Schlagwort: Wut

  • Jüdischer Widerstand – ein Gastbeitrag von Naomi

    In diesem Gerichtssaal hängt die Frage in der Luft, warum hat sich das [jüdische] Volk nicht erhoben. Als kämpferischer Jude protestiere ich mit aller Leidenschaft gegen diese Frage, soweit sie auch nur die Spur eines Vorwurfs enthält. Dem Mann [Adolf Eichmann], der mir hier gegenüber sitzt und den 80 Millionen, die auf der Straße das Lied sangen ‚Wenn Judenblut vom Messer spritzt‘, denen schulde ich keine Antwort.

    Abba Kovner, während des Eichmannprozesses

    Diese Worte sprach Abba Kovner, leidenschaftlicher Widerstandskämpfer aus Vilnius, während des Eichmannprozesses in Jerusalem. Er antwortete damit auf eine zentrale Frage, die sich bis heute zahlreiche Menschen innerhalb und außerhalb der jüdischen Community stellen.

    Auf der, vom fzs, von JSUD und anderen studentischen Gruppen 2019 organisierten, Deutsch-Israelischen Studierendenkonferenz wurde eine Diskussionsrunde mit Shahar Arieli, Botschaftsrat und außenpolitischer Sprecher der Israelischen Botschaft in Berlin, veranstaltet. In dieser ging es auch um die Bedeutung der Worte „Never Again“. Nach Arieli bedeuten diese Worte für die Jüdische Gemeinschaft, dass sie sich nie wieder wehrlos gegenüber einer solchen Katastrophe ergeben werden. Auch dieser Ausdruck fügt sich ein in das Narrativ folgender Frage: Warum lies die Jüdische Bevölkerung die Shoah über sich ergehen? Warum gingen sie „wie die Schafe zur Schlachtbank“?

    „Wie die Schafe zur Schlachtbank“
    Noch immer wird dieses Narrativ präsentiert. Was wird damit impliziert? Die „Juden“ hätten sich nicht gewehrt, sie wären also in Teilen selber Schuld an dem, was passiert ist. Wenn sie überleben, nicht untergehen sollen, dann brauchen sie andere Leute, die sie beschützen. Zelebriert werden also meist (deutsche) Widerstandskämpfer_innen, um sich selbst das Gefühl zu geben, es wären ja nicht alle schlecht gewesen, es hätte auch „gute Deutsche“ gegeben. Die einzige Geschichte, die hin und wieder bekannt ist, ist die des Aufstands im Warschauer Ghetto. Er wird jedoch weniger als Befreiungsversuch dargestellt, sondern vielmehr symbolisch für die Brutalität des NS-Regimes verwendet und präsentiert.

    Max Czollek spricht in „Desintegriert Euch!“ davon, dass die „Juden“ Objekte sind, anhand deren die Deutschen ihre Identität als geläuterte Gesellschaft entwickeln und aufrechterhalten können. Dieses Bild schließt sich auch das von mir dargestellte Narrativ ein. Wehrhafte jüdische Menschen würden einfach nicht hineinpassen.

    Wie perfide dies ist, zeigt sich anhand des oben bereits erwähnten, symbolischen Zitat „wie die Schafe zur Schlachtbank“. Dieses Zitat wurde von ebenjenem Abba Kovner benutzt. Nicht jedoch als Beschreibung der Shoah:

    „Jüdische Jugend! Traut nicht jenen, die euch zu täuschen versuchen. Hitler plant die Zerstörung aller Juden [sic!] in Europa. […] Wir werden nicht wie die Schafe zur Schlachtbank gehen! Es stimmt dass wir schwach und wehrlos sind, aber die einzige Antwort auf den Mörder ist Widerstand! Brüder! Lieber fallen wir als freie Kämpfer[_innen] als bei der Gnade der Mörderer[_innen] zu leben. Wehrt euch! Wehrt euch bis zum letzten Atemzug!“

    Abba Kovner, Anfang 1942

    Diese Worte fielen Anfang 1942. Sie stehen in komplettem Widerspruch zum Narrativ, welches sich hinter diesem Zitat heute verbirgt. Ein Narrativ, das nicht nur einen Jüdischen Schlachtruf für sich beansprucht, sondern dessen Bedeutung fundamental die eigentlichen Tatsachen verschweigt. Ein Narrativ, das jedoch nicht überall besteht, denn die US-Amerikanische jüdische Community zelebriert und gedenkt dem Widerstand.

    Welche Folgen hat dies alles? Es gibt kein Selbstbewusstsein, kein Bewusstsein hinsichtlich des Widerstands, geschweige denn Gedenken oder Zelebrieren. Jüdische Menschen werden noch weiter zu Objekten degradiert. Nicht nur zum Bekämpfen oder Erlangen der Absolution, sondern auch zum Beschützen und Verteidigen. Quer durch die Lager hinweg, von Antideutschen, die „ein sicheres Zuhause für ihre jüdischen Freund_innen“ schaffen wollen und in diesem Kontext Bestrafungen auch innerhalb von Freundeskreisen verteilen, bis hin zu Nationalist_innen, welche die Jüdische Bevölkerung vor dem bösen Islam schützen wollen. Wahrlich, ihr seid edle Ritter_innen, was wäre ich armes, kleines, jüdisches Wesen nur ohne euch. (Sarkasmus aus).

    Das ist keine Hilfe, das ist Bevormundung. Ich will und ich werde mich nicht von Goyim (nichtjüdische Menschen) abhängig machen, nur damit sie sich ach so geläutert, ach so offen, ach so anti-antisemitisch präsentieren können. Eine Abhängigkeit, symbolisch an der Thematik der stabilen Holztür in Halle darstellbar.

    Wir haben gekämpft und gesiegt! Wir haben in Konzentrationslagern Menschen befreit, in Armeen und in Partisan_innengruppen Wehrmacht und SS das Leben schwer gemacht! Wir haben Menschen versteckt, zur Flucht verholfen, außer Landes gebracht und versorgt, teilweise gegen unsere eigenen Leute.

