„Afab nichtbinäre Personen werden immer die sein, die transmisogyn sind. Du kannst ihnen nicht trauen!“
Ein Take auf Twitter, unterschiedlich gesehen, zusammengefasst und verkürzt. Von trans Frauen geteilt und favorisiert. Schwierig, freundlich ausgedrückt, finde ich.
Aber fangen wir mit Begriffsdefinitionen an. Ich mag Definitionen, sie bringen alle Beteiligten auf das gleiche Level an Informationen. Weniger Raum für Interpretationen, mehr klare Kommunikation. Winwin – und so.
Transfeindlichkeit: Abwertung von trans Personen, weil sie trans sind. (Die Kurzfassung.)
AMAB: Assigned male at birth (bei der Geburt dem männlichen Geschlecht zugeordnet.)
AFAB: Assigned female at birth (bei der Geburt dem weiblichen Geschlecht zugeordnet.)
Transmisogynie: Eine bestimmte Form der Transfeindlichkeit, die nur transfeminine Personen betrifft.
Jetzt kommen die Langfassungen und die Begründungen, warum ich den Take so schwierig finde.
Kindern wird – durch Genitalienbeschau – ein Geschlecht zugeordnet. Dieses Geschlecht wird mit Erwartungen verknüpft, die wiederum mit den Genitalien gleichgesetzt werden. Ein Penis = cis Männlichkeit. Eine Vulva = cis Weiblichkeit. Diese Zuordnung an und für sich ist bereits inhärent transfeindlich, weil Genitalien kein eigenes Geschlecht haben – sie haben nur das Geschlecht der Person, zu der sie gehören. Gleichzeitig ist es eine Gleichsetzung, mit der wir in dieser Gesellschaft aufwachsen – und die erst mühsam verlernt werden muss.
Währenddessen wird AFAB Personen beigebracht, dass von Jungs und Männern (also innerhalb der cissexistischen Gesellschaft „Menschen mit Penis“) eine gewisse Gefahr ausgeht. „Selbst wenn sie dich mögen, werden sie dir wehtun.“ ist der Schlüsselsatz, der hängenbleibt, wenn „was sich liebt, das neckt sich“ und „der X, der meint das nicht so, wenn er dir an den Haaren zieht, der kann nur seine Sympathie nicht anders ausdrücken“ als Relativierung und „boys will be boys“ verwendet wird. „Geh nicht alleine nach Hause!“, „Geh nicht im Dunkeln nach Hause!“, „Zieh das nicht an!“ sind ebenfalls Glaubenssätze, mit denen AFAB Personen aufwachsen – und die auch in „züchtige Kleidung für die Schule“ Verwendung finden. Selbst bei den berechtigten Kritikstürmen, die regelmäßig entstehen, wenn Schulen auf so eine Idee kommen – die grundsätzliche Annahme, das AFAB Körper sexualisierend und problematisch sind, bleibt bestehen. (Etwas, wogegen der Feminismus seit Jahren kämpft. Aus Gründen.)
Wir haben also eine Ausgangslage, die für trans Frauen in feministischen Räumen ziemlich beschissen ist. Weil die Gleichsetzung von Genitalien mit Geschlecht und die daraus folgende Erziehung zu Männern als „Gefährdern“ in Form von Transmisogynie direkt auf (trans) Frauen projiziert wird. Und während feministische Strukturen gegen Patriarchat und Sexismus kämpfen, unterstützen sie häufig aufgrund dieser unreflektierten Projektion den Ausschluss von trans Frauen aus feministischen Räumen. Das beginnt bei „Frauen*“ und endet beim „transsexual Empire“ und dem richtig harten TERF-Shit.
