Schlagwort: Übergriffigkeit

  • Ergänzung zu: Ich war übergriffig.

    Ich kann nur aus meiner eigenen Perspektive sprechen und ich möchte bewusst bei mir bleiben.

    Ich glaube der betroffenen Person. Ich glaube an Definitionsmacht, daran, dass eine betroffene Person definieren kann, darf und soll, ob eine Situation übergriffig gewesen ist.

    Ich glaube nicht daran, dass sich Definitionsmacht über die gesamte Person erstrecken darf. Der Großteil meiner traumatischen Erfahrungen lief darauf hinaus, dass eine andere Person die Deutungshoheit über meinen Körper oder mein Sein übernahm.

    Ich werde als autistische Person als gefühllos, eiskalt, empathielos, bösartiges und manipulativ dargestellt. Ich sei nicht fähig, zu reflektieren oder mich an moralische Regeln zu halten. Ich werde das in meine Therapie mitnehmen und dort aufarbeiten. Es wird gesagt, ich hätte meinen Instagram-Post über Übergriffigkeit nur aus taktischen Gründen verfasst. Ich kann dazu nur sagen, dass ich seit mehreren Monaten in der Therapie an diesem Post gearbeitet habe und mit meinem Therapeuten gemeinsam ein Datum festlegte, an dem der Post veröffentlicht wurde.

    Ich habe mich Anfang Juli 2022 massiv selbst überschätzt, ich bin über Stunden hinweg im Overload dissoziiert und ich übernehme die Verantwortung dafür, dass das nie wieder geschieht. Ich habe nichts geplant, ich weiß nicht, was ich in der Situation gesagt habe. Ich wollte an dem Buch mitarbeiten, weil mir das Thema wichtig war, mehr nicht.

    Ich kann mich an die Situation nicht erinnern. Bereits auf dem Hinweg habe ich meine Ressourcen überschätzt und nicht um Hilfe gebeten. Dann war da ein Tor, es sollte offen sein, es war nicht offen, dann ist meine Erinnerung bis zum nächsten Morgen komplett weg. Ich habe daher meine Konsequenzen auf den ursprünglich an mich kommunizierten Vorwürfen aufgebaut:

    • Ich hätte zu viel über meine erlebte Vergewaltigung geredet
    • Ich hätte der Person beim Stimming die Hände festgehalten
    • Ich hätte sie auf die Wange geküsst

    Über Stunden hinweg die Kontrolle über mich und mein Handeln zu verlieren, Alkohol zu trinken, obwohl ich ihn nicht vertrage und dann einer anderen Person gegenüber übergriffig gewesen zu sein: Das macht mir Angst vor mir selbst und darf nicht passieren.

    Ich wusste vorher nicht, dass ein Overload zu dissoziativem Verhalten in diesem Ausmaß führen kann. Erst in der Therapie und dadurch im Austausch mit anderen Autist_innen habe ich erfahren, dass das ein wenig bekanntes Symptom ist und welche Möglichkeiten es geben kann, diese zu vermeiden.

    In der Dissoziation werden nur noch erlernte Verhaltensweisen abgespult, ohne bewusste Beeinflussung oder Handlungsmöglichkeiten. Es ist ein Schutzmechanismus, der Trauma-Coping-Mechanismen automatisiert. In retraumatisierenden Situationen neige ich zum people pleasing – ich würde alles sagen, um einer anderen Person zu gefallen und nicht bestraft zu werden.
    In der Therapie erarbeite ich, wie ich diese potenziell übergriffigen Verhaltensweisen ersetzen kann. Im Fokus der therapeutischen Aufarbeitung steht dennoch, dass so eine Situation nie wieder passieren darf und verhindert werden muss.

    Direkt nach der Situation war ich mutistisch, für mehrere Tage im Meltdown, weinte und schrie, weil selbst im abgedunkelten Zimmer die Reize zu viel waren und alles schmerzte. Daher versuchte meine pflegende Assistenz, die Kommunikation zu übernehmen. They war komplett überfordert und hat nicht transparent gemacht, dass they nicht in der Rolle als enge Kontaktperson, sondern als Assistenz schreibt. Daran müssen wir arbeiten und haben das daher auch zum Thema von their Psychotherapie gemacht. Wir versuchen seitdem, die Rollen so klar wie möglich zu trennen.

    Es ist keine Entschuldigung und keine Rechtfertigung. Es hätte nicht passieren dürfen und ich tue alles, was ich kann, damit es nicht wieder passiert. Psychische Ausnahmesituationen, egal ob akute Psychose oder Dissoziation, die zu Übergriffigkeit führen, rechtfertigen niemals die Übergriffigkeit und ich bin dafür verantwortlich, dass es nie wieder dazu kommt. Ich kann nicht beweisen, dass ich mich an die Konsequenzen halte, ich kann nur sagen, dass ich es tue und dabei therapeutisch begleitet werde.

