Autor: Fluff

  • „Märchenland für alle“ – Rezension

    Ein Buch, das in Ungarn (seinem ursprünglichen Erscheinungsland) eine Kontroverse auslöste. Freundlich ausgdrückt. „Märchenland für alle“ würde die heterosexuelle Kernfamilie in Gefahr bringen. Bücher wurden öffentlich geschreddert.

    Ich bekam vom Stern ein offizielles Rezensionsexemplar von „Märchenland für alle“ (original: „Meseország mindenkié“) in der erstmaligen, deutschen Übersetzung zugeschickt. Da die erste Auflage mittlerweile ausverkauft ist, soll es mindestens eine zweite Auflage geben.

    Anthologie

    Das Buch ist eine Anthologie, bei der unterschiedliche Autor_innen, einige bekannt, andere mit ihrem Debüt beteiligt, sich ein klassisches Märchen aussuchen und neu adaptieren sollten. Die Vielfältigkeit der Auswahl beschränkt sich hierbei angenehmerweise nicht nur auf Queerness, sondern auch die marginalisierte und in Ungarn diskriminierte Gruppe der Rom_nja wurde miteinbezogen. (Aus persönlicher Perspektive berührt mich dies ganz besonders.)

    Die Geschichten sind (wie immer in Anthologien) schlecht zu bewerten, einige mochte ich, andere nicht. Grundsätzlich war die Adaption immer erfrischend anders. Es war kein Versuch, die alten Märchen „bemüht“ modern und queer darzustellen, sondern es wurde entweder etwas Neues geschaffen. In anderen Fällen bekamen die alten Stoffe neue Fäden und manch lose Enden eine neue Verknüpfung.
    So entstand ein bunter Zopf an Geschichten, immer noch mit den alten Varianten verflochten und trotzdem anders.

    Emotionen

    Ich weine selten bei Büchern und möchte auch niemanden spoilern, aber bei der Geschichte eines trans Rehkitz, die an Bambi angelehnt war, saß ich heulend auf dem Sofa. Gerade als transmaskuline, nichtbinäre Person fühlte ich dieses Märchen so sehr. Und auch die Solidarität, die das Kitz von seinem Umfeld erfuhr, wünsche ich jedem trans Kind auf Welt.

    Das Buch empfehle ich für Kinder ab sechs Jahren. Möglicherweise ist es für jüngere Kinder auch geeignet, hier sollten erwachsene Begleitpersonen entscheiden, ob die Geschichten schon passen.

    Einige sind lustig, andere sind traurig, eine machte mich wütend. (Welche, verrate ich hier nicht.) Alle aber sorgen für ein Buch, dass eine gute Ergänzung für das Bücherregal ist.

    Fazit

    Selbst habe ich keine Kinder, mein Exemplar bekommt das Kind einer befreundeten Person. Aber da es mich so sehr berührt hat, gehe ich fest davon aus, dass es auch bei diesem Kind gut ankommen wird.
    Außerdem wünsche ich mir mehr „Märchenland für alle“ und freue mich darauf, die anderen Geschichten der beteiligten Autor_innen zu lesen!

  • Wir alle kennen Betroffene – Redebeitrag Halle 14.4.22

    In diesem Text wird sexualisierte Gewalt, Übergriffigkeit, Transfeindlichkeit und Ableismus thematisiert. Betroffene verdienen mehr als das hier. Der Beitrag begann mit einer Minute für Jess, um ihr alles Gute und schnelle Genesung zu wünschen.

    Prioritäten

    Wir alle kennen Betroffene, aber niemand kennt Täter.

    Willkommen in der Stadt, in der über trans Personen und Toiletten diskutiert wird, als gäbe es keine wichtigeren Themen.
    Ich habe keine Angst vor einer trans Frau in einer Toilette.

    Nein, ich habe Angst vor einer Szene, in der Menschen vergewaltigt werden können und es niemanden interessiert.

    Ich war hier, als 2014 auf einer linken Veranstaltung eine Person sexualisierte Gewalt erfuhr.
    Und ich war hier, als in den folgenden Jahren im VL Sprüche fielen wie „so, wie die herumgelaufen ist, wollte die das doch“.

    Ich war hier, als die betroffene Person in der Reile um Hilfe bat und stattdessen mit dem Problem allein gelassen wurde.

    Irgendwann war ich nicht mehr hier.

    Stattdessen bin ich weggezogen, weg aus einer Stadt, in der über trans Personen und Toiletten diskutiert wird, während die sexualisierte Gewalt in den eigenen Strukturen geflissentlich übersehen wurde.

    Heute bin ich wieder hier.

