Schlagwort: Persönliches

  • trans* Day of Remembrence – 2022 von Sternchen

    Die Content Notes für diesen Redebeitrag sind trans* feindlichkeit, Rassismus,
    Antisemitismus, Klassismus, Ableismus, Saneismus, Mord, Suizid, psychische, körperliche,
    emotionale und sexualisierte Gewalt und Sexworker*innenfeindlichkeit

    [30 sek]

    Hallo, mein Name ist Sternchen, meine Pronomen sind sie/ihr, oder keine, ich bin nicht binär und
    transfeminin, im aromantischen und asexuellem Spektrum, neurodivergent, chronisch
    psychisch krank, dadurch schwerbehindert und von Armut betroffen.
    Ich lebe von Hartz IV, Straßenmusik und Sexarbeit, ich male auch, verdiene damit aber kein Geld.

    Anteilnahme

    Als erstes möchte ich meine Trauer, meine Ohnmacht, meine Frustration, meine Resignation
    und meine Wut, um alle ermordeten trans*Personen weltweit – in diesem und allen
    vergangenen Jahren – zum Ausdruck bringen. Genauso wie über jede trans* Person die sich
    selbst das Leben genommen hat und die weltweiten Zustände die dafür verantwortlich sind.
    Nichts kann euch wieder zurück bringen, der Schmerz über den Verlust von euch kann nie
    wieder gut gemacht werden.

    Meine Anteilnahme gilt auch ihren Familien,ihren Freund*innen, den Menschen die sie
    geliebt haben und die von Ihnen geliebt worden sind und ihnen nahe gestanden haben. Ich
    wünsche euch alle Kraft und dass ihr ein liebevolles Umfeld habt was euch unterstützt, euch
    Rückhalt bietet, zuhört und euch fragt ob euch etwas gutes getan werden kann und euch den
    Support geben den ihr braucht.

    Zahlen und Fakten

    Ich möchte an dieser Stelle nochmal die Website transrespect und die Ergebnisse des „TMM
    des Trans Murder Monitoring
    “ Projektes zitieren:

    „TMM 2022 data shows that:

    • 327 trans and gender-diverse people were reported murdered;

    • Cases from Estonia and Switzerland were reported for the first time – both victims were migrant Black trans women;

    • 95% of those murdered globally were trans women or trans feminine people;

    • Half of murdered trans people whose occupation is known were sex workers;

    • Of the cases with data on race and ethnicity, racialised trans people make up 65% of the reported murders;

    • 36% of the trans people reported murdered in Europe were migrants;

    • 68% of all the murders registered happened in Latin America and the Caribbean;

    29% of the total happening in Brazil;

    • 35% of the murders took place on the street and 27% in their own residence;

    • Most of the victims who were murdered were between 31 and 40 years old.

    The data continues to indicate a worrying global trend when it comes to the intersections of misogyny, racism, xenophobia, and whorephobia, with most victims being Black and migrant trans women of colour, and trans sex workers. The high number of murder reports from Latin America and the Caribbean can be considerably attributed to the existence of established monitoring systems, and must be understood in the specificsocial, political, economic, and historical contexts in which they occur.These numbers are just a small glimpse into the reality on the ground. The majority of the data came from countries with a strong network of trans and LGBTIQ organisations that conduct the monitoring. Most cases continue to go unreported and, when reported, receive very little attention.“

    Trans Murder Monitoring Project

    Solidarität mit allen trans* Personen

    Ich möchte kurz darauf hinweisen, dass die folgende Liste nicht hierarchisch sortiert ist und
    keiner bestimmten Reihenfolge einhält. Genausowenig erhebe ich einen Anspruch auf
    Vollständigkeit.

    Gewalt und ihre Formen

    Meine Solidarität teile ich mit allen betroffenen trans*Personen die täglich dem weltweit
    herrschendem und sich verschlimmerndem transfeindlichem Status Quo ausgesetzt sind,
    und der Gewalt der Nationalstaaten mit ihren unterdrückerischen, und großteils
    transfeindlichen Gesetzen.

    Mit allen trans* Personen die jeden Tag psychische, emotionale, sexualisierte und
    körperliche Gewalt erfahren, die mehrfach betroffen sind von Unterdrückungsmechanismen
    wie jeglicher Form des Rassismus, Misogynie, Antisemitismus, Ableismus, Sane-ismus,
    Klassismus, Hetero-, Cis-, Endo -, Allonormiativät oder Sexarbeiter*innenfeindlichkeit und
    damit zusätzlich zu dem was sie ohnehin aushalten müssen konfrontiert sind.

    Kolonialismus und Antisemitismus

    Denen durch den weißen, christlich-europäischen Kolonialismus und Antisemitismus, das
    binäre und heteronormative Geschlechtersystem mit Gewalt aufgezwungen wurde.
    Die sich verstecken müssen, die aufgrund mangelnder und fehlender Strukturen keinen
    ausreichenden Zugang zu Aufklärung, Beratung oder medizinischer Versorgung haben.

    Denen Aufgrund von Illegalität, Staatenlosigkeit, Asylstatus oder eines ungeklärten
    Aufenthaltstitels, der Zugang zu medizinischer Grundversorgung und
    Transistionsmöglichkeiten verwehrt wird.

    Die gemobbt werden. Die fliehen mussten oder sich derzeit auf der Flucht befinden, die aufgrund ihrer Geschlechtsidentität verfolgt werden, die vom deutschen und anderen Staaten in Gebiete abgeschoben werden, in denen ihnen einen sicheres, unversehrtes, sichtbares und respektvolles Leben nicht möglich ist.

    medizinisches System und Trauma

    Die aufgrund von Armut und mangelnder Kostenübernahme durch die Krankenversicherung, oder dem Fehlen einer solchen keinen Zugang zu Transistionsmaßnahmen nach ihren Wünschen und Bedürfnissen haben.

    Die ihre Familien und Freund*innenkreise verlieren oder verlassen müssen, weil sie sich
    geoutet haben. Die sich aus Angst vor Unverständnis,Verlustangst, Diskriminierung oder anderer Gewalt,
    nicht trauen sich zu outen. Die sich einsam fühlen. Die niemanden zum reden haben oder der sich mit ihnen freut. Die grenzüberschreitende Fragen gestellt bekommen. Die nicht in die klischeehaften Geschlechterrollenbilder anderen Menschen passen, darüber wie trans* Personen auszusehen oder zu sein haben.

