Autor: Fluff

  • FLINTA* – Potenzial und Grenzen

    Wofür steht FLINTA*?

    Warum FLINTA?

    FLINTA* ist ein Akronym1, das eine lange, historische Entwicklung hinter sich hat.
    Ungefähr in den 1970er Jahren entstanden die ersten Frauenräume, um Frauen eine Art Schutzraum vor dem Patriarchat zu bieten. Später (in den 80er Jahren) erweiterten sich einige dieser Räume explizit auf FrauenLesben. Das lag unter Anderem am „lesbischen Separatismus“, einer Strömung, die „Frauen“ in Abhängigkeit zum heterosexuellen Mann definierte. Lesben waren somit keine Frauen, sondern Lesben.

    „Lesbisch“ kann also nicht nur eine sexuell-romantische Orientierung, sondern auch ein (nichtbinäres) Geschlecht sein. In den 90er Jahren kam das T hinzu, um vor allem trans Frauen explizit einzuschließen.
    Trans Männer waren in vielen Fällen bereits vor ihrer Transition Teil von feministischen Räumen und somit oft automatisch „irgendwie“ dabei.
    Seit den 2010er Jahren wurden dann nichtbinäre und ageschlechtliche Identitäten mitbenannt, auch, um ein Gegengewicht zum Begriff „Frauen*“ zu bilden. 
    Wer mehr über die historischen Entwicklungen lesen möchte, kann das beispielsweise im Spinnboden-Archiv in Berlin tun.

    Diese Geschichte der Entwicklung von Frauen- zu FLINTA*-Räumen ist wichtig für eine heutige Kritik am Begriff und seiner Verwendung. 

    Verwendung und Kritik

    FLINTA* ist ein Überbegriff für Menschen, die in einem endo-cis-sexistischen2 System marginalisiert3 sind. Der Begriff schließt also auch Männer ein – und zwar nicht nur trans Männer, sondern auch inter cis Männer. 

    Oft sagen oder schreiben Menschen aber „FLINTA*“ und meinen damit „irgendwie weiblich“, „Leute, die ich für Frauen halte“ oder „Menschen, die von den meisten anderen für Frauen gehalten werden“. Manchmal meinen sie auch „Menschen mit Vulva4„, „Leute mit Brüsten“ oder „Personen, die menstruieren“. Wir sehen, die Geschichte des Begriffs sitzt tief. 
    Das zeigt sich auch regelmäßig in Veranstaltungseinladungen, die sich an „FLINTA*“ richten, gleichzeitig aber Männer – oder auch „nur“ cis Männer  – explizit ausschließen.
    Oder wenn in einer Gruppe zu kritischer Männlichkeit die Frage auftaucht, ob Menschen lieber mit Männern oder mit FLINTA* sprechen.

    Viele AMAB Personen, trans Männer und inter-cis Männer sind damit zwar theoretisch „mitgemeint“, praktisch aber ausgeschlossen. Und ihre Perspektiven finden selten Raum. Es ist nicht ausreichend durchdacht, Menschengruppen nur als Buchstaben in ein Akronym aufzunehmen und es dann „nach Bauchgefühl“ zu verwenden. Frauen* durch FLINTA* zu ersetzen bringt nichts, wenn nicht auch die politische Analyse dahinter weiterentwickelt wird. 

    Mittlerweile misstrauen viele „mitgemeinte“ Menschen dem Begriff zu Recht genauso wie der Bezeichnung „Frauen*“. Anstatt immer neue, angeblich inklusive5 Begriffe zu erschaffen, müssen wir Endo-Cis-Sexismus als Ganzes reflektieren und unsere Art, zu denken, ändern. Zum Beispiel, indem wir Menschen keine bestimmte Sozialisierung aufgrund ihres Geschlechts zuschreiben.

    Alternativen

    Wir müssen uns dringend Gedanken darüber machen, wozu sichere Räume da sein sollen. 
    In einem FLINTA* Raum kann es zu Transfeindlichkeit kommen. Transfeindliche Frauen existieren.
    Wie soll damit umgegangen werden? Wollen wir über Menstruation reden? Über sexualisierte Gewalt? Soll über Männlichkeit gesprochen werden? Natürlich kann auch über Sozialisierung geredet werden. Oder darüber, was das Patriarchat aus uns gemacht hat. Wenn cis Frauen sich einen Raum für sich wünschen, ist das genauso in Ordnung. Wenn es um Blasenentzündungen geht, sind nicht FLINTA* anfälliger, sondern Menschen mit kurzer Harnröhre.

    Es ist gewaltvoll, Menschen die Zugehörigkeit zur Gruppe abzusprechen. Und es ist problematisch, eine so unterschiedliche Gruppe von Menschen unter einen Begriff zu fassen und zu erwarten, dass alle die gleichen Erfahrungen gemacht haben. 

    Um eine nichtbinäre, inter Person, die im Alltag als cis Mann lebt, zu zitieren: „Das letzte Mal Catcalling hab  ich in einer Schwulenbar erlebt. Was soll ich auf ner Demo gegen Catcalling für FLINTA*? Im Aufruf steht, alle FLINTA* erleben Catcalling. Bin ich Ally? Bin ich nicht FLINTA*?“

    Fußnote:
    1: Akronym = Wort, das aus den Anfangsbuchstaben mehrerer einzelner Wörter zusammengesetzt ist.
    2: Endo-Cis-Sexismus = das System geschlechtlicher und medizinischer Normen, das besonders cis Frauen, inter und trans Menschen schadet
    3: marginalisiert = gesellschaftlich an den Rand gedrängt, unterdrückt
    4: Vulva = Venushügel, Schamlippen und Klitoris
    5: inklusiv = miteinbeziehend

  • Ergänzung zu: Ich war übergriffig.

    Ich kann nur aus meiner eigenen Perspektive sprechen und ich möchte bewusst bei mir bleiben.

    Ich glaube der betroffenen Person. Ich glaube an Definitionsmacht, daran, dass eine betroffene Person definieren kann, darf und soll, ob eine Situation übergriffig gewesen ist.

    Ich glaube nicht daran, dass sich Definitionsmacht über die gesamte Person erstrecken darf. Der Großteil meiner traumatischen Erfahrungen lief darauf hinaus, dass eine andere Person die Deutungshoheit über meinen Körper oder mein Sein übernahm.

