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Die Frau als politische Kategorie – (k)ein Sternenhimmel

Der Sternenhimmel wurde freundlicherweise eingelesen von Karisma Kaftanï.

Alle Frauen* sind herzlich willkommen!

Beliebiger, feministischer Aufruf.

Der sogenannte „Sternenhimmel“ (das Anfügen eines Asterisk an Substantive) wird in feministischen Kontexten in vier verschiedenen Interpretationen verwendet. (Vielleicht gibt es mehr, mir sind vor allem diese vier bekannt):

1. Geschlecht ist konstruiert

Geschlecht ist konstruiert. Jup. Ist Kapitalismus, Geld und BAföG auch, trotzdem machen wir kein Sternchen dran. Sprache schafft Konstruktionen, Gesellschaft ebenso. Unter den Begriff „Frau“ fallen mehrere Kategorien, sowohl biologisch-biologistische, als auch soziale. (Für die Erhebung von Umfragen ist die biologistische Zuschreibung von Frauen weniger relevant als ihr Personenstand. Für die medizinische Erhebung ist die biologistische Zuschreibung ausschlaggebend.) Dennoch sind beide Kategorien nicht „naturgegeben“, sondern menschengemacht.Definitionen sind eine gesellschaftliche Übereinkunft über die Bedeutung von Wörtern – und damit konstruiert.

2. Frauen* als cis Frauen, trans Männer und afab nichtbinäre Personen

Frauen* = cis Frauen, trans Männer und afab nichtbinäre Personen [mindestens zwei Gruppen werden gerade misgendert und auf angenommene Genitalien bzw. Sozialisierung reduziert]. Schließt trans Frauen vom Diskurs aus und ist transmisogyn. Die meisten trans Personen steckten sehr viel Zeit, Geld und Energie in den Prozess der Transition. Nicht mehr als „Frau“ bezeichnet zu werden, bzw. als Frau anerkannt zu werden, ist ein Erfolg.

3. Frauen* als cis Frauen und trans Frauen

Frauen* = cis Frauen und trans Frauen. [Unterscheidung zwischen „normalen“ Frauen (die, die kein Sternchen brauchen) und trans Frauen (die dadurch als „anders“ markiert werden)]. Trans Frauen sind Frauen, deshalb ist die Unterscheidung bzw. diese Hervorhebung überflüssig, wenn es um die Erfahrungen aller Frauen geht.

4. Frauen* als politische Kategorie

Frauen* als politische Kategorie (vgl.: Koschka Linkerhand, Antje Schrupp): ähnelt der dritten Kategorie, schließt aber trans Frauen mit ein. Weiblich gelesene Menschen (afab) und trans Frauen werden zu einer Gruppe zusammengefasst, die als „weiblich sozialisiert“ gilt, in Anlehnung an „das andere Geschlecht“ von Simone de Beauvoir. Die Zusammenfassung übersieht jedoch die spezielle Situation, die alle nicht-cis-Frauen haben, vor allem bezüglich Erwartungsdruck und Annehmen von Geschlechterbildern. Sie werden doppelt „anders gemacht“. Einerseits als Abgrenzung zu cis Männern, andererseits als nicht-cis-Frauen, die sich selbst nicht in der erwarteten Kategorie wiederfinden können.

Historischer Überblick und Nutzen vom Sternenhimmel

Die ersten drei Interpretationen sind in den meisten Fällen nutzlos, um eine eingeladene Gruppe zu definieren.
Sie eignen sich höchstens als Indikator, um eine Veranstaltung (als trans Person), nicht zu besuchen.
Der Begriff entstand historisch. Aus den FrauenRäumen wurden die FrauenLesbenRäume und schließlich die Frauen*Räume. (Damals teilweise noch mit Listen, in denen man einzeln aufschlüsselte, wer alles unter das Asterisk fällt). Hier war der Sternenhimmel sogar dann eine ewige Fußnote, länger als der Begriff selbst. Mittlerweile ist der politische Diskurs jedoch an einem anderen Punkt, schon generationenbedingt.

präzise Alternativen

Andere Formulierungen wären präziser, um die Eingeladenen zu spezifizieren. Ein Workshop über Vulven ist für alle Menschen mit Vulva interessant, ein Erfahrungsaustausch über Menstruation interessiert nur Menstruierende. Und über Sexismus können alle Personen reden, die Sexismus erfahren. Wenn eine Einladung cis Männer ausschließt, dann formuliert das! Ebenso wie die explizite Einladung von inter-cis-Männern, aber die Ausladung von endo-cis-Männern. Das erfordert ein wenig mehr Arbeit als ein Sternenhimmel von „Frauen*“, sorgt aber dafür, dass Menschen sich sicher sein können, auch willkommen zu sein. Hier und hier und hier findet ihr übrigens Texte darüber, warum andere Menschen den Begriff „Frauen*“ problematisch bis diskriminierend finden.

