Schlagwort: Solidarität

  • „Märchenland für alle“ – Rezension

    Ein Buch, das in Ungarn (seinem ursprünglichen Erscheinungsland) eine Kontroverse auslöste. Freundlich ausgdrückt. „Märchenland für alle“ würde die heterosexuelle Kernfamilie in Gefahr bringen. Bücher wurden öffentlich geschreddert.

    Ich bekam vom Stern ein offizielles Rezensionsexemplar von „Märchenland für alle“ (original: „Meseország mindenkié“) in der erstmaligen, deutschen Übersetzung zugeschickt. Da die erste Auflage mittlerweile ausverkauft ist, soll es mindestens eine zweite Auflage geben.

    Anthologie

    Das Buch ist eine Anthologie, bei der unterschiedliche Autor_innen, einige bekannt, andere mit ihrem Debüt beteiligt, sich ein klassisches Märchen aussuchen und neu adaptieren sollten. Die Vielfältigkeit der Auswahl beschränkt sich hierbei angenehmerweise nicht nur auf Queerness, sondern auch die marginalisierte und in Ungarn diskriminierte Gruppe der Rom_nja wurde miteinbezogen. (Aus persönlicher Perspektive berührt mich dies ganz besonders.)

    Die Geschichten sind (wie immer in Anthologien) schlecht zu bewerten, einige mochte ich, andere nicht. Grundsätzlich war die Adaption immer erfrischend anders. Es war kein Versuch, die alten Märchen „bemüht“ modern und queer darzustellen, sondern es wurde entweder etwas Neues geschaffen. In anderen Fällen bekamen die alten Stoffe neue Fäden und manch lose Enden eine neue Verknüpfung.
    So entstand ein bunter Zopf an Geschichten, immer noch mit den alten Varianten verflochten und trotzdem anders.

    Emotionen

    Ich weine selten bei Büchern und möchte auch niemanden spoilern, aber bei der Geschichte eines trans Rehkitz, die an Bambi angelehnt war, saß ich heulend auf dem Sofa. Gerade als transmaskuline, nichtbinäre Person fühlte ich dieses Märchen so sehr. Und auch die Solidarität, die das Kitz von seinem Umfeld erfuhr, wünsche ich jedem trans Kind auf Welt.

    Das Buch empfehle ich für Kinder ab sechs Jahren. Möglicherweise ist es für jüngere Kinder auch geeignet, hier sollten erwachsene Begleitpersonen entscheiden, ob die Geschichten schon passen.

    Einige sind lustig, andere sind traurig, eine machte mich wütend. (Welche, verrate ich hier nicht.) Alle aber sorgen für ein Buch, dass eine gute Ergänzung für das Bücherregal ist.

    Fazit

    Selbst habe ich keine Kinder, mein Exemplar bekommt das Kind einer befreundeten Person. Aber da es mich so sehr berührt hat, gehe ich fest davon aus, dass es auch bei diesem Kind gut ankommen wird.
    Außerdem wünsche ich mir mehr „Märchenland für alle“ und freue mich darauf, die anderen Geschichten der beteiligten Autor_innen zu lesen!

  • Wir alle kennen Betroffene – Redebeitrag Halle 14.4.22

    In diesem Text wird sexualisierte Gewalt, Übergriffigkeit, Transfeindlichkeit und Ableismus thematisiert. Betroffene verdienen mehr als das hier. Der Beitrag begann mit einer Minute für Jess, um ihr alles Gute und schnelle Genesung zu wünschen.

    Prioritäten

    Wir alle kennen Betroffene, aber niemand kennt Täter.

    Willkommen in der Stadt, in der über trans Personen und Toiletten diskutiert wird, als gäbe es keine wichtigeren Themen.
    Ich habe keine Angst vor einer trans Frau in einer Toilette.

    Nein, ich habe Angst vor einer Szene, in der Menschen vergewaltigt werden können und es niemanden interessiert.

    Ich war hier, als 2014 auf einer linken Veranstaltung eine Person sexualisierte Gewalt erfuhr.
    Und ich war hier, als in den folgenden Jahren im VL Sprüche fielen wie „so, wie die herumgelaufen ist, wollte die das doch“.

    Ich war hier, als die betroffene Person in der Reile um Hilfe bat und stattdessen mit dem Problem allein gelassen wurde.

    Irgendwann war ich nicht mehr hier.

    Stattdessen bin ich weggezogen, weg aus einer Stadt, in der über trans Personen und Toiletten diskutiert wird, während die sexualisierte Gewalt in den eigenen Strukturen geflissentlich übersehen wurde.

    Heute bin ich wieder hier.

    Ich bin hier, weil es Menschen gibt, die sich diesen Normalzustand nicht mehr gefallen lassen wollen. Weil sich Strukturen entwickelt haben, die es möglicherweise vor acht Jahren gebraucht hätte.

    Ich bin hier, damit es eine Stimme gibt, die diese Strukturen kennt und die sagt, dass ihr genügend Schmutz unter eurem Teppich habt.

    Transfeindlichkeit

    Es wird ein Feindbild konstruiert, während mir Menschen freundlich ins Gesicht lächelnd sagen, dass sie mit mir ficken wollen, solange ich mich nicht verstümmele, wie die „echten trans Personen“. Aber das sei in Ordnung, immerhin sei es nur eine Einzelperson und zwar übergriffig, aber kein Grund, etwas an Strukturen zu ändern. Und ich solle mir doch überlegen, ob die Person nicht doch Recht hätte, so ne Operation sei immerhin schon eine einschneidende Erfahrung und ob ich mal über Reue nachgedacht hätte?

    Wir alle kennen Betroffene, aber niemand kennt Täter.