    Ich werde als autistische Person als gefühllos, eiskalt, empathielos, bösartiges und manipulativ dargestellt. Ich sei nicht fähig, zu reflektieren oder mich an moralische Regeln zu halten. Ich werde das in meine Therapie mitnehmen und dort aufarbeiten. Es wird gesagt, ich hätte meinen Instagram-Post über Übergriffigkeit nur aus taktischen Gründen verfasst. Ich kann dazu nur sagen, dass ich seit mehreren Monaten in der Therapie an diesem Post gearbeitet habe und mit meinem Therapeuten gemeinsam ein Datum festlegte, an dem der Post veröffentlicht wurde.

    Ich habe mich Anfang Juli 2022 massiv selbst überschätzt, ich bin über Stunden hinweg im Overload dissoziiert und ich übernehme die Verantwortung dafür, dass das nie wieder geschieht. Ich habe nichts geplant, ich weiß nicht, was ich in der Situation gesagt habe. Ich wollte an dem Buch mitarbeiten, weil mir das Thema wichtig war, mehr nicht.

    Ich kann mich an die Situation nicht erinnern. Bereits auf dem Hinweg habe ich meine Ressourcen überschätzt und nicht um Hilfe gebeten. Dann war da ein Tor, es sollte offen sein, es war nicht offen, dann ist meine Erinnerung bis zum nächsten Morgen komplett weg. Ich habe daher meine Konsequenzen auf den ursprünglich an mich kommunizierten Vorwürfen aufgebaut:

    • Ich hätte zu viel über meine erlebte Vergewaltigung geredet
    • Ich hätte der Person beim Stimming die Hände festgehalten
    • Ich hätte sie auf die Wange geküsst

    Über Stunden hinweg die Kontrolle über mich und mein Handeln zu verlieren, Alkohol zu trinken, obwohl ich ihn nicht vertrage und dann einer anderen Person gegenüber übergriffig gewesen zu sein: Das macht mir Angst vor mir selbst und darf nicht passieren.

    Ich wusste vorher nicht, dass ein Overload zu dissoziativem Verhalten in diesem Ausmaß führen kann. Erst in der Therapie und dadurch im Austausch mit anderen Autist_innen habe ich erfahren, dass das ein wenig bekanntes Symptom ist und welche Möglichkeiten es geben kann, diese zu vermeiden.

    In der Dissoziation werden nur noch erlernte Verhaltensweisen abgespult, ohne bewusste Beeinflussung oder Handlungsmöglichkeiten. Es ist ein Schutzmechanismus, der Trauma-Coping-Mechanismen automatisiert. In retraumatisierenden Situationen neige ich zum people pleasing – ich würde alles sagen, um einer anderen Person zu gefallen und nicht bestraft zu werden.
    In der Therapie erarbeite ich, wie ich diese potenziell übergriffigen Verhaltensweisen ersetzen kann. Im Fokus der therapeutischen Aufarbeitung steht dennoch, dass so eine Situation nie wieder passieren darf und verhindert werden muss.

    Direkt nach der Situation war ich mutistisch, für mehrere Tage im Meltdown, weinte und schrie, weil selbst im abgedunkelten Zimmer die Reize zu viel waren und alles schmerzte. Daher versuchte meine pflegende Assistenz, die Kommunikation zu übernehmen. They war komplett überfordert und hat nicht transparent gemacht, dass they nicht in der Rolle als enge Kontaktperson, sondern als Assistenz schreibt. Daran müssen wir arbeiten und haben das daher auch zum Thema von their Psychotherapie gemacht. Wir versuchen seitdem, die Rollen so klar wie möglich zu trennen.

    Es ist keine Entschuldigung und keine Rechtfertigung. Es hätte nicht passieren dürfen und ich tue alles, was ich kann, damit es nicht wieder passiert. Psychische Ausnahmesituationen, egal ob akute Psychose oder Dissoziation, die zu Übergriffigkeit führen, rechtfertigen niemals die Übergriffigkeit und ich bin dafür verantwortlich, dass es nie wieder dazu kommt. Ich kann nicht beweisen, dass ich mich an die Konsequenzen halte, ich kann nur sagen, dass ich es tue und dabei therapeutisch begleitet werde.

    Deshalb trinke ich keinen Alkohol mehr und bin in sozialen Situationen ausschließlich mit Assistenz unterwegs – damit ein Overload rechtzeitig erkannt werden kann und ich aus der Situation herausgeholt werde. Außerdem arbeite ich therapeutisch daran, meine eigenen Grenzen frühzeitig zu erkennen, meine Begleitung um Hilfe zu bitten und Situationen rechtzeitig zu verlassen. Ich mache keine aktive Awareness-Arbeit (d.h. ich begleite keine Betroffenen. Ich halte Veranstaltungen, in denen die theoretischen Aspekte von Awareness vermittelt werden) mehr und seit mehreren Jahren auch keine Täter_innenarbeit.

    Mein Verhalten (unabhängig davon, ob ich mich daran erinnere, was ich getan habe), ist unentschuldbar und ich muss Konsequenzen ziehen und habe Konsequenzen gezogen.

    Gleichzeitig glaube ich an transformative justice, ich glaube an Veränderungen in Menschen.

    Ich möchte authentisch sein und zugeben, dass ich Fehler mache. Und ich möchte mit euch teilen, weshalb diese Fehler passiert sind, um mehr Sichtbarkeit dafür zu schaffen, dass sie passieren, damit andere sie vermeiden können. Ich möchte, dass ihr wisst, was ich getan habe, wie ich damit umgehe und das ihr dann entscheiden könnt, ob ihr euch mit mir sicher genug fühlt.