    Abba Kovner, Vitka Kempner, Itizk Vitnberg, Zivia Lubetkin, der Aufstand in Sobibor, die Armée Juive, die FPO …

    Wir werden sie ehren. Und wir werden all dies, wenn es sein muss, wieder tun. Mag sein, dass nur die Alliierten Deutschland besiegen konnten und nicht wir allein, mag sein, dass Polizei vor Synagogen weiterhin notwendig ist (und am Ende dennoch stabile Holztüren uns besser schützen als die vormals so edlen Ritter_innen). Aber uns die Schuld dafür geben? Niemals! „[…] den 80 Millionen, die auf der Straße das Lied sangen ‚Wenn Judenblut vom Messer spritzt‘, denen schulde ich keine Antwort.“

    Gerade jetzt braucht es keine Geschichten der Angst und des Leids. Es braucht Wehrhaftigkeit, Widerstand und vor allem Selbstbewusstsein. Widerstand muss zelebriert werden, denn er zeigt, dass wir uns wehren können, wehren dürfen! Liebe Goyim, mit welchem Recht nehmt ihr uns diese Geschichten weg, mit welchem Recht zelebriert ihr, gerade ihr, euren Widerstand, ohne unseren zu erwähnen? Wenn ihr tatsächlich Hilfe sein wollt, dann verteidigt uns nicht nur, sondern helft uns, unsere Wehrfähigkeit, unser Selbstbewusstsein zu erlangen!

    Disclaimer: Es gab und es gibt auch in Deutschland Personen und Projekte, welche Widerstand, auch jüdischen, zelebrieren und ehren. Ihnen gebührt Dank, dass sie diese Erzählung, dieses kleine Licht, am Leben halten.

  • Über Transmisogynie und Transfeindlichkeit – „u can’t trust the AFAB!“

    „Afab nichtbinäre Personen werden immer die sein, die transmisogyn sind. Du kannst ihnen nicht trauen!“

    Ein Take auf Twitter, unterschiedlich gesehen, zusammengefasst und verkürzt. Von trans Frauen geteilt und favorisiert. Schwierig, freundlich ausgedrückt, finde ich.

    Aber fangen wir mit Begriffsdefinitionen an. Ich mag Definitionen, sie bringen alle Beteiligten auf das gleiche Level an Informationen. Weniger Raum für Interpretationen, mehr klare Kommunikation. Winwin – und so.

    Transfeindlichkeit: Abwertung von trans Personen, weil sie trans sind. (Die Kurzfassung.)
    AMAB: Assigned male at birth (bei der Geburt dem männlichen Geschlecht zugeordnet.)
    AFAB: Assigned female at birth (bei der Geburt dem weiblichen Geschlecht zugeordnet.)
    Transmisogynie: Eine bestimmte Form der Transfeindlichkeit, die nur transfeminine Personen betrifft.

    Jetzt kommen die Langfassungen und die Begründungen, warum ich den Take so schwierig finde.

    Kindern wird – durch Genitalienbeschau – ein Geschlecht zugeordnet. Dieses Geschlecht wird mit Erwartungen verknüpft, die wiederum mit den Genitalien gleichgesetzt werden. Ein Penis = cis Männlichkeit. Eine Vulva = cis Weiblichkeit. Diese Zuordnung an und für sich ist bereits inhärent transfeindlich, weil Genitalien kein eigenes Geschlecht haben – sie haben nur das Geschlecht der Person, zu der sie gehören. Gleichzeitig ist es eine Gleichsetzung, mit der wir in dieser Gesellschaft aufwachsen – und die erst mühsam verlernt werden muss.
    Währenddessen wird AFAB Personen beigebracht, dass von Jungs und Männern (also innerhalb der cissexistischen Gesellschaft „Menschen mit Penis“) eine gewisse Gefahr ausgeht. „Selbst wenn sie dich mögen, werden sie dir wehtun.“ ist der Schlüsselsatz, der hängenbleibt, wenn „was sich liebt, das neckt sich“ und „der X, der meint das nicht so, wenn er dir an den Haaren zieht, der kann nur seine Sympathie nicht anders ausdrücken“ als Relativierung und „boys will be boys“ verwendet wird. „Geh nicht alleine nach Hause!“, „Geh nicht im Dunkeln nach Hause!“, „Zieh das nicht an!“ sind ebenfalls Glaubenssätze, mit denen AFAB Personen aufwachsen – und die auch in „züchtige Kleidung für die Schule“ Verwendung finden. Selbst bei den berechtigten Kritikstürmen, die regelmäßig entstehen, wenn Schulen auf so eine Idee kommen – die grundsätzliche Annahme, das AFAB Körper sexualisierend und problematisch sind, bleibt bestehen. (Etwas, wogegen der Feminismus seit Jahren kämpft. Aus Gründen.)

    Wir haben also eine Ausgangslage, die für trans Frauen in feministischen Räumen ziemlich beschissen ist. Weil die Gleichsetzung von Genitalien mit Geschlecht und die daraus folgende Erziehung zu Männern als „Gefährdern“ in Form von Transmisogynie direkt auf (trans) Frauen projiziert wird. Und während feministische Strukturen gegen Patriarchat und Sexismus kämpfen, unterstützen sie häufig aufgrund dieser unreflektierten Projektion den Ausschluss von trans Frauen aus feministischen Räumen. Das beginnt bei „Frauen*“ und endet beim „transsexual Empire“ und dem richtig harten TERF-Shit.

