Schlagwort: Buchrezension

  • „Märchenland für alle“ – Rezension

    Ein Buch, das in Ungarn (seinem ursprünglichen Erscheinungsland) eine Kontroverse auslöste. Freundlich ausgdrückt. „Märchenland für alle“ würde die heterosexuelle Kernfamilie in Gefahr bringen. Bücher wurden öffentlich geschreddert.

    Ich bekam vom Stern ein offizielles Rezensionsexemplar von „Märchenland für alle“ (original: „Meseország mindenkié“) in der erstmaligen, deutschen Übersetzung zugeschickt. Da die erste Auflage mittlerweile ausverkauft ist, soll es mindestens eine zweite Auflage geben.

    Anthologie

    Das Buch ist eine Anthologie, bei der unterschiedliche Autor_innen, einige bekannt, andere mit ihrem Debüt beteiligt, sich ein klassisches Märchen aussuchen und neu adaptieren sollten. Die Vielfältigkeit der Auswahl beschränkt sich hierbei angenehmerweise nicht nur auf Queerness, sondern auch die marginalisierte und in Ungarn diskriminierte Gruppe der Rom_nja wurde miteinbezogen. (Aus persönlicher Perspektive berührt mich dies ganz besonders.)

    Die Geschichten sind (wie immer in Anthologien) schlecht zu bewerten, einige mochte ich, andere nicht. Grundsätzlich war die Adaption immer erfrischend anders. Es war kein Versuch, die alten Märchen „bemüht“ modern und queer darzustellen, sondern es wurde entweder etwas Neues geschaffen. In anderen Fällen bekamen die alten Stoffe neue Fäden und manch lose Enden eine neue Verknüpfung.
    So entstand ein bunter Zopf an Geschichten, immer noch mit den alten Varianten verflochten und trotzdem anders.

    Emotionen

    Ich weine selten bei Büchern und möchte auch niemanden spoilern, aber bei der Geschichte eines trans Rehkitz, die an Bambi angelehnt war, saß ich heulend auf dem Sofa. Gerade als transmaskuline, nichtbinäre Person fühlte ich dieses Märchen so sehr. Und auch die Solidarität, die das Kitz von seinem Umfeld erfuhr, wünsche ich jedem trans Kind auf Welt.

    Das Buch empfehle ich für Kinder ab sechs Jahren. Möglicherweise ist es für jüngere Kinder auch geeignet, hier sollten erwachsene Begleitpersonen entscheiden, ob die Geschichten schon passen.

    Einige sind lustig, andere sind traurig, eine machte mich wütend. (Welche, verrate ich hier nicht.) Alle aber sorgen für ein Buch, dass eine gute Ergänzung für das Bücherregal ist.

    Fazit

    Selbst habe ich keine Kinder, mein Exemplar bekommt das Kind einer befreundeten Person. Aber da es mich so sehr berührt hat, gehe ich fest davon aus, dass es auch bei diesem Kind gut ankommen wird.
    Außerdem wünsche ich mir mehr „Märchenland für alle“ und freue mich darauf, die anderen Geschichten der beteiligten Autor_innen zu lesen!

  • „Anarchie Déco“ von J. C. Vogt – Rezension

    Berlin. Die letzten Bücher, die ich begeistert verschlang, führten mich allesamt nach Berlin.
    Sei es in „Berlin, rostiges Herz„, oder „Berlin, magische Knochen“ (Rezension folgt noch).
    So auch Anarchie Déco, von J. C. Vogt.

    Gott zaubert nicht.

    Albert Einstein

    Wir sehen, ich habe eine ganz eigene Verbindung zu unserer Hauptstadt – unter anderem einen tiefen, emotionalen Hass gegenüber dem Berliner Hauptbahnhof, der mich regelmäßig in einen Overload versetzt.

    In „Anarchie Déco“ von Judith C. Vogt aus dem Fischerverlag spielt der Berliner Hauptbahnhof glücklicherweise nur eine untergeordnete Rolle, stattdessen geht es um Anarchie, Magie, Kommunismus, Nationalismus, Rassismus, Sexismus, Misogynie, Transfeindlichkeit, Antisemitismus. Klingt erst einmal heftig? Keine Angst. Es wird gut! (Außerdem spielt Einstein auf seiner Geige, das könnt ihr euch nicht entgehen lassen!)

    Jugendstil

    Das Cover ist im Jugendstil gehalten, eine leuchtende Kugel, eine stilisierte Figur. Ich persönlich genieße diese Unaufgeregtheit und die fließenden Linien sehr. Die Schriftart des Titels erinnert mich an die Leuchtstoffröhren alter Lichtspielhäuser, ich erwarte beinahe, dass sie zitternd und flackernd zum Leben erwachen, um mich vom Cover aus anzustrahlen. Stattdessen schlage ich das Buch auf.

    Inhaltlich möchte ich nicht zu viel verraten, nur soviel, dass es bis zur letzten Seite spannend bleibt, wer hinter den verübten Verbrechen steht. Magie, so wurde entdeckt, ist die physikalische Verschmelzung von Kunst und Wissenschaft – andererseits kann sie auch selbstbestimmt und alleine geformt werden, wenn auch nicht von allen Personen.

    Diversität

    Die Hauptfigur ist eine Schwarze Frau, die Nebenfiguren sind teilweise jüdisch, trans, nicht-weiß, lesbisch, schwul – im Kontext Diversität ist dieses Buch eine erfrischende Abwechslung, da nicht in die übliche Klischeekiste gegriffen, sondern die Betroffenheit der Figuren zur Ausarbeitung des Charakters notwendig gemacht wurde. Wir begleiten die Protagonist_innen durch Berlin, auf der Suche nach der Lösung geheimnisvoller Morde und magischer Varieté-Einlagen. (Und einem Aufbewahrungsort für Unmengen geklöppelter Spitzendeckchen, aber ich will nicht zu viel verraten.)