    Es geht nicht darum, dass es keine Fehler geben darf. Es geht um Konsequenzen. Meine Konsequenzen wurden von zwei erfahrenen Awarenesspersonen begutachtet, von denen ich eine nicht kannte. Sie sind hier nochmal zusammengefasst:

    • Völliger Verzicht auf Alkoholkonsum
    • Keine soziale Situation ohne pflegerische Begleitung
    • Verhaltenstherapie und tiefenpsychologische Therapie u.A. mit Fokus auf meine verinnerlichten Verhaltensweisen sowie Verhinderung von Dissoziationen im Overload
    • Keine praktische Awareness- und Täter_innenarbeit
    • Drei Monate keine Veranstaltungen (außer drei Stück, der betroffenen Person bereits im ersten Statement kenntlich gemacht, um ansonsten drohende Wohnungslosigkeit zu verhindern)
    • Öffentlicher Selbst-Outcall, therapeutisch begleitet
  • Die Biofrau im Kühlregal

    „Es muss die Option bleiben, Zugänge nach optischen Gesichtspunkten zu ermöglichen“, sagte Marco Buschmann im Interview mit Zeit online sinngemäß. Es ging (wie meist bei diesem Thema) um den Zugang zur Frauensauna. Ein anderer Schwerpunkt sind Toiletten. Ein Begriff, der in diesem Kontext oft fällt, ist der der „Biofrau“, in Abgrenzung zur trans Frau bzw. Transfemininität.

    Im Text geht es um Transfeindlichkeit und transfeindliche Zuschreibungen. Es gibt dabei Beispiele von essentiellen Weiblichkeitsvorstellungen. Medizinische Maßnahmen und Transitionsschritte kommen ebenfalls vor.

    Biologisch abbaubar?

    Die Biofrau als natürlicher, organischer Zustand und die trans Frau als „künstliche“ Erschaffung daneben. In eine ähnliche Kerbe schlägt auch Jennifer Bilek mit dem Begriff des „Transhumanismus„. Hier wird eine ganze Industrie imaginiert, die hinter trans Personen stünde, namentlich Big Pharma, Big Bank und Big Tech. Sie würden die Idee des „falschen Geist im falschen Körper“ verbreiten und entsprechen behaupten, dass Männer Frauen seien.
    (Der Antisemitismus in diesen Aussagen ist einen eigenen Text wert.)

    Wir merken hierbei schon den ersten Fehler. Trans Frauen sind keine Männer, die sich als Frauen ausgeben. Sie sind Frauen. Bereits vor den Möglichkeiten einer hormonellen oder operativen Angleichung an den gewünschten Körper gab es trans Personen. (Und die ersten Operationen an trans Personen wurden Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts in Deutschland durchgeführt.) Trans Personen sind nichts neues. Sie sind nur geschichtlich unsichtbar geblieben. Diese Unsichtbarkeit liegt an veränderten Begriffen, aber auch an fehlenden Möglichkeiten. Wenn Menschen keine Worte für ihr Sein haben, schweigen sie.

    Weibliche Essenz(en)

    Die Unterscheidung in „Biofrauen“ und trans Frauen eröffnet eine Unterscheidung, die sich mit der essentiellen Frage von Weiblichkeit auseinandersetzt. Was macht eine Frau zu einer Frau? Gibt es überhaupt so etwas wie eine Weibliche Essenz, die allen Frauen gemeinsam ist? Eine fötale Entwicklung des Körpers? Eine gewisse Chromosomenausprägung? (Kennen Sie Ihre eigenen Chromosomen? So richtig, mit einem Karyogramm?) Die Fähigkeit zu gebären? Eine gewisse Körbchengröße? Haarlänge? Hormonwerte? Verhalten? Hobbys? Eine Art zu sprechen und zu gestikulieren?

    Die Antwort kann – je nachdem, aus welcher Perspektive geschaut wird – höchst unterschiedlich ausfallen. Wenn wir auf Steckerverbindungen schauen, dann ist eine weibliche Verbindung eine, in die etwas hineingesteckt wird. Die männliche Verbindung ist dagegen die, die hineinsteckt. Wenn wir auf Zeugungsfähigkeit blicken, dann sind weibliche Gonaden groß und unbeweglich. Und schauen wir auf das sozial ausgelebte Geschlecht, dann ist eine Frau eine erwachsene, weibliche Person, die sich selbst als Frau bezeichnet. Das, was Menschen im Alltag erleben, ist dabei vollkommen unabhängig von der Gonadengröße einer Person. Niemand fragt bei alltäglichen, sexistischen Situationen, ob ein Uterus vorhanden ist.

    Zumindest bei den Steckverbindungen und den Gonaden kann davon ausgegangen werden, dass zunächst ein Begriff für Weiblichkeit vorhanden war und dieser dann auf entsprechende Merkmale angewandt wurde.

    Körperliche Zirkelschlüsse

    Der Begriff „Biofrau“ schließt schlussendlich also nur diesen Zirkelschluss, dass aus der Zuordnung zu einem Geschlecht ein Körper entwickelt wurde, um diesen zur Zuordnung zu einem Geschlecht zu nutzen. Gleichzeitig wird damit Intergeschlechtlichkeit weiter unsichtbar gemacht (die Dunkelziffer einer XXY-Chromosomalität liegt bei ca. 70 %), als auch ein bestimmter Körper mit Weiblichkeit verknüpft.

    Diese Verknüpfung sorgt dafür, dass cis Frauen, die beispielsweise aufgrund von Brustkrebs sich einer Operation unterziehen mussten, oft das Gefühl haben „nicht mehr weiblich genug“ zu sein. Nicht gebärfähige cis Frauen berichten ebenfalls von diesen Gedanken. Das kann zu psychischen Erkrankungen wie Depressionen führen. Auch trans Frauen leiden unter diesem Druck. Vor allem ihnen wird abgesprochen, jemals eine „echte“ Frau zu sein. Weiblichkeit wird auf biologische Merkmale reduziert, die die meisten Menschen bei sich selbst nicht einmal kennen. Wer bereits vergeblich versucht hat, schwanger zu werden, kann diese Erfahrung bestätigen.

    Darüber hinaus führt diese Unterscheidung in der Praxis zu obskuren Situationen. Sind die Hormone, die cis Frauen in der Menopause nehmen, natürlich? Sind sie unnatürlich, sobald trans Frauen sie nehmen? Ist eine genitalangleichende Operation einer cis Frau, um eine „schönere“ Vulva zu haben, natürlich? Aber die Operation einer trans Frau dann unnatürlich? Sind Brustvergrößerungen von cis Frauen natürlich? Ist die Anti-Baby-Pille natürlicher als ein Östrogenpräparat?