    Wir haben aber auch eine Ausgangslage, die AFAB nichtbinäre Personen zu „Frauen light“ oder auch „cis Frauen mit ein bisschen Glitzer“ erklärt. Schließlich wollen sie sich aus der patriarchalen Kategorie „Frau“ lösen, aber ja „nicht so richtig“ (i.S.v. binäre Transition.) Das kann dazu führen, dass AFAB nichtbinäre Personen (und teilweise trans Männer) Zugang zu feministischen Räumen haben, der AMAB Personen verwehrt bleibt. Aufgrund internalisierter Transmisogynie wird dann diese Form von Transfeindlichkeit („Frau light“) als Waffe gegen unliebsame AMAB Personen verwendet. Weil „Penis = Mann = gefährlich“ oft nicht ausreichend reflektiert wird – und tief in der derzeitigen Gesellschaft steckt. Weil AFAB Personen von Kindheit an die Gleichsetzung „Penis = Männlichkeit = Gefahr“ internalisiert haben, projizieren sie diese in Form von Transmisogynie auf trans Frauen und AMAB nichtbinäre Personen, was zum Ausschluss jener aus feministischen Räumen führt. Im Wissen, dass sie als „weiblich gelesen“ bzw. „Frauen light“ in feministischen Räumen eher Schutz zu erwarten haben, da bei anderen AFAB Menschen (wie beispielsweise cis Frauen) der gleiche Bias besteht. Muss bewusst verlernt werden, muss nicht bewusst passieren. Aber. Hat bewusst verlernt zu werden. Ja.

    Aber auch AFAB Personen leiden unter Transfeindlichkeit.

    1. „Aufsteigen“ im Patriarchat muss bestraft werden, weil „Frau muss an ihren Platz“.
    2. Fragile Heterosexualität, weil cis male Heten AFAB bestrafen müssen, dass sie auf selbige stehen, weil Bedrohung ihrer Heterosexualität.

    AMAB Personen erleben es in folgender Ausprägung:

    1. Die Transgression bei einer transfem Transition ist größer. („Mann sein zu wollen“ gilt als „natürliches Streben der Frau“) Bei AMAB Transition wird es dagegen als „pathologiesierender Wahnsinn“ wahrgenommen – und abgewertet.
    2. Fragile Heterosexualität und (CN T****) are gay aka gay/trans panic defense.

    Schlussendlich läuft Transfeindlichkeit also grundsätzlich auf eine Angst vor der Fragilität des Cistems hinaus. Transmisogynie dagegen ist die Projektion internalisierter Erwartungen an Männlichkeit auf Frauen. (Auch gerne mit vermeintlich „männlicher Sozialisierung“ begründet. Was die Komplexität von Sozialisation zwar unfassbar verkürzt, aber hübsch einfach klingt.)

    Als Person, die sehr lange (fast zehn Jahre) in femicistischen Gruppen aktiv war, kann ich aber – im Gegensatz zu transfemininen Personen, die diesen Zugang nie erhielten, auch diese Sichtweise beitragen:
    Die gefallene Schwester zu sein, die im Patriarchat aufsteigen will und den Feminismus verraten hat, der mehr oder weniger direkt psychiatrischer Aufenthalt nahegelegt wird und die gleichzeitig weder im Feminismus, noch auf der Straße stealth (also im korrekten Geschlecht, aber unerkannt) leben kann, von „du verstümmelst deinen Körper“ ganz abgesehen – der Vergewaltigungsvorwurf kommt auch da. Spätestens, wenn 1 mit Testo anfängt, weil wieder „Testosteron = Männlichkeit = Gefahr“ greift.

    Ja, es gibt bestimmt AFAB Personen, welche den Vorteil des „feministische Räume schützen mich“ gegen AMAB Personen verwenden. Das ist problematisch. Daraus einen Vorwurf an eine Gruppe zu imaginieren, die ebenfalls massiv unter dem Cistem leidet – und niemals die Option auf Passing (als das Geschlecht wahrgenommen werden, das 1 ist) hat – ist mindestens genauso problematisch.

    Der eigene Tellerrand eignet sich nur schlecht bis gar nicht für eine strukturelle Machtanalyse.

  • Suck my dick, Boi!

    Ich bin wütend. Ich bin außerdem aufgedreht, empowert und habe Lust auf Sekt, aber vorher will ich diesen Artikel schreiben, solange der Eindruck noch frisch ist.

    Linke Männer. Nehmen wir einen Typen, nennen wir ihn Matze. Matze ist gar kein Macker, Matze ist „kritisch männlich“. Matze kennt alle Buzzwords (Feminismus, Aktivismus, Anarchismus, Männlichkeit, Diskriminierung). Matze lebt schon irgendwie in einer offenen Beziehung, zumindest hat seine Freundin zugestimmt, dass er herumvögeln kann. Laut ihm kommt sie damit zwar nicht gut zurecht, aber er hat halt so große Lust dazu.

    Matze ist ein Arschloch. Aber weil Matze das immer nur bei einzelnen Personen macht, wird Matze dafür nicht zur Rechenschaft gezogen. Matze trifft vor allem FLINT-Personen. Er übertritt keine Grenzen, er verschiebt nur Grenzen immer weiter nach hinten, bis er bekommt, was er will.
    Wird er dafür kritisiert, tut er überrascht – er würde NIE eine Grenze überschreiten, das wäre ja fürchterlich!
    Zurück bleibt eine verwirrte Person, die ihre eigenen Erfahrungen hinterfragt. Aber Matze ist für ihre emotionalen Bedürfnisse auch nicht zuständig, schließlich sei ja alles casual und abgesprochen.

    Im besten Fall redet diese Person mit Freund_innen. Im allerbesten Fall trifft die Person Menschen, die ebenfalls Erfahrungen mit Matze haben. Und dann stellen alle fest: Es sind immer wieder die gleichen Geschichten, sie unterscheiden sich nur situativ. Hinterher steht im Raum… …was jetzt? Und: Warum haben wir das nicht viel früher erkannt?

    Weil patriarchale Strukturen auch in linken Räumen ein Problem sind. Weil Menschen wie Matze geschickt darin sind, ihr manipulatives Verhalten hinter „Szenezugehörigkeit“ zu verstecken. Weil FLINT immer noch vorgeworfen wird, sie würden ihre „persönlichen Probleme“ in Gruppen tragen, wenn sie darüber reden wollen. Weil das private, das sexuelle bitte innerhalb der eigenen vier Wände zu bleiben hat. Weil linke Räume immer noch eher Rufmord wittern, als Verhalten zu hinterfragen.
    Weil das Patriarchat auch unsere Szene vergiftet und FLINT die Verantwortung bei sich suchen, anstatt auf ihre eigenen Grenzen zu hören und sie zu beachten.

