Kategorie: Knister, Knister, knäuschen – bereits eingesprochen

Hier findet ihr die bereits eingesprochenen Beiträge. Langfristig sollen alle Blogbeiträge sowohl in visuellem, als auch audiotiven Format vorliegen.

Damit nicht nur gelesen, sondern auch gehört werden kann!

  • Trauer, Müdigkeit und Schmerz – you know, it’s 8. März

    Wenn du dir den Text über den Frauenkampftag lieber anhören möchtest, anstatt ihn zu lesen, klicke auf PLAY.

    Beim Frauenkampftag geht es nun mal ausschließlich um Frauen und die Diskriminierung, die sie als Frauen erleben. Ich gehe doch auch nicht mit einem All-Lives-Matter-Schild auf eine Black-Lives-Matter-Demo!

    Twitter. (Nein, ich verlinke den Account nicht.)

    Guten Morgen. Vorweg: Ich persönlich gehe nirgendwo mit einem All-Lives-Matter-Schild hin. Nicht auf eine Black-Lives-Matter Demo, nirgendwohin. Das liegt daran, dass dieser Slogan aus einer alt-right Richtung entstanden ist. Um die Kämpfe von Schwarzen Menschen gegen Diskriminierung und Rassismus zu schwächen und abzuwerten. Mit „All Lives Matter“ wird aus herrschender Position heraus der Kampf marginalisierter Gruppen unterdrückt und Diskriminierung verunsichtbart. Beim Frauenkampftag genauso?

    Alle Jahre wieder…

    Ich bekam diesen Vorwurf, als die – alljährliche – Diskussion darüber entbrannte, ob die Umbenennung von „FrauenKampftag“ in „feministischer Kampftag“ nicht Frauenkämpfe der Historie verunsichtbaren würde. Das es vor allem darum geht, dass Frauen auf spezifische Weise unter dem Patriarchat leiden. Nun.
    Ich persönlich vertrete die Meinung, dass nichtbinäre Personen und trans Männer schon immer – wenn auch nicht unbedingt mit diesen Worten – Teil der Frauen- (und später Lesben- und FrauenLesben-)kämpfe waren. Es geht also nicht darum, Geschichte umzuschreiben, sondern sichtbar zu machen, was schon immer da war. Trans Frauen sind Frauen, deshalb benenne ich sie nicht spezifisch. Ein Frauenkampftag nur für cis Frauen wäre absurd.

    Es geht auch nicht spezifisch um das Leid, das Frauen erfahren, weil sie Frauen sind. (Dafür gibt es beispielsweise den 25. November, den „Internationalen Tag der Gewalt gegen Frauen“.) Es geht um Arbeitskämpfe, um (unsichtbare) Emo- und Care Work, es geht um Gender Pay Gap. Darum, dass „weiblich“ konnotierte Berufe schlechter bezahlt sind. Kurz: Es geht um all die Dinge, die tatsächlich Frauen, nichtbinäre Personen, trans Männer und inter Personen einen. Kämpfe, die sich durch die Position im Patriarchat ergeben und nicht durch das tatsächliche Geschlecht.

    (Wenn ich schlechter bezahlt werde, weil mich Leute für eine Frau halten, dann hilft nicht einmal der geänderte Personenstand. Für euch getestet.)

    …kommt das Cistus-Kind

    Andererseits… Ich kann verstehen, woher diese Argumentation kommt. Ich habe mich acht Jahre lang feministisch engagiert, bis ich mich geoutet habe und aus den Gruppen herauskomplimentiert wurde bzw. mich bereits im Vorfeld zurückgezogen hatte. Die Debatte um den Frauenkampftag erinnert mich jedes Jahr erneut daran.

    Ich kann verstehen, dass cis Frauen das Gefühl haben, ihnen würde etwas weggenommen werden, das ihnen aus der Historie und ihres Platzes im Patriarchat wegen zusteht. Das es sie frustet, wenn sie dabei zusehen müssen, wie etwas, worauf sie sich das ganze Jahr freuen, in einen Kampf um Begriffe, Ein- und Ausschlüsse ausartet. (Und das tut es, alle Jahre wieder kommt das Cistuskind auf die Netze nihieder, wo wir Menschen sind…)

    Wer nicht über den eigenen Tellerrand, die eigenen Erfahrungen hinwegblicken kann oder will, wird die Erfahrungen von trans Personen als nicht so wichtig wahrnehmen wie die eigenen – falls selbige überhaupt anerkannt werden. Ich habe auch mal so argumentiert, hatte das gesamte Klischee von „weiblicher“ und „männlicher“ Sozialisation internalisiert und well, ich habe mich selten auf so brutale Art und Weise einer Realität stellen müssen.