    Mikroaggressionen und Unsichtbarmachung

    Die von der Gesellschaft unsichtbar oder klein gemacht werden, und denen ihre Daseinsberechtigung und ihr Geschlecht mit Gewalt aberkannt wird. Denen die richtige Anrede und die Benutzung der richtigen Pronomen
    verweigert wird. Die sich bezahlt, großteils aber unbezahlt für Aufklärung und gegen Diskriminierung einsetzen. Die sich aus Angst nicht trauen die Wohnung zu verlassen. Die trotz ihrer Geschlechtsidentität die Wehrpflicht erfüllen müssen. Die jeden Tag damit leben müssen, dass endo-cis Personen mehr Entscheidungsrecht über ihren Körper haben als sie selber. Deren Aufklärungsarbeit zensiert und als Kindeswohlgefährdung eingestuft wird.
    Die in bestehenden Safespaces keine sicheren Orte haben, weil sie mehrfach vonDiskriminierung betroffen sind.

    Status Quo: Trans*feindlichkeit

    Die Gewalt und Unterdrückung die trans* Personen täglich erfahren wird von gefühlt nur
    sehr wenigen Menschen, ernst oder wahrgenommen. Sie wird von vielen Menschen, wenn
    auch nicht unbedingt immer in böser Absicht, reproduziert, was ihre Folgen aber weder
    abschwächt noch weniger schmerzhaft macht. Nur weil ich mich gegen eine Form der
    Gewalt bekenne, heißt dass nicht, dass ich sie nicht selber reproduzieren kann.

    sichere Räume? Nicht für uns.

    Und auch innerhalb der linken, anarchistischen, antiautoritären und feministischen Szene ist
    Trans*feindlichkeit, genau wie andere Unterdrückungsmechanismen, ein Teil des Alltags
    betroffener Menschen und ein fester Bestandteil der Stukturen, den es zu bekämpfen gilt.
    Menschen die über Diskriminierung berichten, wird nicht geglaubt und ihnen wird ihr
    Schmerz aberkannt. Ihre Erfahrungen haben oft keinen Platz und werden teilweise als etwas
    individuelles dargestellt.

    Der Nebenwiderspruch.

    Die sozialen Kämpfe, die historisch gesehen von BIPOC Personen begonnen wurden, und von ihnen bis heute tragend mitgeführt werden, werden abwertend gemeint als Identitätspolitik oder als Nebenwiderspruch bezeichnet und dadurch diffamiert.

    Während gleichzeitig die Rechte von trans* Personen als etwas diskutierbares und etwas
    legitim verhandelbares dargestellt werden und somit trans*feindlichen Diskursen Raum gewährt.
    Dazu kommt eine oft fehlende Bereitschaft von nicht betroffenen Personen, sich mit dieser
    Form von patriarchaler Gewalt, ihrem historischen Ausmaß und ihrer Verknüpfung mit
    anderen Kämpfen auseinanderzusetzen. Sowie das eigene binäre Denken und die binären
    Vorstellungen von Geschlecht aktiv zu hinterfragen, zu reflektieren und zu verlernen.

    Trans*feindlichkeit als patriarchales Werkzeug

    Trans*feindlichkeit muss als das gesehen werden was sie ist, nämlich ein wichtiges
    Standbein des Patriarchats, ein Eingriff in die Selbstbestimmung und Autonomie, eine bis zu
    weilen tödliche Form von Gewalt. Und etwas das jede Person, die als Ziel eine befreite
    Gesellschaft hat, in der alle Menschen ein selbstbestimmtes Leben fern von Angst und
    Bedrohung führen können, ernstgenommen und bekämpft werden sollte.
    Genauso selbstverständlich wie jegliche andere Form der gesellschaftlichen Unterdrückung
    und Herrschaft.

    Eine befreite Gesellschaft, ohne Patriarchat, ohne Rassismus, ohne Antisemitmus, ohne
    Ableismus und ohne Kapitalismus kann nur erreicht werden, wenn wir uns bedingungslos
    mit allen Menschen solidarisieren, die in der Welt Unterdrückung und strukturelle Gewalt
    erfahren, betroffenen Personen glauben und sie unterstützen, nicht in dem wir Kämpfe
    gegeneinander ausspielen, oder sie als weniger wichtig betrachten als andere.

    Wie soll das klappen mit dem Erreichen der Utopie, wenn die Kämpfe von eh schon
    unterdrückten Gruppen nicht nur als unwichtig sondern teilweise sogar als bedrohlich
    verstanden werden?

    Richtig, gar nicht.

    Solidarität und Intersektionalität!

    Denn sich gegen jede Form von Hierarchie und Herrschaft zu stellen bedeutet das
    bedingungslos zu tun. Und nicht da aufzuhören wo die eigenen verinnerlichten
    diskriminierenden Sichtweise reflektiert werden und Verhalten umgestellt werden muss.

    Es wird nicht gelingen eine Graswurzelbewegung aufzubauen, wenn Menschen innerhalbdieser Gewalt erfahren und dadurch gehindert werden sich an ihnen zu beteiligen.

    Solidarität mit allen von Trans*feindlichkeit betroffenen Menschen weltweit und allen
    anderen Menschen die struktureller Gewalt erfahren.
    Solidarität mit allen Menschen die im Alltag, online, in der Kneipe, in der eigenen
    Aktionsgruppe, bei der Arbeit, der Uni oder sonst wo gegen trans*feindlichkeit laut werden
    und sich für eine Welt einsetzen, in der ein selbstbestimmtes Leben für alle möglich ist.

    Ich bedanke mich fürs zuhören, fürs vorbeikommen, fürs weiterkämpfen und fürs
    unterstützen.

    Until all are free no one is free – terfs defend the patriarchy

  • Wir alle kennen Betroffene – Redebeitrag Halle 14.4.22

    In diesem Text wird sexualisierte Gewalt, Übergriffigkeit, Transfeindlichkeit und Ableismus thematisiert. Betroffene verdienen mehr als das hier. Der Beitrag begann mit einer Minute für Jess, um ihr alles Gute und schnelle Genesung zu wünschen.

    Prioritäten

    Wir alle kennen Betroffene, aber niemand kennt Täter.

    Willkommen in der Stadt, in der über trans Personen und Toiletten diskutiert wird, als gäbe es keine wichtigeren Themen.
    Ich habe keine Angst vor einer trans Frau in einer Toilette.

    Nein, ich habe Angst vor einer Szene, in der Menschen vergewaltigt werden können und es niemanden interessiert.

    Ich war hier, als 2014 auf einer linken Veranstaltung eine Person sexualisierte Gewalt erfuhr.
    Und ich war hier, als in den folgenden Jahren im VL Sprüche fielen wie „so, wie die herumgelaufen ist, wollte die das doch“.