„das andere Geschlecht“

Die vierte Kategorie ist jedoch interessant, weil sie in ihren Grundzügen eine Analyse vorbringt, die de facto stattfindet. Zur Frau gemacht werden.

Menschen, die als Säugling (teilweise schon als Embryo) als „weiblich“ kategorisiert wurden, erhalten eine andere Art der Erziehung als solche, deren Zuordnung „männlich“ war. Daher kommt auch die (verkürzte) Analyse, trans Frauen hätten eine „männliche Sozialisation“.

Sozialisation ist jedoch nichts, was man passend zum angenommenen Geschlecht in eine Person hineinstopft. Und auch nichts, was die entsprechende Person dann „passend“ tut. Sozialisation ist gesellschaftlicher Umgang, sind Geschlechterrollen, Erwartungen und Darstellungen.

Wird ein Säugling für ein Mädchen gehalten, bietet man ihm vor allem Puppen, sozialer Kontakt und emotionale Auseinandersetzung an. Bei einem für männlich gehaltenen Säugling sind es Autos, Technik und ‚körperliches‘ Spielen (angedeutetes Raufen, rauhere Stimme). Eben das, was wir als „Geschlechterklischees“ kennen. Gleichzeitig ändert sich das Verhalten, wird ein Säugling mit Penis in einen rosa Strampler gesteckt und der Säugling mit Vulva in einen blauen. Hier wurde das populärwissenschaftlich aufbereitet. Es ist im Video gut zu sehen, wie die unterschiedliche Erwartungshaltung an das Baby herangetragen wird.

Sozialisierung und Erwartungen

Mit dieser Erwartungshaltung, die an den Genitalien festgemacht wird, wachsen also alle Kinder auf, cis und trans. Während cis Kinder jedoch innerlich den erwarteten Rollen entsprechen, leiden trans Kinder vor allem darunter, dass die Erwartungen an sie „falsch“ sind. Trans Mädchen lernen, dass der „Mann im Kleid“ ein zu verlachendes Trope ist. Trans Jungen lernen, dass „maskuline Mädchen“ gebrochen und erzogen werden müssen. Sie verhalten sich (zumindest bis sie meist lernen, es zu maskieren, weil sie nicht sein dürfen) ihren Rollenbildern entsprechend. Aber konträr zu den Erwartungen von außen.

Auf die Spitze getrieben wird dies von den Vorgaben, sobald sich trans Personen in die Zwangstherapie begeben. Wer nicht bereits als trans Mädchen mit Puppen gespielt hat oder alt trans Junge Autos liebte, erfüllt nicht ausreichend Geschlechterklischees, um trans zu sein. Im schlimmsten Fall sagt die begutachtende Person „Nein“ und ruiniert dadurch Leben. Gleichzeitig wird trans Personen vorgeworfen, Geschlechterrollen zu zementieren. Ein Vorwurf, den Menschen, die immer „noch weiblicher“ und „noch männlicher“ sein mussten, um als „echt“ zu gelten auch noch zu Täter_innen in einer Gesellschaft macht, die sie zunächst zu diesem Verhalten gezwungen hat.

politische Kategorie Frauen*

Aber zurück zum Thema der „Kategorie Frau“. Auf Kinder wirken nicht nur die Erwartungen auf das eigene Geschlecht ein, sondern auch die Erwartungen auf „das andere Geschlecht“. Im Fall von cis Kindern sind hiermit die Rollen klar verteilt. Trans Kinder dagegen versuchen zunächst, die ihnen entsprechende Rolle zu erfüllen und lernen durch Ablehnung und Zurückweisung, in der konträren Rolle zu funktionieren. Nichtbinäre Kinder haben gar keine Rolle, die „zu ihnen passt“. Und somit nur die Wahl zwischen „falschen“ Erwartungen – ohne aber eine zu haben, die sich vollständig „richtig“ anfühlt.

Wenn ich von „fühlen“ und „empfinden“ schreibe, meine ich hier einen unterbewussten Prozess, der sich über Jahre hinweg abspielt und nicht bewusst realisiert oder gar analysiert wird. Es geht um das Aufwachsen in einer Gesellschaft. Patriarchal, sexistisch und misogyn organisiert, die „Frauen“ als Negativversion von „Männern“ wahrnimmt und gestaltet. Somit ist die Idee einer „politischen Kategorie“ für alle, die nicht endo-cis-männlich sind, tatsächlich eine notwendige Analysekategorie, um die Vorherrschaft ebenjener Kategorie beschreiben, analysieren und schlussendlich kritisieren zu können.

