Schlagwort: sexualisierte Gewalt

  • Wir alle kennen Betroffene – Redebeitrag Halle 14.4.22

    In diesem Text wird sexualisierte Gewalt, Übergriffigkeit, Transfeindlichkeit und Ableismus thematisiert. Betroffene verdienen mehr als das hier. Der Beitrag begann mit einer Minute für Jess, um ihr alles Gute und schnelle Genesung zu wünschen.

    Prioritäten

    Wir alle kennen Betroffene, aber niemand kennt Täter.

    Willkommen in der Stadt, in der über trans Personen und Toiletten diskutiert wird, als gäbe es keine wichtigeren Themen.
    Ich habe keine Angst vor einer trans Frau in einer Toilette.

    Nein, ich habe Angst vor einer Szene, in der Menschen vergewaltigt werden können und es niemanden interessiert.

    Ich war hier, als 2014 auf einer linken Veranstaltung eine Person sexualisierte Gewalt erfuhr.
    Und ich war hier, als in den folgenden Jahren im VL Sprüche fielen wie „so, wie die herumgelaufen ist, wollte die das doch“.

    Ich war hier, als die betroffene Person in der Reile um Hilfe bat und stattdessen mit dem Problem allein gelassen wurde.

    Irgendwann war ich nicht mehr hier.

    Stattdessen bin ich weggezogen, weg aus einer Stadt, in der über trans Personen und Toiletten diskutiert wird, während die sexualisierte Gewalt in den eigenen Strukturen geflissentlich übersehen wurde.

    Heute bin ich wieder hier.

    Ich bin hier, weil es Menschen gibt, die sich diesen Normalzustand nicht mehr gefallen lassen wollen. Weil sich Strukturen entwickelt haben, die es möglicherweise vor acht Jahren gebraucht hätte.

    Ich bin hier, damit es eine Stimme gibt, die diese Strukturen kennt und die sagt, dass ihr genügend Schmutz unter eurem Teppich habt.

    Transfeindlichkeit

    Es wird ein Feindbild konstruiert, während mir Menschen freundlich ins Gesicht lächelnd sagen, dass sie mit mir ficken wollen, solange ich mich nicht verstümmele, wie die „echten trans Personen“. Aber das sei in Ordnung, immerhin sei es nur eine Einzelperson und zwar übergriffig, aber kein Grund, etwas an Strukturen zu ändern. Und ich solle mir doch überlegen, ob die Person nicht doch Recht hätte, so ne Operation sei immerhin schon eine einschneidende Erfahrung und ob ich mal über Reue nachgedacht hätte?

    Wir alle kennen Betroffene, aber niemand kennt Täter.

    In dieser Stadt werden Täterinnnen konstruiert, die nur durch ihre bloße Existenz bereits als Bedrohung für Frauen dargestellt werden, während cis Männer ungestraft sexualisierte Gewalt ausüben dürfen. Wer den Mund aufmacht, wird als Nestbeschmutzer_in wahrgenommen und der Konflikt vermieden. Immerhin sei ja niemand selbst dabeigewesen, ne? Und es gäbe ja immer zwei Perspektiven, außerdem ist er doch so ein cooler Typ und die Partys in der WG seien immer gut. Wäre doch ärgerlich, wenn das nicht mehr ginge.

    Ab leismus und Antifeminismus

    Transfeindliche Strukturen zeichnen sich immer auch dadurch aus, dass sie in letzter Konsequenz antifeministisch sind. Transfeindlichkeit für sich sollte ausreichen, aber machen wir uns nichts vor. Schlussendlich ist Transfeindlichkeit erst dann schlimm, wenn sie auch cis Frauen trifft. Oder Menschen, die sich noch nicht geoutet haben.

    Transgeschlechtlichkeit wird als psychische Erkrankung geframed und wir alle wissen: Psychische Erkrankungen sorgen für böse Menschen, für Monster. Auch so ist eine Pathologisierung, verbunden mit der Stigmatisierung psychischer Erkrankungen, nichts anderes als eine Dämonisierung von trans Personen. Verrückte wissen nicht, was sie tun und sind eine Gefahr für die „normale“, „cissige“ Gesellschaft.

    Die härtesten Auswirkungen dieses Framings spüren vor allem trans Personen in Großbritannien und den USA. Nachdem ensprechende Gesetze in u.A. Texas gekippt wurden, beschloss letzte Woche Alabama, dass in Schulen nicht mehr über queere Themen gesprochen werden darf und Eltern sich im Zweifelsfall strafbar machen, wenn sie ihr trans Kind unterstützen. Ebenso wurde jede medizinische Unterstüzung für trans Kinder verboten.