    Manchmal ist es tatsächlich Dysphorie.

    Ich habe meine Essstörung, meine Dysphorie, meinen Unwillen gegenüber dem Wort „Frau“ mit Femininismus, mit weiblicher Sozialisation, mit Patriarchat begründet. Habe mich mit aller Kraft und Macht der Wahrheit entgegengestellt – acht Jahre lang. Bis zu meinem Outing, bis ich meinen Namen, meinen Personenstand änderte und anfing, mir Testosteron auf die Haut zu schmieren.

    Es wird nicht geschehen, dass alle cis Frauen plötzlich feststellen, dass sie trans sind, wie es mir passiert ist (und wofür ich im Nachhinein unfassbar dankbar bin. Mein Leben ist trotz Transfeindlichkeit deutlich besser).

    Ob Frauenkampftag oder nicht – unsere Kämpfe bleiben verbunden.

    Aber ihr könntet zuhören. Unsere Kämpfe lassen sich nicht direkt voneinander trennen, weder in der Theorie, noch in der Realität. Gerade in der Realität sind (un)geoutete trans Männer und nichtbinäre Personen Teil von feministischen Gruppen. Und gerade diese Realität hat dazu geführt, dass aus FrauenRäumen Frauen*Räume wurden. Mit dem Sternchen, um die Personen, die sich in ihrer feministischen Entwicklung outeten, einzubeziehen.

    Es ist nämlich deutlich schwieriger, den Freund, der mal Freundin genannt worden ist oder die Liebhaberin, di_er sich als Liebhaber_in geoutet hat, aus Gruppen zu entfernen, als sich als geschlossene Gruppe gegen Männer, die als ein „außen“ imaginiert werden, darzustellen. So kamen auch die historischen Ausschlüsse von trans Frauen zustande, die eben nicht bereits vor ihrem Outing willkommen waren. Und es auch nach ihrem Outing besonders schwer haben. Leider reichen diese Ausschlüsse in ihren Wurzeln bis heute weiter – daran müssen wir arbeiten!

    Und müssen gemeinsam gekämpft werden.

    Heute sind wir eigentlich weiter. Wir haben mit FLINTA (Frauen, Lesben, inter, nichtbinär, trans, ageschlechtlich) ein Akronym dafür, dass die Räume der damaligen Zeit nicht hatten. Aber streng genommen meinen wir das gleiche.

    Ich würde meinen Geschwistern gerne den Schmerz und die Müdigkeit ersparen, die ich seit meinem Outing vor, während und nach dem 8. März erfahre. Es war mal ein empowernder Tag für mich. Lasst es das wieder werden. Bis dahin… bestreike ich den Streik und schone meine Ressourcen. Feministischer Kampftag statt Frauenkampftag.

  • Routinen – zwischen Zwang und Freiheit liegen fünf Minuten.

    Wenn du dir den Text lieber anhören möchtest, anstatt ihn zu lesen, klicke auf PLAY.

    Mein Leben ist minütlich durchgeplant. Anfragen für Termine bitte mindestens ein paar Tage, besser eine Woche vorher.

    Ich (beim Zocken mit Freund_innen).

    Es ist Sonntag. Sonntag zwischen 15:30 Uhr und 16:15 Uhr schreibe ich für Minzgespinst. Sagt meine App, die vom Herzmensch verwaltet wird und meine Routinen enthält. (Über die App werde ich im nächsten Blogbeitrag ausführlich reden.)

    Ich bin Autist_in. Meine Uni hat für die Pandemie eine „lustige“ Liste über das „Lernen im Home Office“ veröffentlicht. Darin steht beispielsweise, dass eins immer um die gleiche Uhrzeit aufstehen soll, sich „Routinen überlegen“, um den Uni-Alltag auch während Corona aufrecht zu erhalten.