    Wir alle kennen einen solchen Matze. Aber die Szene ist klein, wir können nicht alle cis Dudes verlieren, die irgendwie uncool sind. Und wir wollen ja auch nicht, dass Menschen Angst vor einem Outcall haben müssen.

    Wollen wir nicht? Ich schon. Ich will, dass Menschen den Arsch hochkriegen. Und wenn sie es aus Angst vor feministischer Intervention tun, nun, dann ist dem eben so. Befreite Gesellschaft heißt, dass wir Normen überwinden und die des Patriarchats sind eindeutig Teil davon. Ich will ohne Angst reden können. Ich will das Private politisch machen.

    Und vor allem… Ich will Anerkennung für die Arbeit, die jeder Matze auslöst. Treffen organisieren. Erfahrungen abgleichen. Die eigene Betroffenheit von Übergriffen anerkennen. Die Auseinandersetzung mit eigenen Emotionen. Die Übersetzung eigener Emotionen in strukturelle Diskriminierungen. Die Abgrenzung. Das Aushalten von Schmerz, von „Warum hab ich nichts getan“, von internalisiertem victim blaming.

    Das Verhalten von Matze hat Auswirkungen – und die wenigsten Matze machen sich Gedanken darum. Nebenbei Tätertum – obwohl ja „eigentlich“ nichts schlimmes passiert ist. Bla.

    Ich möchte einen umfassenden Feminismus. Kein Feigenblatt, keine Kirsche auf der Torte. Und ja, heute bin ich nicht analytisch. Ich bin wütend über das Patriarchat und glücklich, dass Empowerment wichtig ist, richtig ist und funktioniert. Und jetzt gönne ich mir Sekt mit Glitzer und zeige den Matzes dieser Welt den Mittelfinger.

    Suck my Testodick, Boi.

  • Krümel und Kuchen

    WIR WOLLEN KEIN STÜCK VOM KUCHEN, WIR WOLLEN DIE GANZE BÄCKEREI!

    Einer der beliebtesten Demosprüche vor allem feministischer Demonstrationen. Er signalisiert, dass die Betroffenen durchaus sehen, dass ihnen zwar ein bisschen gleichberechtigter entgegengekommen werden soll, aber sie eben nur ein Stückchen abhaben sollen, obwohl es grundsätzlich um eine gleichberechtigte Teilhabe geht, um ein selbstbestimmtes Leben, ohne Kapitalismus, ohne Patriarchat. Eben um die ganze Bäckerei.

    Ich war Teil dieser Demonstrationen. Ich war acht Jahre Feministin, bevor ich erkannte, dass ich Feminist_in bin. Das ich zwar sehr lange für eine Frau gehalten wurde, aber keine Frau bin – sondern nichtbinär, genderfluid. Ich hab meinen offiziellen Namen, meinen Personenstand und meine Anrede ändern lassen und eine Hormonersatztherapie begonnen.

    Ich wusste, es würde Änderungen bedeuten. Ich wusste, es würde Menschen irritieren und bereits der Weg hin zu den rechtlichen Änderungen gab mir einen Vorgeschmack dessen, was meine bloße Existenz mit der Gesellschaft machte – sie irritieren, verunsichern und viel zu oft war die Reaktion mehr oder minder gut versteckte Aggression.

    Was ich nicht erwartet hatte, war, wie viel Einfluss es auf meine feministische Arbeit haben würde. Ich war plötzlich nicht mehr gleichberechtigt in feministischen Kämpfen, sondern „nur noch“ trans. Mir wurde – und wird – das Recht abgesprochen, Teil vom 08. März sein zu dürfen, da ich ja nicht die gleichen Diskriminierungen erfahren würde wie Frauen.
    Teilweise wurde ich aus Gruppen ausgeschlossen, da die Quotierung nur für Frauen galt und meine Anwesenheit eine cis-männliche-Dominanz bedeutet hätte.
    Mein Körper wird vereinnahmt, wenn es um (ungewollte) Schwangerschaften geht, während meine intellektuellen Beiträge ausgeklammert werden, da diese ja nur trans Personen betreffen würden und für den feministischen Diskurs keinen Mehrwert hätten.

    Auf der nächsten „Marx ist Muss“ wird es Veranstaltungen geben, die sich zum Schwerpunkt gemacht haben, trans Kämpfe und Frauenkämpfe zusammenführen zu wollen – ohne daran zu denken, dass trans Frauen eigentlich schon zu den Frauenkämpfen gehören sollten und trans Männer mehr Erfahrungen mit den Themen der Frauenkämpfe haben, als allen eigentlich lieb ist. Es wird Transfeindlichkeit reproduziert, um sich im Anschluss solidarisch mit trans Personen (die Originalformulierung ist leider transfeindlich) zeigen zu können. Ein Stück vom Kuchen? Nein, ausschließlich Krümel.