    Ich war hier, als die betroffene Person in der Reile um Hilfe bat und stattdessen mit dem Problem allein gelassen wurde.

    Irgendwann war ich nicht mehr hier.

    Stattdessen bin ich weggezogen, weg aus einer Stadt, in der über trans Personen und Toiletten diskutiert wird, während die sexualisierte Gewalt in den eigenen Strukturen geflissentlich übersehen wurde.

    Heute bin ich wieder hier.

    Ich bin hier, weil es Menschen gibt, die sich diesen Normalzustand nicht mehr gefallen lassen wollen. Weil sich Strukturen entwickelt haben, die es möglicherweise vor acht Jahren gebraucht hätte.

    Ich bin hier, damit es eine Stimme gibt, die diese Strukturen kennt und die sagt, dass ihr genügend Schmutz unter eurem Teppich habt.

    Transfeindlichkeit

    Es wird ein Feindbild konstruiert, während mir Menschen freundlich ins Gesicht lächelnd sagen, dass sie mit mir ficken wollen, solange ich mich nicht verstümmele, wie die „echten trans Personen“. Aber das sei in Ordnung, immerhin sei es nur eine Einzelperson und zwar übergriffig, aber kein Grund, etwas an Strukturen zu ändern. Und ich solle mir doch überlegen, ob die Person nicht doch Recht hätte, so ne Operation sei immerhin schon eine einschneidende Erfahrung und ob ich mal über Reue nachgedacht hätte?

    Wir alle kennen Betroffene, aber niemand kennt Täter.

    In dieser Stadt werden Täterinnnen konstruiert, die nur durch ihre bloße Existenz bereits als Bedrohung für Frauen dargestellt werden, während cis Männer ungestraft sexualisierte Gewalt ausüben dürfen. Wer den Mund aufmacht, wird als Nestbeschmutzer_in wahrgenommen und der Konflikt vermieden. Immerhin sei ja niemand selbst dabeigewesen, ne? Und es gäbe ja immer zwei Perspektiven, außerdem ist er doch so ein cooler Typ und die Partys in der WG seien immer gut. Wäre doch ärgerlich, wenn das nicht mehr ginge.

    Ab leismus und Antifeminismus

    Transfeindliche Strukturen zeichnen sich immer auch dadurch aus, dass sie in letzter Konsequenz antifeministisch sind. Transfeindlichkeit für sich sollte ausreichen, aber machen wir uns nichts vor. Schlussendlich ist Transfeindlichkeit erst dann schlimm, wenn sie auch cis Frauen trifft. Oder Menschen, die sich noch nicht geoutet haben.

    Transgeschlechtlichkeit wird als psychische Erkrankung geframed und wir alle wissen: Psychische Erkrankungen sorgen für böse Menschen, für Monster. Auch so ist eine Pathologisierung, verbunden mit der Stigmatisierung psychischer Erkrankungen, nichts anderes als eine Dämonisierung von trans Personen. Verrückte wissen nicht, was sie tun und sind eine Gefahr für die „normale“, „cissige“ Gesellschaft.

    Die härtesten Auswirkungen dieses Framings spüren vor allem trans Personen in Großbritannien und den USA. Nachdem ensprechende Gesetze in u.A. Texas gekippt wurden, beschloss letzte Woche Alabama, dass in Schulen nicht mehr über queere Themen gesprochen werden darf und Eltern sich im Zweifelsfall strafbar machen, wenn sie ihr trans Kind unterstützen. Ebenso wurde jede medizinische Unterstüzung für trans Kinder verboten.

    Nichts davon ist wirklich weit weg. In Berlin müssen trans Personen bei der Charité üblicherweise einen Pädophilietest im Rahmen ihrer Zwangstherapie zur Transition machen. Leipzig verlangt drei Gutachten, was den Preis einer Transition noch einmal um durchschnittlich ein Drittel in die Höhe treibt. Und in Halle gründen sich Gruppen, die trans Frauen explizit aus ihrer Definition von „Frau“ ausschließen.

    Feministische Intervention gegen Täterschutz

    Wir alle kennen Betroffene, aber niemand kennt Täter.

    Das muss sich ändern. Der gefährlichste Ort für eine trans Person ist eine Beziehung mit einem cis Mann. Der gefährlichste Ort für eine cis Frau auch. Das Problem sind patriarchale Strukturen und die Erwartungshaltung, über den Körper anderer Personen bestimmen zu können. Der Großteil sexualisierter Gewalt passiert in Nahbeziehungen, der Großteil der Femizide geht von cis Männern aus, die ihren Anspruch auf den Körper ihrer Ex-Partnerinnen nicht aufgeben wollen.

    Anstatt trans Personen und vor allem trans Frauen als einen Feind darzustellen, brauchen wir einen Feminismus, der Betroffene schützt. Wir kennen alle Betroffene.

    Lasst uns Täter sichtbar machen und sie Konsequenzen spüren!

  • TDOV – 2022

    Ich bin zu autistisch, um mich in trans Räumen wohlzufühlen und zu trans für autistische Räume. Das macht den TDOV (trans day of visibility) jedes Jahr zu einem sehr… speziellen Event.

    Am wohlsten fühle ich mich, wenn ich Veranstaltungen leite, während ich bei sozialen Situationen regelmäßig vollständig versage. Das ist in Räumen, die vor allem queer geprägt sind, durchaus ein Problem. Schließlich sind dies einerseits die Räume, die mir eigentlich offen stehen sollten und andererseits – ganz pragmatisch – auch die Räume, die meine Bildungsarbeit in den meisten Fällen zur Multiplikation nutzen.

    Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit

    Das sorgt dafür, dass ich beim TDOV gleichzeitig sehr sichtbar und sehr unsichtbar bin. Ich bin sehr sichtbar, weil ich über trans und autistische Themen schreibe. Weil mich mittlerweile ein paar Leute kennen. Das sorgt dafür, dass angenommen wird, ich wäre in sozialen Situationen ähnlich kompetent wie in meinen Veranstaltungen. Ein Fehlschluss, der regelmäßig zu zwischenmenschlichen Katastrophen führt.

    (Disclaimer: Ich gebe mir sehr viel Mühe, zu maskieren. Sollte im Kontakt mit Lesenden dieses Textes das mal nicht geklappt haben und ihr von „die Situation ist eskaliert“ betroffen gewesen sein: Es tut mir leid. Ich mache das nicht absichtlich und gebe mir Mühe.)

