Berlin, die rastlose Stadt am Meer. Hier ragen die Türme der Zauberer bis in den Himmel. Im Schein der Glühlichter werden rauschende Partys gefeiert. Zucker wird in Gold aufgewogen und die Geheimpolizei wacht über den zerbrechlichen Frieden zwischen Zauberern und Erfindern.
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Berlin, die Stadt der Türme, der Zauberer_innen und der Erfindenden – eine Dystopie, ein wenig Urban Fantasy, ein wenig Puderzucker (und der Geschmack von Macarons).
Berlin liegt neuerdings am Meer. „Neuerdings“ ist allerdings grob gesagt einige hundert bis tausend Jahre in einer nicht näher definierten Zukunft (aber den Klimawandel scheint es auch dort gegeben zu haben).
Kurz vorm dem Auslöschen der Menschheit kommen die Magiebegabten zurück und retten die Überlebenden.
Ergebnis ist ein halb magisches, halb technisches Gesellschaftserleben, mit steampunkartiger Glasur und einer kleinen, aber feinen Unterscheidung zwischen „Fingerschnipsern“ und „Rostfressern“ – die einen führten die Menschheit in den Untergang, die anderen erretteten sie.
Zentrum der Geschichte ist eine lesbische Erfinderin, deren beste Freundin und langjähriger, heimlicher Schwarm vor ihren Augen ermordet wird (und da diese aus einer Zaubererfamilie stammt, muss natürlich die Protagonistin schuld sein). Daraus entwickelt sich eine interessante, bildgewaltige Jagd nach dem_der wahren Strippenzieher_in und den echten Täter_innen, inklusive Katz-und-Maus-Spiel, Befreundung eigentlich verfeindeter Personen, ein wenig Detektivarbeit und sehr viel Aktion.
Das Buch punktet mit seinen lebhaften Beschreibungen, es lässt sich gut in die Geschichte eintauchen und wer schon einmal (oder öfter) im heutigen Berlin war, wird sich darin wiederfinden. Die Routen der Protagonist_innen lassen sich jedenfalls ganz hervorragend mit ein paar Macarons in der Hand im heutigen Berlin flanierend nachvollziehen, wenn auch die Dystopie nicht viel der Stadt übrig gelassen hat.
Wer mag, darf sich das dazu passende Outfit anziehen und ein wenig vom Steampunk träumen.
Der Plot ist solide, der Umgang der Held_innen mit Schmerz und Trauma nicht wegwischend lapidar, sondern nachfühlbar – ohne dabei zu pathetisch zu werden. Magie und Erfindungsreichtum runden es ab, nebenbei wird noch ein wenig klassische Gesellschaftskritik vermittelt. So weit, so gelungen.
Kritikwürdig (gerade in einem Setting, in dem Homosexualität vollständig akzeptiert zu sein scheint) ist die Reproduktion klassischer Geschlechterrollen in Kleidung und Haarpracht – Männer tragen Anzug, Frauen Kleider (maximal noch einen dezenten Hosenanzug). Trans Personen gibt es in der Gesellschaft schlicht und ergreifend nicht, latenten Sexismus dagegen schon – sowohl die mächtigen Erfinder, Zuckerbäcker, als auch die mächtigsten Zauberer sind Männer, die weiblichen Rollen (bis auf die Protagonistin und eine weitere Person) bleiben blass, beinahe farblos. Da ginge mehr und da würde ich mir bei den kommenden Bänden mehr wünschen – gerade in einem Roman, der sich LGBTIQ+ auf die Fahne geschrieben hat. Gleichzeitig ist eine lesbische Frau als Protagonistin einer Fantasy-Reihe schon ein Fortschritt dieses Genres, den ich freudig begrüße, davon braucht es definitiv mehr!
Alles in allem ist „Rostiges Herz Berlin“ von Sarah Stoffers eine Bereicherung meines Fantasy-Regals und ich würde jeder Person, die gut gemachte Fantasy genießt, empfehlen, es zu lesen. Am besten mit ein paar guten (!) Macarons in einer Schüssel neben sich und einem heißen Kaffee.
Den zweiten Band habe ich schon vorbestellt und werde natürlich auch dann wieder darüber berichten!