Schlagwort: Solidarität

  • Risikogruppe und Eisblumen

    Unsichtbar.
    Das Leben findet in den eigenen vier Wänden statt, der Biedermeier des letzten Jahrhunderts erlebt eine Renaissance dieser Tage. Risikogruppe bleibt zu Hause. Mehr oder weniger freiwillig.

    Doch nicht die Müdigkeit der bürgerlichen Politik hat die Menschen in die Häuslichkeit getrieben, nicht der Rückzug ins Private hat den Starter für Sauerteigkulturen und DIY-Nähprojekte gelegt.
    Ein Virus geht um in Europa, das Virus SARS-Covid­19, neuartig, unerforscht, höchst ansteckend und wenn auch nicht im gleichen Maße tödlich, so doch mit Spätfolgen zu rechnend.

    Home Office

    Wer Glück, Privilegien und eine sichere Einkommensquelle hat, der lebt gut in dieser Zeit, arbeitend von zu Hause aus, das Brot kommt frisch und heiß aus dem heimischen Ofen und auf dem Balkon kann man es sich endlich gemütlich machen, während die Kolleg_innen neiderfüllt auf die eigene Gemütlichkeit schielen, während fleißig Meetings über Videoplattformen stattfinden.

    Ich atme ein.

    Knochenmüde

    Schwere legt sich auf mich, Müdigkeit umfängt mich. Ich fühle mich, als würde jeder Lebenswille, alle Energie aus mir heraus laufen. Knochenmüde, so nenne ich diesen Zustand. Müdigkeit, die in den Knochen sitzt, aus den Knochen kommt.

    Nichts hilft, es bleibt nur ausharren, ob heute nochmal Energie zurückkommt oder mein Tag dann schon vorbei ist. Wann? Dann. Das kann um drei sein, um fünf oder morgens um elf.

    Ich habe gelernt, damit umzugehen. Habe gelernt, von einem nicht beeinflussbaren, unbekannten Energiezustand auszugehen, der zu den ärgerlichsten Zeiten verbraucht sein kann.

    Ich war seit Wochen nur noch draußen, um medizinisch notwendige Termine wahrzunehmen. Habe seit Wochen keine Menschen mehr gesehen, die nicht hier wohnen.

    Lockerungen

    Ich sehe, wie die Lockerungen kommen. Sehe, wie immer mehr Menschen sich treffen wollen, ein Sozialleben.
    Ich bin Risikogruppe.

    Es passiert, was mir Angst machte: Das Leben geht weiter. Ich hab ein Fenster zur Straße, ein Fenster zum Hof, einen Zugang zum Leben, durch eine Glasscheibe hindurch. Plexiglasscheiben zum Schutz der Risikogruppe.

    Ich bleibe hier sitzen, wie eingefroren. Bis heute war das Leben aller Menschen ähnlich eingefroren, nun tauen sie auf.

    Werden sie sich erinnern, dass ich da bin? Eingefroren, die Eisblumen am Fenster bewundernd.

    Eisblumen

    Wenn das hier vorbei ist – für mich, nicht nur für sie, für die Gesunden, die JungenUndGesunden, die, die auftauen sich leisten können – werden dann noch Menschen übrig bleiben, die sich daran erinnern, dass ich mal Teil ihres Lebens war?

    Oder wird die Welt sich weitergedreht haben, zu einem „Ach ja, die Person habe ich ja schon ewig nicht mehr gesehen, was es wohl macht?“, zu einem Bild im Gedächtnis einer Person, zu Sepia verblasst, weil keine Technicolor die Erinnerungen auffrischte. Wird das Internet, die Verschriftlichung reichen, um Kontakte aufrecht zu erhalten, um dabei sein zu können?

    Wenn die Konzerte wieder stattfinden können, Menschen auf Festivals fahren, sich gemeinsam treffen und Freund_innenschaft in Cafés und Kneipen zelebrieren, werde ich dann zu Hause sitzen, die Eisblumen am Fenster bewundern und innerlich schreien, weil das Leben weiterläuft und ich nicht auftauen darf?