    Nichts davon ist wirklich weit weg. In Berlin müssen trans Personen bei der Charité üblicherweise einen Pädophilietest im Rahmen ihrer Zwangstherapie zur Transition machen. Leipzig verlangt drei Gutachten, was den Preis einer Transition noch einmal um durchschnittlich ein Drittel in die Höhe treibt. Und in Halle gründen sich Gruppen, die trans Frauen explizit aus ihrer Definition von „Frau“ ausschließen.

    Feministische Intervention gegen Täterschutz

    Wir alle kennen Betroffene, aber niemand kennt Täter.

    Das muss sich ändern. Der gefährlichste Ort für eine trans Person ist eine Beziehung mit einem cis Mann. Der gefährlichste Ort für eine cis Frau auch. Das Problem sind patriarchale Strukturen und die Erwartungshaltung, über den Körper anderer Personen bestimmen zu können. Der Großteil sexualisierter Gewalt passiert in Nahbeziehungen, der Großteil der Femizide geht von cis Männern aus, die ihren Anspruch auf den Körper ihrer Ex-Partnerinnen nicht aufgeben wollen.

    Anstatt trans Personen und vor allem trans Frauen als einen Feind darzustellen, brauchen wir einen Feminismus, der Betroffene schützt. Wir kennen alle Betroffene.

    Lasst uns Täter sichtbar machen und sie Konsequenzen spüren!

  • Der Plot – Interview

    Der Plot – Interview

    Vor ein paar Wochen zeigte mir ein sehr guter Freund einen Song. Genauergesagt zwei Songs, einmal „Triggerwarnung“ und einmal „Casey Affleck“ von Der Plot. Er hatte Sorge, dass mich vor allem „Casey Affleck“ triggern könnte. Stattdessen fand ich den Song heftig, aber ermutigend. Beides erschienen auf „Biedermann & Brandstifter“, 2020.

    Gleichzeitig ließ es mich nicht los. Musik zu hören ist das eine, aber ich habe schon in der Schule Gedichtinterpretationen gehasst. „Was hat sich die_r Autor_in beim Schreiben gedacht?“ Weiß ich doch nicht, fragt ihn! (Ja, das ist ein Sally-Ann-Problem. Ja, ich bin Autist_in.)

    Der Vorteil gegenüber Gedichtinterpretationen ist, dass ich heute Menschen fragen kann. Ich wollte wissen, was sich Der Plot bei dem Album gedacht hatte. Wollte wissen, was sie bewegt hat, einen Song aus Täterperspektive zu schreiben. Ich wollte wissen, ob sie sich mit eigener Täterschaft auseinandergesetzt haben. (Und natürlich habe ich mir auch die alten Alben angehört und wollte wissen, ob die politische Entwicklung performativ sei.)

    Minzgespinst:

    Wie kam der Song „Casey Affleck“ zustande? Was hat euch bewogen, den Song aus der Sicht des Täters zu schreiben? Casey Affleck und Weinstein sind große Namen, der Beginn klingt dagegen wie jeder Täter auch aus linken Kontexten. Wie geht ihr damit um, dass das ihr oder eure Kumpels sein könnten?

    Der Plot:

    Elmäx: Conny hat mir die Skizze von seinem Vers geschickt. Die lag lange rum bis ich einen Weg gefunden habe, einen eigenen Ansatz zu finden. Ich fühlte mich dem Thema nicht gewachsen und hatte das Gefühl, Conny ist da ein paar Schritte weiter als ich. Gleichzeitig habe ich aber direkt gespürt, dass dieses Thema unbedingt auf dem Album stattfinden muss. Ich habe unter Anderem das Buch „Vergewaltigung“ von Mithu Sanyal gelesen aber fühlte mich danach noch unsicherer das Thema anzugehen. Wie soll ich denn einen wichtigen Beitrag zu diesem Thema geben?

    Je mehr man sich einliest, desto wichtiger werden die Stimmen der Geschädigten, die tagtäglich damit umgehen müssen. Schlussendlich habe ich mich entschlossen eine Art Schauspieler Modus einzunehmen und wollte mich an der Täter-Opfer-Umkehr abarbeiten. Diese 16 Zeilen sind ekelhaft, mir wurde schlecht als ich das geschrieben habe. Das bin nicht ich, der das sagt, aber ich habe gemerkt da steckt wohl ein Teil von mir mit drin. Es geht gar nicht so sehr darum was gesagt wird, sondern das Wie bereitet mir Unbehagen.

