt einfach, ist es für die Menschen, die das so nutzen, bestimmt auch. Aber auch Personen, die sich selbst als feministisch begreifen, werfen anderen Feminist_innen gerne mal (zu große) Radikalität, Männerhass und dadurch einen entstehenden Schaden am Feminismus vor.
Gerade gut zu sehen bei der #MenAreTrash Diskussion.

Fluff, 2018.

Die große Frage, die sich mir stellt, ist: Muss Feminismus bequem sein? Muss Feminismus nett zu strukturellen Täter_innen sein? Ist es notwendig, von Frauen und fälschlicherweise als Frauen bezeichneten Menschen, zu erwarten, dass sie dauerhaft ruhig und lieb und freundlich sind?
Niemals Frust ablassen, sei es auch nur als Hashtag? Okay, das sind mehrere Fragen. Mal sehen, ob ich sie beantwortet bekomme.

Erster Punkt. Männerhass.

Ich persönlich hasse ja keine Männer. Aber es macht mich manchmal unglaublich müde, mit ihnen über ihre Täterschaft zu diskutieren und ihnen zu erklären, warum ihr Verhalten gerade problematisch war. Gerade, wenn sie sich dann mit einem "Ich bin aber nicht so!" versuchen zu verteidigen.

Fluff, 2018

Dieser Anfang lag seit 2018 in meinem Entwürfeordner. Mittlerweile bin ich drei Jahre älter, gefühlt tausend Jahre müder und hasse immer noch keine (cis) Männer. Obwohl Männerhass mir das Leben wahrscheinlich einfacher machen würde. (Währenddessen lassen sich andere Organisationen den Begriff "Männer lol" schützen und verkaufen damit teuer feministischen Merch. Nicht unbedingt mein bevorzugtes Geschäftsmodell.)

Ich vertraue ihnen aber auch nicht mehr. Bin müde geworden, ihnen zu erklären, warum Feminismus notwendig geworden ist. Ich bin hart geworden: Krieg den Arsch hoch oder lass es. Ich werde dich nicht mehr bitten. Kämpf mit mir oder lass es, aber ich werde dir den Arsch nicht mehr hinterher tragen. Ist das schon Männerhass? Ich bin mir unsicher.

(Das gleiche gilt mittlerweile für alle Menschen, nicht nur für cis Männer. Es gilt auch für cis Frauen und all jene, die meine Existenz als verhandelbar wahrnehmen.)

Ich hab mich deutlich theoretischer mit den Problematiken auseinandergesetzt als 2018 - und ich sage: Es ist mir egal, ob ihr denkt, ich würde (cis) Männer hassen. Wenn sich der Wunsch nach Gleichberechtigung, nach Menschenrechten anfühlt, als würde dir Hass entgegenschlagen, dann sei dem so.

Ich bin radikaler geworden, zynischer und härter. Und dieses Fragment zu finden - das tat ein bisschen weh. Ich war damals deutlich hoffnungsfroher. Tschüss, damaliges Fluff. Du kommst wohl nicht zurück.

Wenn du dir den Text über den Frauenkampftag lieber anhören möchtest, anstatt ihn zu lesen, klicke auf PLAY.

Beim Frauenkampftag geht es nun mal ausschließlich um Frauen und die Diskriminierung, die sie als Frauen erleben. Ich gehe doch auch nicht mit einem All-Lives-Matter-Schild auf eine Black-Lives-Matter-Demo!

Twitter. (Nein, ich verlinke den Account nicht.)

Guten Morgen. Vorweg: Ich persönlich gehe nirgendwo mit einem All-Lives-Matter-Schild hin. Nicht auf eine Black-Lives-Matter Demo, nirgendwohin. Das liegt daran, dass dieser Slogan aus einer alt-right Richtung entstanden ist. Um die Kämpfe von Schwarzen Menschen gegen Diskriminierung und Rassismus zu schwächen und abzuwerten. Mit "All Lives Matter" wird aus herrschender Position heraus der Kampf marginalisierter Gruppen unterdrückt und Diskriminierung verunsichtbart. Beim Frauenkampftag genauso?

Alle Jahre wieder...

Ich bekam diesen Vorwurf, als die - alljährliche - Diskussion darüber entbrannte, ob die Umbenennung von "FrauenKampftag" in "feministischer Kampftag" nicht Frauenkämpfe der Historie verunsichtbaren würde. Das es vor allem darum geht, dass Frauen auf spezifische Weise unter dem Patriarchat leiden. Nun.
Ich persönlich vertrete die Meinung, dass nichtbinäre Personen und trans Männer schon immer - wenn auch nicht unbedingt mit diesen Worten - Teil der Frauen- (und später Lesben- und FrauenLesben-)kämpfe waren. Es geht also nicht darum, Geschichte umzuschreiben, sondern sichtbar zu machen, was schon immer da war. Trans Frauen sind Frauen, deshalb benenne ich sie nicht spezifisch. Ein Frauenkampftag nur für cis Frauen wäre absurd.

