Schlagwort: Cistem

  • Krümel und Kuchen

    WIR WOLLEN KEIN STÜCK VOM KUCHEN, WIR WOLLEN DIE GANZE BÄCKEREI!

    Einer der beliebtesten Demosprüche vor allem feministischer Demonstrationen. Er signalisiert, dass die Betroffenen durchaus sehen, dass ihnen zwar ein bisschen gleichberechtigter entgegengekommen werden soll, aber sie eben nur ein Stückchen abhaben sollen, obwohl es grundsätzlich um eine gleichberechtigte Teilhabe geht, um ein selbstbestimmtes Leben, ohne Kapitalismus, ohne Patriarchat. Eben um die ganze Bäckerei.

    Ich war Teil dieser Demonstrationen. Ich war acht Jahre Feministin, bevor ich erkannte, dass ich Feminist_in bin. Das ich zwar sehr lange für eine Frau gehalten wurde, aber keine Frau bin – sondern nichtbinär, genderfluid. Ich hab meinen offiziellen Namen, meinen Personenstand und meine Anrede ändern lassen und eine Hormonersatztherapie begonnen.

    Ich wusste, es würde Änderungen bedeuten. Ich wusste, es würde Menschen irritieren und bereits der Weg hin zu den rechtlichen Änderungen gab mir einen Vorgeschmack dessen, was meine bloße Existenz mit der Gesellschaft machte – sie irritieren, verunsichern und viel zu oft war die Reaktion mehr oder minder gut versteckte Aggression.

    Was ich nicht erwartet hatte, war, wie viel Einfluss es auf meine feministische Arbeit haben würde. Ich war plötzlich nicht mehr gleichberechtigt in feministischen Kämpfen, sondern „nur noch“ trans. Mir wurde – und wird – das Recht abgesprochen, Teil vom 08. März sein zu dürfen, da ich ja nicht die gleichen Diskriminierungen erfahren würde wie Frauen.
    Teilweise wurde ich aus Gruppen ausgeschlossen, da die Quotierung nur für Frauen galt und meine Anwesenheit eine cis-männliche-Dominanz bedeutet hätte.
    Mein Körper wird vereinnahmt, wenn es um (ungewollte) Schwangerschaften geht, während meine intellektuellen Beiträge ausgeklammert werden, da diese ja nur trans Personen betreffen würden und für den feministischen Diskurs keinen Mehrwert hätten.

    Auf der nächsten „Marx ist Muss“ wird es Veranstaltungen geben, die sich zum Schwerpunkt gemacht haben, trans Kämpfe und Frauenkämpfe zusammenführen zu wollen – ohne daran zu denken, dass trans Frauen eigentlich schon zu den Frauenkämpfen gehören sollten und trans Männer mehr Erfahrungen mit den Themen der Frauenkämpfe haben, als allen eigentlich lieb ist. Es wird Transfeindlichkeit reproduziert, um sich im Anschluss solidarisch mit trans Personen (die Originalformulierung ist leider transfeindlich) zeigen zu können. Ein Stück vom Kuchen? Nein, ausschließlich Krümel.

    Ich weiß, wie sich feministische Kämpfe anfühlen, die mich einschließen. Ich weiß, wie sich feministische Solidarität, Solidarität unter Frauen anfühlt. Habe ich die mir erschlichen, sie heimlich ausgesaugt, wie mir so oft unterstellt wird, weil ich zu dem Zeitpunkt noch keine Worte hatte für mein Empfinden? Ist es nur gerecht, dass ich ausgeschlossen werde, schließlich habe ich durch meine Existenz keine Solidarität, zumindest keine selbstverständliche, verdient?
    Vor drei Jahren war der 08. März noch mein Tag, dieses Jahr wurde mir gesagt, er wäre nur für Frauen, ich solle mich verziehen, schweigen, solidarisch mit Frauen sein.
    Während mir keine Solidarität entgegengebracht wird, immerhin hätte ich mich ja selbst dazu entschieden, mich zu outen und müsste jetzt mit den Konsequenzen leben. Das klingt, als wäre Feminismus, dieser Femicismus, eine Gemeinschaft, aus der ich freiwillig ausgetreten wäre und nun die gerechte Strafe dafür erhielte, keine Frau zu sein.
    Ich wäre ja Teil der Transkämpfe, so als trans Person. Und natürlich müsste der Feminismus auch solidarisch mit den Kämpfen von trans Personen sein, so sei das ja nicht. Aber gleichberechtigt seien diese Kämpfe nicht. Trans Männer und nichtbinäre Personen haben am FrauenKampfTag solidarisch zu sein, um dann am NonbinaryDay alleine zu stehen.
    Oder könnt ihr mir sagen, wann NonbinaryDay ist? Könnt ihr euch auch an die großartige Solidarität, das Pushen des Tages und den eigenen Hashtag auf Twitter mit süßem Bildchen dahinter erinnern? Nein? Ich auch nicht, es hat nämlich nie stattgefunden.