    Solidarität ist eine Waffe. Sie schneidet zweischneidig.

  • Solidarität und Druck

    Solidarität muss praktisch werden!
    Hoch! Die! Inter/Antinationale! Solidarität!
    Solidarität ist eine Waffe und wir wissen ganz genau, wie man sie gebraucht!

    Menschen helfen einander, nicht, weil sie es müssen oder aus kapitalistischen Gründen, sondern, weil sie es wollen.

    Eine Person braucht Hilfe, die andere Person gibt Hilfe. Grundprinzip der meisten linken Strömungen, ob Kommunismus oder Anarchismus.
    Strukturell gesehen eine große Gefahr für den Kapitalismus. Denn funktionierende soziale Netze, die ohne Wachstums- und/oder Gewinnabsicht auskommen, machen dieses Wirtschaftssystem grundsätzlich überflüssig. Globale Solidarität ist das Gegenteil von Ausbeutung und neoliberalen Zwängen.

    Eine großartige Theorie, die ich sehr schätze. Ich spreche oft in Vorträgen über Solidarität, solidarisches Miteinander und gemeinsames Schaffen des „Guten Leben für Alle“. Aber dann fällt mir wieder auf, dass vor allem die Perspektive jener in den Fokus rückt, die „solidarisch geben“.
    In Zeiten einer weltweiten Pandemie sind das jene, die für andere Menschen einkaufen gehen. Die Risikogruppen unterstützen. Menschen von A nach B fahren, damit diese nicht in den öffentlichen Verkehrsmitteln der Gefahr ausgesetzt sind, sich anzustecken.
    Es sind Menschen, die ihr eigenes Sozialleben zurückschrauben, um andere Menschen zu unterstützen/nicht zu gefährden.

    Es wird als selbstverständlich dargestellt diese Solidarität zu bekommen – und das sollte es auch sein.

    Neoliberale Sozialisation

    Dennoch sind wir alle in einer Gesellschaft sozialisiert worden, die „Schwäche“ ablehnt und den neoliberalen Anspruch des „eigenen Glückes Schmied“ als einzige Möglichkeit vertritt. Solidarität ist verpönt und das spüren vor allem Menschen, die auf Solidarität angewiesen sind.

    Es ist solidarisch, die Musik leiser zu drehen, wenn die Nachbarn aufgrund der Vibration nicht schlafen können.
    Aber die Person, die nicht schlafen kann, fühlt sich möglicherweise als Belastung. Weil sie nie gelernt hat, dass ihre Bedürfnisse valide sind.

    Es ist solidarisch, die Risikogruppen nicht noch größerem Risiko auszusetzen.
    Aber die Person mit Asthma, die gerade Demos von zu Hause aus verfolgt, fühlt sich womöglich „nicht ausreichend“ oder „nicht links genug“.

    Solidarität und Hürden

    Es ist solidarisch, gemeinsam zu überlegen, wie wir Armut in unserer Peer Group kommunizieren und bekämpfen können.
    Aber die Person, welche die meisten Gaben und Unterstützungen erhält, hat vielleicht das Gefühl „nicht genug geben zu können“ und  ihr Umfeld „auszunutzen“.

    Solidarität und mildtätige Gaben christlicher Konfessionen hängen geschichtlich eng zusammen. Sowohl die „Armenspeisung“ als auch die heutigen Tafeln sind ein Zeichen dafür. Staatliches Versagen und kapitalistische Ausbeutung werden durch die Schaffung eines mildtätigen Netzes ausgeglichen, woraufhin der Staat auf eben jenes Netz verweist. Anstatt selbst in die Pflicht genommen werden zu müssen (oder gar abgeschafft).

    Solidarität wirkt der Verelendungstheorie entgegen, schafft Netze und hilft Personen. Dennoch bleibt die Frage im Raum, wie wir Menschen die Sicherheit geben können, nichts zurückgeben zu müssen?
    Arbeit gleichberechtigt zu bewerten, anstatt von allen das gleiche zu fordern?