    Hormonersatztherapien wurden für cis Personen entwickelt. Die Beipackzettel erhalten keine Angaben zu trans Personen. Die größte Gruppe an Menschen, die Hormonpräparate nimmt, ist cis.

    Natürlichlichkeit – ein Konstrukt

    Natürlichkeit ist ein Konzept, das von einer ursprünglichen, korrekten Wahrheit ausgeht. Gleichzeitig sind sehr viele Krankheiten „natürlich“, in dem Sinne, dass sie in der Natur vorkommen und vom Menschen unbeeinflusst entwickeln. Krebs ist natürlich. Diabetes ist natürlich. Hashimoto (eine Schilddrüsenerkrankung) ist natürlich. Endometriose ist natürlich. Nichts davon sind Zustände, die unbehandelt bleiben sollten. Es sind aber gleichzeitig bei jeder Therapie medizinische Eingriffe in den Körper. Diabetes benötigt Behandlung durch Spritzen, sowohl zum Messen, als auch für Insulin. Eine Chemotherapie ist höchst giftig. Sie muss das sein, um zu wirken.

    Medizinischer Fortschritt rettet Leben.

    Manche Menschen haben körpereigenes Insulin. Manche Menschen benötigen dagegen körperfremdes Insulin.
    Einige Menschen haben körpereigenes Testosteron, das zu hoch ist. Da helfen Testosteronblocker.
    Andere Menschen haben kein körpereigenes Testosteron. Sie benutzen Gel oder Spritzen.

    In Bezug auf Geschlecht diese Grenze zwischen „natürlich“ und „künstlich“ zu eröffnen, ist absurd. Es zeigt, dass trans Personen nicht als sie selbst ernst genommen werden. Es ist eine künstliche Unterscheidung, die ausschließlich der Diskriminierung dient.

  • trans* Day of Remembrence – 2022 von Sternchen

    Die Content Notes für diesen Redebeitrag sind trans* feindlichkeit, Rassismus,
    Antisemitismus, Klassismus, Ableismus, Saneismus, Mord, Suizid, psychische, körperliche,
    emotionale und sexualisierte Gewalt und Sexworker*innenfeindlichkeit

    [30 sek]

    Hallo, mein Name ist Sternchen, meine Pronomen sind sie/ihr, oder keine, ich bin nicht binär und
    transfeminin, im aromantischen und asexuellem Spektrum, neurodivergent, chronisch
    psychisch krank, dadurch schwerbehindert und von Armut betroffen.
    Ich lebe von Hartz IV, Straßenmusik und Sexarbeit, ich male auch, verdiene damit aber kein Geld.

    Anteilnahme

    Als erstes möchte ich meine Trauer, meine Ohnmacht, meine Frustration, meine Resignation
    und meine Wut, um alle ermordeten trans*Personen weltweit – in diesem und allen
    vergangenen Jahren – zum Ausdruck bringen. Genauso wie über jede trans* Person die sich
    selbst das Leben genommen hat und die weltweiten Zustände die dafür verantwortlich sind.
    Nichts kann euch wieder zurück bringen, der Schmerz über den Verlust von euch kann nie
    wieder gut gemacht werden.

    Meine Anteilnahme gilt auch ihren Familien,ihren Freund*innen, den Menschen die sie
    geliebt haben und die von Ihnen geliebt worden sind und ihnen nahe gestanden haben. Ich
    wünsche euch alle Kraft und dass ihr ein liebevolles Umfeld habt was euch unterstützt, euch
    Rückhalt bietet, zuhört und euch fragt ob euch etwas gutes getan werden kann und euch den
    Support geben den ihr braucht.

    Zahlen und Fakten

    Ich möchte an dieser Stelle nochmal die Website transrespect und die Ergebnisse des „TMM
    des Trans Murder Monitoring
    “ Projektes zitieren:

    „TMM 2022 data shows that:

    • 327 trans and gender-diverse people were reported murdered;

    • Cases from Estonia and Switzerland were reported for the first time – both victims were migrant Black trans women;

    • 95% of those murdered globally were trans women or trans feminine people;

    • Half of murdered trans people whose occupation is known were sex workers;

    • Of the cases with data on race and ethnicity, racialised trans people make up 65% of the reported murders;

    • 36% of the trans people reported murdered in Europe were migrants;

    • 68% of all the murders registered happened in Latin America and the Caribbean;

    29% of the total happening in Brazil;

    • 35% of the murders took place on the street and 27% in their own residence;

    • Most of the victims who were murdered were between 31 and 40 years old.

    The data continues to indicate a worrying global trend when it comes to the intersections of misogyny, racism, xenophobia, and whorephobia, with most victims being Black and migrant trans women of colour, and trans sex workers. The high number of murder reports from Latin America and the Caribbean can be considerably attributed to the existence of established monitoring systems, and must be understood in the specificsocial, political, economic, and historical contexts in which they occur.These numbers are just a small glimpse into the reality on the ground. The majority of the data came from countries with a strong network of trans and LGBTIQ organisations that conduct the monitoring. Most cases continue to go unreported and, when reported, receive very little attention.“

    Trans Murder Monitoring Project

    Solidarität mit allen trans* Personen

    Ich möchte kurz darauf hinweisen, dass die folgende Liste nicht hierarchisch sortiert ist und
    keiner bestimmten Reihenfolge einhält. Genausowenig erhebe ich einen Anspruch auf
    Vollständigkeit.

    Gewalt und ihre Formen

    Meine Solidarität teile ich mit allen betroffenen trans*Personen die täglich dem weltweit
    herrschendem und sich verschlimmerndem transfeindlichem Status Quo ausgesetzt sind,
    und der Gewalt der Nationalstaaten mit ihren unterdrückerischen, und großteils
    transfeindlichen Gesetzen.

    Mit allen trans* Personen die jeden Tag psychische, emotionale, sexualisierte und
    körperliche Gewalt erfahren, die mehrfach betroffen sind von Unterdrückungsmechanismen
    wie jeglicher Form des Rassismus, Misogynie, Antisemitismus, Ableismus, Sane-ismus,
    Klassismus, Hetero-, Cis-, Endo -, Allonormiativät oder Sexarbeiter*innenfeindlichkeit und
    damit zusätzlich zu dem was sie ohnehin aushalten müssen konfrontiert sind.