    Deshalb trinke ich keinen Alkohol mehr und bin in sozialen Situationen ausschließlich mit Assistenz unterwegs – damit ein Overload rechtzeitig erkannt werden kann und ich aus der Situation herausgeholt werde. Außerdem arbeite ich therapeutisch daran, meine eigenen Grenzen frühzeitig zu erkennen, meine Begleitung um Hilfe zu bitten und Situationen rechtzeitig zu verlassen. Ich mache keine aktive Awareness-Arbeit (d.h. ich begleite keine Betroffenen. Ich halte Veranstaltungen, in denen die theoretischen Aspekte von Awareness vermittelt werden) mehr und seit mehreren Jahren auch keine Täter_innenarbeit.

    Mein Verhalten (unabhängig davon, ob ich mich daran erinnere, was ich getan habe), ist unentschuldbar und ich muss Konsequenzen ziehen und habe Konsequenzen gezogen.

    Gleichzeitig glaube ich an transformative justice, ich glaube an Veränderungen in Menschen.

    Ich möchte authentisch sein und zugeben, dass ich Fehler mache. Und ich möchte mit euch teilen, weshalb diese Fehler passiert sind, um mehr Sichtbarkeit dafür zu schaffen, dass sie passieren, damit andere sie vermeiden können. Ich möchte, dass ihr wisst, was ich getan habe, wie ich damit umgehe und das ihr dann entscheiden könnt, ob ihr euch mit mir sicher genug fühlt.

    Es geht nicht darum, dass es keine Fehler geben darf. Es geht um Konsequenzen. Meine Konsequenzen wurden von zwei erfahrenen Awarenesspersonen begutachtet, von denen ich eine nicht kannte. Sie sind hier nochmal zusammengefasst:

    • Völliger Verzicht auf Alkoholkonsum
    • Keine soziale Situation ohne pflegerische Begleitung
    • Verhaltenstherapie und tiefenpsychologische Therapie u.A. mit Fokus auf meine verinnerlichten Verhaltensweisen sowie Verhinderung von Dissoziationen im Overload
    • Keine praktische Awareness- und Täter_innenarbeit
    • Drei Monate keine Veranstaltungen (außer drei Stück, der betroffenen Person bereits im ersten Statement kenntlich gemacht, um ansonsten drohende Wohnungslosigkeit zu verhindern)
    • Öffentlicher Selbst-Outcall, therapeutisch begleitet
  • Wir alle kennen Betroffene – Redebeitrag Halle 14.4.22

    In diesem Text wird sexualisierte Gewalt, Übergriffigkeit, Transfeindlichkeit und Ableismus thematisiert. Betroffene verdienen mehr als das hier. Der Beitrag begann mit einer Minute für Jess, um ihr alles Gute und schnelle Genesung zu wünschen.

    Prioritäten

    Wir alle kennen Betroffene, aber niemand kennt Täter.

    Willkommen in der Stadt, in der über trans Personen und Toiletten diskutiert wird, als gäbe es keine wichtigeren Themen.
    Ich habe keine Angst vor einer trans Frau in einer Toilette.

    Nein, ich habe Angst vor einer Szene, in der Menschen vergewaltigt werden können und es niemanden interessiert.

    Ich war hier, als 2014 auf einer linken Veranstaltung eine Person sexualisierte Gewalt erfuhr.
    Und ich war hier, als in den folgenden Jahren im VL Sprüche fielen wie „so, wie die herumgelaufen ist, wollte die das doch“.

    Ich war hier, als die betroffene Person in der Reile um Hilfe bat und stattdessen mit dem Problem allein gelassen wurde.

    Irgendwann war ich nicht mehr hier.

    Stattdessen bin ich weggezogen, weg aus einer Stadt, in der über trans Personen und Toiletten diskutiert wird, während die sexualisierte Gewalt in den eigenen Strukturen geflissentlich übersehen wurde.

    Heute bin ich wieder hier.

    Ich bin hier, weil es Menschen gibt, die sich diesen Normalzustand nicht mehr gefallen lassen wollen. Weil sich Strukturen entwickelt haben, die es möglicherweise vor acht Jahren gebraucht hätte.

    Ich bin hier, damit es eine Stimme gibt, die diese Strukturen kennt und die sagt, dass ihr genügend Schmutz unter eurem Teppich habt.