    Jedes nach dessen Bedürfnissen, jedes nach dessen Fähigkeiten und Solidarität muss praktisch werden. Wie können wir dies in den Köpfen der eigenen Szene verankern? Was können wir einem linken Imposter Syndrom und dem kapitalistischen Selbstanspruch entgegen setzen?

    Schreibt mir auf Twitter, wenn ihr praktische Ideen habt, ich habe nur Fragen.

  • BDSM und Feminismus

    Let’s talk about Sex! Also, Sex, Kink und BDSM.

    Vor ein paar Tagen sah ich einen „feministischen“ Film, in dem es um Gewalt an (cis) Frauen ging.
    Dabei fiel unter Anderem der Satz „Sie schlagen uns.“. Unterlegt mit dem Bild einer an die Wand gepressten, weiblich gelesenen Person. Sie streckt ihren Po nach hinten und sah im Großen und Ganzen nicht unzufrieden mit der Situation aus. Es wirkte eher wie eine erotische BDSM Darstellung als Gewalt.

    Ich war verärgert. Gewalt – ausgeübt von cis Männern, am meisten betroffen sind Frauen – ist ein gewaltiges Problem, strukturell bedingt durch das Patriarchat. Wir müssen darüber sprechen und Strukturen aufbrechen. Cis männliche Vorherrschaft abschaffen. Müssen wir nicht diskutieren. Was es nicht braucht: Das Bild devoter, sexuell selbstbestimmter Frauen, welches mit Gewalt gleichgesetzt wird.

    Am gleichen Tag las ich dann auch noch, dass BDSM nichts anderes wäre, als unter Erwachsenen Kindesmissbrauch nachzuspielen und dann war ich endgültig bedient.

    Hier also ein Artikel über Sex, BDSM, Feminismus und Selbstbestimmung.

    BDSM = antifeministisch?

    Also, kommen wir zu dem, was gerne als „antifeministisch“ verschrien wird: „weibliche“ Unterwerfung.
    (Ich übernehme diesen Begriff, obwohl ich ihn problematisch finde. Er rückt vor allem cis Frauen in die Perspektive. Nicht cis Frauen bleiben unbeachtet.) Es geht der Kritik an BDSM aber um alle afab Personen, ungeachtet ihres Geschlechts.

    So werden cis Frauen gemacht – und trans Personen diskriminiert.

    Der Feminismus der zweiten Welle (Alice Schwarzer und KonsortInnen) war und ist der Meinung, dass Männlichkeit und männliche Dominanz in allen Lebensbereichen herrscht (stimmt, soweit) und deshalb auch das Sexleben von Feministinnen radikal feministisch sein müsste (maybe) und sogenannte „weibliche Unterwerfung“ nur das Patriarchat stützen würde (stimmt definitiv nicht). (Und „weibliche Dominanz“ stützt das Patriarchat auch, weil es ja Safewords gibt. Kinky Frauen und afab nichtbinäre Personen können nur verlieren. Yay.) Ich hab mich mal ein bisschen durch diese Variante des Feminismus gewühlt und folgende Texte gefunden.

    Kritk an Blowjob und Valentinstag [EMMA]

    1. Der Koitus verdammt die Frau zur Passivität und ist so für Männer die unkomplizierteste und bequemste Sexualpraktik. Beine breit machen genügt.

    2. Die psychologische Bedeutung dieses in sich gewaltsamen Aktes des Eindringens ist für Männer (und Frauen) sicherlich von Bedeutung. Bumsen – wie es so traurig treffend heißt als höchste Demonstration männlicher Herrschaft und weiblicher Unterordnung.