    Drüber zu reden heißt nicht, dass mich Menschen verstehen

    Ich rede oft und viel über die Schwierigkeiten, die autistische Kommunikation macht. Gleichzeitig sind Menschen trotzdem erstaunt, dass soziale Situationen und ich zu einer explosiven Mischung führen.
    Vielleicht bin ich trotz aller (vor allem queeren) Sichtbarkeit doch nicht sichtbar genug?

    Ich will den diesjährigen TDOV auch dazu nutzen, auf neurodivergente trans Geschwister aufmerksam zu machen. Wir sind oft nicht in queeren Räumen, weil die soziale Struktur in queeren Räumen eine ganz eigene ist. Das sorgt dafür, dass queere Räume sehr oft eine emotional geprägte Kommunikation bevorzugen, die ich beispielsweise nicht leisten kann. Und damit sind neurodivergente trans Personen schlussendlich wieder unsichtbar.

    Bei den meisten Diskriminierungsformen findet Diskriminierung vor allem auch im Bereich der Kommunikation statt. Über wen wird geredet, mit wem wird geredet, welche Stereotypen werden reproduziert, welche Worte verwendet? Das ist sinnvoll. Dort anzusetzen, kann Dinge ändern.

    Gestörte Kommunikation

    Aber gerade bei Autismus ist die Kommunikation ein Problem. Es besteht ein fundamentales Missverständnis zwischen Erwartungen. Ich funktioniere anders als neurotypische Menschen.
    Intuitive Kommunikation wird als „normal“ vorausgesetzt.

    Und nein, ich weiß nicht, wie ich das ändern kann. Ich fühle mich nur gleichzeitig sehr sichtbar und sehr unsichtbar. Weil ich nicht vorgesehen bin. Weil ich immer wieder das Gefühl habe, „falsch“ zu sein.

    Und weil meine derzeitige Lösung ist, einfach keine private, soziale Situation zu haben. In meiner Rolle als Referent_in und Schreibendes bin ich ja gut. Klingt aber einsam.

  • Binäres System und Nichtbinarität – @coding_void


    CN für den gesamten Text
    Transfeindlichkeit, Misgendern, Dysphorie, binäres System

    Ein Gastbeitrag von @coding_void.
    Vor einigen Jahren habe ich mein Geschlecht noch ausschließlich als Nicht-Binär bezeichnet.
    Ich verwendete nur das Pronomen „es“, liebte meinen Buzzcut und wartete darauf, endlich mit Hormonen anfangen zu können. Nicht um einen „weiblicheren“ Körper zu haben, sondern einen, der weniger „männlich“ ist. Dennoch war da oft die unterschwellige Gewissheit, vor allem doch als Mann behandelt und wahrgenommen zu werden. Egal, wie sehr ich dies hasste. Das ich, egal was ich machen würde, zwangsläufig in der Fremdzuschreibung „Mann“ gefangen blieb. Es war dabei selten offenes Misgendern oder direktes Absprechen meines Geschlechtes, auch wenn ich das durchaus erlebt habe. Das Problem saß tiefer, in der grundlegenden Art und Weise, wie soziale Räume und Interaktionen um mich herum gestaltet waren. Wie ich mich (nicht) in sie integrieren konnte. Wie sich ein binäres System unterbewusst darstellt.

    Dies kann mensch aus verschiedenen Perspektiven betrachten.

    Fremdzuschreibung und Dysphorie

    Zum Beispiel aus der von Dysphorie und psychischer Gesundheit. Mit mir selber war ich zwar halbwegs glücklich. Aber das Wissen um die Art und Weise, wie ich von anderen Menschen wahrgenommen wurde, ließ mich verzweifeln. Dies wird in der Regel als soziale Dysphorie bezeichnet und ist etwas, worunter viele trans Personen leiden.

    Eine andere Interpretation würde sich auf die männlichen Privilegien konzentrieren, die ich durch diese Fremdzuschreibung angeblich hatte. Es stimmt sicher, dass z.B. meine Meinung ernster genommen wurde, als die von Menschen, die weiblich „gelesen“ wurden. Da gibt es viele weitere Beispiele.

    Die Ebene, dass diese Fremdzuschreibung gewaltvoll ist, wird dabei aber außen vor gelassen. Bei binären trans Personen wird meist noch anerkannt, dass die fortgesetzte Assoziation mit ihrem AGAB ein Ausdruck von Transfeindlichkeit ist. Diese löst bei vielen trans Personen signifikanten Leidensdruck aus. Bei nicht-binären trans Personen fällt diese Anerkennung eher weg. So wird strukturelle Gewalt gegen eine Person, wiederum als Teilhabe an struktureller Gewalt bewertet. Bei AMAB nicht-binären Menschen wird so häufig ihre Unterdrückung verunsichtbart und Teile davon sogar als Privileg geframed.

    Zwar halte ich es nicht für falsch, spezifische(!) Privilegien zu benennen, auch wenn sie im scheinbaren Widerspruch zum realen Leiden ihrer Träger*innen stehen. Aber wenn es um Umstände geht, bei denen Ursache der Privilegien gleichzeitig Ursache des Leidensdruckes ist, ist fragwürdig, ob es Privilegien sind.

    CN Suizid

    An dieser Stelle ist es mir wichtig, dass dies nicht als „verletzte Gefühle“ gegenüber materiellen Bedingungen dargestellt werden kann. Statistisch haben mehr als ein Drittel aller trans Personen einen Suizidversuch überlebt. Nur um einmal klar zu machen, worauf dieser abstrakte Leidensdruck, den ich hier beschreibe, nicht selten hinausläuft.

    Zugang zu Räumen

    Eine weiterer Aspekt, neben den direkten psychischen Auswirkungen, ist zum Beispiel der Zugang zu Schutzräumen. Ich hätte damals Schutzräume benötigt, aber praktisch standen mir keine offen. Selbst ernannte FLINTA*-Räume, vom Namen her also trans und nicht-binäre Menschen explizit einschließend, zogen keine praktischen Konsequenzen daraus. Das ist vielleicht gut gemeint, aber wertlos. Ein Raum, bei dem ich damit rechnen muss, mich Transfeindlichkeit auszusetzen, wenn ich ihn betrete, ist kein Schutzraum für mich.

    Unser binäres System von Geschlecht, das uns Geschlecht von Geburt an und jeden Tag aufs Neue, von außen zuschreibt, gab mir nur eine Möglichkeit der Annerkennung als „nicht-männlich“: Weiblichkeit.