    Ich bin hier, weil es Menschen gibt, die sich diesen Normalzustand nicht mehr gefallen lassen wollen. Weil sich Strukturen entwickelt haben, die es möglicherweise vor acht Jahren gebraucht hätte.

    Ich bin hier, damit es eine Stimme gibt, die diese Strukturen kennt und die sagt, dass ihr genügend Schmutz unter eurem Teppich habt.

    Transfeindlichkeit

    Es wird ein Feindbild konstruiert, während mir Menschen freundlich ins Gesicht lächelnd sagen, dass sie mit mir ficken wollen, solange ich mich nicht verstümmele, wie die „echten trans Personen“. Aber das sei in Ordnung, immerhin sei es nur eine Einzelperson und zwar übergriffig, aber kein Grund, etwas an Strukturen zu ändern. Und ich solle mir doch überlegen, ob die Person nicht doch Recht hätte, so ne Operation sei immerhin schon eine einschneidende Erfahrung und ob ich mal über Reue nachgedacht hätte?

    Wir alle kennen Betroffene, aber niemand kennt Täter.

    In dieser Stadt werden Täterinnnen konstruiert, die nur durch ihre bloße Existenz bereits als Bedrohung für Frauen dargestellt werden, während cis Männer ungestraft sexualisierte Gewalt ausüben dürfen. Wer den Mund aufmacht, wird als Nestbeschmutzer_in wahrgenommen und der Konflikt vermieden. Immerhin sei ja niemand selbst dabeigewesen, ne? Und es gäbe ja immer zwei Perspektiven, außerdem ist er doch so ein cooler Typ und die Partys in der WG seien immer gut. Wäre doch ärgerlich, wenn das nicht mehr ginge.

    Ab leismus und Antifeminismus

    Transfeindliche Strukturen zeichnen sich immer auch dadurch aus, dass sie in letzter Konsequenz antifeministisch sind. Transfeindlichkeit für sich sollte ausreichen, aber machen wir uns nichts vor. Schlussendlich ist Transfeindlichkeit erst dann schlimm, wenn sie auch cis Frauen trifft. Oder Menschen, die sich noch nicht geoutet haben.

    Transgeschlechtlichkeit wird als psychische Erkrankung geframed und wir alle wissen: Psychische Erkrankungen sorgen für böse Menschen, für Monster. Auch so ist eine Pathologisierung, verbunden mit der Stigmatisierung psychischer Erkrankungen, nichts anderes als eine Dämonisierung von trans Personen. Verrückte wissen nicht, was sie tun und sind eine Gefahr für die „normale“, „cissige“ Gesellschaft.

    Die härtesten Auswirkungen dieses Framings spüren vor allem trans Personen in Großbritannien und den USA. Nachdem ensprechende Gesetze in u.A. Texas gekippt wurden, beschloss letzte Woche Alabama, dass in Schulen nicht mehr über queere Themen gesprochen werden darf und Eltern sich im Zweifelsfall strafbar machen, wenn sie ihr trans Kind unterstützen. Ebenso wurde jede medizinische Unterstüzung für trans Kinder verboten.

    Nichts davon ist wirklich weit weg. In Berlin müssen trans Personen bei der Charité üblicherweise einen Pädophilietest im Rahmen ihrer Zwangstherapie zur Transition machen. Leipzig verlangt drei Gutachten, was den Preis einer Transition noch einmal um durchschnittlich ein Drittel in die Höhe treibt. Und in Halle gründen sich Gruppen, die trans Frauen explizit aus ihrer Definition von „Frau“ ausschließen.

    Feministische Intervention gegen Täterschutz

    Wir alle kennen Betroffene, aber niemand kennt Täter.

    Das muss sich ändern. Der gefährlichste Ort für eine trans Person ist eine Beziehung mit einem cis Mann. Der gefährlichste Ort für eine cis Frau auch. Das Problem sind patriarchale Strukturen und die Erwartungshaltung, über den Körper anderer Personen bestimmen zu können. Der Großteil sexualisierter Gewalt passiert in Nahbeziehungen, der Großteil der Femizide geht von cis Männern aus, die ihren Anspruch auf den Körper ihrer Ex-Partnerinnen nicht aufgeben wollen.

    Anstatt trans Personen und vor allem trans Frauen als einen Feind darzustellen, brauchen wir einen Feminismus, der Betroffene schützt. Wir kennen alle Betroffene.

    Lasst uns Täter sichtbar machen und sie Konsequenzen spüren!

  • TDOV – 2022

    Ich bin zu autistisch, um mich in trans Räumen wohlzufühlen und zu trans für autistische Räume. Das macht den TDOV (trans day of visibility) jedes Jahr zu einem sehr… speziellen Event.