    3. Nur der Mythos von der zentralen Bedeutung des Koitus sichert Männern das Sexmonopol über Frauen, macht sie unentbehrlich denn penetrieren können nur sie. Das ist der kleine Unterschied. Der „vaginale Orgasmus“ ist eine Erfindung der Männergesellschaft. EMMA,1977

    Sexualität hatte über Jahrhunderte, ja Jahrtausende nichts mit Lust zu tun, sondern mit Macht. Macht von Männern über Frauen. Und es gab entweder die käuflichen Sünderinnen, zuständig für die Lust; oder die abhängigen Heiligen, zuständig für die Arbeit im Haus. Emanzipation der Frauen implizierte also zwangsläufig auch die Emanzipation der weiblichen Sexualität.

    Doch so schnell waren die Söhne nicht bereit, die Macht aufzugeben. Denn nun kamen wir. Die Feministinnen. Wir stellten die Machtfrage. Im Leben und in der Liebe. […] Und wir entdeckten unsere Körper und unsere Lust. Das war nicht nur ein harter Kampf, es war auch ein wahres Fest. Wir tanzten von Erkenntnis zu Erkenntnis, von Abenteuer zu Abenteuer. Die Gender-Studentinnen von heute würden zart erröten, ahnten sie nur, was wir alles so angestellt und erlebt haben. […}

    Nie zuvor und nie danach ist so offen über den weiblichen Körper und die Lust der Frauen geredet und geschrieben worden wie in den 1970er Jahren, diesen Jahren des Aufbruchs der Frauen. Doch keiner Frau wäre es damals auch nur im Traum eingefallen, die Trennung von Sexualität und Gefühl oder den Konsum entseelter Pornografie für sonderlich emanzipiert zu halten; von der Prostitution, als Objekt oder Subjekt, ganz zu schweigen. […] Gleichzeitig aber steigt die Pornografisierung unserer Gesellschaft, diese Verknüpfung der sexuellen Lust mit Lust an Erniedrigung und Gewalt. […] Und auch der weibliche Masochismus – diese unbewusste Bewältigung von Schmerz und Erniedrigung durch ihre Umwandlung in Lust – steckt noch tief in den Knochen der Frauen.

    Oh Hilfe, hier wird behauptet, die Vagina hätte quasi null Nerven. Der Text ist von 2016! (Okay, sie behauptet das durchgehend seit 1977). Und alle Personen mit Vagina sind automatisch Frauen. Naja. Das ist genug Material für einen anderen Artikel.

    Menschen haben Vorlieben, Kinks, Fetische. Gerade „weibliche“ Fetische wurden sehr lange pathologisiert, verunsichtbart und unterdrückt. Sie durften nicht ausgelebt werden, zumindest nicht in einem konsensuellen, selbstbestimmten Rahmen. (Frauen und afab nichtbinäre Personen durch sexualisierte Gewalt zu unterwerfen, das ging jedoch voll klar. Weil Patriarchat.)

    Fazit

    Zwischen der Unterdrückung von Frauen und afab nichtbinären Personen und konsensuellem Sex liegt ungefähr so viel Raum wie zwischen mir und dem Boden des Marianengrabens. Das liegt daran, dass konsensueller Sex eigentlich die – für das Patriarchat – gefährlichste Art ist, Sex zu haben. Beide Personen sprechen auf Augenhöhe miteinander, über ihre Bedürfnisse und Wünsche und Fantasien. Bei Sessions wird noch ein Safeword (oder etwas ähnliches) vereinbart, es werden „harte“ und „weiche“ Limits festgelegt – die harten Limits werden niemals angetastet, die weichen Limits dürfen gemeinsam erprobt werden. Augenhöhe zerstört aber das Machtgefälle, welches das Patriarchat aufgebaut hat – Augenhöhe ist eben keine „Unterdrückung durch Sex“, sondern ein bewusstes Auseinandersetzen mit den eigenen Wünschen, Bedürfnissen, Kinks, Fetischen und dem eigenen Körper.

    Dabei ist – solange es selbstbestimmt geschieht und keine Dritten davon unkonsensuell beeinflusst werden – völlig irrelevant, auf welchen Kink sich bezogen wird. Oder ob es überhaupt um BDSM geht.