    In dieser Stadt werden Täterinnnen konstruiert, die nur durch ihre bloße Existenz bereits als Bedrohung für Frauen dargestellt werden, während cis Männer ungestraft sexualisierte Gewalt ausüben dürfen. Wer den Mund aufmacht, wird als Nestbeschmutzer_in wahrgenommen und der Konflikt vermieden. Immerhin sei ja niemand selbst dabeigewesen, ne? Und es gäbe ja immer zwei Perspektiven, außerdem ist er doch so ein cooler Typ und die Partys in der WG seien immer gut. Wäre doch ärgerlich, wenn das nicht mehr ginge.

    Ab leismus und Antifeminismus

    Transfeindliche Strukturen zeichnen sich immer auch dadurch aus, dass sie in letzter Konsequenz antifeministisch sind. Transfeindlichkeit für sich sollte ausreichen, aber machen wir uns nichts vor. Schlussendlich ist Transfeindlichkeit erst dann schlimm, wenn sie auch cis Frauen trifft. Oder Menschen, die sich noch nicht geoutet haben.

    Transgeschlechtlichkeit wird als psychische Erkrankung geframed und wir alle wissen: Psychische Erkrankungen sorgen für böse Menschen, für Monster. Auch so ist eine Pathologisierung, verbunden mit der Stigmatisierung psychischer Erkrankungen, nichts anderes als eine Dämonisierung von trans Personen. Verrückte wissen nicht, was sie tun und sind eine Gefahr für die „normale“, „cissige“ Gesellschaft.

    Die härtesten Auswirkungen dieses Framings spüren vor allem trans Personen in Großbritannien und den USA. Nachdem ensprechende Gesetze in u.A. Texas gekippt wurden, beschloss letzte Woche Alabama, dass in Schulen nicht mehr über queere Themen gesprochen werden darf und Eltern sich im Zweifelsfall strafbar machen, wenn sie ihr trans Kind unterstützen. Ebenso wurde jede medizinische Unterstüzung für trans Kinder verboten.

    Nichts davon ist wirklich weit weg. In Berlin müssen trans Personen bei der Charité üblicherweise einen Pädophilietest im Rahmen ihrer Zwangstherapie zur Transition machen. Leipzig verlangt drei Gutachten, was den Preis einer Transition noch einmal um durchschnittlich ein Drittel in die Höhe treibt. Und in Halle gründen sich Gruppen, die trans Frauen explizit aus ihrer Definition von „Frau“ ausschließen.

    Feministische Intervention gegen Täterschutz

    Wir alle kennen Betroffene, aber niemand kennt Täter.

    Das muss sich ändern. Der gefährlichste Ort für eine trans Person ist eine Beziehung mit einem cis Mann. Der gefährlichste Ort für eine cis Frau auch. Das Problem sind patriarchale Strukturen und die Erwartungshaltung, über den Körper anderer Personen bestimmen zu können. Der Großteil sexualisierter Gewalt passiert in Nahbeziehungen, der Großteil der Femizide geht von cis Männern aus, die ihren Anspruch auf den Körper ihrer Ex-Partnerinnen nicht aufgeben wollen.

    Anstatt trans Personen und vor allem trans Frauen als einen Feind darzustellen, brauchen wir einen Feminismus, der Betroffene schützt. Wir kennen alle Betroffene.

    Lasst uns Täter sichtbar machen und sie Konsequenzen spüren!

  • TDOV – 2022

    Ich bin zu autistisch, um mich in trans Räumen wohlzufühlen und zu trans für autistische Räume. Das macht den TDOV (trans day of visibility) jedes Jahr zu einem sehr… speziellen Event.

    Am wohlsten fühle ich mich, wenn ich Veranstaltungen leite, während ich bei sozialen Situationen regelmäßig vollständig versage. Das ist in Räumen, die vor allem queer geprägt sind, durchaus ein Problem. Schließlich sind dies einerseits die Räume, die mir eigentlich offen stehen sollten und andererseits – ganz pragmatisch – auch die Räume, die meine Bildungsarbeit in den meisten Fällen zur Multiplikation nutzen.

    Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit

    Das sorgt dafür, dass ich beim TDOV gleichzeitig sehr sichtbar und sehr unsichtbar bin. Ich bin sehr sichtbar, weil ich über trans und autistische Themen schreibe. Weil mich mittlerweile ein paar Leute kennen. Das sorgt dafür, dass angenommen wird, ich wäre in sozialen Situationen ähnlich kompetent wie in meinen Veranstaltungen. Ein Fehlschluss, der regelmäßig zu zwischenmenschlichen Katastrophen führt.

    (Disclaimer: Ich gebe mir sehr viel Mühe, zu maskieren. Sollte im Kontakt mit Lesenden dieses Textes das mal nicht geklappt haben und ihr von „die Situation ist eskaliert“ betroffen gewesen sein: Es tut mir leid. Ich mache das nicht absichtlich und gebe mir Mühe.)

    Drüber zu reden heißt nicht, dass mich Menschen verstehen

    Ich rede oft und viel über die Schwierigkeiten, die autistische Kommunikation macht. Gleichzeitig sind Menschen trotzdem erstaunt, dass soziale Situationen und ich zu einer explosiven Mischung führen.
    Vielleicht bin ich trotz aller (vor allem queeren) Sichtbarkeit doch nicht sichtbar genug?

    Ich will den diesjährigen TDOV auch dazu nutzen, auf neurodivergente trans Geschwister aufmerksam zu machen. Wir sind oft nicht in queeren Räumen, weil die soziale Struktur in queeren Räumen eine ganz eigene ist. Das sorgt dafür, dass queere Räume sehr oft eine emotional geprägte Kommunikation bevorzugen, die ich beispielsweise nicht leisten kann. Und damit sind neurodivergente trans Personen schlussendlich wieder unsichtbar.