    Transfeindlichkeit

    Es wird ein Feindbild konstruiert, während mir Menschen freundlich ins Gesicht lächelnd sagen, dass sie mit mir ficken wollen, solange ich mich nicht verstümmele, wie die „echten trans Personen“. Aber das sei in Ordnung, immerhin sei es nur eine Einzelperson und zwar übergriffig, aber kein Grund, etwas an Strukturen zu ändern. Und ich solle mir doch überlegen, ob die Person nicht doch Recht hätte, so ne Operation sei immerhin schon eine einschneidende Erfahrung und ob ich mal über Reue nachgedacht hätte?

    Wir alle kennen Betroffene, aber niemand kennt Täter.

    In dieser Stadt werden Täterinnnen konstruiert, die nur durch ihre bloße Existenz bereits als Bedrohung für Frauen dargestellt werden, während cis Männer ungestraft sexualisierte Gewalt ausüben dürfen. Wer den Mund aufmacht, wird als Nestbeschmutzer_in wahrgenommen und der Konflikt vermieden. Immerhin sei ja niemand selbst dabeigewesen, ne? Und es gäbe ja immer zwei Perspektiven, außerdem ist er doch so ein cooler Typ und die Partys in der WG seien immer gut. Wäre doch ärgerlich, wenn das nicht mehr ginge.

    Ab leismus und Antifeminismus

    Transfeindliche Strukturen zeichnen sich immer auch dadurch aus, dass sie in letzter Konsequenz antifeministisch sind. Transfeindlichkeit für sich sollte ausreichen, aber machen wir uns nichts vor. Schlussendlich ist Transfeindlichkeit erst dann schlimm, wenn sie auch cis Frauen trifft. Oder Menschen, die sich noch nicht geoutet haben.

    Transgeschlechtlichkeit wird als psychische Erkrankung geframed und wir alle wissen: Psychische Erkrankungen sorgen für böse Menschen, für Monster. Auch so ist eine Pathologisierung, verbunden mit der Stigmatisierung psychischer Erkrankungen, nichts anderes als eine Dämonisierung von trans Personen. Verrückte wissen nicht, was sie tun und sind eine Gefahr für die „normale“, „cissige“ Gesellschaft.

    Die härtesten Auswirkungen dieses Framings spüren vor allem trans Personen in Großbritannien und den USA. Nachdem ensprechende Gesetze in u.A. Texas gekippt wurden, beschloss letzte Woche Alabama, dass in Schulen nicht mehr über queere Themen gesprochen werden darf und Eltern sich im Zweifelsfall strafbar machen, wenn sie ihr trans Kind unterstützen. Ebenso wurde jede medizinische Unterstüzung für trans Kinder verboten.

    Nichts davon ist wirklich weit weg. In Berlin müssen trans Personen bei der Charité üblicherweise einen Pädophilietest im Rahmen ihrer Zwangstherapie zur Transition machen. Leipzig verlangt drei Gutachten, was den Preis einer Transition noch einmal um durchschnittlich ein Drittel in die Höhe treibt. Und in Halle gründen sich Gruppen, die trans Frauen explizit aus ihrer Definition von „Frau“ ausschließen.

    Feministische Intervention gegen Täterschutz

    Wir alle kennen Betroffene, aber niemand kennt Täter.

    Das muss sich ändern. Der gefährlichste Ort für eine trans Person ist eine Beziehung mit einem cis Mann. Der gefährlichste Ort für eine cis Frau auch. Das Problem sind patriarchale Strukturen und die Erwartungshaltung, über den Körper anderer Personen bestimmen zu können. Der Großteil sexualisierter Gewalt passiert in Nahbeziehungen, der Großteil der Femizide geht von cis Männern aus, die ihren Anspruch auf den Körper ihrer Ex-Partnerinnen nicht aufgeben wollen.

    Anstatt trans Personen und vor allem trans Frauen als einen Feind darzustellen, brauchen wir einen Feminismus, der Betroffene schützt. Wir kennen alle Betroffene.

    Lasst uns Täter sichtbar machen und sie Konsequenzen spüren!

  • Stopp der Berichterstattung.

    Mich hat die Nachricht erreicht, dass Jack übergriffig gegenüber Personen gewesen ist.
    Aus diesem Grund habe ich mich dazu entschieden, weitere Veröffentlichungen zu unterbinden.

    Zum derzeitigen Zeitpunkt weiß ich noch nichts darüber, ob die bisherige Berichterstattung online bleiben oder offline genommen werden soll, das mache ich von den Wünschen der betroffenen Person
    (und/oder deren Umfeld) abhängig.

    Egal, zu welchem Thema geschrieben wird, ich kann und werde nicht zulassen, dass dieser Blog für Menschen, die anderen Menschen Gewalt angetan haben, eine Plattform bietet.
    Solidarität mit den Betroffenen.

    Fluff.