    Wie genau Neigungen und Kinks entstehen, wurde noch nicht ausreichend erforscht. Es steht jedoch fest, dass es weder eine Krankheit, noch ein charakterlicher Mangel ist, bestimmte Praktiken zu bevorzugen, masochistisch, sadistisch oder devot zu sein.

    Gleichzeitig drängt die Behauptung, „weibliche“ Dominanz sei „Patriarchat über Bande“, dominante, feminine Personen in Rollen. Rollen, die sie gar nicht haben wollen. Zuerst Anerkennung, dass es sich um eine einvernehmliche Vereinbarung handelt, dann Waffe gegen sie. Denn dominante Weiblichkeiten würden dies ja nur tun, um dem (devoten) Patriarchat zu gefallen. Das bedeutet, es kann in dieser Lesart des Feminismus keine selbstbestimmten Kinks geben.

    Das halte ich für zutiefst misogyn.

  • „Baby Butch“ von Lou Conradi – Rezension

    Ich habe gelesen. Ich habe am Wochenende dieses Buch auf den Tisch geschoben bekommen. Von einer Person, die ich bewundere und schätze. Für seinen Mut, für seine politische Arbeit, für seine Widerständigkeit. Für seine Zärtlichkeit, passende Namen zu geben.
    Das war am Sonntag, heute ist Dienstag. Ich habe gelesen, ich habe dieses Buch gelesen, verschlungen, es kratzte auf dem Knochen und ging unter die Haut. Ich bin fertig geworden, ich habe es zur Seite gelegt. Neben den Laptop, neben mir schnurrt eine Katze, ansonsten ist es still. Nur meine Finger klackern auf der Tastatur, während ich schreibe. Das Buch heißt „Baby Butch“ und es ist beeindruckend.

    Inhalt

    Die Geschichte ist schnell zusammengefasst, ich zitiere den Klappentext, um nicht zu spoilern:
    Was hat das Einhorn mit der Jungfrau Maria zu tun und Feminismus mit Waffenexporten? Gibt es die unbefleckte Empfängnis wirklich, hilft BDSM gegen Polizeigewalt und was können trans Menschen erwidern, wenn sie mal wieder gefragt werden: „Was bist du?“
    Spätsommer 2015, Berlin.
    Während in Heidenau und Freital rassistische Mobs Geflüchtete angreifen, planen Steph, eine linksradikale Baby Butch, und Maria, eine kommunistische trans Frau, zusammen ein Kind zu bekommen. Mit Erfolg: Steph ist schwanger! Was als alternative Familiengründung geplant war, ist jedoch schnell ein Chaos aus Beziehungsgeflechten und Existenzängsten. Zwischen Demonstrationen, Polizeigewalt, Transition und Wohnungslosigkeit versucht eine Gruppe junger, impulsiver Queers, Kontrolle über ihr Leben zu behalten, während um sie herum die politische Lage längst außer Kontrolle geraten ist.
    Erschienen ist es November 2019, Edition Assemblage.

    Emotionen

    Linke Zerrissenheit, die Gratwanderung zwischen unterschiedlichen Bedürfnissen, Überforderungen und Kommunikationsverhalten. Scheiße sein – ohne es zu wollen, es trotzdem zu dürfen, geliebt zu werden und von Schuldgefühlen zerfressen. Politische Diskussionen, die unter die Haut gehen und zwischen die Beine treffen. Verzweiflung an Sonntagen und das Bedürfnis, die Welt sofort verändern zu wollen; Resignation und Ausgebrannt sein.
    Wer sich in diesen Konstrukten wiederfindet, sollte dieses Buch lesen.