    Sozialisation ist komplizierter, als cis Geschlechterdenken es uns glauben macht. Sie ist nicht nur von außen oder von innen heraus zu betrachten. Trans Frauen zu unterstellen, sie wären ausschließlich männlich sozialisiert worden, ist genauso falsch, wie trans Männern zu signalisieren, sie hätten absolut keine Ahnung, wie es sei, als Frau gelesen zu werden.

    Ich hatte den Kuchen, nun bekomme ich Krümel zugeworfen und habe dafür dankbar zu sein.

    ICH WILL KEIN STÜCK VOM KUCHEN, ICH WILL NICHT EURE KRÜMEL, ICH WILL DIE GANZE BÄCKEREI!

    Dankeschön.
    (Internationaler Tag der Nichtbinarität ist übrigens am 14. Juli, falls ihr Lust habt, dieses Jahr mal solidarisch zu sein.)

  • BDSM und Feminismus

    Let’s talk about Sex! Also, Sex, Kink und BDSM.

    Vor ein paar Tagen sah ich einen „feministischen“ Film, in dem es um Gewalt an (cis) Frauen ging.
    Dabei fiel unter Anderem der Satz „Sie schlagen uns.“. Unterlegt mit dem Bild einer an die Wand gepressten, weiblich gelesenen Person. Sie streckt ihren Po nach hinten und sah im Großen und Ganzen nicht unzufrieden mit der Situation aus. Es wirkte eher wie eine erotische BDSM Darstellung als Gewalt.

    Ich war verärgert. Gewalt – ausgeübt von cis Männern, am meisten betroffen sind Frauen – ist ein gewaltiges Problem, strukturell bedingt durch das Patriarchat. Wir müssen darüber sprechen und Strukturen aufbrechen. Cis männliche Vorherrschaft abschaffen. Müssen wir nicht diskutieren. Was es nicht braucht: Das Bild devoter, sexuell selbstbestimmter Frauen, welches mit Gewalt gleichgesetzt wird.

    Am gleichen Tag las ich dann auch noch, dass BDSM nichts anderes wäre, als unter Erwachsenen Kindesmissbrauch nachzuspielen und dann war ich endgültig bedient.

    Hier also ein Artikel über Sex, BDSM, Feminismus und Selbstbestimmung.

    BDSM = antifeministisch?

    Also, kommen wir zu dem, was gerne als „antifeministisch“ verschrien wird: „weibliche“ Unterwerfung.
    (Ich übernehme diesen Begriff, obwohl ich ihn problematisch finde. Er rückt vor allem cis Frauen in die Perspektive. Nicht cis Frauen bleiben unbeachtet.) Es geht der Kritik an BDSM aber um alle afab Personen, ungeachtet ihres Geschlechts.

    So werden cis Frauen gemacht – und trans Personen diskriminiert.

    Der Feminismus der zweiten Welle (Alice Schwarzer und KonsortInnen) war und ist der Meinung, dass Männlichkeit und männliche Dominanz in allen Lebensbereichen herrscht (stimmt, soweit) und deshalb auch das Sexleben von Feministinnen radikal feministisch sein müsste (maybe) und sogenannte „weibliche Unterwerfung“ nur das Patriarchat stützen würde (stimmt definitiv nicht). (Und „weibliche Dominanz“ stützt das Patriarchat auch, weil es ja Safewords gibt. Kinky Frauen und afab nichtbinäre Personen können nur verlieren. Yay.) Ich hab mich mal ein bisschen durch diese Variante des Feminismus gewühlt und folgende Texte gefunden.

    Kritk an Blowjob und Valentinstag [EMMA]

    1. Der Koitus verdammt die Frau zur Passivität und ist so für Männer die unkomplizierteste und bequemste Sexualpraktik. Beine breit machen genügt.

    2. Die psychologische Bedeutung dieses in sich gewaltsamen Aktes des Eindringens ist für Männer (und Frauen) sicherlich von Bedeutung. Bumsen – wie es so traurig treffend heißt als höchste Demonstration männlicher Herrschaft und weiblicher Unterordnung.