    Ich weiß, wie sich feministische Kämpfe anfühlen, die mich einschließen. Ich weiß, wie sich feministische Solidarität, Solidarität unter Frauen anfühlt. Habe ich die mir erschlichen, sie heimlich ausgesaugt, wie mir so oft unterstellt wird, weil ich zu dem Zeitpunkt noch keine Worte hatte für mein Empfinden? Ist es nur gerecht, dass ich ausgeschlossen werde, schließlich habe ich durch meine Existenz keine Solidarität, zumindest keine selbstverständliche, verdient?
    Vor drei Jahren war der 08. März noch mein Tag, dieses Jahr wurde mir gesagt, er wäre nur für Frauen, ich solle mich verziehen, schweigen, solidarisch mit Frauen sein.
    Während mir keine Solidarität entgegengebracht wird, immerhin hätte ich mich ja selbst dazu entschieden, mich zu outen und müsste jetzt mit den Konsequenzen leben. Das klingt, als wäre Feminismus, dieser Femicismus, eine Gemeinschaft, aus der ich freiwillig ausgetreten wäre und nun die gerechte Strafe dafür erhielte, keine Frau zu sein.
    Ich wäre ja Teil der Transkämpfe, so als trans Person. Und natürlich müsste der Feminismus auch solidarisch mit den Kämpfen von trans Personen sein, so sei das ja nicht. Aber gleichberechtigt seien diese Kämpfe nicht. Trans Männer und nichtbinäre Personen haben am FrauenKampfTag solidarisch zu sein, um dann am NonbinaryDay alleine zu stehen.
    Oder könnt ihr mir sagen, wann NonbinaryDay ist? Könnt ihr euch auch an die großartige Solidarität, das Pushen des Tages und den eigenen Hashtag auf Twitter mit süßem Bildchen dahinter erinnern? Nein? Ich auch nicht, es hat nämlich nie stattgefunden.

    Sozialisation ist komplizierter, als cis Geschlechterdenken es uns glauben macht. Sie ist nicht nur von außen oder von innen heraus zu betrachten. Trans Frauen zu unterstellen, sie wären ausschließlich männlich sozialisiert worden, ist genauso falsch, wie trans Männern zu signalisieren, sie hätten absolut keine Ahnung, wie es sei, als Frau gelesen zu werden.

    Ich hatte den Kuchen, nun bekomme ich Krümel zugeworfen und habe dafür dankbar zu sein.

    ICH WILL KEIN STÜCK VOM KUCHEN, ICH WILL NICHT EURE KRÜMEL, ICH WILL DIE GANZE BÄCKEREI!

    Dankeschön.
    (Internationaler Tag der Nichtbinarität ist übrigens am 14. Juli, falls ihr Lust habt, dieses Jahr mal solidarisch zu sein.)

  • Trigger Warnung/Content Note: Stabil, instabil, kaputt.

    Was haben Triggerwarnungen, ein gut gemeintes „Dafür bist du nicht stabil genug, meinst du wirklich?“ und das Absprechen der Diskursfähigkeit gemeinsam? Und wo ist der Unterschied zwischen Trigger Warnung (TW) und Content Note (CN)?
    Sie berufen sich alle auf meine (zugeschriebene) psychische Stabilität.

    Trigger

    Teilweise ist das gut gemeint – aber nicht gut gemacht. Triggerwarnungen nehmen sich heraus, für andere Menschen zu entscheiden, was (potentiell) triggernd sein könnte. Allerdings ist diese Zuschreibung unmöglich, da Trigger so vielfältig sind wie die Menschen, die traumatisiert wurden. Während einige Personen von Wörtern überhaupt nicht getriggert werden, trifft bei anderen Menschen das durchaus zu.
    Manchmal wird alleine durch das Lesen ein Bild im Kopf geweckt, dass dann zum Flashback führt. In anderen Momenten wird die Assoziation mit einer Situation oder einer Täter_in hervorgerufen. Und manchmal passiert gar nichts.

    Nicht alle Trigger wirken immer, manchmal ist die betroffene Person stabil und das Wort löst überhaupt nichts aus. Manchmal bricht eins dann psychisch zusammen. (Ha. Da kam sie wieder, die Stabilität. Aber dazu später mehr.) Leider kündigen sich diese wechselhaften Trigger nicht mit blinkenden Schildern an, also wird erst nach der Verletzung festgestellt, was heute triggerte.
    Andere Worte triggern immer und sind zuverlässig – und können somit vermieden werden. Auch, indem eins Themen vermeidet, die diese Worte/Beschreibungen/(Wort)Bilder beinhalten.

    Paternalismus

    Wenn ich jetzt aber von wildfremden Personen „gewarnt“ werde, dann nehmen sie sich heraus, zu wissen, was mich (heute) triggert. Das ist verquer, denn ich weiß es meistens selber nicht. Potentiell traumatische Themenbereiche (z.B Psychiatrie, Suizid, SVV) sind natürlich prädestiniert dafür, Trigger zu beinhalten. Allerdings triggert mich auch die Beschreibung von deiner letzten Diät und im Zweifelsfall, was du gestern gegessen hast (hallo, Essstörung, alte Freundin). Aber da schreiben irgendwie Menschen relativ selten eine Warnung dran. (Und nein, ich möchte auf KEINEN FALL noch mehr Warnungen.)

    Content Notes

    Inhaltsbeschreibungen (Content Notes) haben den Vorteil, dass sie mir einen groben Überblick über den Inhalt geben. Ich kann (im Wissen über meine momentane Stabilität, meinen Umgang mit potentiellen Triggern und im besten Fall einem Rückzugsraum) entscheiden, ob ich das jetzt gerade lesen, es später lesen oder gar nicht lesen möchte.
    Ein bisschen wie der Klappentext eines Buches: Geht es da bereits um hocherotische Werwölfe mit muskelbepackten Armen, denen die Protagonistin (oder der Protagonist) instant verfällt… Dann lasse ich das Buch lieber liegen. (Nicht, weil es mich triggern würde, sondern weil es höchstwahrscheinlich schlechte Erotik und Sexismus und Heteronormativität enthält.) Aber durch die vorherige Information über den Text kann ich entscheiden und mir das Geld (oder den Flashback) ersparen.

    Gemeinsamkeiten und Unterschiede

    Der Unterschied zwischen einer Inhaltsbeschreibung und einer Warnung ist die Intention des Erstellenden. Eine Information informiert – wertungsfrei. Eine Warnung warnt – und wertet dabei. Eine Warnung entscheidet FÜR MICH, eine Information LÄSST MICH entscheiden. Aktiv und passiv.
    Und meine persönliche Entscheidungsfreiheit ist mir – gerade als Person mit Psychiatrie- und psychotherapeutischer Intensiverfahrung – sehr, sehr wichtig.