    Am wohlsten fühle ich mich, wenn ich Veranstaltungen leite, während ich bei sozialen Situationen regelmäßig vollständig versage. Das ist in Räumen, die vor allem queer geprägt sind, durchaus ein Problem. Schließlich sind dies einerseits die Räume, die mir eigentlich offen stehen sollten und andererseits – ganz pragmatisch – auch die Räume, die meine Bildungsarbeit in den meisten Fällen zur Multiplikation nutzen.

    Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit

    Das sorgt dafür, dass ich beim TDOV gleichzeitig sehr sichtbar und sehr unsichtbar bin. Ich bin sehr sichtbar, weil ich über trans und autistische Themen schreibe. Weil mich mittlerweile ein paar Leute kennen. Das sorgt dafür, dass angenommen wird, ich wäre in sozialen Situationen ähnlich kompetent wie in meinen Veranstaltungen. Ein Fehlschluss, der regelmäßig zu zwischenmenschlichen Katastrophen führt.

    (Disclaimer: Ich gebe mir sehr viel Mühe, zu maskieren. Sollte im Kontakt mit Lesenden dieses Textes das mal nicht geklappt haben und ihr von „die Situation ist eskaliert“ betroffen gewesen sein: Es tut mir leid. Ich mache das nicht absichtlich und gebe mir Mühe.)

    Drüber zu reden heißt nicht, dass mich Menschen verstehen

    Ich rede oft und viel über die Schwierigkeiten, die autistische Kommunikation macht. Gleichzeitig sind Menschen trotzdem erstaunt, dass soziale Situationen und ich zu einer explosiven Mischung führen.
    Vielleicht bin ich trotz aller (vor allem queeren) Sichtbarkeit doch nicht sichtbar genug?

    Ich will den diesjährigen TDOV auch dazu nutzen, auf neurodivergente trans Geschwister aufmerksam zu machen. Wir sind oft nicht in queeren Räumen, weil die soziale Struktur in queeren Räumen eine ganz eigene ist. Das sorgt dafür, dass queere Räume sehr oft eine emotional geprägte Kommunikation bevorzugen, die ich beispielsweise nicht leisten kann. Und damit sind neurodivergente trans Personen schlussendlich wieder unsichtbar.

    Bei den meisten Diskriminierungsformen findet Diskriminierung vor allem auch im Bereich der Kommunikation statt. Über wen wird geredet, mit wem wird geredet, welche Stereotypen werden reproduziert, welche Worte verwendet? Das ist sinnvoll. Dort anzusetzen, kann Dinge ändern.

    Gestörte Kommunikation

    Aber gerade bei Autismus ist die Kommunikation ein Problem. Es besteht ein fundamentales Missverständnis zwischen Erwartungen. Ich funktioniere anders als neurotypische Menschen.
    Intuitive Kommunikation wird als „normal“ vorausgesetzt.

    Und nein, ich weiß nicht, wie ich das ändern kann. Ich fühle mich nur gleichzeitig sehr sichtbar und sehr unsichtbar. Weil ich nicht vorgesehen bin. Weil ich immer wieder das Gefühl habe, „falsch“ zu sein.

    Und weil meine derzeitige Lösung ist, einfach keine private, soziale Situation zu haben. In meiner Rolle als Referent_in und Schreibendes bin ich ja gut. Klingt aber einsam.

  • Liebe wen Du willst – Chronologie

    „Liebe wen Du willst“ e.V. ist ein gemeinnütziger, eingetragener Verein aus Berlin, der sich Bekämpfung von Diskriminierung, Homophobie, Mobbing und Gewalt auf die Fahne geschrieben hat. Seit 19.01.2022 gibt es mehrere Berichte auf social media, die an diesen Zielen zweifeln lassen.
    Ich berichte chronologisch. Gleichzeitig, und vorweg: Ich kann aufgrund meiner Behinderung keine Videos sehen, bin also auf Transkripte angewiesen. Sollte es da zu Fehlern gekommen sein, weist mich bitte darauf hin! Gelöschte Videos liegen als gespeicherte Dateien vor bzw. sind über eingebettete Videos Dritter nachzuvollziehen.

    Zeitangaben der Chronologie sind nach MEZ (Berlin). Mindestens eine beteiligte Person befindet sich gerade in den USA, somit kann es zu Überschneidungen bezüglich der Zeitangaben kommen.

    Ergänzungen werden fett markiert.

    13.01.2022

    der TikToker diemxoo macht ein Video über Xier/Xiem Pronomen. 