    Bei den meisten Diskriminierungsformen findet Diskriminierung vor allem auch im Bereich der Kommunikation statt. Über wen wird geredet, mit wem wird geredet, welche Stereotypen werden reproduziert, welche Worte verwendet? Das ist sinnvoll. Dort anzusetzen, kann Dinge ändern.

    Gestörte Kommunikation

    Aber gerade bei Autismus ist die Kommunikation ein Problem. Es besteht ein fundamentales Missverständnis zwischen Erwartungen. Ich funktioniere anders als neurotypische Menschen.
    Intuitive Kommunikation wird als „normal“ vorausgesetzt.

    Und nein, ich weiß nicht, wie ich das ändern kann. Ich fühle mich nur gleichzeitig sehr sichtbar und sehr unsichtbar. Weil ich nicht vorgesehen bin. Weil ich immer wieder das Gefühl habe, „falsch“ zu sein.

    Und weil meine derzeitige Lösung ist, einfach keine private, soziale Situation zu haben. In meiner Rolle als Referent_in und Schreibendes bin ich ja gut. Klingt aber einsam.

  • Eine Perspektive in Zeiten von & mit Corona – Gastbeitrag von Foks

    Eine Perspektive in Zeiten von & mit Corona – Gastbeitrag von Foks

    Danke für das Beitragsbild an Das_Anja.

    Es sind seit 7 Tagen nur täglich wenige Minuten, die ich ohne Maske verbringe. Ein, zwei tiefe Atemzüge lang, auf dem Balkon, um kurz Pause zu haben.

    Eins meiner Kinder ist Risikopatient, hat Pflegegrad 3 & braucht dadurch im Alltag Unterstützung. Die Angst der Ansteckung ist groß, war sie schon, bevor ich infiziert wurde.

    Nähe funktioniert nur mit Maske & strikten Hygieneregeln, aber dadurch haben wir bisher eine Infektion verhindert.

    Ich erlaube mir heute ein paar Minuten mehr Pause, einmal mehr tief einatmen, es funktioniert wieder ohne Schmerzen, das Fieber ist weg, ich fühl mich nicht mehr so abgeschlagen. Es fühlt sich gut an. Versuche noch einmal, ein paar Reserven zu mobilisieren, um die nächsten 6-7 Tage irgendwie auf die Reihe zu bekommen, in denen wir auf uns alleine gestellt sind, habe Angst, dass die Besserung wieder umschlägt – wie ein paar Tage zuvor.

    Mich beschäftigen Gedanken wie, dass ich gespannt auf Jahresstudien zu Corona & Infektionsverläufen bin. Ich kann 1 zu 1 sagen, wo ich mich infiziert habe: Es war in einem Raum, mit Abstand, Maske & Lüften. Derweil häng ich hier mit zwei Kindern seit 7 Tagen in Quarantäne auf engstem Raum, mit Maske, ohne Abstand & Lüften. Beide sind nach wie vor negativ.

    Dann geht es weiter mit Gedanken wie, was für Kommentare mir auf dem Weg der Quarantäne zu Ohren kamen: „Krass, du trägst den ganzen Tag Maske, dass könnt ich nicht“
    – ein Kommentar dazu von mir: Doch kannst du! Denn es gibt keine Alternative, solange wie eins ansteckend ist, um andere zu schützen.

    Dabei gibt es immer noch Menschen, die sich über das Tragen einer Maske, wenn sie mal eben 20 Minuten einkaufen gehen, beschweren. Es macht mich unfassbar wütend, während ich hier in den paar Momenten an der frischen Luft über all die Augenblicke nachdenke, an denen ich bedroht & angegriffen wurde, wenn ich Solidaritätsverweigerer_innen auf das (richtige) Tragen einer Maske hinwies. Es macht mich wütend, wieder einmal zu merken, wie viele Solidaritätsverweigerer_innen da draußen versuchen „für ihr Recht auf Freiheit zu kämpfen“. Wie bewusst diese Menschen mit dem Leben anderer spielen. 

    Eigentlich sind Masken vs. Viren nicht das überraschendste Konzept; aber anscheinend ist alles, was zu klein oder zu transparent fürs menschliche Auge ist, irgendwie zu viel Aufwand, auch wenn es tödlich sein könnte (danke an Dr. Carmilla Qarnstein für die geliehenen & so passenden Worte).

    Es gibt keine Alternative, das Virus kostet Leben, viele. Es ist lernbar, dass bestimmte Dinge notwendig sind, um Andere zu schützen, weil es für diese lebensnotwendig ist & ich würde mir wünschen, dass das ein paar mehr Menschen begreifen.

    Ich muss seit 7 Tagen, infiziert, meine Kinder versorgen, beschäftigen, eins teilpflegen. Ich suche noch ein wenig die Ironie in den Worten, ich solle mich so gut es geht von meinen Kindern isolieren, ausruhen, alles regelmäßig desinfizieren. Dabei bin ich froh, wenn ich hier für regelmäßige Mahlzeiten & Beschäftigungen sorgen kann, während mein Körper vor sich hin fiebert, Atmung schwer fällt, während mein Gehirn mir eine Predigt darüber hält, dass ich funktionieren muss, dass die Kinder nicht zu lange digitalen Medien ausgesetzt werden sollten, Homeschooling stattfand & noch vielen weiteren Erwartungen, die an Elter(n) gestellt werden.

    Ich habe einen relativ milden Verlauf, dass ist Glück, denn ich wüsste nicht, wie all das Alleinerziehende bewältigen sollten, wenn es schlimmer kommt. Nach außen hin wirkt mein 15jähriger Sohn oft sehr selbstständig, aber viele haben einfach keine Vorstellung davon, was Pflege alles beinhaltet: Es fängt beim Essen an & hört nicht bei Hygienedingen vor- & nachbereiten auf. Du musst eine halbwegs ok Tagesstruktur & Beschäftigung aufrechterhalten, die sonst von den Einrichtungen, die dafür ausgebildet sind, erledigt wird & das ist nur ein kleiner Auszug. Dabei geht es nicht nur um Corona, sondern ist eine immer wiederkehrende Frage, wenn Alleinerziehende krank werden, nur das jetzt eine 100% Isolation von der räumlichen Außenwelt dazu kommt.