    Eigenverantwortung

    Deshalb kann ich es auch gar nicht haben, wenn Entscheidungen von mir – gut gemeint – hinterfragt werden. „Bist du dir sicher, dass du dafür stabil genug bist?“ – JA. Und wenn nicht, dann mache ich eben Fehler und lerne daraus. Auch psychisch kranke Menschen dürfen mal gegen ne Wand laufen, weil sie ihren Dickkopf durchsetzen mussten. Ich möchte nicht in jedem Fall „vor mir selbst geschützt“ werden. Die Momente, in denen ich mir das wünsche, habe ich vorher kommuniziert – und die Hürden dafür sind bewusst hoch gelegt.

    Ich bin für mich selbst verantwortlich und das bedeutet, dass ich auch „ungesund“ handeln darf. Ich darf gegen Mauern rennen und mir den Kopf anstoßen. Deshalb bin ich ÜBERAUS verärgert, wenn mir andere Menschen dauerhaft eine Matratze vor die Wand stellen.
    Dabei können Menschen auch durchaus sagen, dass sie meine Entscheidungen nicht gut finden. Sie dürfen auch sagen, dass ich sie noch einmal überdenken sollte. Allerdings dann bitte begründet (und zwar inhaltlich) und nicht auf Basis meiner psychischen Stabilität. Die schätze ich schlussendlich immer noch alleine ein. Das kann keine andere Person für mich tun. Punkt.

    Ableismus als Waffe

    Noch schlimmer sind nur Menschen, die meine Traumata (über die ich bewusst sehr offen kommuniziere) dazu verwenden, mich zu diskreditieren. Die mir die Diskursfähigkeit absprechen und versuchen, mich als instabil darzustellen – um sich nicht inhaltlich mit mir auseinandersetzen zu müssen. Ein inhaltlicher Diskurs (gerne auch Streit) würde ja bedeuten, mich als gleichberechtigte_n Diskurspartner_in wahrzunehmen und mir eine Stellung einzuräumen. Es würde bedeuten, dass sich Personen mit anderen Meinungen als meiner ARGUMENTE ÜBERLEGEN MÜSSEN, um mir Kontra zu bieten.
    Stattdessen wird darauf abgestellt, dass alle meine Argumente aus sich selbst heraus wertlos seien und eine weitere Beschäftigung damit unnütz. Ich als Gestörte_s (meine Eigenbezeichnung, wenn ihr mich so nennt, gibt es Stress!) wäre ohnehin nicht fähig, am Diskurs teilzunehmen.

    Gatekeeping

    Leider haben Personen, die so etwas äußern, die Gesellschaft auf ihrer Seite. Menschen aufgrund von Krankheiten aus dem Diskurs auszuschließen hat eine lange Tradition. Die Unterdrückung von Personen aufgrund von (zugeschriebenen) Einschränkungen einen Namen: Ableismus.
    Jede beschriebene Situation ist ein Beispiel  dafür, wie sich neurotypische, body abled Personen als Gatekeeper_innen sehen, die bestimmen, wer „stabil“ genug ist, zum Diskurs zugelassen zu werden – und wer nicht.
    Gatekeeping bedeutet, dass sich nicht-Betroffene zum Torhüter ernennen, um für Betroffene zu entscheiden. Entweder, weil sie behaupten, besser als Betroffene entscheiden zu können, was gut für diese ist. Alternativ, weil sie Betroffene gar nicht im Diskurs haben wollen. Die könnten ja anderer Meinung sein und das macht die eigene, privilegierte Weltsicht kaputt.

    ableistische Erwartungen

    Gleichzeitig leben wir in einer Gesellschaft, die nicht auf die Bedürfnisse von body disabled und/oder neuroatypischen Personen ausgelegt ist. Deshalb erwartet sie von uns Betroffenen, dass wir uns anpassen und uns Mühe geben, in dieser Gesellschaft klarzukommen. Oft haben wir das sogar selbst verinnerlicht und suchen die Schuld für unser „Versagen“ bei uns, anstatt anzuerkennen, dass wir in einer Gesellschaft überleben, die alles dafür tut, damit wir es nicht schaffen. Kapitalistische Verwertungslogik wird in Therapien eingetrichtert und sorgt dafür, dass wir uns so lange Mühe geben, bis wir zusammenbrechen – um immer noch nicht genug getan zu haben. Finde ich kacke.

    Fazit

    Zum „guten Leben für alle“ gehört auch, dass mein DaSein und SoSein einen Raum bekommen. Und den nehme ich mir und ich beiße, wenn irgendwer versucht, mich in Watte zu packen und mir die Zähne zu ziehen!

  • DaSein und SoSein.

    Ich hatte im Laufe meines Lebens ungefähr dreizehn Jahre lang Psychotherapie. Ich bin knapp zwanzig.
    Das ist eine beeindruckende Zeitspanne, habe ich mir sagen lassen. Ich kann das nicht beurteilen, es war meine Normalität. Angefangen hat es, als ich sechs war und dann mehr oder weniger durchgängig, bis ich neunzehn wurde. Mein DaSein war behandlungswürdig, immer.
    Jetzt der erneute Anfang. Diese Therapie unterschied sich jedoch frappierend von allen anderen, die ich zuvor hatte.

    „Wir sind hier doch keine Besserungsanstalt!“ – ein Satz meiner letzten Therapeutin. Dieser Satz ist einmalig, ist besonders in meiner Historie an Therapeut_innen, denn die bisherigen benahmen sich durchaus so, als ginge es darum, mich zu verbessern. Mich anzupassen. Mich gefällig zu machen.
    Mein DaSein angenehmer zu machen, für andere.

    Gaslighting

    Wenn ich in der Sitzung eine problematische Situation schilderte, dann war die darauffolgende Überlegung, was ich daran ändern könnte, damit so eine Situation nicht wieder geschieht.
    „Du kannst andere Menschen nicht ändern, nur dich selbst.“, ist ein Satz, den ich so oder so ähnlich unendlich oft gehört habe. Immer dann, wenn ich der Meinung war, dass mit mir nichts falsch ist, dass sich meine Gegenüber falsch verhalten haben und das es somit unfair ist, dass ich mich ändern muss und nicht die Täter_innen. Meine Wut, meine Frustration, sie hatten keinen Platz in dieser Umgebung. Sie waren schlicht und ergreifend nicht erlaubt.