    Meine Konsequenz war, stärker auf den transweiblichen Aspekten meiner Identität aufzubauen, um eine „Nicht-Männlichkeit“ erreichen zu können. Transfeminine Personen erleben natürlich auch Misgendering, Ausschluss aus Schutzräumen und im speziellen Transmisogynie und daraus folgende Gewalt.
    Für mich bot Transfeminität die einzige Chance, der geschlechtlichen Fremdzuschreibung als „Mann“ zu entkommen, der ich auch als offen nicht-binäre Person durchgehend ausgesetzt war.

    Heute kann ich mich z.B. leichter in FLINTA*-Räumen aufhalten als damals. Zumindest solange ich genug sichtbaren Aufwand betreibe, Weiblichkeit zu performen.
    Der Übergang zu einem primär transweiblichem Auftreten hat mir die Lebensqualität und Verbesserung meiner psychischen Gesundheit gegeben, die ich mir aus Outing und Transition erhofft hatte.
    Nicht dadurch, dass ich glücklicher mit meinem Körper wurde, sondern, dass ich endlich weniger als „Mann“ wahrgenommen werde.

    Auch wenn ich meine Weiblichkeit mag, musste ich erkennen, dass sie mir zum Teil aufgezwungen wurde und wird.
    Ich würde gerne wieder einen Buzzcut tragen und mich allgemein gender non-conforming präsentieren. Aber der Effekt darauf, wie (nicht-)männlich ich von anderen Menschen wahrgenommen werde, hindert mich daran.

    Die Ironie, dass ich, als nicht-binäre Person, dadurch nicht nur Zweigeschlechtlichkeit, sondern auch stereotype Weiblichkeit reproduziere, ist mir bewusst.

  • Sozialisiert im Patriarchat

    Kürzlich las ich (erneut) diesen Text von Jeja Klein. Jeja schreibt darüber, wie es ist, immer wieder zur Frau gemacht zu werden und selbst wenig tun zu können, dieser Zurichtung von außen zu entkommen. Daraufhin fragte Kim Posster, ob es solche Texte auch in Bezug auf Männlichkeit(en) gäbe – ihm wäre nichts bekannt. Ab jetzt gibt es so einen Text. Oder den Versuch davon. Sozialisiert im Patriarchat, zwei nichtbinäre Perspektiven.

    Wir sind zwei nichtbinäre, neurodiverse Menschen. Eins von uns wird innerhalb dieser Gesellschaft zur Frau gemacht, erfährt Sexismus, Misogynie, sexualisierte Gewalt im öffentlichen Raum. Wurde weiblich sozialisiert. Irgendwie.
    Das andere nicht. Die Perspektiven der afab Person werden in fett dargestellt, die Perspektiven der amab Person in kursiv. (Eins von uns ist außerdem inter, aber das ist Material für einen anderen Text.)

    AFAB

    Manchmal will ich nicht mehr trans sein. Testo hat mich mit meinem Körper versöhnt, ich bin zufrieden mit der tiefen Stimme, dem veränderten Körperfettanteil, dem leichten Bartschatten. Es hat meinen Kleidungsstil nicht beeinflusst, ich liebe Röcke, Kleider, Strumpfhosen, Hotpants, Overknees. Es hat meine Füße vergrößert, was meiner Schuhsammlung ein trauriges Grab und ein bewusstes Auferstehen bescherte. Aber solange ich mich nicht anstrenge, werde ich nicht als Mann wahrgenommen – entweder als androgyne Frau, als vorpubertärer Junge oder als trans Frau (ohne Passing). Kommt natürlich immer auch daran, ob ich Binder trage (und mir damit die Brüste flachdrücke) oder BH (und meine Rückenschmerzen sich in Grenzen halten).
    (Und wenn ich mich anstrenge, fühle ich mich unwohl und wie verkleidet. Also lasst mir meinen Stil, okay?) Und das ist nur die Außenwahrnehmung. Geht es um Konflikte oder zwischenmenschliche Erwartungen, fühle ich mich immer wieder weiblich sozialisiert.

    AMAB

    Ich möchte manchmal mehr Bart haben – und manchmal gar keinen. Brüste wären schön und ein bisschen weniger Behaarung. Aber eine Östrogen HRT oder Testoblocker sind nicht der richtige Weg für mich (ich habe es ausprobiert). Eine Testo-HRT, so stark dosiert, dass mir schon wieder Brüste wachsen, klingt manchmal verführerisch. Aber in den meisten Fällen möchte ich mich nicht mit meinem Körper beschäftigten. Es ist so anstrengend. Es gibt für mich keinen „richtigen“ Weg, meinen Körper zu verändern – nur unterschiedlich falsche. Also lasse ich es so, wie es ist.

    AFAB

    Meine Pronomen sind es/nims oder they/them. Jedes Mal, wenn ich mich vorstelle, muss ich erklären, dass ich trans bin, dass es nicht entmenschlichend ist, über mich mit „es“ zu sprechen und das Leute bitte aufhören sollen, ihre persönlichen Befindlichkeiten diesbezüglich über meine Wünsche zu stellen. Dabei bin ich manchmal höflich und manchmal laut. Danach fühle ich mich schlecht – weiblich sozialisiert. Ich bin in einem dauerhaften Outing-Prozess, es nicht zu tun, ist keine Option, wenn ich nicht jedes Mal zusammenzucken will. Ich habe einen neutralen Namen, selbst, wenn ich mich nicht als „nichtbinär“ vorstelle, kommen Fragen. (Ist das dein echter Name? Wie heißt du wirklich? Wie war dein Deadname?)

    AMAB

    Meine Pronomen sind er/ihm oder they/them. In den meisten Fällen nutzen Menschen einfach er/ihm. Das ich kein cis Mann bin, ist in meinem Umfeld bekannt, außerhalb dessen bin ich ungeoutet. Aber auch in diesem engen Kreis vergessen Menschen oft, dass ich kein Mann bin. Ich bin ageschlechtlich, ich habe keinen Zugang zu dem Konzept „Geschlecht“. Jeder Erklärungsversuch scheitert an meiner Wortlosigkeit, es korrekt zu beschreiben. Die Zuschreibung überlasse ich deshalb dem außen – wenn ich als Mann wahrgenommen werde, macht mich das dysphorisch, aber in dieser Gesellschaft habe ich nichtsdestotrotz Vorteile dadurch. Ich erlebe Schwulenfeindlichkeit, Femininitätsfeindlichkeit, aber keine explizite Transmisogynie. Ich werde in Ruhe gelassen. Männlich sozialisiert. Ich ertrage lieber, dauerhaft misgendert zu werden, als mich dieser offenen Feindlichkeit zu stellen. Habe die Wahl, zwischen zwei falschen Entscheidungen die zu wählen, die Privilegien mit sich bringt.