    Ohne das seit Jahren aufgebaute, praktisch solidarische Netzwerk könnte ich das nicht so gut bewältigen. Auch wenn hier, auf den paar Quadratmetern, uns niemand helfen kann, niemand sagt: „Ruh dich aus, kurier dich“, ist das doch etwas, was sehr hilft. Es fängt bei der Lebensmittelversorgung an, geht über ‚fertige Mahlzeiten vor der Tür abstellen‘, über Gespräche die für ein wenig mental health sorgen, bis hin zu Menschen, die selbst schon Corona hatten, für die es möglich wäre, Kinder aufzunehmen, um diese zu schützen, aber auch, falls Infizierte schwerere Verläufe haben, für Entlastung zu sorgen. 

    Ein weiterer Gedanke ist, wie das Risiko andere zu infizieren, minimiert werden könnte, wie gegenseitiges Entlasten in verschiedenen Bereichen möglich gemacht werden kann.

    Dazu braucht es ein Umdenken, es braucht eine Gesellschaft, die das System umlenkt, damit Menschen dafür Raum bekommen oder sich diesen endlich nehmen & nicht nur für Staat, Miete & Kapitalismus funktionieren.

    Ein praktisch-solidarisches Miteinander aufzubauen braucht Zeit, es gibt viel Theorie dazu, aber mehr denn je rückt in den Mittelpunkt, dass diese auch praktisch umgesetzt werden muss, in diesen Umständen, in dieser Zeit und ich bitte jede_n sich selbst zu hinterfragen, inwiefern das mit den eigenen Kapazitäten möglich werden kann & nicht nur eine immer wiederkehrende Utopie bleibt.

    Für ein praktisch solidarisches Miteinander & um Leben zu retten.

  • Awarenessarbeit – Partypolizei mit Machtgelüsten

    Wir brauchen kein Awarenessteam. Wir sind doch schon alle aware und passen gut aufeinander auf! Awarenessarbeit ist überflüssig!

    Veranstalter.

    Sagen wir so, meine Sympathie mit den Veranstaltenden war zu dem Zeitpunkt ohnehin auf den Grad flüssigen Stickstoffs gesunken. Aber ich war ja nicht da, um den Veranstaltenden zu gefallen, sondern, um meinen Job zu machen.

    Awarenessarbeit

    Mein Job nennt sich „Awarenessarbeit“. Awareness kommt aus dem Englischen und bedeutet soviel wie „Achtsamkeit“. Im deutschen Sprachgebrauch wird damit eine Sensibilität gegenüber strukturellen Diskriminierungen und sexualisierter Gewalt gemeint. Ein Awarenessteam soll also dafür sorgen, dass Betroffene von sexualisierter Gewalt und/oder Diskriminierungen einen Anlaufpunkt haben. Wir sind die, an die sich Leute wenden können.

    Ein Awarenessteam ist nicht dazu da, betroffene Personen zu trösten oder mit ihnen über ihre Erfahrungen zu diskutieren. Wir wollen die Veranstaltung zu einem sichereren und diskriminierungsärmeren Raum machen. Meine Veranstaltungen sollen nicht sein wie Jeja Klein hier sehr gut kritisiert. Ich will kein Feigenblatt sein. Sondern fundamentale Veränderung.

    Umsetzung

    Es gibt verschiedene Varianten, wie Awareness aussehen kann. Ich persönlich habe eine sehr spezialisierte und konkrete Vorstellung davon, wie sie auszusehen hat. In meinen Workshops biete ich aber auch immer die jeweiligen Alternativen an.

    Definitionsmacht

    Definitionsmacht (oder DefMa) ist ein Konzept, dass Betroffenen die alleinige Macht gibt, Situationen als Übergriff zu bezeichnen. Entwickelt wurde das Konzept, um patriarchalen Strukturen (victim blaming) und bürgerlichen Gesetzestexten eine alternative, autonome und empowernde Möglichkeit entgegenzusetzen. Es ist also nicht Aufgabe des Awarenessteams, die Darstellung der betroffenen Person zu hinterfragen. Sie gehört als gegeben hingenommen

    Machtgefälle

    Machtgefälle. Nein, Awarenessteams sind nicht dazu da, dass sich „alle“ wohlfühlen. Wir sind dafür da, dass sich „vor allem Marginalisierte“ wohlfühlen können. Wir sind nicht die Schlichtungseinrichtung und wir sind nicht dafür da, auszudiskutieren, „ob das jetzt wirklich schlimm war“. Unser Job ist es, Marginalisierte zu schützen und zu unterstützen. Wer sich konfliktscheu zurückzieht und Nazis die Tanzfläche überlässt, weil sie ja (noch) nicht übergriffig waren, macht seinen Job falsch. Ja, Awareness schafft ein Machtgefälle. Dieses Machtgefälle gleicht (wenn auch nicht mal annähernd) das strukturelle Machtgefälle aus, das sexualisierte Gewalt und Diskriminierungen unterstützt und schützt.