    Es gab kein Verständnis dafür, dass ich mich nicht immer ändern wollte. Es gab kein Verständnis für meine Situation, es wurde nie erklärt, dass es nicht um Schuld oder Unschuld ging.
    Für mich war klar: Du musst dich ändern, also bist du auch automatisch das Schuldige. Denn nur wer schuldig an der Situation ist, muss sich ändern. Alles andere wäre schließlich ungerecht.

    Gerechtigkeit

    Ja, ich glaubte an Gerechtigkeit, auch wenn das hieß, dass ich dauerhaft „an allem schuld“ war. Das machte mich zwar traurig, wütend und verzweifelt, aber es war so, dass „die Erwachsenen“ es schließlich besser wussten – und gerade in der Kinder- und Jugendpsychiatrie ist das Machtgefälle besonders hoch. Ich habe das nie hinterfragt. Nie, bis meine Psychologin mir den Satz von oben sagte – sie völlig erstaunt darüber, dass ich mich „bessern“ wollte, ich völlig erschüttert darüber, dass ich nicht grundsätzlich falsch bin.

    Es hatten nämlich alle vergessen zu erwähnen, dass der Satz eigentlich lauten müsste „Du kannst andere Menschen nicht ändern, aber du kannst DEINEN UMGANG mit ihnen ändern“. Dann wäre nämlich nicht dieses grundsätzliche „Ich bin fehlerhaft“ entstanden. Es wäre um Umgang gegangen, um beeinflussbares Verhalten – und nicht um den Minidrops, der zurechtgelutscht werden muss und bereits durch das SoSein ein Problem darstellt.

    In dieser letzten Klinik hatten meine Wut und meine Frustration Platz. Ich durfte mich darüber aufregen, wenn Menschen sich scheiße verhalten haben und es hatte Raum. Ich durfte wütend sein. Wut durfte ein Umgang sein. (Ich durfte keine weißen, alten Männer anzünden, aber eins kann ja nicht alles haben.)

    Raum zum DaSein

    Mir hatte vorher einfach noch kein psychologisches Fachpersonal erklärt, dass es mehr gibt, als sich selbst grundlegend ändern und anpassen zu müssen. Ich darf auch einfach sein und muss nicht mit allen Menschen zurechtkommen.

    Und wisst ihr, was traurig ist? Es hat dreizehn Jahre Therapie gebraucht, damit mir eine Psychologin vor einem halben Jahr mal die Erlaubnis gibt, dass ich anecken darf. Ich scheitern darf. Wütend sein darf. Ich Traurig sein darf. Nicht völlig falsch bin.

    Ich darf DaSein. Auch ohne, dass es allen gefällt.

  • Macker, Macker, Mackerfa

    Linke (vor allem weiße, cis männliche Macker) sind bessere Menschen. Sie sind niemals sexistisch, rassistisch, ableistisch, transfeindlich oder auf sonst irgendeine Art und Weise menschenfeindlich.
    Nein, denn sie SIND JA LINKS. Und als LINKE_R ist es überhaupt nicht möglich, dass irgendeine Form von Diskriminierung reproduziert wird. Jede Internalisierung, die von dieser Gesellschaft mitgegeben wurde, löst sich automatich in Rauch auf, wenn eins LINKS wird.

    (Ihr hört das Autor_in ein wenig genervt seufzen. Bestimmt.)

    Schlussendlich kommt es immer dann zu Problemen, wenn sich eine Person halt doch irgendwie diskriminierend und/oder scheiße verhält.

    Denn „es kann nicht sein, was nicht sein darf“ und somit wird problematisches Verhalten nicht aufgearbeitet und reflektiert, sondern abgestritten. Schließlich sind nur „die Anderen“ sexistisch (und alles andere, aber ich bleibe mal beim Sexismus als herausragendes Beispiel), also die, die eben nicht links sind. Diskriminierende Verhaltensweisen werden oft mit „böse“ sein oder bewussten Verletzungen gleichgesetzt. Das nervt, denn es macht Betroffenen das Leben unnötig schwer.

    Wie soll nämlich eine Person euer Verhalten kritisieren, wenn sie nicht sagen darf, was gerade passiert ist, weil dann das große Trara losgeht, dass die diskriminierende Person niemals diskriminieren würde und das die betroffene Person ja gemein und unfair ist, wenn sie so etwas sagt – im Extremfall sogar öffentlich? Antwort: Gar nicht. Oder nur ganz, ganz vorsichtig und höflich und nett. Ohne die bösen Wörter „mackerhaft“, „sexistisch“, „Sexismus“ zu benutzen. Denn sonst wird die kritisierende Person als „gemein“ abgewertet. Ich bin gemein, aber ihr bleibt Macker.

    Es geht mir nicht darum, euch als das personifizierte Böse abzustempeln, wenn ich problematische Verhaltensweisen offenlege.

    Macker, ein potlitischer Begriff

    Es geht mir nur um die Verhaltensweisen. Kurz, um Macker. Ähnlich wie Heten ist das hier ein politischer Begriff.

    Nochmal zum Mitschreiben: Wir leben alle in einer Gesellschaft, die uns mit vielen verschiedenen Formen von Machtgefällen sozialisiert hat und wir kommen da nicht automatisch raus, nur weil wir es gerne wollen würden. Das ist nicht schön, aber das ist halt so.

    Dafür trägt das Individuum auch keine Verantwortung, das ist ein strukturelles Problem.

    Aber wenn das Individuum das eigene Verhalten nicht reflektieren möchte, weil es sich aus gesellschaftlichen Strukturen erhaben sieht, dann wird das zu einem Problem. Zu einem Macker.