    3. Nur der Mythos von der zentralen Bedeutung des Koitus sichert Männern das Sexmonopol über Frauen, macht sie unentbehrlich denn penetrieren können nur sie. Das ist der kleine Unterschied. Der „vaginale Orgasmus“ ist eine Erfindung der Männergesellschaft. EMMA,1977

    Sexualität hatte über Jahrhunderte, ja Jahrtausende nichts mit Lust zu tun, sondern mit Macht. Macht von Männern über Frauen. Und es gab entweder die käuflichen Sünderinnen, zuständig für die Lust; oder die abhängigen Heiligen, zuständig für die Arbeit im Haus. Emanzipation der Frauen implizierte also zwangsläufig auch die Emanzipation der weiblichen Sexualität.

    Doch so schnell waren die Söhne nicht bereit, die Macht aufzugeben. Denn nun kamen wir. Die Feministinnen. Wir stellten die Machtfrage. Im Leben und in der Liebe. […] Und wir entdeckten unsere Körper und unsere Lust. Das war nicht nur ein harter Kampf, es war auch ein wahres Fest. Wir tanzten von Erkenntnis zu Erkenntnis, von Abenteuer zu Abenteuer. Die Gender-Studentinnen von heute würden zart erröten, ahnten sie nur, was wir alles so angestellt und erlebt haben. […}

    Nie zuvor und nie danach ist so offen über den weiblichen Körper und die Lust der Frauen geredet und geschrieben worden wie in den 1970er Jahren, diesen Jahren des Aufbruchs der Frauen. Doch keiner Frau wäre es damals auch nur im Traum eingefallen, die Trennung von Sexualität und Gefühl oder den Konsum entseelter Pornografie für sonderlich emanzipiert zu halten; von der Prostitution, als Objekt oder Subjekt, ganz zu schweigen. […] Gleichzeitig aber steigt die Pornografisierung unserer Gesellschaft, diese Verknüpfung der sexuellen Lust mit Lust an Erniedrigung und Gewalt. […] Und auch der weibliche Masochismus – diese unbewusste Bewältigung von Schmerz und Erniedrigung durch ihre Umwandlung in Lust – steckt noch tief in den Knochen der Frauen.

    Oh Hilfe, hier wird behauptet, die Vagina hätte quasi null Nerven. Der Text ist von 2016! (Okay, sie behauptet das durchgehend seit 1977). Und alle Personen mit Vagina sind automatisch Frauen. Naja. Das ist genug Material für einen anderen Artikel.

    Menschen haben Vorlieben, Kinks, Fetische. Gerade „weibliche“ Fetische wurden sehr lange pathologisiert, verunsichtbart und unterdrückt. Sie durften nicht ausgelebt werden, zumindest nicht in einem konsensuellen, selbstbestimmten Rahmen. (Frauen und afab nichtbinäre Personen durch sexualisierte Gewalt zu unterwerfen, das ging jedoch voll klar. Weil Patriarchat.)

    Fazit

    Zwischen der Unterdrückung von Frauen und afab nichtbinären Personen und konsensuellem Sex liegt ungefähr so viel Raum wie zwischen mir und dem Boden des Marianengrabens. Das liegt daran, dass konsensueller Sex eigentlich die – für das Patriarchat – gefährlichste Art ist, Sex zu haben. Beide Personen sprechen auf Augenhöhe miteinander, über ihre Bedürfnisse und Wünsche und Fantasien. Bei Sessions wird noch ein Safeword (oder etwas ähnliches) vereinbart, es werden „harte“ und „weiche“ Limits festgelegt – die harten Limits werden niemals angetastet, die weichen Limits dürfen gemeinsam erprobt werden. Augenhöhe zerstört aber das Machtgefälle, welches das Patriarchat aufgebaut hat – Augenhöhe ist eben keine „Unterdrückung durch Sex“, sondern ein bewusstes Auseinandersetzen mit den eigenen Wünschen, Bedürfnissen, Kinks, Fetischen und dem eigenen Körper.

    Dabei ist – solange es selbstbestimmt geschieht und keine Dritten davon unkonsensuell beeinflusst werden – völlig irrelevant, auf welchen Kink sich bezogen wird. Oder ob es überhaupt um BDSM geht.

    Wie genau Neigungen und Kinks entstehen, wurde noch nicht ausreichend erforscht. Es steht jedoch fest, dass es weder eine Krankheit, noch ein charakterlicher Mangel ist, bestimmte Praktiken zu bevorzugen, masochistisch, sadistisch oder devot zu sein.