    Die Charaktere sind nicht (nur) nett zueinander, sie sind menschlich, sie sind politisch, sie ziehen Grenzen. Trösten sich nicht, wenn es nur um Befindlichkeiten, eigene Privilegien geht. Das kann hart sein zu lesen, weil es wehtut, weil es der Protagonist_in damit im ersten Moment nicht gut geht. Aber es ist gleichzeitig ein Punkt, an dem sowohl die Reflektion von Lesenden, als auch der Protagonist_in angestoßen wird. Ohne, dass diese Trostlosigkeit, bewusste Empathielosigkeit die Beziehung der Protagonist_innen (zer)stört. Es ist keine heile Wohlfühlwelt, es ist die unsrige.

    schmerzhaft realistisch

    Eine Welt, in der Polizeigewalt und Rassismus eine Rolle spielen. Personen sich aufgrund von Sozialisierung und Privilegien so richtig scheiße verhalten können – und dennoch versuchen, das richtige zu tun. Es geht um Dysphorie und Unsicherheit, darum, welche Begriffe für welche Person passen.
    Ob sie passend gemacht werden können. Ob sie uns überhaupt zustehen oder wir damit anderen etwas wegnehmen.

    Es geht nicht darum, eine Lösung zu finden. Lou Conradi wirft Fragen auf, ohne selbst die Antworten geben zu können. Er gibt nur einen Ausblick auf mögliche Lösungen, aber er gibt kein Patent.
    Romane sind auch nicht dazu gemacht, Patente zu vergeben. Gleichzeitig ist dieser hier so nah an meiner Realität, dass ich unbewusst doch nach möglichen Ideen für ein besseres Wir suche.
    Ich zumindest habe es getan. Und war schlussendlich erleichtert, als mir keine einfache Lösung präsentiert wurde.

    „Es gibt kein richtiges im Falschen“, sagte einst Adorno, als er die Möblierung seiner Zeit kritisierte – auf der Metaebene bestimmt noch mehr, aber das würde zu weit führen. Ein geflügeltes Wort der Szene, ironisch und unironisch verwendet, zu allem passend (ungefähr so wie Salz – oder Pommes. Ja, sie schmecken auch mit Ahornsirup.)

    Fazit

    „Baby Butch“ zeigt eindringlich und dabei nicht abgehoben, intensiv und doch nicht wehleidig, wie richtig dieser Ausspruch immer noch ist. Vor allem, wenn es um trans Themen geht. Es gibt kein richtiges Leben im falschen Geschlecht. In dem, das mir zugeschrieben wurde. Gleichzeitig bleibt die Frage, ob denn „das falsche Geschlecht“ zu sagen, mir überhaupt zusteht. Ob es denn nicht andere Personen gibt, denen es noch schlechter geht. Die große Frage der meisten Eier (ungeschlüpfte trans Person), die ich on- und offline getroffen habe. Auch euch möchte ich dieses Buch ans Herz legen. Ich möchte es allen trans Geschwistern und allen verzweifelten Queers der linken Szene geben.

    Ich möchte mit euch einen Kuschelhaufen bilden und gemeinsam verzweifeln, während wir das „Gute Leben für Alle“ erreichen wollen.

    P.S.: Wenn sich das eigene Geschlecht nicht richtig (auf welche Art auch immer) anfühlt, ist es wahrscheinlich nicht das richtige.

  • white knights – Der Drache ist die bessere Alternative

    Kennen wir doch alle, das Märchen. Die Jungfrau, die vom Drachen entführt wurde und der weiße Ritter, der auszieht, sie zu retten. Wahlweise auch das „Ollowain“ Prinzip, nach dem weißen Ritter der Königin in den „Elfen“-Büchern von Bernhard Hennen.
    Aufopfernd treu für seine Königin, moralisch allen Feinden überlegen und stets der Held in glänzender Rüstung. White knights eben.

    Dieses Phänomen gibt es nicht nur im Märchen, sondern auch in ganz alltäglichen Situationen. Vor allem, wenn es gegen andere Männer geht, sind die white knights meist ganz vorne dabei, mich (oder Frauen) retten zu wollen.

    white knights

    Ich erzähle von einer sexistischen Situation und habe gleich fünf männliche Wesen an mir, die mir versichern, dass mit ihnen an meiner Seite, mir das niemals passiert wäre. Denn sie hätten da sofort eingegriffen und dem Sexisten die Leviten gelesen. Oder ihn geboxt. Oder sonst irgendetwas getan.