    Bevorzugt übrigens zu dem Problem von Betroffenen, die nämlich dann doppelt arbeiten müssen: Zum Einen obliegt es meist ihnen, problematisches Verhalten zu benennen, zum Anderen müssen sie auf das empfindliche Ego jener achten, die sich selbst als unbeleckt von sozialen Strukturen wahrnehmen.

    Das ist einfach nur arrogant, dieses „Ich bin links, ich würde niemals Diskriminierungen reproduzieren“. Komm mal wieder auf den Teppich, Macker. Selbst von Diskriminierung(en) betroffene Personen reproduzieren diese gesellschaftlichen Standards. Frauen reproduzieren sexistische Denk- und Verhaltensmuster, teilweise gegen sich selbst, teilweise gegen andere Frauen.

    Und das ist logisch, weil wir mit diesen Diskriminierungen sozialisiert wurden und sie internalisiert haben. Da wieder raus zu kommen, ist ein ziemliches Stück Arbeit UND ES IST VOLL OKAY, WENN WIR NICHT PERFEKT SIND. Am nicht perfekt sein kann gearbeitet werden, insofern das denn überhaupt gewünscht ist. Allerdings sollte es uns darum gehen, an unserer internalisierten Kackscheiße zu arbeiten, um sie nicht zu reproduzieren. Das ist nämlich für mich „links“.

    Lösungswege

    Wir sollten uns also bloß Mühe geben. Wobei, das „bloß“ kann hier gestrichen werden. Es ist doch ziemlich viel Anspruch dabei.

    Mühe geben heißt, dass wir Gedanken und Verhaltensweisen hinterfragen. Das wir Betroffenen dabei zuhören, was sie sich von Privilegierten wünschen. Aber das wir dabei auch nicht generalisieren. Was für eine_n Betroffene_n in Ordnung ist, gilt nicht zwingend für alle. Es geht um Achtsamkeit und darum, auch mal einen Schritt zurücktreten zu können. Wenn ich von meinen Sexismuserfahrungen (auch in in der linken Szene) berichte, die einfach mal sacken zu lassen, anstatt hechelnd „aber nicht alle Männer!“ einzuwerfen. Wenn mir Gedanken zu dem Körper oder der Leistungsfähigkeit einer anderen Frau kommen, die zu reflektieren und zu schauen, was das eigentlich ist und wo das herkommt. Und dann die Klappe zu halten und die Gedanken dadurch kleiner werden zu lassen. Auch mal den eigenen Redeanteil zu hinterfragen und warum du eigentlich immer die Frau in der Gruppe unterbrichst. Aufmerksam zu sein, wem du besonders zuhörst und wen du eher vernachlässigst.

    Wen du auf Demos „schützen“ möchtest und wem du zutraust, dass er_sie das auch alleine schafft. Wer in der Küche steht und wer den Abwasch macht – und warum. Wie du dich anderen Menschen verhältst.
    Das ist eine Menge Arbeit. Und manchmal habe ich das Gefühl, dass sich diese Arbeit nicht viele Menschen machen wollen.
    Und dann kommst du ins Spiel. Du, ein linker cis Dude, der sich ganz, ganz viele Gedanken darüber gemacht hat, dass Sexismus echt uncool ist – und behauptet, er wäre nicht sexistisch. Denn, du hast dir ja Gedanken darüber gemacht und würdest deshalb so etwas nie reproduzieren. Du würdest nie in Biologismen denken und du würdest niemals deine gesellschaftliche Macht nutzen – oder für selbstverständlich nehmen. Das ist einfach. Du bist per definition ein „guter“ Mensch.

    Es zeugt von deinen Privilegien, dass du das so sagen kannst. Und weil du nicht alleine bist – in jedem linken Raum gibt es eine Quote von 25% von euch, könnt ihr auch noch gegenseitig euch darin bestätigen.

    Linke Männerbündnisse

    Das erspart euch Arbeit und macht mir (und anderen Menschen, die euch auf verletzendes Verhalten hinweisen wollen) mehr Arbeit. Denn wir müssen dann nicht nur gegen gesellschaftliche Strukturen argumentieren, sondern auch gegen euer Selbstbild. Und das anzugreifen kann schnell mal persönlich werden – und dann sind die Betroffenen plötzlich unfair und böse, weil sie dem armen Dude gesagt haben, dass sein Verhalten nicht okay war. Hier, ein ähnlicher Artikel.

    Oder noch schlimmer: Dabei nicht nett und lieb und freundlich geblieben sind. Denn wir sind ja alle für eine gewaltlose, konstruktive Kommunikation – vor allem diejenigen, die gerne mal Kackscheiße reproduzieren. Wenn die Betroffenen dann emotional werden, dann wird das genutzt, um die Argumente abzuwerten – denn Emotionen sind ein Beweis für „Unrecht haben“. Wer schreit, verliert.

    Also sollen wir nett und freundlich gegen eine Mauer argumentieren, um irgendwann, vielleicht, ein Einlenken zu erreichen. Das strengt an. Ich verstehe ehrlich gesagt auch nicht, was so schlimm daran ist, sich mal „falsch“ zu verhalten. Du bist nicht unter einem Stein aufgewachsen oder von Robotern in einer Blase aufgezogen worden. Du machst Fehler. Wir alle machen Fehler. Aber wenn du dich hinstellst und als einzige Person sagst, völlig fehlerfrei zu sein, dann wirkt das unglaubwürdig.

    Und ab und zu habe ich das Bedürfnis, mit einem Presslufthammer diese Mauer einzureißen.

    Deshalb endet das hier mit einem Appell an alle Menschen, die ihr Selbstbild eines „guten“ Linken, der niemals Kackscheiße reproduziert, aufrechterhalten:

    Fazit

    Lasst das! Nehmt hin, dass ihr genauso Teil der gesamtgesellschaftlichen Situation seid wie alle anderen auch und lebt damit, dass ihr ab und zu Fehler machen werdet.
    Das nimmt mir eine Menge Arbeit ab und ich kann mich aufs Leben konzentrieren, statt Kopfschmerzen vom Heulen zu bekommen, weil mal wieder ein Macker persönlich wurde.

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