    Gleichzeitig drängt die Behauptung, „weibliche“ Dominanz sei „Patriarchat über Bande“, dominante, feminine Personen in Rollen. Rollen, die sie gar nicht haben wollen. Zuerst Anerkennung, dass es sich um eine einvernehmliche Vereinbarung handelt, dann Waffe gegen sie. Denn dominante Weiblichkeiten würden dies ja nur tun, um dem (devoten) Patriarchat zu gefallen. Das bedeutet, es kann in dieser Lesart des Feminismus keine selbstbestimmten Kinks geben.

    Das halte ich für zutiefst misogyn.

  • „Baby Butch“ von Lou Conradi – Rezension

    Ich habe gelesen. Ich habe am Wochenende dieses Buch auf den Tisch geschoben bekommen. Von einer Person, die ich bewundere und schätze. Für seinen Mut, für seine politische Arbeit, für seine Widerständigkeit. Für seine Zärtlichkeit, passende Namen zu geben.
    Das war am Sonntag, heute ist Dienstag. Ich habe gelesen, ich habe dieses Buch gelesen, verschlungen, es kratzte auf dem Knochen und ging unter die Haut. Ich bin fertig geworden, ich habe es zur Seite gelegt. Neben den Laptop, neben mir schnurrt eine Katze, ansonsten ist es still. Nur meine Finger klackern auf der Tastatur, während ich schreibe. Das Buch heißt „Baby Butch“ und es ist beeindruckend.

    Inhalt

    Die Geschichte ist schnell zusammengefasst, ich zitiere den Klappentext, um nicht zu spoilern:
    Was hat das Einhorn mit der Jungfrau Maria zu tun und Feminismus mit Waffenexporten? Gibt es die unbefleckte Empfängnis wirklich, hilft BDSM gegen Polizeigewalt und was können trans Menschen erwidern, wenn sie mal wieder gefragt werden: „Was bist du?“
    Spätsommer 2015, Berlin.
    Während in Heidenau und Freital rassistische Mobs Geflüchtete angreifen, planen Steph, eine linksradikale Baby Butch, und Maria, eine kommunistische trans Frau, zusammen ein Kind zu bekommen. Mit Erfolg: Steph ist schwanger! Was als alternative Familiengründung geplant war, ist jedoch schnell ein Chaos aus Beziehungsgeflechten und Existenzängsten. Zwischen Demonstrationen, Polizeigewalt, Transition und Wohnungslosigkeit versucht eine Gruppe junger, impulsiver Queers, Kontrolle über ihr Leben zu behalten, während um sie herum die politische Lage längst außer Kontrolle geraten ist.
    Erschienen ist es November 2019, Edition Assemblage.

    Emotionen

    Linke Zerrissenheit, die Gratwanderung zwischen unterschiedlichen Bedürfnissen, Überforderungen und Kommunikationsverhalten. Scheiße sein – ohne es zu wollen, es trotzdem zu dürfen, geliebt zu werden und von Schuldgefühlen zerfressen. Politische Diskussionen, die unter die Haut gehen und zwischen die Beine treffen. Verzweiflung an Sonntagen und das Bedürfnis, die Welt sofort verändern zu wollen; Resignation und Ausgebrannt sein.
    Wer sich in diesen Konstrukten wiederfindet, sollte dieses Buch lesen.

    Die Charaktere sind nicht (nur) nett zueinander, sie sind menschlich, sie sind politisch, sie ziehen Grenzen. Trösten sich nicht, wenn es nur um Befindlichkeiten, eigene Privilegien geht. Das kann hart sein zu lesen, weil es wehtut, weil es der Protagonist_in damit im ersten Moment nicht gut geht. Aber es ist gleichzeitig ein Punkt, an dem sowohl die Reflektion von Lesenden, als auch der Protagonist_in angestoßen wird. Ohne, dass diese Trostlosigkeit, bewusste Empathielosigkeit die Beziehung der Protagonist_innen (zer)stört. Es ist keine heile Wohlfühlwelt, es ist die unsrige.

    schmerzhaft realistisch

    Eine Welt, in der Polizeigewalt und Rassismus eine Rolle spielen. Personen sich aufgrund von Sozialisierung und Privilegien so richtig scheiße verhalten können – und dennoch versuchen, das richtige zu tun. Es geht um Dysphorie und Unsicherheit, darum, welche Begriffe für welche Person passen.
    Ob sie passend gemacht werden können. Ob sie uns überhaupt zustehen oder wir damit anderen etwas wegnehmen.