    AFAB

    Ich habe diese Wahl nicht. Manchmal nehme ich them übel, dass they diese, meine Kämpfe nicht führen muss. Ich werde seltener misgendert, aber ich werde immer als „das seltsame Andere“ wahrgenommen. Das Patriarchat macht mich zu einer Frau – oder versucht es zumindest. Und es ist sehr hartnäckig. Leuten ein „Ich bin KEINE FRAU“ entgegenzuschleudern, ist meistens nicht ausreichend. Meine Identität ist in dieser Gesellschaft unerheblich dafür, wie ich behandelt werde.

    AMAB

    Das Patriarchat macht mich zu einem Mann – und solange ich nichts aktiv dagegen tue, bekomme ich dadurch Raum. Es schließt mich aus FLINTA-Räumen aus (weil diese oft nur für cis Frauen und afab nichtbinäre Menschen wirklich safe sind), aber ich weiß auch meistens nicht, was ich in diesen Räumen soll. Ich bin FLINTA (sogar mehrere dieser Buchstaben gleichzeitig), aber sexualisierte Gewalt erfahre ich nicht. Zwar erlebe ich Transfeindlichkeit, aber auch männliche Privilegien.

    Ich werde auf der Straße und in der Gesellschaft nicht sexualisiert. Es ist kompliziert. Die Vereinfachung vieler Diskurse sieht mich nicht vor – und ich nehme nicht teil. Einerseits, weil ich wenig Grund habe, mich zu beschweren, andererseits, weil die Kämpfe meiner afab Geschwister und trans Frauen derzeit wichtiger, lebensbedrohlicher sind. Aber dieses „dazwischen“ ist ebenfalls kein Raum, in dem ich teilhaben kann. Ich bin unsichtbar, unsichtbar in einer Sicherheit in dieser Welt, die nicht selbstverständlich ist. Ich werde oft als schwul oder queer wahrgenommen, auch wenn nur letzteres zutrifft.

    AFAB

    Für mich waren schwule Räume, tuntige Räume Orte der Selbstermächtigung. Orte, an denen ich sein konnte und mich wohl fühlte. An denen ich nicht sexualisiert wurde – oder in einer Art sexualisiert wurde, die ich wollte. Orte, an denen ich selbst entscheiden konnte, wie ich mit meiner Männlichkeit umgehen wollte und wie viel Weiblichkeit ich zulassen will. An denen maskuline Personen im Kleid keine Lächerlichkeit sind und nicht hinterfragt werden. Tuntige Räume gaben mir immer mehr Sicherheit als sogenannte FLINTA-Räume oder queere Räume – auch aus persönlichen Gründen. Der Umgangston in schwulen, tuntigen Räumen ist für mich gut umsetzbar, gesellschaftliche Konventionen in FLINTA-Räumen erschließen sich mir nicht immer. Und ausgeschlossen zu werden, weil die eigene Kommunikation falsch ist, erlebe ich zu oft (ganz ohne männliche Privilegien).

    AMAB

    Ich bin männlich sozialisiert. An mich wurde immer eine Erwartungshaltung herangetragen, die mit der, die cis Männer erfahren, identisch ist. Diese Erwartungshaltung konnte ich für mich annehmen, ich hatte aber auch das Gefühl, ich würde von „weiblichen“ Erwartungen eher angesprochen. Wissentlich, dass es Erwartungen sind, die an Frauen gestellt wurden, dennoch überwog ein „ich weiß, was ihr von mir wollt, aber ich finde alles komisch“. Ich fand geschlechtliche Erwartungen, die an mich gestellt wurden, gleichbleibend seltsam. Mein Umfeld hatte damit jedoch einen anderen Umgang als ich.

    Mein inneres Outing war eher ein „okay, männlich stimmt nicht, aber weiblich stimmt auch nicht und eigentlich ist es mir egal, und das ist okay“. Ich würde nicht behaupten, dass das eine allgemeingültige Erfahrung ist, die alle amab nichtbinären Personen machen, aber ich kann sie für mich annehmen. Gleichzeitig bin ich kein Mann – ich gehe als einer durch, aber ich bin es nicht. Ich habe kein positives/negatives Verhältnis zu Männlichkeit, ich sehe nur die Erwartungen, das Kommunikationsverhalten, die Unfähigkeiten, die mir durch dieses „für einen Mann gehalten werden“ vermittelt wurden.

    Fazit

    Sozialisiert werden ist eine individuelle Erfahrung, die gleichzeitig immer wieder auf gesellschaftliche Rollen zurückwirft. Andererseits sind es nicht unsere Identitäten, auch wenn sich Erfahrungen ähneln. Ähnlich wie dieser Beitrag die Erfahrungen von cis und trans Frauen gegenüberstellt, sind auch unsere Erfahrungen teilweise diametral. Wir müssen beide mit der Tatsache leben, niemals als nichtbinär erkennbar zu sein. Gleichzeitig ist es für them einfacher, zum Mann, zum Subjekt gemacht zu werden, denn als Frau, als „das andere Geschlecht“ zu überleben. Unser Umgang ist ein gemeinsamer. Gemeinsam gegen das Patriarchat. Erfahrungen abgleichen. Miteinander leben und kämpfen. Schutzräume schaffen, in denen Nichtbinarität die Norm ist. Und immer wieder kritisch Erfahrungsräume hinterfragen. Nichtbinarität ist eine leere Schablone, es gibt keine Erwartungen, nur Perversität.

  • TDOR – Trans day of remembrance

    CN Mord, Transfeindlichkeit, Suizid, Feminizid, TDOR

    Ein Jahr ist vorbei – ich lebe noch. Viele andere trans Personen nicht mehr.

    Es ist der 20. November, es ist trans day of remembrance (TDOR), der Tag, an dem wir um die getöteten trans Personen des vergangenen Jahres trauern und um jene, die diese transfeindliche Welt nicht mehr ertrugen.

    Es waren 375 Menschen, die aufgrund ihrer Transgeschlechtlichkeit ermordet wurden, der Großteil von ihnen waren Sexarbeiter_innen. Transfeminine Personen sind, wie jedes Jahr, deutlich öfter betroffen als transmaskuline Personen.

    Hier könnt ihr ihre Namen nachlesen – und ihre Geschichten, soweit bekannt und eine Veröffentlichung gewünscht wurde. Die Namensliste ist als pdf verfügbar. Sie wird jedes Jahr zum TDOR aktualisiert.