    Sie haben nicht nach meiner Einschätzung der Situation gefragt oder wie ich die Sache geregelt habe. Es wird sich instant schützend vor mich geworfen – sinnfreierweise, da die Situation ja dann bereits vorbei war.

    Aber auch in den betreffenden Situationen handeln white knights, ohne meine Rückmeldung einzuholen, ohne mir Handlungsspielraum zu lassen. Ihre Devise ist, die schutzlose Jungfrau (haha) vor allem Übel zu bewahren, völlig ungeachtet der Meinung der betreffenden Person.

    Solidarität

    Der Unterschied zwischen Solidarität, die ich mir wünschen würde, und den weißen Rittern? Solidarität kommt von sich aus, verlangt keine Belohnung und existiert unabhängig von der betroffenen Person, alleine um der Vermeidung der Reproduktion von Diskriminierung willen.

    Weiße Ritter wollen aber Lob für ihr Verhalten, wollen damit etwas (sei es Zuneigung oder politische Stabilität) beweisen und erwarten im Gegenzug etwas (meist Zuneigung, Bewunderung oder eine „Freikarte“ für sexistisches Verhalten in der Zukunft).

    Solidarische Menschen sind solidarisch (ohne Hintergedanken) und das, indem sie einfach konkret in der Situation etwas tun. Weiße Ritter zeichnen sich meistens dadurch aus, dass sie hinterher mit ganz vielen Ideen kommen, wie sie die Situation geregelt hätten. Solidarität kann auch sein, sich hinterher mit mir solidarisch zu zeigen, zu sagen, dass Aktion X so nicht okay war oder der Person mitzuteilen, dass sie gerade Scheiße gebaut hat. Dabei wird auf meine Wünsche (oder die jeder anderen betroffenen Person) Rücksicht genommen. Solidarität läuft in meinem Rücken ab, mich unterstützend.

    politische Objektifizierung

    Weiße Ritter werfen sich schützend VOR die betroffene Person, fällen ihre eigenen Entscheidungen und erwarten hinterher Lob für ihr Eingreifen. Dabei ignorieren sie im extremsten Fall den Willen der betroffenen Person und handeln konträr dazu. Voll Selbstgerechtigkeit, ob ihrer eigenen, selbstlosen Handlung. Weiße Ritter agieren vor der Person. Selbstgerecht, eitel und voll als Hilfsbereitschaft getarntem Egoismus. Das Verhalten unserer Ritter ist schlussendlich auch nur die Reproduktion von Sexismus. Die betroffene Person wird weder ernst genommen, noch wird ihr zugetraut, dass sie mit der Situation alleine zurecht gekommen wäre.

    Die Prinzessin ist niemals Subjekt ihrer Rettung, sondern stets (Prestige)objekt des Retters. Es geht um die Rettung, die Gerettete ist dabei unerheblich. Sie dient maximal noch als Anreiz der Rettung. Sie ist „Beute“ oder „Gewinn“, den die erfolgreiche Rettung mit sich bringt.

    Wie aber hält eins solidarische Personen und weiße Ritter auseinander? Indem eins die betroffene Person vor einer Handlung erstmal fragt. Und dann auf die betroffene Person gehört wird. Es kann auch solidarisch sein, die betroffene Person vor der Auseinandersetzung mit Täter_innen zu schützen und somit vor der Person zu agieren. Das muss aber abgesprochen sein und auf den Wunsch der betroffenen Person geschehen. Nicht ungefragt und nicht mit einer Erwartungshaltung.

    Ihr seid keine coolen Dudes, wenn ihr ungefragt meine Kämpfe kämpft. Es ist nur eine andere Form davon, mich klassischerweise an den Herd zu fesseln.

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