    Kolonialismus und Antisemitismus

    Denen durch den weißen, christlich-europäischen Kolonialismus und Antisemitismus, das
    binäre und heteronormative Geschlechtersystem mit Gewalt aufgezwungen wurde.
    Die sich verstecken müssen, die aufgrund mangelnder und fehlender Strukturen keinen
    ausreichenden Zugang zu Aufklärung, Beratung oder medizinischer Versorgung haben.

    Denen Aufgrund von Illegalität, Staatenlosigkeit, Asylstatus oder eines ungeklärten
    Aufenthaltstitels, der Zugang zu medizinischer Grundversorgung und
    Transistionsmöglichkeiten verwehrt wird.

    Die gemobbt werden. Die fliehen mussten oder sich derzeit auf der Flucht befinden, die aufgrund ihrer Geschlechtsidentität verfolgt werden, die vom deutschen und anderen Staaten in Gebiete abgeschoben werden, in denen ihnen einen sicheres, unversehrtes, sichtbares und respektvolles Leben nicht möglich ist.

    medizinisches System und Trauma

    Die aufgrund von Armut und mangelnder Kostenübernahme durch die Krankenversicherung, oder dem Fehlen einer solchen keinen Zugang zu Transistionsmaßnahmen nach ihren Wünschen und Bedürfnissen haben.

    Die ihre Familien und Freund*innenkreise verlieren oder verlassen müssen, weil sie sich
    geoutet haben. Die sich aus Angst vor Unverständnis,Verlustangst, Diskriminierung oder anderer Gewalt,
    nicht trauen sich zu outen. Die sich einsam fühlen. Die niemanden zum reden haben oder der sich mit ihnen freut. Die grenzüberschreitende Fragen gestellt bekommen. Die nicht in die klischeehaften Geschlechterrollenbilder anderen Menschen passen, darüber wie trans* Personen auszusehen oder zu sein haben.

    Mikroaggressionen und Unsichtbarmachung

    Die von der Gesellschaft unsichtbar oder klein gemacht werden, und denen ihre Daseinsberechtigung und ihr Geschlecht mit Gewalt aberkannt wird. Denen die richtige Anrede und die Benutzung der richtigen Pronomen
    verweigert wird. Die sich bezahlt, großteils aber unbezahlt für Aufklärung und gegen Diskriminierung einsetzen. Die sich aus Angst nicht trauen die Wohnung zu verlassen. Die trotz ihrer Geschlechtsidentität die Wehrpflicht erfüllen müssen. Die jeden Tag damit leben müssen, dass endo-cis Personen mehr Entscheidungsrecht über ihren Körper haben als sie selber. Deren Aufklärungsarbeit zensiert und als Kindeswohlgefährdung eingestuft wird.
    Die in bestehenden Safespaces keine sicheren Orte haben, weil sie mehrfach vonDiskriminierung betroffen sind.

    Status Quo: Trans*feindlichkeit

    Die Gewalt und Unterdrückung die trans* Personen täglich erfahren wird von gefühlt nur
    sehr wenigen Menschen, ernst oder wahrgenommen. Sie wird von vielen Menschen, wenn
    auch nicht unbedingt immer in böser Absicht, reproduziert, was ihre Folgen aber weder
    abschwächt noch weniger schmerzhaft macht. Nur weil ich mich gegen eine Form der
    Gewalt bekenne, heißt dass nicht, dass ich sie nicht selber reproduzieren kann.

    sichere Räume? Nicht für uns.

    Und auch innerhalb der linken, anarchistischen, antiautoritären und feministischen Szene ist
    Trans*feindlichkeit, genau wie andere Unterdrückungsmechanismen, ein Teil des Alltags
    betroffener Menschen und ein fester Bestandteil der Stukturen, den es zu bekämpfen gilt.
    Menschen die über Diskriminierung berichten, wird nicht geglaubt und ihnen wird ihr
    Schmerz aberkannt. Ihre Erfahrungen haben oft keinen Platz und werden teilweise als etwas
    individuelles dargestellt.

    Der Nebenwiderspruch.

    Die sozialen Kämpfe, die historisch gesehen von BIPOC Personen begonnen wurden, und von ihnen bis heute tragend mitgeführt werden, werden abwertend gemeint als Identitätspolitik oder als Nebenwiderspruch bezeichnet und dadurch diffamiert.

    Während gleichzeitig die Rechte von trans* Personen als etwas diskutierbares und etwas
    legitim verhandelbares dargestellt werden und somit trans*feindlichen Diskursen Raum gewährt.
    Dazu kommt eine oft fehlende Bereitschaft von nicht betroffenen Personen, sich mit dieser
    Form von patriarchaler Gewalt, ihrem historischen Ausmaß und ihrer Verknüpfung mit
    anderen Kämpfen auseinanderzusetzen. Sowie das eigene binäre Denken und die binären
    Vorstellungen von Geschlecht aktiv zu hinterfragen, zu reflektieren und zu verlernen.

    Trans*feindlichkeit als patriarchales Werkzeug

    Trans*feindlichkeit muss als das gesehen werden was sie ist, nämlich ein wichtiges
    Standbein des Patriarchats, ein Eingriff in die Selbstbestimmung und Autonomie, eine bis zu
    weilen tödliche Form von Gewalt. Und etwas das jede Person, die als Ziel eine befreite
    Gesellschaft hat, in der alle Menschen ein selbstbestimmtes Leben fern von Angst und
    Bedrohung führen können, ernstgenommen und bekämpft werden sollte.
    Genauso selbstverständlich wie jegliche andere Form der gesellschaftlichen Unterdrückung
    und Herrschaft.

    Eine befreite Gesellschaft, ohne Patriarchat, ohne Rassismus, ohne Antisemitmus, ohne
    Ableismus und ohne Kapitalismus kann nur erreicht werden, wenn wir uns bedingungslos
    mit allen Menschen solidarisieren, die in der Welt Unterdrückung und strukturelle Gewalt
    erfahren, betroffenen Personen glauben und sie unterstützen, nicht in dem wir Kämpfe
    gegeneinander ausspielen, oder sie als weniger wichtig betrachten als andere.