    Voraussetzungen

    Awareness ist Arbeit. Wir sind diejenigen, die Ahnung von Substanzenkonsum haben müssen. (Weil wir vor allem auf Partys zwangsläufig diejenigen sind, die auch Menschen mit Überkonsum betreuen).
    Uns mit Gewalt auskennen, strukturelle Diskriminierung erkennen und benennen. Wir stehen (teilweise über Stunden) mit Betroffenen in engem Kontakt.
    Awarenessarbeit ist anstrengend. Sie ist belastend (physisch und psychisch). Es sollte definitiv nicht von Leuten gemacht werden, die zu langsam waren, als die Frage aufkam, wer „heute Abend die Awareness macht“.
    (In Teams, in denen ich arbeite, gibt es für neue Menschen ein Tandemprinzip, damit Leute voneinander lernen können. Außerdem ist die Faustregel „zwei Menschen pro Floor“, damit ausreichend Ressourcen für Fälle zur Verfügung stehen.)

    struktureller Ansatz

    Awarenessarbeit ist kein „Trost“. Wir sollen strukturelle Probleme auf eine individuelle Situation anpassen und erkennen. Danach eine Lösung für die Situation finden, welche die Diskriminierung mit einbezieht. Es geht nicht (nur) darum, einer Person über den Rücken zu streicheln und ihr zu sagen, dass alles gut wird. Eher darum, der Person zu ermöglichen, eine machtlose Situation in eine zu verändern, in der sie Selbst_Ermächtigung erfährt. Übergriffe sind in den meisten Fällen etwas, womit Betroffene aufgrund der gesellschaftlichen Struktur ohnehin dauerhaft konfrontiert werden. Awarenessarbeit ist, den Kreislauf von 1. Ich wurde in eine machtlose Situation gebracht.
    2. Niemensch hilft mir.
    3. Ich bleibe allein und machtlos.
    zu brechen und Menschen handlungsfähig zu machen.

    Abschluss

    Eine letze Anmerkung noch zu dem Typen aus dem Eingangszitat. Wenn hier alle so aware und achtsam wären, hätte ich nicht vor Beginn der Party zwei Shoa-leugnende-Hippies verweisen müssen. (In diesem Fall auch wichtig: Eine Security, die das Awarenesskonzept unterstützt.)

  • Jüdischer Widerstand – ein Gastbeitrag von Naomi

    In diesem Gerichtssaal hängt die Frage in der Luft, warum hat sich das [jüdische] Volk nicht erhoben. Als kämpferischer Jude protestiere ich mit aller Leidenschaft gegen diese Frage, soweit sie auch nur die Spur eines Vorwurfs enthält. Dem Mann [Adolf Eichmann], der mir hier gegenüber sitzt und den 80 Millionen, die auf der Straße das Lied sangen ‚Wenn Judenblut vom Messer spritzt‘, denen schulde ich keine Antwort.

    Abba Kovner, während des Eichmannprozesses

    Diese Worte sprach Abba Kovner, leidenschaftlicher Widerstandskämpfer aus Vilnius, während des Eichmannprozesses in Jerusalem. Er antwortete damit auf eine zentrale Frage, die sich bis heute zahlreiche Menschen innerhalb und außerhalb der jüdischen Community stellen.

    Auf der, vom fzs, von JSUD und anderen studentischen Gruppen 2019 organisierten, Deutsch-Israelischen Studierendenkonferenz wurde eine Diskussionsrunde mit Shahar Arieli, Botschaftsrat und außenpolitischer Sprecher der Israelischen Botschaft in Berlin, veranstaltet. In dieser ging es auch um die Bedeutung der Worte „Never Again“. Nach Arieli bedeuten diese Worte für die Jüdische Gemeinschaft, dass sie sich nie wieder wehrlos gegenüber einer solchen Katastrophe ergeben werden. Auch dieser Ausdruck fügt sich ein in das Narrativ folgender Frage: Warum lies die Jüdische Bevölkerung die Shoah über sich ergehen? Warum gingen sie „wie die Schafe zur Schlachtbank“?

    „Wie die Schafe zur Schlachtbank“
    Noch immer wird dieses Narrativ präsentiert. Was wird damit impliziert? Die „Juden“ hätten sich nicht gewehrt, sie wären also in Teilen selber Schuld an dem, was passiert ist. Wenn sie überleben, nicht untergehen sollen, dann brauchen sie andere Leute, die sie beschützen. Zelebriert werden also meist (deutsche) Widerstandskämpfer_innen, um sich selbst das Gefühl zu geben, es wären ja nicht alle schlecht gewesen, es hätte auch „gute Deutsche“ gegeben. Die einzige Geschichte, die hin und wieder bekannt ist, ist die des Aufstands im Warschauer Ghetto. Er wird jedoch weniger als Befreiungsversuch dargestellt, sondern vielmehr symbolisch für die Brutalität des NS-Regimes verwendet und präsentiert.

    Max Czollek spricht in „Desintegriert Euch!“ davon, dass die „Juden“ Objekte sind, anhand deren die Deutschen ihre Identität als geläuterte Gesellschaft entwickeln und aufrechterhalten können. Dieses Bild schließt sich auch das von mir dargestellte Narrativ ein. Wehrhafte jüdische Menschen würden einfach nicht hineinpassen.

    Wie perfide dies ist, zeigt sich anhand des oben bereits erwähnten, symbolischen Zitat „wie die Schafe zur Schlachtbank“. Dieses Zitat wurde von ebenjenem Abba Kovner benutzt. Nicht jedoch als Beschreibung der Shoah:

    „Jüdische Jugend! Traut nicht jenen, die euch zu täuschen versuchen. Hitler plant die Zerstörung aller Juden [sic!] in Europa. […] Wir werden nicht wie die Schafe zur Schlachtbank gehen! Es stimmt dass wir schwach und wehrlos sind, aber die einzige Antwort auf den Mörder ist Widerstand! Brüder! Lieber fallen wir als freie Kämpfer[_innen] als bei der Gnade der Mörderer[_innen] zu leben. Wehrt euch! Wehrt euch bis zum letzten Atemzug!“

    Abba Kovner, Anfang 1942

    Diese Worte fielen Anfang 1942. Sie stehen in komplettem Widerspruch zum Narrativ, welches sich hinter diesem Zitat heute verbirgt. Ein Narrativ, das nicht nur einen Jüdischen Schlachtruf für sich beansprucht, sondern dessen Bedeutung fundamental die eigentlichen Tatsachen verschweigt. Ein Narrativ, das jedoch nicht überall besteht, denn die US-Amerikanische jüdische Community zelebriert und gedenkt dem Widerstand.