    Es geht nicht darum, eine Lösung zu finden. Lou Conradi wirft Fragen auf, ohne selbst die Antworten geben zu können. Er gibt nur einen Ausblick auf mögliche Lösungen, aber er gibt kein Patent.
    Romane sind auch nicht dazu gemacht, Patente zu vergeben. Gleichzeitig ist dieser hier so nah an meiner Realität, dass ich unbewusst doch nach möglichen Ideen für ein besseres Wir suche.
    Ich zumindest habe es getan. Und war schlussendlich erleichtert, als mir keine einfache Lösung präsentiert wurde.

    „Es gibt kein richtiges im Falschen“, sagte einst Adorno, als er die Möblierung seiner Zeit kritisierte – auf der Metaebene bestimmt noch mehr, aber das würde zu weit führen. Ein geflügeltes Wort der Szene, ironisch und unironisch verwendet, zu allem passend (ungefähr so wie Salz – oder Pommes. Ja, sie schmecken auch mit Ahornsirup.)

    Fazit

    „Baby Butch“ zeigt eindringlich und dabei nicht abgehoben, intensiv und doch nicht wehleidig, wie richtig dieser Ausspruch immer noch ist. Vor allem, wenn es um trans Themen geht. Es gibt kein richtiges Leben im falschen Geschlecht. In dem, das mir zugeschrieben wurde. Gleichzeitig bleibt die Frage, ob denn „das falsche Geschlecht“ zu sagen, mir überhaupt zusteht. Ob es denn nicht andere Personen gibt, denen es noch schlechter geht. Die große Frage der meisten Eier (ungeschlüpfte trans Person), die ich on- und offline getroffen habe. Auch euch möchte ich dieses Buch ans Herz legen. Ich möchte es allen trans Geschwistern und allen verzweifelten Queers der linken Szene geben.

    Ich möchte mit euch einen Kuschelhaufen bilden und gemeinsam verzweifeln, während wir das „Gute Leben für Alle“ erreichen wollen.

    P.S.: Wenn sich das eigene Geschlecht nicht richtig (auf welche Art auch immer) anfühlt, ist es wahrscheinlich nicht das richtige.

  • Penisse sind nicht männlich.

    In der linken Szene aktiv zu sein, macht Menschen automatisch zu Feminist_innen. Logischerweise, schließlich steht auf jedem zweiten Veranstaltungsflyer, dass Sexismus nicht erwünscht sei.
    Auch diverse linke Räume haben sich dies groß über die Eingangstür geschrieben.
    (Ja, mein Macker, Macker, Mackerfa – Artikel geht in eine ähnliche Richtung. Durchaus. Da geht es nur weniger um Penisse.)

    Wer also mitmachen will, muss Feminist_in sein – oder geht bereits beim Einlass in Rauch auf.

    Wäre ein hübsches Szenario, das möchte ich gar nicht bestreiten, ist aber leider meilenweit von der Realität entfernt.

    Sexismus

    Plumpe „Frauen an den Herd!“-Sprüche sind mittlerweile nur noch ironisch, meistens.
    Macker, die das Konzert mit nacktem Oberkörper bestreiten, müssen zumindest teilweise mit Kritik rechnen. (Und schreiben dann Songs darüber, wie Swiss.) Unter der Oberfläche jedoch, ist die diskriminierende Struktur leider immer noch die gleiche. Und auch Feminist_innen bemängeln, dass es eine gewisse Fokussierung auf Penisse und Männlichkeit gibt. Im Umkehrschluss wird versucht, Vulven präsenter zu machen.

    Selbstreflektion kostet Mühe und tut manchmal weh, weil Menschen sich eingestehen müssen, dass sie Mist gebaut haben. Und sich dafür im Idealfall sogar noch entschuldigen wollen/sollen und „sich entschuldigen“ Menschen nun mal meistens ziemlich schwer fällt.

    Leider sieht sich die linke Szene gerne als reflektierten, sicheren Raum, weil das Schild über der Tür jede Diskriminierung, die wir während unserer Sozialisierung in dieser Gesellschaft internalisiert haben, in Rauch aufgehen lässt.

    Fangen wir also mit den Fakten an: Diese Gesellschaft ist patriarchal und frauenfeindlich.
    Sie stützt sich auf ein binäres Geschlechtersystem, welches sich willkürlich an reproduktiven Organen orientiert und im Laufe der Zeit immer rigider in der Umsetzung der Binarität geworden ist.
    Penisse sind männlich, Vulvinas sind weiblich.