    Wie soll das klappen mit dem Erreichen der Utopie, wenn die Kämpfe von eh schon
    unterdrückten Gruppen nicht nur als unwichtig sondern teilweise sogar als bedrohlich
    verstanden werden?

    Richtig, gar nicht.

    Solidarität und Intersektionalität!

    Denn sich gegen jede Form von Hierarchie und Herrschaft zu stellen bedeutet das
    bedingungslos zu tun. Und nicht da aufzuhören wo die eigenen verinnerlichten
    diskriminierenden Sichtweise reflektiert werden und Verhalten umgestellt werden muss.

    Es wird nicht gelingen eine Graswurzelbewegung aufzubauen, wenn Menschen innerhalbdieser Gewalt erfahren und dadurch gehindert werden sich an ihnen zu beteiligen.

    Solidarität mit allen von Trans*feindlichkeit betroffenen Menschen weltweit und allen
    anderen Menschen die struktureller Gewalt erfahren.
    Solidarität mit allen Menschen die im Alltag, online, in der Kneipe, in der eigenen
    Aktionsgruppe, bei der Arbeit, der Uni oder sonst wo gegen trans*feindlichkeit laut werden
    und sich für eine Welt einsetzen, in der ein selbstbestimmtes Leben für alle möglich ist.

    Ich bedanke mich fürs zuhören, fürs vorbeikommen, fürs weiterkämpfen und fürs
    unterstützen.

    Until all are free no one is free – terfs defend the patriarchy

  • Meinungsfreiheit – ein Gastbeitrag von Leon

    „Das darf ich sagen! Das ist von meiner Meinungsfreiheit gedeckt!“
    Wann ist es sinnvoll, mit dem Grundgesetz zu argumentieren? … und wann nicht? Ein juristischer Exkurs in Debattenkultur.

    Wie sagte mein Professor am Anfang der Grundrechtevorlesung so schön: „Alles, was nicht Staatsgewalt ist, ist auch nicht unmittelbar an Grundrechte gebunden.“. Polemische Aussage? Nö!

    Art. 1 III GG stellt klar, dass alle Staatsgewalt unmittelbar an Grundrechte gebunden ist.

    Erlässt der Bundestag also (als Teil der Legislative und damit Staatsgewalt) ein Gesetz, darf dieses nicht gegen Grundrechte verstoßen. Ob es das tut, wird dann im Zweifel durch eine Verfassungsbeschwerde vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden.

    Nimmt ein*e Polizist*in (als Teil der Exekutive) eine Person fest, muss bei Zweifeln wieder ein Gericht entscheiden, ob die Grundrechte dabei unbegründet eingeschränkt wurden.

    Und so weiter…

    Grundrechtswirkung

    Das Ganze nennt sich unmittelbare Grundrechtswirkung und zeigt die Rolle der Grundrechte in der deutschen Verfassung: Sie sind dafür da die Rechte von Menschen in Deutschland vor Verletzungen durch den Staat zu schützen.

    Für den Staat heißt das, dass er durch die Grundrechte verpflichtet ist, etwas zu tun oder zu unterlassen. Für die Einzelperson, dass diese das Recht hat, vom Staat ein Tun oder Unterlassen zu verlangen.

    Das ist nötig, da der Staat und die Menschen einander nicht gleichberechtigt gegenüberstehen. Es herrscht ein Machtgefälle, in dem (nur) der Staat das Recht und die Möglichkeit hat, Gewalt auszuüben. Die Grundrechte setzen dem Staat dabei Grenzen und schützen die Menschen vor dieser Gewalt.

    Anders sieht das Ganze in der Beziehung zwischen Privatpersonen aus. Diese stehen einander grundsätzlich gleichberechtigt gegenüber. Es gibt kein Machtgefälle und somit auch keine Partei, die besonders vor Eingriffen durch die andere Partei geschützt werden müsste. Zumindest ist das in der Theorie des Gesetzes so. Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

    Im Hinblick auf die Meinungsfreiheit darf der Staat einer Einzelperson also nicht vorschreiben, was diese sagen oder nicht sagen darf.

    Meinungsfreiheit und Menschenwürde

    Es wird aber in einer privaten Diskussion schwierig, die eigenen Aussagen damit zu rechtfertigen, dass diese durch die Meinungsfreiheit geschützt sind…

    Kommen wir jetzt aber zu diskriminierenden Aussagen, hantieren Menschen in Argumentationen regelmäßig mit der Meinungsfreiheit und der Würde des Menschen.

    Es gibt Situationen, in denen das auch tatsächlich sinnvoll ist. Geht es z.B. um das TSG, ist der Rückschluss auf die Menschenwürde angebracht, da es sich hierbei um ein formelles Bundesgesetz handelt. Als formelles Bundesgesetz ist das TSG ein Ausdruck staatlichen Handelns und somit Staatsgewalt. Das TSG muss also die Grundrechte wahren und darf u.A. nicht gegen die Menschenwürde verstoßen. Dass große Teile des TSG eben das nicht tun, hat das BVerfG seit vielen Jahrzehnten immer wieder bestätigt.

    Onkel Oskar und der T-Slur

    Anders sieht das Ganze aus, wenn Onkel Oskar den T-Slur verwendet. Hier ist in keinster Weise Staatsgewalt am Werk, weshalb es sich also nicht um unmittelbar an Grundrechte gebundenes Verhalten handelt. Es ist also nicht nur weird, wenn Onkel Oskar sich mit seiner Meinungsfreiheit herausreden will, sondern auch nicht hilfreich als Gegenargument die Menschenwürde anzubringen. (Onkel Oskar würde sich im Zweifel sowieso nicht davon überzeugen lassen…)

    Grundrechte und Offenbarungsverbot

    Grundrechte werden aber z.B. beim dead-naming wieder relevant. Hat eine Person über das TSG deren Vornamen und Personenstand geändert, geht damit ein Offenbarungsverbot einher. Das heißt, dass es gem. § 5 TSG verboten ist, den Geburtsnamen zu erforschen oder offenbaren. Da dieses Offenbarungsverbot Teil eines Gesetzes und folglich ein Akt öffentlicher Gewalt ist, ist es auch rechtlich durchsetzbar und gültig. Wird dieses Verbot missachtet, gilt dies als Ordnungswidrigkeit und kann rechtlich verfolgt werden.