  • Leitfaden – Komplimente und Übergriffigkeit

    Weil dieser Leitfaden leider notwendig ist: Alle weiblich gelesenen Personen kennen es wahrscheinlich: Wir treiben uns unschuldig und ohne etwas zu ahnen in social media herum, in Chatgruppen, auf Discord.

    Die Situation

    Plötzlich ploppt eine private Nachricht auf:

    Hey Süße!
    Wir kennen uns aus X und dein Profilbild ist echt niedlich. Wie geht es dir so, was machst du heute?

    Irgendein Dude.

    Klingt ja ganz, nett, erstmal. Immerhin findet er mein Profilbild „niedlich“ und will mich offensichtlich näher kennenlernen. Gleichzeitig ist dieses Verhalten zutiefst übergriffig. Deshalb gibts diesen Leitfaden.

    1. Solange es keine Dating-App ist (die wir hier mal ausschließen), ist meine Anwesenheit im digitalen Raum keine Einladung zum Flirten. So wenig wie ich es angenehm finde, wenn ich offline von Wildfremden angesprochen werde, so wenig ist es online angemessen.
    2. Daraus folgt, dass ich nie mein Einverständnis gegeben habe, offen für Privatnachrichten oder Geflirte zu sein. Anders als offline, kann ich auch nicht durch Blickkontakt oder Gestik/Mimik meinen Konsens zu derartigem Verhalten geben.
    3. Die Erwartungshaltung, weiblich gelesene Personen müssten jeden (positiven) Kommentar zu ihrem Äußeren oder ihrem Verhalten begrüßen („Das war doch nur ein Kompliment!“), ist in ihrem Kern sexistisch, weil weiblich gelesene Personen zu Objekten (meist männlicher) Aufmerksamkeit degradiert werden.
    4. Kosenamen zu verteilen, ohne sich vorher einen Konsens eingeholt zu haben, ist in den meisten Communities übergriffig, weil verpönt. Solange dies nicht Konsens in der Community ist (z.B. weil auch im gemeinsamen Gruppenchat sich alle mit unterschiedlichen Kosenamen anreden), wird ein Machtungleichgewicht geschaffen: Die Person, die verniedlichende Bezeichnungen nutzt und die Person, die sie hinnehmen muss.

    Ein Leitfaden zur Lösung

    Wenn du nun Admin einer dieser Gruppen bist und das Menschen passiert – was kannst du tun? Hier ein Leitfaden:

    1. Nimm die Person ernst. Nur, weil du möglicherweise nicht nachvollziehen kannst, dass sich dieses Verhalten übergriffig anfühlt, heißt das nicht, dass es nicht übergriffig ist.
      1. Du definierst deine Grenzen und die Grenzen innerhalb der Gruppe, nicht aber die Grenzen einer anderen Person. Kommentare wie „Nimm das nicht so ernst, das war nur ein Kompliment!“ untergraben die Wahrnehmung der betroffenen Person.
      2. Sei dir des Machtungleichgewichts bewusst – du kannst dafür sorgen, dass sich andere Personen in der Gruppe, die du moderierst, wohl oder unwohl fühlen (und möglicherweise gehen).
    2. Frag die betroffene Person, was sie sich wünscht.
      1. Reflektiere, ob es eine Person im Admin_a-Team gibt, die (möglicherweise) die Erfahrungen der betroffenen Person teilt.
      2. Wenn es keine weiteren Admin_as gibt, dann frage dich, warum das der Fall ist.
      3. Würde es sich lohnen, ein Admin_a-Team aufzustellen, das mit Diskriminierungen vertraut ist?
    3. Triff eine Entscheidung bezüglich des Verhaltens in deiner Gruppe.
      1. Teile diese Entscheidung öffentlich mit. (Wenn es für dich in Ordnung ist, dass Menschen andere Personen übergriffig anschreiben dürfen, mache dies deutlich. Das sorgt für Klarheit bezüglich der eigenen Erwartungen an eine Gruppe.)

    Schlussbemerkung

    Im Übrigen muss es nicht einmal eine Nachricht sein, die so offensichtlich und flirty daherkommt. Grundsätzlich gilt, auch im online Raum: Ich habe ausschließlich Konsens gegeben, dass ich mich im öffentlichen Bereich aufhalte. Ich möchte nicht, wenn ich an der Bushaltestelle stehe, in ein Wartehäuschen gezerrt und mit „Hallo!“ angequatscht werden und ich lade auch nicht andere Menschen an der Bushaltestelle zu einem privaten Treffen zu mir nach Hause ein – wenn ich das tue (also, wenn öffentlich gefragt wird und ich meinen Konsens gebe), ist das eine andere Geschichte.

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