    Biologismus

    Bis 2011 wurden trans Personen zwangsterilisiert. Ansonsten durften sie nicht transitionieren. Inter Menschen leiden bis heute unter Zwangsoperationen, die sie einem der binären, angeblich von außen biologisch eindeutig zuordbaren, Geschlechter anpassen sollen. Bei diesen Operationen werden vor allem Neo-Vulven chirurgisch hergestellt. Penisse sind für die plastische Chirurgie eine größere Herausforderung. Seit März 2021 gibt es ein offizielles Verbot. Inter-Verbände bezweifeln jedoch, dass dieses Verbot alle Operationen beendet. Sie beobachten die Entwicklung.

    Menschen mit Organ Y wird mehr Macht zugestanden als Menschen mit Organ X. Bereits bei der Geburt werden Menschen Rollen in der Gesellschaft zugeschrieben. Dise sind mit Farben codiert und vom äußerlichen Zustand der reproduktiven Organe abhängig. Wir alle sind damit aufgewachsen, dass Menschen entweder männlich oder weiblich sind und woran wir das erkennen.

    Im Biologieunterricht der siebten, achten Klasse lernten wir, dass ein Penis das „männliche“ Geschlechtsteil sei, eine Vulvina das „weibliche“. Eine Vulvina ist die Gesamtheit aus Vulva und Vagina. Die Vagina ist der innere Teil, die Vulva der äußere Teil. Wir kennen deutlich bessere Begriffe für Penisse, als für Vulvinas. (Und wahrscheinlich auch mehr Synonyme. Probiert es aus.)

    Es ist reproduktiven Organen ziemlich egal, wie sie benannt sind. Ein Penis ist ein Penis ist ein Penis, er ist kein „männliches“ Geschlechtsmerkmal. Er ist ein Organ, welches zum Ausscheiden von Urin und Samenflüssigkeit dient. Männlichkeit hat da erst das binäre System hineingedichtet.

    Auch ein Uterus ist erst einmal nur ein reproduktives Organ, in dem sich eine Eizelle über neun Monate hinweg zu einem Menschen entwickelt. Ein Uterus ist kein Kennzeichen für Weiblichkeit, er wurde erst dazu gemacht.

    Transfeindlichkeit

    Seit mehreren Jahrhunderten hat die Biologie versucht, das binäre System an der Realität zu beweisen – und ist gescheitert. Das Zuweisen von Geschlecht anhand reproduktiver Organe funktioniert nicht, das ist nur noch nicht bis in die Gesellschaft vorgedrungen. Die ist nämlich grundsätzlich langsamer als wissenschaftliche Erkenntnisse. (Außerdem gibt es eine Definitionslücke zwischen „das sind Penisse“ und „das sind Klitori“. Das ist sehr witzig.)

    Das Menschen mit Penis nicht immer männlich sind und Menschen mit Vulvina nicht immer weiblich, das wird in einigen feministischen Strömungen anerkannt.

    (Feminismus ist ja leider auch nicht unbedingt homogen, aber dazu wann anders mehr.)

    Dennoch fällt es auch Aktivist_innen immer noch sehr schwer, einfach anzuerkennen, dass manche Frauen einen Penis haben, manche eine Vulvina. Das führt zu Erwartungen an trans Menschen. Es setzt selbige nicht nur unter Druck, sondern eröffnet auch ein System, in welchem Menschen unterschiedlich bewertet werden. Die Unterscheidung, ob sie denn „wirklich“ weiblich/männlich wären, wird dann an vermuteten, körperlichen Merkmalen festgehalten. (Von nichtbinären Personen und inter Menschen ganz zu schweigen, wir bleiben unsichtbar.)

    internalisierte Diskriminierung

    Dabei übersehen Aktivist_innen, wie tief wir das binäre System verinnerlicht haben:

    Ein Penis ist mit Männlichkeit assoziiert, Menschen mit Bartwuchs ebenso. Brüste werden als weiblich gelesen, eine hohe Stimme auch.

    Bereits wenn wir Menschen kennenlernen, ordnen wir sie unbewusst in unser binäres System ein. Dafür kann Individuen auch keine Schuld gegeben werden, Sozialisierung ist ein tief reichendes, komplexes Muster in der Psyche jedes Individuums.

    Was aber definitiv keine Lösung für internalisierte Diskriminierung ist: Sie verleugnen.

    „Ich sehe keine Geschlechter, ich sehe nur Menschen“ negiert die Repressionen von Menschen, die nicht in das binäre System passen. Gleichzeitig entlastet es von der Verantwortung, sich selbst und die eigenen internalisierten Repressionen zu reflektieren.

    strukturelle Diskriminierung

    Menschen, die nicht in das binäre System passen, werden strukturell unterdrückt. Sie erleben sowohl sexistische, als auch transfeindliche Diskriminierung und haben eine der höchsten Selbstmordraten unter jungen Menschen. Darüber hinaus erfahren sie Psychopathologisierung.