    Darüber kann ich nur müde lächeln. Wenn neurotypische Menschen darüber reden, dass sie „Routinen benötigen“, dann ist das nicht gleichbedeutend mit dem Bedürfnis der meisten autistischen Menschen bezüglich Routinen.

    Meine Tage laufen gleich ab: Ich wache auf. Ich bekomme eine Tasse Kaffee. Ich bleibe eine halbe Stunde im Bett sitzen und trinke eine bis zwei Tassen Kaffee. Währenddessen bespreche ich mit dem Herzmenschen den Tag, streichele den Kater oder surfe ein bisschen auf Twitter. Dann stehe ich auf, kümmere mich um meine Skincare-Routine (die wiederum eingeteilt ist in: Serum, Augenserum, Augenbrauenserum, Creme, Wimpernserum, Sonnenschutz, Bodylotion), danach ziehe ich Yoga-Kleidung an, versuche mich an zwanzig Minuten Yoga (je nach Schmerzlevel), dann nehme ich meine Kleidung, gehe ins Bad, wasche mich, putze mir die Zähne und ziehe mich an. (Den Rest erspare ich euch, aber ich denke, ihr könnt euch eine kleine Vorstellung davon machen.)

    Jeden Morgen, jeden Tag. Wird eine Kleinigkeit an dieser Routine verändert, artet das in einen Overload aus, der nicht selten im Meltdown endet. Danach ist der gesamte Tag gelaufen.

    Eine Kleinigkeit, das kann sein, dass di_er Postbot_in zum falschen Zeitpunkt klingelt. Oder der Herzmensch einen wichtigen Anruf bekommt, obwohl in der Routine etwas anderes steht. Das die Katzen sich jagen, bevor der Wecker klingelt. Kleinigkeiten, wie gesagt.

    Routinen geben mir Sicherheit. Ich kann mich auf Dinge verlassen, sie geben mir die Freiheit, im Rahmen meiner Möglichkeiten, mich zu entfalten. (Wie poetisch.) Gleichzeitig sind sie relativ starr – ich kann mich nicht „mal eben“ mit Freund_innen treffen, das bringt den gesamten Tag (und mit Pech auch den nächsten) durcheinander.

    Dating wird zu einer komplizierten Angelegenheit, da die meisten Menschen mit meinem Bedürfnis nach Planungssicherheit nicht umgehen können. Und: Routinen kosten Zeit. Wenn das ganze Leben minütlich geplant wird, dann muss diese Planung einberechnet werden.
    Ich habe das Glück/Privileg, einen Pflegegrad zugesprochen bekommen zu haben. Seitdem ist der Herzmensch auch dafür verantwortlich, sich um das micro managing meines Alltags zu kümmern – und mir geht es seitdem psychisch deutlich besser.

    Neurotypische Menschen neigen dazu, ihre eigenen Erfahrungen auf andere Menschen zu übertragen. Eine „hey, das kenne ich auch!“-Reaktion. Oft führt das aber dazu, dass autismusspezifische Bedürfnisse bzw. Einschränkungen nur abgeschwächt wahrgenommen werden. Ich meine, ja, Routinen brauchen die meisten Menschen – irgendwie. Und Routinen und Rituale tun wohl den meisten Menschen gut, zumindest sind die Zeitschriften gerade voller Empfehlungen, sich Routinen zu schaffen. Dennoch ist dieses Bedürfnis bei Autist_innen deutlich intensiver und Veränderungen im Tagesablauf können nicht nur als „unangenehm“ sondern „stressig, über schmerzhaft bis hin zu Blackout“ wahrgenommen werden.

    Deshalb ist es wichtig, denke ich, bei diesen Themen im Hinterkopf zu behalten, dass die eigene Wahrnehmung nicht unbedingt die Erfahrungswelt von Autist_innen widerspiegelt, wenn es darum geht, Verständnis zu zeigen.

    Die Menschen meiner Zocker_innen-Gruppe haben sich jetzt übrigens mit mir auf zwei feste Termine geeinigt, damit ich zweimal die Woche „Zocken ohne Macker“ im Kalender eintragen kann und nicht mehr aufgrund der Spontanität ausgeschlossen bin.