    Welche Folgen hat dies alles? Es gibt kein Selbstbewusstsein, kein Bewusstsein hinsichtlich des Widerstands, geschweige denn Gedenken oder Zelebrieren. Jüdische Menschen werden noch weiter zu Objekten degradiert. Nicht nur zum Bekämpfen oder Erlangen der Absolution, sondern auch zum Beschützen und Verteidigen. Quer durch die Lager hinweg, von Antideutschen, die „ein sicheres Zuhause für ihre jüdischen Freund_innen“ schaffen wollen und in diesem Kontext Bestrafungen auch innerhalb von Freundeskreisen verteilen, bis hin zu Nationalist_innen, welche die Jüdische Bevölkerung vor dem bösen Islam schützen wollen. Wahrlich, ihr seid edle Ritter_innen, was wäre ich armes, kleines, jüdisches Wesen nur ohne euch. (Sarkasmus aus).

    Das ist keine Hilfe, das ist Bevormundung. Ich will und ich werde mich nicht von Goyim (nichtjüdische Menschen) abhängig machen, nur damit sie sich ach so geläutert, ach so offen, ach so anti-antisemitisch präsentieren können. Eine Abhängigkeit, symbolisch an der Thematik der stabilen Holztür in Halle darstellbar.

    Wir haben gekämpft und gesiegt! Wir haben in Konzentrationslagern Menschen befreit, in Armeen und in Partisan_innengruppen Wehrmacht und SS das Leben schwer gemacht! Wir haben Menschen versteckt, zur Flucht verholfen, außer Landes gebracht und versorgt, teilweise gegen unsere eigenen Leute.

    Abba Kovner, Vitka Kempner, Itizk Vitnberg, Zivia Lubetkin, der Aufstand in Sobibor, die Armée Juive, die FPO …

    Wir werden sie ehren. Und wir werden all dies, wenn es sein muss, wieder tun. Mag sein, dass nur die Alliierten Deutschland besiegen konnten und nicht wir allein, mag sein, dass Polizei vor Synagogen weiterhin notwendig ist (und am Ende dennoch stabile Holztüren uns besser schützen als die vormals so edlen Ritter_innen). Aber uns die Schuld dafür geben? Niemals! „[…] den 80 Millionen, die auf der Straße das Lied sangen ‚Wenn Judenblut vom Messer spritzt‘, denen schulde ich keine Antwort.“

    Gerade jetzt braucht es keine Geschichten der Angst und des Leids. Es braucht Wehrhaftigkeit, Widerstand und vor allem Selbstbewusstsein. Widerstand muss zelebriert werden, denn er zeigt, dass wir uns wehren können, wehren dürfen! Liebe Goyim, mit welchem Recht nehmt ihr uns diese Geschichten weg, mit welchem Recht zelebriert ihr, gerade ihr, euren Widerstand, ohne unseren zu erwähnen? Wenn ihr tatsächlich Hilfe sein wollt, dann verteidigt uns nicht nur, sondern helft uns, unsere Wehrfähigkeit, unser Selbstbewusstsein zu erlangen!

    Disclaimer: Es gab und es gibt auch in Deutschland Personen und Projekte, welche Widerstand, auch jüdischen, zelebrieren und ehren. Ihnen gebührt Dank, dass sie diese Erzählung, dieses kleine Licht, am Leben halten.

  • Über Transmisogynie und Transfeindlichkeit – „u can’t trust the AFAB!“

    „Afab nichtbinäre Personen werden immer die sein, die transmisogyn sind. Du kannst ihnen nicht trauen!“

    Ein Take auf Twitter, unterschiedlich gesehen, zusammengefasst und verkürzt. Von trans Frauen geteilt und favorisiert. Schwierig, freundlich ausgedrückt, finde ich.

    Aber fangen wir mit Begriffsdefinitionen an. Ich mag Definitionen, sie bringen alle Beteiligten auf das gleiche Level an Informationen. Weniger Raum für Interpretationen, mehr klare Kommunikation. Winwin – und so.

    Transfeindlichkeit: Abwertung von trans Personen, weil sie trans sind. (Die Kurzfassung.)
    AMAB: Assigned male at birth (bei der Geburt dem männlichen Geschlecht zugeordnet.)
    AFAB: Assigned female at birth (bei der Geburt dem weiblichen Geschlecht zugeordnet.)
    Transmisogynie: Eine bestimmte Form der Transfeindlichkeit, die nur transfeminine Personen betrifft.

    Jetzt kommen die Langfassungen und die Begründungen, warum ich den Take so schwierig finde.