    Transgender steht als Identitätsstörung im ICD-10, dem Buch, welches die meisten Arztpersonen zur Diagnostik verwenden. (Positiv anzumerken ist, dass es im ICD-11 nicht mehr vorkommen wird.)

    Strukturelle Diskriminierung ist perfide, weil nicht-Betroffene sie in den meisten Fällen nicht wahrnehmen. Selbst wenn sie selbige reproduzieren, einfach, weil sie „normal“ ist. Aber die linke Szene soll plötzlich davon völlig unbeleckt sein?

    Dadurch stellen wir uns besser da, als wir sind und behaupten, dass ausgerechnet wir, weil wir ja so unglaublich reflektiert und emanzipatorisch sind, keinerlei Diskriminierungen internalisiert hätten.

    Die Arroganz, die aus diesen Sätzen tropft, ist kaum zu ertragen und macht Betroffenen das Leben nur unnötig schwer. Die müssen nämlich trotzdem Bildungsarbeit leisten. Sie müssen damit leben, in Schubladen zu stecken und mühsam wieder rauskrabbeln. Während wir behaupten, völlig ohne Schubladen denken zu können. (Das Schild über der Tür, wir erinnern uns?)

    Selbstreflektion bedeutet mehr, als bloß neue Pronomen nutzen zu können und Männer in Röcken nicht auszulachen. Selbstreflektion bedeutet, dass wir alle uns eingestehen müssen, Teil der beschissenen Gesellschaft zu sein und auch Teile ihrer diskriminierenden Grundsätze übernommen zu haben. Erst dann, wenn wir das anerkennen, können wir es ändern.

    Vorher reproduziert eins strukturelle Diskriminierungen nämlich einfach mit einem „Ich sehe keine Geschlechter, ich bin nicht so.“. Durch Verleugnung.

  • Schminke und Adorno.

    Es gibt kein Richtiges im Falschen – oder warum die Kücheneinrichtung der fünfziger Jahre auch für den Feminismus gilt. Und was Schminke eigentlich mit Adorno zu tun hat.

    Ich könnte damit beginnen, dass bereits meine Überschrift irreführend ist, denn DEN Feminismus gibt es gar nicht. Es gibt unterschiedliche Strömungen und Menschen interpretieren Feminismus unterschiedlich.

    Für mich bedeutet Feminismus, dass ich gegen jede Ungleichbehandlung von Menschen aufgrund ihres Geschlechts bin. Geschlecht ist hierbei das, was Individuen als selbiges bezeichnen. Dabei müssen wir berücksichtigen, dass wir in einer patriarchalen, transfeindlichen, dyacissexistischen Gesellschaft leben. Somit müssen zunächst die nicht-privilegierten Personen supportet werden. Eine scheinbare Ungleichbehandlung ist nötig, um Gleichstellung zu erreichen.

    Sexistische Erwartungen

    Frauen wird in dieser, unserer Gesellschaft eine Menge an Ansprüchen mitgegeben: Sie sollen gut aussehen (also dünn, weiß, sportlich, zierlich, symmetrisch, modisch, angemessen geschminkt, etc. pp.), intelligent, aber auch emotional und familiär sein. Sie sollen gleichzeitig für die Familie sorgen (und eine haben wollen), einer Arbeit nachgehen (die höchstwahrscheinlich schlechter bezahlt ist als die von Männern) und dabei auch noch jung und schön (was sich je nach Schönheitsideal durchaus ändern kann) bleiben. Weiblichkeit wird als „schwach“ wahrgenommen und Frauen signifikant häufiger Opfer von sexueller und/oder häuslicher Gewalt (und dann im Zweifelsfall nicht ernst genommen, weil „Frauen sind ja so emotional und denken sich das nur aus“.)

    Wer gegen dieses Anspruchsdenken ist, wird meistens Feminist_in. Dabei gibt es verschiedene Strömungen (und einige davon hält die schreibende Person für wirklich schrecklich). Eine Vertreterin einer davon hat vor kurzem einen Text veröffentlicht. Zusammengefasst ist der Inhalt, dass Frauen sich weder schminken noch hohe Schuhe tragen sollten, noch Strumpfhosen oder „hübsche“ Outfits, denn von Männern würde dies ja auch nicht erwartet. Es ist völlig irrelevant, wer das war, die Debatte ist über fünfzig Jahre alt und kommt immer wieder.