    Die gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten sind in die Handlung eingeflochten, ohne bemüht moralinsauer zu wirken. Es hat – als trans, als behinderte, als nicht-weiße Person, Spaß gemacht, dieses Buch zu lesen und mich in einem Berlin der 20er Jahre zu verlieren. Über politische Aspekte grinste ich, ich fühlte mich in den Schwarzen Scharen eigentlich gut aufgehoben. Dennoch war es nicht zu romantisierend, nicht zu friedvoll gezeichnet. Politische Debatten der damaligen Zeit habe ich als wertschätzend, wenn auch nicht tiefergehend nachverfolgbar gezeichnet erlebt – eine gute Entscheidung, könnte doch ein Roman (so gut recherchiert er auch sein mag) niemals die tatsächlichen Debatten der damaligen Zeit (oder auch heute) in vollem Umfang darstellen.

    Fazit

    Das Ende ist offen. Möglicherweise erleben wir noch einen zweiten Teil, das andere Hosenbein der Zeit, das uns in ein anarchistisches oder kommunistisches Berlin der 30er Jahre entführt?

    Das Buch wurde mir freundlicherweise als Rezensionsexemplar vom Verlag zur Verfügung gestellt. Ich danke.

  • Rostiges Herz Berlin – Buchrezension

    Berlin, die rastlose Stadt am Meer. Hier ragen die Türme der Zauberer bis in den Himmel. Im Schein der Glühlichter werden rauschende Partys gefeiert. Zucker wird in Gold aufgewogen und die Geheimpolizei wacht über den zerbrechlichen Frieden zwischen Zauberern und Erfindern.

    https://amrun-verlag.de/produkt/berlin/

    Berlin, die Stadt der Türme, der Zauberer_innen und der Erfindenden – eine Dystopie, ein wenig Urban Fantasy, ein wenig Puderzucker (und der Geschmack von Macarons).

    Berlin liegt neuerdings am Meer. „Neuerdings“ ist allerdings grob gesagt einige hundert bis tausend Jahre in einer nicht näher definierten Zukunft (aber den Klimawandel scheint es auch dort gegeben zu haben).
    Kurz vorm dem Auslöschen der Menschheit kommen die Magiebegabten zurück und retten die Überlebenden.

    Ergebnis ist ein halb magisches, halb technisches Gesellschaftserleben, mit steampunkartiger Glasur und einer kleinen, aber feinen Unterscheidung zwischen „Fingerschnipsern“ und „Rostfressern“ – die einen führten die Menschheit in den Untergang, die anderen erretteten sie.

    Zentrum der Geschichte ist eine lesbische Erfinderin, deren beste Freundin und langjähriger, heimlicher Schwarm vor ihren Augen ermordet wird (und da diese aus einer Zaubererfamilie stammt, muss natürlich die Protagonistin schuld sein). Daraus entwickelt sich eine interessante, bildgewaltige Jagd nach dem_der wahren Strippenzieher_in und den echten Täter_innen, inklusive Katz-und-Maus-Spiel, Befreundung eigentlich verfeindeter Personen, ein wenig Detektivarbeit und sehr viel Aktion.

    Das Buch punktet mit seinen lebhaften Beschreibungen, es lässt sich gut in die Geschichte eintauchen und wer schon einmal (oder öfter) im heutigen Berlin war, wird sich darin wiederfinden. Die Routen der Protagonist_innen lassen sich jedenfalls ganz hervorragend mit ein paar Macarons in der Hand im heutigen Berlin flanierend nachvollziehen, wenn auch die Dystopie nicht viel der Stadt übrig gelassen hat.
    Wer mag, darf sich das dazu passende Outfit anziehen und ein wenig vom Steampunk träumen.

    Der Plot ist solide, der Umgang der Held_innen mit Schmerz und Trauma nicht wegwischend lapidar, sondern nachfühlbar – ohne dabei zu pathetisch zu werden. Magie und Erfindungsreichtum runden es ab, nebenbei wird noch ein wenig klassische Gesellschaftskritik vermittelt. So weit, so gelungen.

    Kritikwürdig (gerade in einem Setting, in dem Homosexualität vollständig akzeptiert zu sein scheint) ist die Reproduktion klassischer Geschlechterrollen in Kleidung und Haarpracht – Männer tragen Anzug, Frauen Kleider (maximal noch einen dezenten Hosenanzug). Trans Personen gibt es in der Gesellschaft schlicht und ergreifend nicht, latenten Sexismus dagegen schon – sowohl die mächtigen Erfinder, Zuckerbäcker, als auch die mächtigsten Zauberer sind Männer, die weiblichen Rollen (bis auf die Protagonistin und eine weitere Person) bleiben blass, beinahe farblos. Da ginge mehr und da würde ich mir bei den kommenden Bänden mehr wünschen – gerade in einem Roman, der sich LGBTIQ+ auf die Fahne geschrieben hat. Gleichzeitig ist eine lesbische Frau als Protagonistin einer Fantasy-Reihe schon ein Fortschritt dieses Genres, den ich freudig begrüße, davon braucht es definitiv mehr!

    Alles in allem ist „Rostiges Herz Berlin“ von Sarah Stoffers eine Bereicherung meines Fantasy-Regals und ich würde jeder Person, die gut gemachte Fantasy genießt, empfehlen, es zu lesen. Am besten mit ein paar guten (!) Macarons in einer Schüssel neben sich und einem heißen Kaffee.
    Den zweiten Band habe ich schon vorbestellt und werde natürlich auch dann wieder darüber berichten!

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