    Kindern wird – durch Genitalienbeschau – ein Geschlecht zugeordnet. Dieses Geschlecht wird mit Erwartungen verknüpft, die wiederum mit den Genitalien gleichgesetzt werden. Ein Penis = cis Männlichkeit. Eine Vulva = cis Weiblichkeit. Diese Zuordnung an und für sich ist bereits inhärent transfeindlich, weil Genitalien kein eigenes Geschlecht haben – sie haben nur das Geschlecht der Person, zu der sie gehören. Gleichzeitig ist es eine Gleichsetzung, mit der wir in dieser Gesellschaft aufwachsen – und die erst mühsam verlernt werden muss.
    Währenddessen wird AFAB Personen beigebracht, dass von Jungs und Männern (also innerhalb der cissexistischen Gesellschaft „Menschen mit Penis“) eine gewisse Gefahr ausgeht. „Selbst wenn sie dich mögen, werden sie dir wehtun.“ ist der Schlüsselsatz, der hängenbleibt, wenn „was sich liebt, das neckt sich“ und „der X, der meint das nicht so, wenn er dir an den Haaren zieht, der kann nur seine Sympathie nicht anders ausdrücken“ als Relativierung und „boys will be boys“ verwendet wird. „Geh nicht alleine nach Hause!“, „Geh nicht im Dunkeln nach Hause!“, „Zieh das nicht an!“ sind ebenfalls Glaubenssätze, mit denen AFAB Personen aufwachsen – und die auch in „züchtige Kleidung für die Schule“ Verwendung finden. Selbst bei den berechtigten Kritikstürmen, die regelmäßig entstehen, wenn Schulen auf so eine Idee kommen – die grundsätzliche Annahme, das AFAB Körper sexualisierend und problematisch sind, bleibt bestehen. (Etwas, wogegen der Feminismus seit Jahren kämpft. Aus Gründen.)

    Wir haben also eine Ausgangslage, die für trans Frauen in feministischen Räumen ziemlich beschissen ist. Weil die Gleichsetzung von Genitalien mit Geschlecht und die daraus folgende Erziehung zu Männern als „Gefährdern“ in Form von Transmisogynie direkt auf (trans) Frauen projiziert wird. Und während feministische Strukturen gegen Patriarchat und Sexismus kämpfen, unterstützen sie häufig aufgrund dieser unreflektierten Projektion den Ausschluss von trans Frauen aus feministischen Räumen. Das beginnt bei „Frauen*“ und endet beim „transsexual Empire“ und dem richtig harten TERF-Shit.

    Wir haben aber auch eine Ausgangslage, die AFAB nichtbinäre Personen zu „Frauen light“ oder auch „cis Frauen mit ein bisschen Glitzer“ erklärt. Schließlich wollen sie sich aus der patriarchalen Kategorie „Frau“ lösen, aber ja „nicht so richtig“ (i.S.v. binäre Transition.) Das kann dazu führen, dass AFAB nichtbinäre Personen (und teilweise trans Männer) Zugang zu feministischen Räumen haben, der AMAB Personen verwehrt bleibt. Aufgrund internalisierter Transmisogynie wird dann diese Form von Transfeindlichkeit („Frau light“) als Waffe gegen unliebsame AMAB Personen verwendet. Weil „Penis = Mann = gefährlich“ oft nicht ausreichend reflektiert wird – und tief in der derzeitigen Gesellschaft steckt. Weil AFAB Personen von Kindheit an die Gleichsetzung „Penis = Männlichkeit = Gefahr“ internalisiert haben, projizieren sie diese in Form von Transmisogynie auf trans Frauen und AMAB nichtbinäre Personen, was zum Ausschluss jener aus feministischen Räumen führt. Im Wissen, dass sie als „weiblich gelesen“ bzw. „Frauen light“ in feministischen Räumen eher Schutz zu erwarten haben, da bei anderen AFAB Menschen (wie beispielsweise cis Frauen) der gleiche Bias besteht. Muss bewusst verlernt werden, muss nicht bewusst passieren. Aber. Hat bewusst verlernt zu werden. Ja.

    Aber auch AFAB Personen leiden unter Transfeindlichkeit.

    1. „Aufsteigen“ im Patriarchat muss bestraft werden, weil „Frau muss an ihren Platz“.
    2. Fragile Heterosexualität, weil cis male Heten AFAB bestrafen müssen, dass sie auf selbige stehen, weil Bedrohung ihrer Heterosexualität.

    AMAB Personen erleben es in folgender Ausprägung:

    1. Die Transgression bei einer transfem Transition ist größer. („Mann sein zu wollen“ gilt als „natürliches Streben der Frau“) Bei AMAB Transition wird es dagegen als „pathologiesierender Wahnsinn“ wahrgenommen – und abgewertet.
    2. Fragile Heterosexualität und (CN T****) are gay aka gay/trans panic defense.

    Schlussendlich läuft Transfeindlichkeit also grundsätzlich auf eine Angst vor der Fragilität des Cistems hinaus. Transmisogynie dagegen ist die Projektion internalisierter Erwartungen an Männlichkeit auf Frauen. (Auch gerne mit vermeintlich „männlicher Sozialisierung“ begründet. Was die Komplexität von Sozialisation zwar unfassbar verkürzt, aber hübsch einfach klingt.)

    Als Person, die sehr lange (fast zehn Jahre) in femicistischen Gruppen aktiv war, kann ich aber – im Gegensatz zu transfemininen Personen, die diesen Zugang nie erhielten, auch diese Sichtweise beitragen:
    Die gefallene Schwester zu sein, die im Patriarchat aufsteigen will und den Feminismus verraten hat, der mehr oder weniger direkt psychiatrischer Aufenthalt nahegelegt wird und die gleichzeitig weder im Feminismus, noch auf der Straße stealth (also im korrekten Geschlecht, aber unerkannt) leben kann, von „du verstümmelst deinen Körper“ ganz abgesehen – der Vergewaltigungsvorwurf kommt auch da. Spätestens, wenn 1 mit Testo anfängt, weil wieder „Testosteron = Männlichkeit = Gefahr“ greift.

    Ja, es gibt bestimmt AFAB Personen, welche den Vorteil des „feministische Räume schützen mich“ gegen AMAB Personen verwenden. Das ist problematisch. Daraus einen Vorwurf an eine Gruppe zu imaginieren, die ebenfalls massiv unter dem Cistem leidet – und niemals die Option auf Passing (als das Geschlecht wahrgenommen werden, das 1 ist) hat – ist mindestens genauso problematisch.

    Der eigene Tellerrand eignet sich nur schlecht bis gar nicht für eine strukturelle Machtanalyse.