  • Weihnachten und Autismus – oh, du Scheußliche

    Ich habe Angst. Ich muss lächeln. Freude. Da muss Freude da sein. Papa filmt. Ich darf nicht auffallen. Ich packe das Geschenk aus. Es ist Bettwäsche. Ich lächele. Ich freue mich. Ist das so richtig? Ich FREUE mich. Es ist Weihnachten.

    Gedanken an Weihnachen. Ich bin ungefähr sieben Jahre alt.
    Falls du dir den Blogpost lieber anhörst, als ihn zu lesen.

    Weihnachten. Fest der Liebe, des Beisammenseins, des Krippenspiels. Ich mochte das Krippenspiel, ich hab jahrelang mitgespielt. Mir fiel und fällt es leicht, Texte zu lernen, sie auswendig vorzutragen. Und Emotionen und Schauspieltalent verlangt ein Krippenspiel meist nicht.

    Danach ging es nach Hause. Es gab zuerst Abendbrot und dann die Bescherung. Ich habe immer ein bisschen Angst davor. Denn ich weiß, dass Freude erwartet wird. Kenne auch die Vorwürfe, man „könne es mir nicht recht machen“. Ich weiß, dass ich „Danke“ sagen muss, aber nur „Danke“ reicht nicht.

    Ich muss auch irgendwas mit meinem Gesicht machen. So einen Eindruck darauf hinterlassen, der richtig interpretiert wird. Ich scheitere – alle Jahre wieder. Meine Eltern und meine Großeltern sind unzufrieden. Denn ich zerstöre das Weihnachtsfest. Strahle die „falsche Stimmung“ aus.

    Ich weiß nicht, was ich verkehrt mache. Also sehe ich mir Videos an. Lerne, welchen Gesichtsausdruck Kinder in Weihnachtsfilmen haben. Ich lerne, welchen Gesichtsausdruck Kinder haben, die Geschenke bekommen. Ich lerne, überschäumende Freude und Dankbarkeit darzustellen, Menschen zu umarmen, zu küssen, mich zu freuen.

    Es ist irrelevant, was es für Geschenke sind. Meistens sind es Bettwäsche, Socken oder Unterwäsche. Aber darum geht es ja auch nicht. Sondern es geht darum, dass ich zeige, dass ich mich freue. Das ich das „richtige Gefühl“ vermittele. (Außerdem mag ich praktische Geschenke. Sie haben einen Nutzen und sollen nicht nur hübsch aussehen.)

    So, wie es von mir erwartet wird.

    Gelobt werde ich dafür, wenn ich Geschenke so auspacke, dass das Geschenkpapier wiederverwendet werden kann. Und ich bin sehr sorgfältig. Reiße keine Geschenke auf wie meine Schwester, sondern ich fummele die Klebestreifen vorsichtig ab. Ich bin immer sehr stolz auf mich, wenn ich es schaffe, sie zu lösen, ohne das Papier einzureißen oder den Aufdruck abzulösen.

    Ich würde dafür auch ein Messer benutzen, wenn ich dürfte.

    Aber ich darf nicht, Messer sind zu gefährlich. Ich lächele. Hauptsache, die „richtige Stimmung“ ausstrahlen. Mein Gesicht ist heiß, ich ich habe Kopfschmerzen. Aber die Stimmung, die Stimmung! Bloß nichts falsch machen, nichts ruinieren.

    Heute fahre ich nicht mehr zu meinen Eltern. Ich verbringe Weihnachten mit Menschen, bei denen ich nicht maskieren muss. Hier darf ich mich über Geschenke im Stillen freuen, wie ich möchte. Muss mich nicht schlecht fühlen, wenn mich „Schenken“ und „beschenkt werden“ überfordert.

    Ich bin in einem zu Hause angekommen, das mich akzeptiert.

    Aber ich weiß, dass es für meine Eltern nicht einfach war. Sie wussten nichts mit mir anzufangen, ich konnte mich nicht verständlich machen. Sie haben ihr Bestes gegeben – ohne zu wissen, was mit mir „nicht in Ordnung“ war. Ich war jahrelang in Therapie, ohne, dass es erkannt worden ist – ich mache ihnen keinen Vorwurf. Ich schreibe nur für die Autist_innen (und Eltern autistischer Kinder und Partner_innen autistischer Erwachsener), die sich in der gleichen Situation wiederfinden wie ich heute.

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