Fazit

Ich kann auch nachvollziehe, warum „Frau*“ als Begriff gewählt wurde. Macht er doch cis Frauen sichtbar und eröffnet gleichzeitig das Feld für all jene, die ebenfalls betroffen sind, ohne cis Frauen zu sein. Gleichzeitig finde ich eine Umbenennung dieser Kategorie aus zwei Gründen notwendig. Zum einen wird der Umstand, dass „weibliche Sozialisation“ keine homogene Erfahrung ist, über das notwendige hinaus verkürzt. Zum anderen werden dadurch Menschen „zur Frau gemacht“, die Zeit ihres Lebens (spätestens nach dem inneren Outing) mit dieser Bezeichnung eine schmerzhafte Auseinandersetzung hatten.

Als Oberbegriff würde sich grundsätzlich FLINTA (Frauen, Lesben, Inter, Nichtbinär, Trans, Ageschlechtlich) beziehungsweise FINTA (Frauen, Inter, Nichtbinär, Trans, Ageschlechtlich) anbieten, alternativ auch andere Varianten. Präzise Sprache halte ich für notwendig, um einen Diskurs über Strukturen führen zu können, der Sternenhimmel mit vier (oder mehr) Interpretationsmöglichkeiten eignet sich deshalb eher weniger dafür.

6 Gedanken zu „Die Frau als politische Kategorie – (k)ein Sternenhimmel“

  1. Pingback: FLINTA* - Potenzial und Grenzen

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  4. An einer Stelle möchte ich widersprechen: Auch cis Kinder entsprechen den erwarteten Rollen „innerlich“ nur insofern kategorisch (also qua Cisgeschlechtlichkeit), als sie die angebotene geschlechtliche Identitätskategorien „Junge“ oder „Mädchen“ und die damit verbundenen Vorstellungen, später ein „Mann“ oder eine „Frau“ zu sein, in sich aufnehmen und damit auch das herrschende patriarchale Verhältnis zu „ihren“ anatomischen „Geschlechtsmerkmalen“. Das heißt aber nicht, dass sie nicht in existenzielle innere Widersprüche geraten – das tun sie IMMER, qua patriarchaler Vergeschlechtlichung. Man denke etwa an die Kränkung von Kindern, deren Väter sie, „weil sie Mädchen sind“, nicht als eigenständiges Subjekt anerkennen, sondern sie auf den Status eines Sexobjektes und einer zukünftigen „Frau eines Mannes“ reduzieren. Oder die Tabuierung und Abwertung von Vulven und einer (im emphatischen Sinn) aggressiven Sexualität ihrer „Träger*innen“. Oder das Antrainieren körperlicher Verpanzerung in „Jungs“gruppen. Solche Widersprüche und Brüche sind m.E. nicht nur Nebenprodukte von cis Identitäten, sondern ihr konstitutives Merkmal. Die Geschlechtsidentität(en) von cis Frauen und, mit wichtigen Unterschieden, die von cis Männern sind zentral aufgebaut auf der Abwehr von bestimmten Körperempfindungen und Gefühlen und ihrer gewaltsamen projektiven und introjektiven Assoziation mit „Weiblichkeit“ und „Frauen“ (vgl zur Täter-Rolle von „Männern“ hierin die Ausführungen von Rolf Pohl). Und genau diese konstitutiven inneren Widersprüche verleugnen cis Leute auch sehr gerne und projizieren sie auf das Thema Trans bzw. noch schlimmer in Personifikation auf trans Leute selber, die sie dann als „in sich uneins“, „künstlich“ etc hassen und verfolgen können. Wegen diesem Zusammenhang halte ich es für sehr wichtig, Transgeschlechtlichkeit und trans „Identitäten“ nie einfach nur mit zu den gesellschaftlich anerkannten und staatlich protegierten Kategorien (hetoro-) cis Mann und -Frau dazuzuaddieren, sondern die unversöhnbaren patriarchalen Brüche und gewaltvollen Widersprüche in (auch „erwachsener“) Cisgeschlechtlichkeit selbst aufzudecken.

    1. Da hast du vollkommen Recht.
      Ich habe mir erlaubt, diese Vereinfachung zu machen, weil die von dir aufgebrachten Brüche und Erfahrungen
      den Beitrag deutlich verlängert hätten und ich sie lieber in einem anderen Beitrag verarbeiten möchte.

      Gerade das Thema Sozialisierung/patriarchale Zurichtung ist ein so umfangreiches, dass es eigentlich eine
      eigene Blogbeitrags-Reihe benötigen würde.

  5. Pingback: Meine Existenz ist kein Nebenwiderspruch – ein Gastbeitrag von Tetz – Bonbonschachtel.

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