    Die Grundrechte sind insofern relevant, dass – vom Staat – durch die gesetzliche Regelung die Würde von Trans*Personen geschützt werden soll. Durch das Gesetz (again: Akt der öffentlichen Gewalt) wird das Verhalten von Privatpersonen sanktioniert, um eben diese Grundrechte zu wahren.

    Auch der Vorschlag für das Selbstbestimmungsgesetz greift dieses Offenbarungsverbot wieder auf.

    Trotz diesen rechtlichen Auseinandersetzungen mit der Rolle der Grundrechte, sollten wir einander natürlich trotzdem zuhören, einander respektieren und lieb und freundlich miteinander bleiben.

    Das hat aber nichts mit der Menschenwürde oder Meinungsfreiheit des Grundgesetzes zu tun, sondern gesellschaftlichen und moralischen Wertvorstellungen.

    Tldr; Grundrechte regeln die Beziehung der Menschen zum Staat und nicht zwischenmenschliche Beziehungen. Eigene Aussagen in privaten Debatten auf die Meinungsfreiheit zu stützen ist also eher schwach.

  • Guck mal, die Asis – Rezension

    Ich habe Wendy Nikolaizik, die Autorin von „Guck mal, die Asis“ und „Guck nicht, wer wir heute sind“ auf einer Lesung kennengelernt. Gemeinsam mit Rodi war es eine Mischung aus Musik und Buchvorstellung.
    Lieder, passend zum Buch ausgesucht und Textstellen, passend zum Gesang. Daraufhin beschloss ich, die Bücher zu lesen und auch zu rezensieren (danke für die E-Books als Rezensionsexemplar!).

    Braves Mädchen trifft Asi.

    Der grundsätzliche Plot ist schnell erzählt: Braves Mädchen trifft Punk. Sie verlieben sich. Ihre alten Freundinnen wirken plötzlich oberflächlich. Die Gegensätze zwischen bürgerlicher Welt (mit Lästern und Mobbing) und Punk Welt (sehr idealisiert) ziehen sich an. Am Ende fahren sie gemeinsam auf Klassenfahrt. Es wird dramatisch. (Mehr möchte ich nicht verraten, lest selbst.) (CN Gewalt, Alkohol, sexualisierte Gewalt, Ableismus im Buch.)

    Mein 16-jähriges Ich und die Punks.

    „Guck mal, die Asis“ ist ein Buch, das mir mit sechzehn gut gefallen hätte. Die Protagonistin erweist sich als überraschend zäh und deutlich weniger naiv, als vergleichbare Jugendbücher. Einer in der Gruppe ist schwul, das wird aber nicht großartig thematisiert. Alkohol und Drogen werden konsumiert. (Wer sich einbildet, Jugendliche würden nicht saufen, ist hart an der Realität vorbei.)

    Die Freund_innenschaft in der Gruppe wird als eng, aber rücksichtsvoll gezeichnet. Trauma spielt eine Rolle und natürlich ist der stille, verschlossene, teilweise cholerische Punk eigentlich zart – und traumatisiert. Dennoch ist es ein Buch, das ich als Teenie gebraucht hätte. Allein als Punk auf dem Dorf, war schon ziemlich kacke.

    Gerade die Protagonistin, die sich nicht in ein „ich werde dich retten“ verwickelt, gefällt mir sehr gut. Denn die meisten Jugendbücher, die mit Trauma arbeiten, benutzen dieses Trope. Sie will und kann ihn nicht retten. Aber sie will bei ihm sein und ihn unterstützen. Das ist eine durchaus gesunde Herangehensweise. Für beide von ihnen.

    Fazit

    Heute kann ich „Guck mal, die Asis“ leider nicht mehr voll und ganz genießen. Der Plot ist teilweise plakativ und an Ableismus wird nicht gespart. (Wie oft ich das Wort „Idiot“ gelesen habe, ich kann es nicht mehr zählen.) Auch „Asi“ würde ich maximal als Selbstbezeichnung durchgehen lassen. Mit NS-Sprache (unter dem Begriff „Asozial“ wurden Leute in KZ und Arbeitslager verschleppt und ermordet) möchte ich mich zumindest nicht un-eingeordnet auseinandersetzen müssen.
    Es ist (trotz schwuler Nebenfigur) immer noch sehr heteronormativ. Mir fehlten Bezüge zu den Liedern (das kam im zweiten Band besser rüber). „Er hörte Punkmusik“ reicht mir nicht, um mir vorzustellen, wie die Stimmung sein soll.

    Schlussendlich ist es ein Jugendbuch und als solches nicht schlecht gemacht. Aber ich merke, ich brauche mittlerweile Charaktere mit mehr Tiefe. Darüber hinaus ist der Ableismus einfach überflüssig. Ignorante, bürgerliche, neoliberale Menschen oder auch übergriffige Menschen müssen nicht als „Idioten“ bezeichnet werden. Unter dem Begriff wurden in der NS-Zeit behinderte Menschen umgebracht – ist also nicht sehr Punk.

  • Es ist entmenschlichend!

    Meine Pronomen im Deutschen sind „es“ und „nims„, wobei nims nicht weiter dekliniert wird. Aber bis zu dem Punkt, das zu erklären, komme ich meistens gar nicht. Denn sofort schreit irgendwer auf, meine Pronomen seien „entmenschlichend“, die Person könne einen anderen Menschen nicht mit „es“ ansprechen (sollst du auch nicht, „du“ ist ausreichend für die direkte Ansprache) und ich solle mir doch etwas besseres überlegen.

    Ich bin jedes Mal wieder fasziniert.

    Fremde Menschen haben die Erwartung, dass es bei meinen Pronomen über sie geht. Das ich mich nach ihnen richten würde. Das es relevant ist, was sie über mein Pronomen denken.