Es geht auch nicht spezifisch um das Leid, das Frauen erfahren, weil sie Frauen sind. (Dafür gibt es beispielsweise den 25. November, den "Internationalen Tag der Gewalt gegen Frauen".) Es geht um Arbeitskämpfe, um (unsichtbare) Emo- und Care Work, es geht um Gender Pay Gap. Darum, dass "weiblich" konnotierte Berufe schlechter bezahlt sind. Kurz: Es geht um all die Dinge, die tatsächlich Frauen, nichtbinäre Personen, trans Männer und inter Personen einen. Kämpfe, die sich durch die Position im Patriarchat ergeben und nicht durch das tatsächliche Geschlecht.

(Wenn ich schlechter bezahlt werde, weil mich Leute für eine Frau halten, dann hilft nicht einmal der geänderte Personenstand. Für euch getestet.)

...kommt das Cistus-Kind

Andererseits... Ich kann verstehen, woher diese Argumentation kommt. Ich habe mich acht Jahre lang feministisch engagiert, bis ich mich geoutet habe und aus den Gruppen herauskomplimentiert wurde bzw. mich bereits im Vorfeld zurückgezogen hatte. Die Debatte um den Frauenkampftag erinnert mich jedes Jahr erneut daran.

Ich kann verstehen, dass cis Frauen das Gefühl haben, ihnen würde etwas weggenommen werden, das ihnen aus der Historie und ihres Platzes im Patriarchat wegen zusteht. Das es sie frustet, wenn sie dabei zusehen müssen, wie etwas, worauf sie sich das ganze Jahr freuen, in einen Kampf um Begriffe, Ein- und Ausschlüsse ausartet. (Und das tut es, alle Jahre wieder kommt das Cistuskind auf die Netze nihieder, wo wir Menschen sind...)

Wer nicht über den eigenen Tellerrand, die eigenen Erfahrungen hinwegblicken kann oder will, wird die Erfahrungen von trans Personen als nicht so wichtig wahrnehmen wie die eigenen - falls selbige überhaupt anerkannt werden. Ich habe auch mal so argumentiert, hatte das gesamte Klischee von "weiblicher" und "männlicher" Sozialisation internalisiert und well, ich habe mich selten auf so brutale Art und Weise einer Realität stellen müssen.

Manchmal ist es tatsächlich Dysphorie.

Ich habe meine Essstörung, meine Dysphorie, meinen Unwillen gegenüber dem Wort "Frau" mit Femininismus, mit weiblicher Sozialisation, mit Patriarchat begründet. Habe mich mit aller Kraft und Macht der Wahrheit entgegengestellt - acht Jahre lang. Bis zu meinem Outing, bis ich meinen Namen, meinen Personenstand änderte und anfing, mir Testosteron auf die Haut zu schmieren.

Es wird nicht geschehen, dass alle cis Frauen plötzlich feststellen, dass sie trans sind, wie es mir passiert ist (und wofür ich im Nachhinein unfassbar dankbar bin. Mein Leben ist trotz Transfeindlichkeit deutlich besser).

Ob Frauenkampftag oder nicht - unsere Kämpfe bleiben verbunden.

Aber ihr könntet zuhören. Unsere Kämpfe lassen sich nicht direkt voneinander trennen, weder in der Theorie, noch in der Realität. Gerade in der Realität sind (un)geoutete trans Männer und nichtbinäre Personen Teil von feministischen Gruppen. Und gerade diese Realität hat dazu geführt, dass aus FrauenRäumen Frauen*Räume wurden. Mit dem Sternchen, um die Personen, die sich in ihrer feministischen Entwicklung outeten, einzubeziehen.

Es ist nämlich deutlich schwieriger, den Freund, der mal Freundin genannt worden ist oder die Liebhaberin, di_er sich als Liebhaber_in geoutet hat, aus Gruppen zu entfernen, als sich als geschlossene Gruppe gegen Männer, die als ein "außen" imaginiert werden, darzustellen. So kamen auch die historischen Ausschlüsse von trans Frauen zustande, die eben nicht bereits vor ihrem Outing willkommen waren. Und es auch nach ihrem Outing besonders schwer haben. Leider reichen diese Ausschlüsse in ihren Wurzeln bis heute weiter - daran müssen wir arbeiten!

Und müssen gemeinsam gekämpft werden.

Heute sind wir eigentlich weiter. Wir haben mit FLINTA (Frauen, Lesben, inter, nichtbinär, trans, ageschlechtlich) ein Akronym dafür, dass die Räume der damaligen Zeit nicht hatten. Aber streng genommen meinen wir das gleiche.

Ich würde meinen Geschwistern gerne den Schmerz und die Müdigkeit ersparen, die ich seit meinem Outing vor, während und nach dem 8. März erfahre. Es war mal ein empowernder Tag für mich. Lasst es das wieder werden. Bis dahin... bestreike ich den Streik und schone meine Ressourcen. Feministischer Kampftag statt Frauenkampftag.

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