    Das geht meiner Meinung nach auf vielen Ebenen in die falsche Richtung.

    Erstens erleben Männer andere Erwartungen, was das äußerliche Erscheinungsbild angeht und mit Sicherheit sind diese nicht so streng wie bei Frauen, aber sie sind vorhanden. Außerdem macht diese Erwartungshaltung die von struktureller Diskriminierung Betroffenen zu Täter_innen, da sie ja „selbst schuld“ seien, wenn sie sich „freiwillig“ dem Druck des Patriarchats unterwerfen würden.

    Strukturelle Diskriminierung

    Dabei übersieht diese Analyse, dass strukturelle Diskriminierung, ja, nun mal strukturell ist. Das bedeutet, dass es in diesem System immanent ist, Frauen zu unterdrücken. Ob diese dabei geschminkt sind oder nicht, ist dem System egal. Gesellschaftlich angepasst geschminkte Frauen haben jedoch innerhalb dieses Systems Vorteile, weil sie nach den Regeln spielen. Oder schlicht Spaß daran haben, sich zu schminken. Die Intention ist hier erstmal irrelevant.

    Wichtig ist, dass es einfach nichts bringt, Menschen, die in diesem System überleben wollen, für ihren Überlebenswillen zu kritisieren.

    Wenn Menschen alt genug sind, dass sie sich übers Schminken Gedanken machen, erlebten sie bereits ihr Leben lang gesellschaftliche Sozialisierung. Herauszufinden, was bei Individuen charakterlich (Spaß am Schminken) und was gesellschaftlich indoktriniert (Frauen schminken sich nunmal gerne) ist, ist unmöglich. Deshalb sollte es auch nicht Ziel einer gesamtgesellschaftlichen Kritik sein. Ich schätze feministische Psychoanalsyse sehr, dennoch ist sie die Grundlage, nicht der Lösungsweg.

    Das Problem im Patriarchat sind weder Frauen, die sich schminken, noch Frauen, die das Schminken verweigern. (Die gleiche Diskussion gilt übrigens auch für die Themen Enthaarung, High Heels, kurze Röcke/Kleider, Hotpants und lange Haare). Das Problem ist einerseits, dass Schminken als weiblich konnotiert ist und damit Männer, die sich schminken, abgewertet werden (weil als weiblich konnotierte Dinge grundsätzlich dazu verwendet werden, Männer abzuwerten). Andererseits die Erwartungshaltung, dass Frauen sich schminken MÜSSEN, um im patriarchalen Spiel um Normschönheit mitspielen zu dürfen.

    Normschönheit wird belohnt. Aber es kann durchaus ein empowernder, emanzipatorischer Akt sein, sich aus diesem Spiel bewusst herauszunehmen und gegen die gesellschaftlichen Erwartungen zu verstoßen. Inwieweit das möglich ist, ist eine andere Diskussion.

    Problematiken

    Kein emanzipatorischer Akt dagegen ist es, Frauen vorzuwerfen, dass sie Mittel und Wege wählen, die nicht die eigenen sind. Auch nicht, sie als „Opfer des Systems“ abzuwerten.

    Anstatt von Frauen zu erwarten, dass sie sich den Männern anpassen, wäre eine grundsätzliche Analyse von Männlichkeit und Weiblichkeit notwendig. Dazu gehören natürlich auch Erwartungshaltungen und Sozialisation. Alternativ ein Aufbrechen von weiblich konnotierten Handlungen/Verhaltensweisen durch Männer, damit die Abwertung aufgrund von zugeschriebener Weiblichkeit nicht mehr funktioniert. Lackierte Nägel und Lippenstift für alle!

    Schminke und Adorno

    Womit wir übrigens bei den Küchenmöbeln der Fünfziger angekommen sind, denn Adornos berühmt-berüchtiger Ausspruch „Es gibt kein richtiges Leben im Falschen“ bezieht sich auf ebenjene Inneneinrichtung. Ein Leben innerhalb dieser sei nicht möglich. Natürlich ist das eine Metapher, aber auch „Schminke und Adorno“ ist eine. Der Satz „es gibt nichts richtiges im falschen“ wurde so oft in beliebigen Kontexten verwendet, dass er selbt beliebig wurde.

    Allerdings lässt sich dieser Satz wunderbar in weitere Kontexte einfügen. Somit gibt es für Frauen tatsächlich in dieser Gesellschaft keine Möglichkeit, frei von patriarchalen Strukturen zu leben. Bleibt als einzige Möglichkeit eine Veränderung der Gesellschaft, frei von patriarchalen Zwängen und Sexismus.

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