    Und dann erzählen sie auch noch Unsinn. Gerade Leute, die normalerweise echt viel zu Grammatik und Geschlecht zu sagen haben, sind bei dem Thema ganz streng geschlechtlich. Dabei gibt es durchaus Unterschiede im grammatischen und im sozialen Geschlecht. (Das wir trotzdem das generische Maskulinum mit Männlichkeit gleichsetzen, ist dann unseren Hirnen geschuldet. Deshalb ist das generische Maskulinum nicht geschlechtsneutral.)

    „Das Mädchen, es geht zum Einkaufen.“ und „Das Kind, es isst Schokolade.“ sind zwei vollständige Sätze im Deutschen. Beide benutzen „es“ in Bezug auf einen Menschen (nämlich ein Mädchen oder ein Kind). Obwohl es durchaus Menschen gibt, die Kindern ihre volle Persönlichkeit erst mit der Vollendung der Volljährigkeit zugestehen (und dann trans Kindern eine falsche Pubertät zumuten wollen). Aber um die geht es gar nicht.

    „Der Hund, er geht spazieren.“ und „Die Katze, sie springt auf den Baum.“ sind dagegen zwei Sätze, die vergeschlechtlich sind, aber sowohl Hund als auch Katze sind menschliche Geschlechter ziemlich egal.
    Dem Tisch und dem Stuhl übrigens auch.

    Wenn ihr ein Problem damit habt, wie ihr „es“ wahrnehmt, dann liegt das an euch. Wenn es „entmenschlichend“ ist, korrekt über Leute zu sprechen, aber nicht, ihre Wünsche zu respektieren…

    …dann denke ich, gibt es durchaus Priorisierungsunterschiede darin, was Menschen als „entmenschlichend“ wahrnehmen.

    Ich bin nicht männlich. Und auch nicht weiblich. Ich denke, wenn euch bei der Verwendung meines Pronomens wahlweise ein gruseliger Clown oder Sarah McGonagalls Version davon in den Sinn kommt, dann ist mein Geschlecht eigentlich ganz gut beschrieben.

    Und Luftballons mag ich auch.

  • Regenbogenstelen und weiße Rollstühle

    Heute jähren sich die behindertenfeindlichen Morde im Oberlinhaus in Potsdam zum ersten Mal.
    Gedacht wird den ermordeten mit der Enthüllung von Regenbogenstelen auf dem Gelände.
    Direkt nach den Morden sind es weiße Rollstühle gewesen. Sie wurden zum Gedenken genutzt und danach in den Gartem des Geländes gestellt. Dort sollten sie durch Pflanzen überwuchert werden.

    Aus weißen Hilfsmitteln werden bunte Regenbogenstelen.

    Martina W.

    Andreas K.

    Christian S.

    Lucille Heppner

    Eine weitere Person, Elke T., überlebte schwer verletzt. Meine Gedanken sind bei Andreas, Christian, Lucille, Martina und Elke, bei ihren Angehörigen und Freund_innen.

    Wir wissen nichts über die Ermordeten.

    Während @ashducation sich vor allem auf die wenigen Informationen bezieht, die über die Ermordeten bekannt sind, möchte ich in diesem Beitrag auf etwas anderes aufmerksam machen: Auf die problematische Ästhetik des Gedenkens.

    Wir wissen bis heute kaum etwas über die Ermordeten. Wir kennen ihre Vornamen. Wer in stationären Einrichtungen lebt, hat dort „den Lebensmittelpunkt, das ist die Familie“, wie Matthias Fichtmüller letztes Jahr sagte. Das heißt auch, dass es keinen aktivistischen Austausch gibt. Wer nicht vollstationär lebt, ist privilegiert. Wir sind die Stimmen, die sich äußern können.

    Weiß bemalte/besprühte Fahrräder (sogenannte Geisterräder) stehen dort, wo Radfahrer_innen bei einem Verkehrsunfall gestorben sind. Sie stehen für Gedenken, aber sind gleichzeitig eine Mahnung. Dieser Verkehrspunkt ist gefährlich. Hier fehlt Schutz für Radfahrende. Unfälle passieren.
    Es ist furchtbar, aber es ist nie auszuschließen.

    Mord ist kein Unfall.

    Die Ermordung von behinderten Menschen ist kein Unfall. Es ist eine bewusste und geplante Tat an Personen, die meistens wehrlos sind. Ausgeführt von einer Person, die Verantwortung für diese Menschen hat. Rollstühle sind ein Hilfsmittel zur selbstbestimmten Fortbewegung. Sie weiß anzumalen, in den Garten zu stellen und von Unkraut überwuchern zu lassen, nimmt das letzte bisschen Selbstbestimmung.

    Es pervertiert die Bedeutung von Rollstühlen zu einem Symbol von Behinderung. Menschen sind mehr als ihre Hilfsmittel. Wir wissen bis heute nicht, ob wirklich alle ermordeten Personen einen Rollstuhl genutzt haben. Dann wären es passgenau angefertigte, persönliche Hilfsmittel.
    Stattdessen stehen dort nun 0815, weiß angemalte Rollstühle.

    Regenbogenstelen statt Trauer.

    Und jetzt zusätzlich Regenbogenstelen. Bunt. Hoffnungsvoll. Ein Zeichen der queeren Community, der christlichen Hoffnung. Aus weiß wird bunt. Aus Trauer wird Hoffnung.
    Das offizielle Trauerjahr ist vorbei, lasst uns einen frühlingshaften Neuanfang machen!
    Lasst uns das eintönige, weiße, schwarze wegtun und bunt starten!

    Eure Trauerzeit ist um. Ihr habt sie durch Regenbogenstelen ersetzt. Aber an den Problemen änderte sich nichts. Den Regenbogen als Symbol der Hoffnung nehmen, aber alles beibehalten?
    Damit zeigt sich deutlich, es ist nur ein Symbol. Es ist Symbolpolitik.
    Äußerlichkeiten sind dabei wichtiger als Änderungen.

    Ich freue mich, das an die ermordeten Menschen im Oberlinhaus erinnert wird.

    Erwartung.

    Aber ich erwarte mehr als Regenbogenstelen. Ich erwarte eine fundamentale Veränderung im System. Ich will, dass es nie wieder zu Morden an behinderten Menschen kommt. Statt weißen Rollstühlen und Regenbogenstelen, müssen sich Strukturen verändern!

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