    Einsamkeit

    Ich wurde – wie jedes Jahr – zu Gedenkveranstaltungen eingeladen. Und habe – wie jedes Jahr – abgesagt. Ich kann nicht in Gesellschaft trauern – auch wenn unsere Trauer etwas politisches hat. Wir trauern, wir klagen an. Alle von uns trauern um Leben, die aus ideologischen, hasserfüllten Gründen beendet wurden. Wir trauern um jene Geschwister, die wir nur als Namensliste des Todes kennen. Wir trauern, weil wir wissen, wie es ihnen geht, wie es ist, mit Hass und Gewalt aufgrund der geschlechtlichen Existenz umgehen zu müssen.

    Ich sitze zu Hause, alleine. Lese die Namen, ich lese die Geschichten. Sitze in eine Decke gewickelt in meinem Zimmer und fühle mich leer. Ich möchte kämpfen, ich möchte schreien – aber ich der 20. November gehört der Stille und dem Schmerz.

    Familie

    Er gehört dem Nachdenken über eine Familienstruktur, die aus der Abweichung der geschlechtlichen Norm entsteht: trans Personen sind Geschwister. Ich zünde eine Kerze an. Dabei kenne ich keine der betroffenen Personen persönlich. Ich weiß nicht, ob wir uns verstanden hätten, uns sympathisch gewesen wären. Und trotzdem eint uns das trans Sein in dieser Welt, einer Welt, die noch immer nicht freundlich gegenüber Menschen wie uns eingestellt ist – weltweit. Der TDOR ist das Gegenstück zum trans day of visibility, wo ich mich sichtbar und stolz zeigen kann.

    Familien streiten sich, Familien können dysfunktional und toxisch sein. Alles davon trifft auch auf die trans Familie zu – und trotzdem sind es meine Leute. Und wenn sie ermordet werden, weil sie trans sind, dann ist jeder dieser Morde etwas, das den Rest der Familie daran erinnert, was uns passieren kann.

    Dieses Jahr ist die Erinnerung schmerzdurchsetzt, ich sehe, wie in Deutschland, Polen, Texas, Großbritannien (und das sind nur die ersten Länder, die mich durchzucken) unsere Rechte weiter beschnitten werden. Ich sehe, wie eine Welle transfeindlichen Hasses, ideologisch getränkt, durch Europa rollt. Sehe Menschen, die mir politische Standpunkte absprechen wollen, weil ich trans bin. Ich sehe die Angst in den Gesichtern meiner Geschwister, wenn es um politische Entwicklung geht. Sehe, wie transfeindliche Übergriffe und politische Aussagen zunehmen.

    CN Suizid

    Ich gedenke Ella, die sich am 14. September in Berlin das Leben nahm.

    Ich denke an Jugendliche, die ich begleitet habe und versucht, ihre Hoffnungslosigkeit zu mildern.
    Bei einigen weiß ich nicht, ob sie ihre Transition beginnen konnten, ob sie ihr Outing geschafft haben, ob sie (noch) leben oder ob ihre Depressionen zu stark wurden. Ich möchte nicht in einer Welt leben, in der trans Kinder wissen, was Suizid ist und sagen, dass sie lieber sterben würden, als noch weitere fünf Jahre durch eine Pubertät gehen zu müssen, die sie dysphorisch macht.

    Schmerz

    Dieser Text ist deutlich weniger durchdacht und analytisch als das, was ich normalerweise versuche zu schreiben. Gleichzeitig passt er zu den Gedankenfetzen, die in meinem Kopf umherschwirren und die alle ähnliche, hässliche Bilder zeigen.

    Ich blicke in die Kerzenflamme. Ich kann nicht weinen, aber ich kann trauern. Alleine, zu Hause, für mich. Und gleichzeitig habe ich diesen Text geschrieben, eine Anklage, eine Trauerrede, ein Bedürfnis – vor allem für cis Menschen, für diejenigen, die nicht ermordet werden, weil sie cis sind. Die ermordet werden, weil sie Frauen sind, durch Feminizide und die sich im Tod mit trans Personen gemeinsam treffen.

    Ich will nie wieder tote Frauen sehen, ob cis, ob trans. Ich will nie wieder tote trans Personen sehen, die ermordet wurden oder sich suizidiert haben, weil sie trans sind.

  • „Anarchie Déco“ von J. C. Vogt – Rezension

    Berlin. Die letzten Bücher, die ich begeistert verschlang, führten mich allesamt nach Berlin.
    Sei es in „Berlin, rostiges Herz„, oder „Berlin, magische Knochen“ (Rezension folgt noch).
    So auch Anarchie Déco, von J. C. Vogt.

    Gott zaubert nicht.

    Albert Einstein

    Wir sehen, ich habe eine ganz eigene Verbindung zu unserer Hauptstadt – unter anderem einen tiefen, emotionalen Hass gegenüber dem Berliner Hauptbahnhof, der mich regelmäßig in einen Overload versetzt.

    In „Anarchie Déco“ von Judith C. Vogt aus dem Fischerverlag spielt der Berliner Hauptbahnhof glücklicherweise nur eine untergeordnete Rolle, stattdessen geht es um Anarchie, Magie, Kommunismus, Nationalismus, Rassismus, Sexismus, Misogynie, Transfeindlichkeit, Antisemitismus. Klingt erst einmal heftig? Keine Angst. Es wird gut! (Außerdem spielt Einstein auf seiner Geige, das könnt ihr euch nicht entgehen lassen!)

    Jugendstil

    Das Cover ist im Jugendstil gehalten, eine leuchtende Kugel, eine stilisierte Figur. Ich persönlich genieße diese Unaufgeregtheit und die fließenden Linien sehr. Die Schriftart des Titels erinnert mich an die Leuchtstoffröhren alter Lichtspielhäuser, ich erwarte beinahe, dass sie zitternd und flackernd zum Leben erwachen, um mich vom Cover aus anzustrahlen. Stattdessen schlage ich das Buch auf.

    Inhaltlich möchte ich nicht zu viel verraten, nur soviel, dass es bis zur letzten Seite spannend bleibt, wer hinter den verübten Verbrechen steht. Magie, so wurde entdeckt, ist die physikalische Verschmelzung von Kunst und Wissenschaft – andererseits kann sie auch selbstbestimmt und alleine geformt werden, wenn auch nicht von allen Personen.