Wir haben aber auch eine Ausgangslage, die AFAB nichtbinäre Personen zu „Frauen light“ oder auch „cis Frauen mit ein bisschen Glitzer“ erklärt. Schließlich wollen sie sich aus der patriarchalen Kategorie „Frau“ lösen, aber ja „nicht so richtig“ (i.S.v. binäre Transition.) Das kann dazu führen, dass AFAB nichtbinäre Personen (und teilweise trans Männer) Zugang zu feministischen Räumen haben, der AMAB Personen verwehrt bleibt. Aufgrund internalisierter Transmisogynie wird dann diese Form von Transfeindlichkeit („Frau light“) als Waffe gegen unliebsame AMAB Personen verwendet. Weil „Penis = Mann = gefährlich“ oft nicht ausreichend reflektiert wird – und tief in der derzeitigen Gesellschaft steckt. Weil AFAB Personen von Kindheit an die Gleichsetzung „Penis = Männlichkeit = Gefahr“ internalisiert haben, projizieren sie diese in Form von Transmisogynie auf trans Frauen und AMAB nichtbinäre Personen, was zum Ausschluss jener aus feministischen Räumen führt. Im Wissen, dass sie als „weiblich gelesen“ bzw. „Frauen light“ in feministischen Räumen eher Schutz zu erwarten haben, da bei anderen AFAB Menschen (wie beispielsweise cis Frauen) der gleiche Bias besteht. Muss bewusst verlernt werden, muss nicht bewusst passieren. Aber. Hat bewusst verlernt zu werden. Ja.
Aber auch AFAB Personen leiden unter Transfeindlichkeit.
- „Aufsteigen“ im Patriarchat muss bestraft werden, weil „Frau muss an ihren Platz“.
- Fragile Heterosexualität, weil cis male Heten AFAB bestrafen müssen, dass sie auf selbige stehen, weil Bedrohung ihrer Heterosexualität.
AMAB Personen erleben es in folgender Ausprägung:
- Die Transgression bei einer transfem Transition ist größer. („Mann sein zu wollen“ gilt als „natürliches Streben der Frau“) Bei AMAB Transition wird es dagegen als „pathologiesierender Wahnsinn“ wahrgenommen – und abgewertet.
- Fragile Heterosexualität und (CN T****) are gay aka gay/trans panic defense.
Schlussendlich läuft Transfeindlichkeit also grundsätzlich auf eine Angst vor der Fragilität des Cistems hinaus. Transmisogynie dagegen ist die Projektion internalisierter Erwartungen an Männlichkeit auf Frauen. (Auch gerne mit vermeintlich „männlicher Sozialisierung“ begründet. Was die Komplexität von Sozialisation zwar unfassbar verkürzt, aber hübsch einfach klingt.)
Als Person, die sehr lange (fast zehn Jahre) in femicistischen Gruppen aktiv war, kann ich aber – im Gegensatz zu transfemininen Personen, die diesen Zugang nie erhielten, auch diese Sichtweise beitragen:
Die gefallene Schwester zu sein, die im Patriarchat aufsteigen will und den Feminismus verraten hat, der mehr oder weniger direkt psychiatrischer Aufenthalt nahegelegt wird und die gleichzeitig weder im Feminismus, noch auf der Straße stealth (also im korrekten Geschlecht, aber unerkannt) leben kann, von „du verstümmelst deinen Körper“ ganz abgesehen – der Vergewaltigungsvorwurf kommt auch da. Spätestens, wenn 1 mit Testo anfängt, weil wieder „Testosteron = Männlichkeit = Gefahr“ greift.
Ja, es gibt bestimmt AFAB Personen, welche den Vorteil des „feministische Räume schützen mich“ gegen AMAB Personen verwenden. Das ist problematisch. Daraus einen Vorwurf an eine Gruppe zu imaginieren, die ebenfalls massiv unter dem Cistem leidet – und niemals die Option auf Passing (als das Geschlecht wahrgenommen werden, das 1 ist) hat – ist mindestens genauso problematisch.
Der eigene Tellerrand eignet sich nur schlecht bis gar nicht für eine strukturelle Machtanalyse.