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Das Cover von Anarchie Déco ist vor einem rosa Hintergrund, der vor einem grünen Hintergrund schwebt. Links steht der Titel, rechts die Autor_in. Oben drüber Rezension.
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„Anarchie Déco“ von J. C. Vogt – Rezension

Berlin. Die letzten Bücher, die ich begeistert verschlang, führten mich allesamt nach Berlin.
Sei es in „Berlin, rostiges Herz„, oder „Berlin, magische Knochen“ (Rezension folgt noch).
So auch Anarchie Déco, von J. C. Vogt.

Gott zaubert nicht.

Albert Einstein

Wir sehen, ich habe eine ganz eigene Verbindung zu unserer Hauptstadt – unter anderem einen tiefen, emotionalen Hass gegenüber dem Berliner Hauptbahnhof, der mich regelmäßig in einen Overload versetzt.

In „Anarchie Déco“ von Judith C. Vogt aus dem Fischerverlag spielt der Berliner Hauptbahnhof glücklicherweise nur eine untergeordnete Rolle, stattdessen geht es um Anarchie, Magie, Kommunismus, Nationalismus, Rassismus, Sexismus, Misogynie, Transfeindlichkeit, Antisemitismus. Klingt erst einmal heftig? Keine Angst. Es wird gut! (Außerdem spielt Einstein auf seiner Geige, das könnt ihr euch nicht entgehen lassen!)

Jugendstil

Das Cover ist im Jugendstil gehalten, eine leuchtende Kugel, eine stilisierte Figur. Ich persönlich genieße diese Unaufgeregtheit und die fließenden Linien sehr. Die Schriftart des Titels erinnert mich an die Leuchtstoffröhren alter Lichtspielhäuser, ich erwarte beinahe, dass sie zitternd und flackernd zum Leben erwachen, um mich vom Cover aus anzustrahlen. Stattdessen schlage ich das Buch auf.

Inhaltlich möchte ich nicht zu viel verraten, nur soviel, dass es bis zur letzten Seite spannend bleibt, wer hinter den verübten Verbrechen steht. Magie, so wurde entdeckt, ist die physikalische Verschmelzung von Kunst und Wissenschaft – andererseits kann sie auch selbstbestimmt und alleine geformt werden, wenn auch nicht von allen Personen.

Diversität

Die Hauptfigur ist eine Schwarze Frau, die Nebenfiguren sind teilweise jüdisch, trans, nicht-weiß, lesbisch, schwul – im Kontext Diversität ist dieses Buch eine erfrischende Abwechslung, da nicht in die übliche Klischeekiste gegriffen, sondern die Betroffenheit der Figuren zur Ausarbeitung des Charakters notwendig gemacht wurde. Wir begleiten die Protagonist_innen durch Berlin, auf der Suche nach der Lösung geheimnisvoller Morde und magischer Varieté-Einlagen. (Und einem Aufbewahrungsort für Unmengen geklöppelter Spitzendeckchen, aber ich will nicht zu viel verraten.)

Die gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten sind in die Handlung eingeflochten, ohne bemüht moralinsauer zu wirken. Es hat – als trans, als behinderte, als nicht-weiße Person, Spaß gemacht, dieses Buch zu lesen und mich in einem Berlin der 20er Jahre zu verlieren. Über politische Aspekte grinste ich, ich fühlte mich in den Schwarzen Scharen eigentlich gut aufgehoben. Dennoch war es nicht zu romantisierend, nicht zu friedvoll gezeichnet. Politische Debatten der damaligen Zeit habe ich als wertschätzend, wenn auch nicht tiefergehend nachverfolgbar gezeichnet erlebt – eine gute Entscheidung, könnte doch ein Roman (so gut recherchiert er auch sein mag) niemals die tatsächlichen Debatten der damaligen Zeit (oder auch heute) in vollem Umfang darstellen.

Fazit

Das Ende ist offen. Möglicherweise erleben wir noch einen zweiten Teil, das andere Hosenbein der Zeit, das uns in ein anarchistisches oder kommunistisches Berlin der 30er Jahre entführt?

Das Buch wurde mir freundlicherweise als Rezensionsexemplar vom Verlag zur Verfügung gestellt. Ich danke.

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