    CONNY: Ich denke die Wucht von Max‘ Part besteht vor allem darin, dass nicht genau erkennbar ist, wer hier spricht. Es könnte sehr gut jemand aus einem linken Umfeld sein – aber auch eben auch eine Person aus einem anderen Milieu. Gerade dadurch wird es so bedrohlich, denn oft passiert sexualisierte Gewalt in vermeintlichen Safespaces. Umso mehr ein Anlass für uns, uns mit der Struktur von Männlichkeit und unserer persönlichen Verortung darin auseinanderzusetzen.

    Minzgespinst

    Viel auf „Biedermann und Brandstifter“ packt ernste Themen in Satire und Überspitzung (z.B. frische Avocados, Mama Porzellan). Dazwischen immer wieder ernste Themen wie Casey Affleck und Leuchten. Wie lässt sich dieser Widerspruch aushalten?

    Der Plot:

    Elmäx: Der Mensch an sich ist doch der größte Widerspruch überhaupt. Ich habe heute morgen erst Avocados gegessen, ohne darüber nachzudenken, ich steige in den nächsten Flieger, um Urlaub in der Sonne zu machen und wenn es regnet, geh ich nicht auf die Demo. Es ist wichtig zu checken, dass niemand perfekt ist und wir falsche Dinge aus richtigen Absichten machen oder andersherum. Für mich ist das auf dem Album kein Widerspruch, sondern wieder ein Perspektivwechsel. Nicht alles ist schwarz oder weiß, Brandstifter oder Biedermann; sondern wir sind viele Graustufen dazwischen.

    Minzgespinst:

    Das Album beginnt mit einer Triggerwarnung – gleichzeitig wird nicht spezifiziert, vor was gewarnt werden soll. Innerhalb der Trauma-Community gibt es zwiespältige Meinungen bezüglich Triggerwarnungen. Was wollt ihr mit dem Song aussagen? Soll er wirklich als Triggerwarnung verstanden werden oder als Metapher?

    Der Plot:

    Elmäx: Für uns war es wichtig, dass Hörer*innen für die Inhalte vom Album sensibilisiert werden und das Album als Gesamtwerk verstehen; Songs oder Textzeilen immer im Kontext bewerten und nicht losgelöst. Nach dem Lesen des Artikels muss ich zugeben, ich war mir der Tragweite, welche Bedeutung eine Triggerwarnung für Geschädigte haben kann, nicht bewusst. Vielleicht würden wir den Song heute anders machen und konkreter auf die einzelnen Trigger eingehen oder gar den Gebrauch von Triggerwarnungen thematisieren. Eine Triggerwarnung wie zB. vor unserem Video bei „Casey Affleck“ halte ich für sehr wichtig, dort wird eben auch direkt angesprochen, worum es inhaltlich in dem Video geht.

    CONNY: Der Song ist definitiv als Metapher zu verstehen. Wir setzen uns auf einem Deutschrap-Album kritisch mit Männlichkeit, Fussball und Konsumismus auseinander – das sind aber drei wichtige Säulen von Deutschrap (wie oft werden die Namen von Fussballern auf Songs gedropt?). Auf eine sarkastische Art und Weise wollten wir damit also den Deutschrap-Fans zu verstehen geben: Achtung, hier geht es (unter anderem) deinem Lieblingsgenre an den Kragen. Darüber hinaus gibt es aber durchaus auch Stellen auf dem Album (ich denke da zB an meinen Verse auf „Niemand hat die Absicht“), die – zumindest ohne Kontext – durchaus missverstanden werden könnten, und wir wollten unsere Position einfach sehr deutlich machen. Ich möchte nicht, dass so ein Song möglicherweise von Rechten instrumentalisiert wird.

    Fazit:

    Im Deutschrap bewegt sich etwas! Die älteren Alben von Der Plot würde ich nicht vorbehaltlos empfehlen, aber mit „Biedermann & Brandstifter“ bekamen die beiden mich! Meistens setze ich mich mit Männern und Musik auseinander, wenn ich sie kritisiere. Hier kann ich mich zurücklehnen und genießen – selbst wenn die Themen unter die Haut gehen. (Bitte bedenkt trotzdem, es sind triggernde Themen. Nur, weil ich sie gut finde, muss das bei euch nicht der Fall sein. Hört das Album nicht, wenn euch sexualisierte Gewalt triggert.)
    Ich bedanke mich auch bei Conny und Elmäx für die Beantwortung meiner Fragen und den tollen Kontakt.

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