    Diversität

    Die Hauptfigur ist eine Schwarze Frau, die Nebenfiguren sind teilweise jüdisch, trans, nicht-weiß, lesbisch, schwul – im Kontext Diversität ist dieses Buch eine erfrischende Abwechslung, da nicht in die übliche Klischeekiste gegriffen, sondern die Betroffenheit der Figuren zur Ausarbeitung des Charakters notwendig gemacht wurde. Wir begleiten die Protagonist_innen durch Berlin, auf der Suche nach der Lösung geheimnisvoller Morde und magischer Varieté-Einlagen. (Und einem Aufbewahrungsort für Unmengen geklöppelter Spitzendeckchen, aber ich will nicht zu viel verraten.)

    Die gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten sind in die Handlung eingeflochten, ohne bemüht moralinsauer zu wirken. Es hat – als trans, als behinderte, als nicht-weiße Person, Spaß gemacht, dieses Buch zu lesen und mich in einem Berlin der 20er Jahre zu verlieren. Über politische Aspekte grinste ich, ich fühlte mich in den Schwarzen Scharen eigentlich gut aufgehoben. Dennoch war es nicht zu romantisierend, nicht zu friedvoll gezeichnet. Politische Debatten der damaligen Zeit habe ich als wertschätzend, wenn auch nicht tiefergehend nachverfolgbar gezeichnet erlebt – eine gute Entscheidung, könnte doch ein Roman (so gut recherchiert er auch sein mag) niemals die tatsächlichen Debatten der damaligen Zeit (oder auch heute) in vollem Umfang darstellen.

    Fazit

    Das Ende ist offen. Möglicherweise erleben wir noch einen zweiten Teil, das andere Hosenbein der Zeit, das uns in ein anarchistisches oder kommunistisches Berlin der 30er Jahre entführt?

    Das Buch wurde mir freundlicherweise als Rezensionsexemplar vom Verlag zur Verfügung gestellt. Ich danke.

  • Meine Grenzen, eure Grenzen – autistische Empathie

    Autist_innen sind nicht empathisch, so das herkömmliche Klischee. Wir sind nicht in der Lage, Trost zu spenden (zumindest nicht so, wie neurotypische Leute sich das erwarten) und von emotionaler Kälte (so unser allseits verachteter Hans Asperger). Aber was ist eigentlich Empathie?

    Empathie bezeichnet die Fähigkeit und Bereitschaft, Empfindungen, Emotionen, Gedanken, Motive und Persönlichkeitsmerkmale einer anderen Person zu erkennen, zu verstehen und nachzuempfinden.[1][2] Ein damit korrespondierender allgemeinsprachlicher Begriff ist Mitgefühl.

    Zur Empathie wird gemeinhin auch die Fähigkeit zu angemessenen Reaktionen auf Gefühle anderer Menschen gezählt, zum Beispiel Mitleid, Trauer, Schmerz und Hilfsbereitschaft aus Mitgefühl.[3] Die neuere Hirnforschung legt allerdings eine deutliche Unterscheidbarkeit des empathischen Vermögens vom Mitgefühl nahe.[4][5]

    Wikipedia, ist ja kein wissenschaftliches Arbeiten hier.

    Spannend finde ich den ersten Teil, vor allem die Persönlichkeitsmerkmale, Gedanken und Motive anderer Personen zu erkennen, zu verstehen und nachzuempfinden.

    Oft, wenn ich mit anderen Menschen in Kontakt trete, sprechen wir recht schnell über deren persönliche Belange, ihre Geschichte, aber auch ihre Traumata, ihre psychischen Problematiken und ihren Umgang damit. Ich sage gerne, wie ich Menschen und Situationen wahrnehme. Sehr oft treffe ich damit zielsicher wunde, schmerzhafte Punkte bei meinen Mitmenschen. Ich mache das nicht absichtlich, zumindest nicht insofern, als das ich weiß, dass es sich um wunde Punkte handelt. Ich halte es einfach für einen offensichtlichen Beitrag zur Unterhaltung, für etwas, das anderen Menschen ebenso sichtbar sein müsste wie mir.

    Ist es nicht, habe ich schmerzhaft gelernt.

    Reaktionen

    Schmerzhaft, denn Menschen reagieren sehr unterschiedlich auf meine Art, das für mich offensichtliche, zu benennen. Die eine Hälfte wird wütend, geht und wir haben nie wieder Kontakt. Die andere Hälfte ist sehr dankbar dafür. Kann aber auch nicht sagen, warum ich so anders reagiere als die meisten anderen Menschen, mit denen sie vorher sprachen.

    Menschen agieren nicht logisch. Aber ihre Verhaltensweisen, ihr Umgang mit Situationen, beruht auf einem sehr logischen Konzept von Ursache und Wirkung. (Und von Privilegien und Unterdrückung).
    Patriarchale Strukturen sind real. Wenn mir ein cis Mann gegenübersitzt, der auf emotionale Anspannung mit Wut reagiert, dann ist es keine Raketenwissenschaft, dieses Verhalten auf patriarchale Strukturen zurückzuführen. (Emotionen müssen unterdrückt werden, die einzig erlaubte Emotion ist Wut.) Andererseits scheint es durchaus Raketenwissenschaft zu sein, immerhin hat das den cis Typen noch niemand gesagt.
    (Vielleicht, weil Wut oft Angst oder ihrerseits Wut hervorruft und das einer Analyse eher abträglich ist.)

    Empathie?

    Ich scheine also durchaus empathisch zu sein.

    Andererseits, der zweite Teil dieser Definition, mit den eigenen Erkenntnissen „angemessen“ umzugehen, scheint bei mir tatsächlich nicht zu funktionieren. Ich halte die Regeln menschlicher Kommunikation für ein wirres Durcheinander. Dreimal zu oft mit Kaffee übergossen und mindestens zweimal an den wichtigen Stellen angekokelt.

    Bin ich also empathisch? Vielleicht „zu“ empathisch? Bin ich empathisch aber nicht in der Lage, das eindeutig zu kommunizieren? Bin ich nicht empathisch, aber auf offensichtliche Art und Weise grausam?
    Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung.

    Wenn ich mit Menschen kommuniziere, dann möchte ich sie bestimmt nicht verletzen. Ich möchte auch nicht, dass sie sich „durchleuchtet“ fühlen, gleichzeitig kommuniziere ich immer aus einer analytischen Ebene heraus. Das macht den Umgang für viele Leute nicht einfacher. Ist es doch schlussendlich (wie immer) nicht die übliche Art, mit der neurotypische Leute kommunizieren.

    Möglicherweise ist auch das der Grund, warum wir als „nicht zur Empathie fähig“ wahrgenommen werden.
    Die Erwartungen der meisten Personen, die uns diagnostizieren und wissenschaftlich untersuchen, sind neurotypisch, ihre Kommunikation ist es auch.

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