  • Krümel und Kuchen

    WIR WOLLEN KEIN STÜCK VOM KUCHEN, WIR WOLLEN DIE GANZE BÄCKEREI!

    Einer der beliebtesten Demosprüche vor allem feministischer Demonstrationen. Er signalisiert, dass die Betroffenen durchaus sehen, dass ihnen zwar ein bisschen gleichberechtigter entgegengekommen werden soll, aber sie eben nur ein Stückchen abhaben sollen, obwohl es grundsätzlich um eine gleichberechtigte Teilhabe geht, um ein selbstbestimmtes Leben, ohne Kapitalismus, ohne Patriarchat. Eben um die ganze Bäckerei.

    Ich war Teil dieser Demonstrationen. Ich war acht Jahre Feministin, bevor ich erkannte, dass ich Feminist_in bin. Das ich zwar sehr lange für eine Frau gehalten wurde, aber keine Frau bin – sondern nichtbinär, genderfluid. Ich hab meinen offiziellen Namen, meinen Personenstand und meine Anrede ändern lassen und eine Hormonersatztherapie begonnen.

    Ich wusste, es würde Änderungen bedeuten. Ich wusste, es würde Menschen irritieren und bereits der Weg hin zu den rechtlichen Änderungen gab mir einen Vorgeschmack dessen, was meine bloße Existenz mit der Gesellschaft machte – sie irritieren, verunsichern und viel zu oft war die Reaktion mehr oder minder gut versteckte Aggression.

    Was ich nicht erwartet hatte, war, wie viel Einfluss es auf meine feministische Arbeit haben würde. Ich war plötzlich nicht mehr gleichberechtigt in feministischen Kämpfen, sondern „nur noch“ trans. Mir wurde – und wird – das Recht abgesprochen, Teil vom 08. März sein zu dürfen, da ich ja nicht die gleichen Diskriminierungen erfahren würde wie Frauen.
    Teilweise wurde ich aus Gruppen ausgeschlossen, da die Quotierung nur für Frauen galt und meine Anwesenheit eine cis-männliche-Dominanz bedeutet hätte.
    Mein Körper wird vereinnahmt, wenn es um (ungewollte) Schwangerschaften geht, während meine intellektuellen Beiträge ausgeklammert werden, da diese ja nur trans Personen betreffen würden und für den feministischen Diskurs keinen Mehrwert hätten.

    Auf der nächsten „Marx ist Muss“ wird es Veranstaltungen geben, die sich zum Schwerpunkt gemacht haben, trans Kämpfe und Frauenkämpfe zusammenführen zu wollen – ohne daran zu denken, dass trans Frauen eigentlich schon zu den Frauenkämpfen gehören sollten und trans Männer mehr Erfahrungen mit den Themen der Frauenkämpfe haben, als allen eigentlich lieb ist. Es wird Transfeindlichkeit reproduziert, um sich im Anschluss solidarisch mit trans Personen (die Originalformulierung ist leider transfeindlich) zeigen zu können. Ein Stück vom Kuchen? Nein, ausschließlich Krümel.

    Ich weiß, wie sich feministische Kämpfe anfühlen, die mich einschließen. Ich weiß, wie sich feministische Solidarität, Solidarität unter Frauen anfühlt. Habe ich die mir erschlichen, sie heimlich ausgesaugt, wie mir so oft unterstellt wird, weil ich zu dem Zeitpunkt noch keine Worte hatte für mein Empfinden? Ist es nur gerecht, dass ich ausgeschlossen werde, schließlich habe ich durch meine Existenz keine Solidarität, zumindest keine selbstverständliche, verdient?
    Vor drei Jahren war der 08. März noch mein Tag, dieses Jahr wurde mir gesagt, er wäre nur für Frauen, ich solle mich verziehen, schweigen, solidarisch mit Frauen sein.
    Während mir keine Solidarität entgegengebracht wird, immerhin hätte ich mich ja selbst dazu entschieden, mich zu outen und müsste jetzt mit den Konsequenzen leben. Das klingt, als wäre Feminismus, dieser Femicismus, eine Gemeinschaft, aus der ich freiwillig ausgetreten wäre und nun die gerechte Strafe dafür erhielte, keine Frau zu sein.
    Ich wäre ja Teil der Transkämpfe, so als trans Person. Und natürlich müsste der Feminismus auch solidarisch mit den Kämpfen von trans Personen sein, so sei das ja nicht. Aber gleichberechtigt seien diese Kämpfe nicht. Trans Männer und nichtbinäre Personen haben am FrauenKampfTag solidarisch zu sein, um dann am NonbinaryDay alleine zu stehen.
    Oder könnt ihr mir sagen, wann NonbinaryDay ist? Könnt ihr euch auch an die großartige Solidarität, das Pushen des Tages und den eigenen Hashtag auf Twitter mit süßem Bildchen dahinter erinnern? Nein? Ich auch nicht, es hat nämlich nie stattgefunden.

    Sozialisation ist komplizierter, als cis Geschlechterdenken es uns glauben macht. Sie ist nicht nur von außen oder von innen heraus zu betrachten. Trans Frauen zu unterstellen, sie wären ausschließlich männlich sozialisiert worden, ist genauso falsch, wie trans Männern zu signalisieren, sie hätten absolut keine Ahnung, wie es sei, als Frau gelesen zu werden.

    Ich hatte den Kuchen, nun bekomme ich Krümel zugeworfen und habe dafür dankbar zu sein.

    ICH WILL KEIN STÜCK VOM KUCHEN, ICH WILL NICHT EURE KRÜMEL, ICH WILL DIE GANZE BÄCKEREI!

    Dankeschön.
    (Internationaler Tag der Nichtbinarität ist übrigens am 14. Juli, falls ihr Lust habt, dieses Jahr mal solidarisch zu sein.)

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