    16.01.2022

    Liebe wen Du Willst greift das Video auf, macht den „Witz“ „Xier, Xiem, Xylophon, hä?!“ und bezeichnet im laufenden Video Neopronomen als „Bullshit“ und „schädlich“. (Video gelöscht.) Es kommen neben Steven, dem 37-jährigen Gründer von „Liebe wen Du willst“ auch zwei (junge) trans maskuline Personen zu Wort. Beide bekräftigen, dass sie „Xier/Xiem“-Pronomen nicht verstehen würden bzw. unsinnig fänden.

    17.01.2022

    die TikTokerin frauloewenherz.de berichtet über den Verein „Liebe wen Du willst“ und das (missglückte) Pronomenvideo. Zusätzlich macht sie darauf aufmerksam, dass der 37-jährige Steve und der 18-jährige Jaron ein Paar seien (beide sind im Vorstand des Vereins).
    Jaron ist ebenfalls im Pronomenvideo zu sehen. Jaron wurde im Dezember 2021 volljährig. Die ersten Beziehungsfotos der beiden sind aus Sommer/Herbst 2021
    – ca. drei Monate vor Jarons 18. Geburtstag. 

    frauloewenherz.de kritisiert das fehlende, pädagogische Konzept und den nicht vorhandenen, akademischen Hintergrund bei „Liebe wen Du willst“. Die Notfall-Intervention würde von einem 17-jährigen geleitet. Die WhatsApp Gruppen (bei denen Name, Foto, Geburtsdatum, Wohnort und geschlechtliche/sexuelle Orientierung angegeben werden müssen) wären – rein hypothetisch – eine perfekte Grooming-Plattform. Sensible, persönliche Daten von vulnerablen Jugendlichen würden ungesichert in unbekannte Hände gegeben werden.

    Auch fehlende Intersektionalität wird angesprochen und das Team als „größtenteils weiß“ bezeichnet. Die Tatsache, dass das Team seit 2019 immer weiter schrumpft, wird als besorgniserregend kommuniziert.

    Lars Tönsfeuerborn kritisiert das Pronomenvideo von „Liebe wen Du willst“ auf Instagram und sieht ein größeres Problem: Kritkunfähigkeit, Diskriminierung, Gefährdung von Jugendlichen.

    18.01.2022

    Der TikToker MarcioTheSinger meldet sich zu Wort. Er versucht seit Oktober 2021, ein Video von sich auf dem YouTube Kanal von „Liebe wen Du willst“ entfernen zu lassen. Der Verein weigert sich jedoch.

    Auf Twitter ensteht ein Thread von @Ap_Saegge, der in den nächsten Tagen regelmäßig ergänzt wird.

    19.01.2022

    Das Vorstandsmitglied Vivien S. (auf TikTok @mrs.burnout) lädt ein zweiteiliges Video hoch, das mit „Rufmord“ übertitelt ist. Darin wird das fehlende, pädagogische Konzept und die nicht vorhandene akademische Ausbildung bestätigt. Gleichzeitig wird sich mit „Erfahrung“ und „logischem Denken“ verteidigt. Beides wäre viel wichtiger als eine entsprechende Ausbildung.

     Der 17-jährige Leiter der Krisen-Intervention, Tom, wird als „reif wie ein 30-jähriger“ bezeichnet. Als Beweis wird angeführt, dass er, selbst als er wegen Krebs und Chemotherapie „in Lebensgefahr“ geschwebt hätte, noch Privatnachrichten Hilfesuchender beantwortet hatte. 

    Außerdem sagt sie, Jaron hätte Steve die Liebe gestanden, somit sei es kein Grooming. Darüber hinaus wären die beiden mittlerweile zusammengezogen. Missbrauch ist ausgeschlossen. 
    Vivien S. teilt mit, Liebe wen Du willst hätte frauloewenherz.de wegen Rufmord angezeigt. (Video gelöscht.)

    Die Kritik am weißen Team wird mit „Was soll das? Rassismus gegen Weiße? Haben wir etwa zu Dingen keine Ahnung, weil wir weiß sind?!“ abgetan.

    „Liebe wen Du willst“ teilt ein Statement zum Pronomenvideo und entschuldigt sich, kündigt aber direkt an, eine Pro-Contra-Diskussion über Pronomen und Neopronomen durchführen zu wollen. (Video gelöscht.)

    Sven Lehmann, Queerbeauftragter der Bundesregierung, warnt auf Twitter vor dem Verein „Liebe wen Du willst“ und rät Menschen in akuten Krisensituationen und Ratsuchenden, andere, offizielle Stellen aufzusuchen. 

    Minzgespinst beginnt mit der Recherche, redaktionell durch IT unterstützt. Die IT merkt an, dass da Dinge fishy sind und startet sie mit der Analyse der Datenschutzerklärung (Unterstützung durch weitere Organisation in dem Bereich angefragt).

    Unmut Özdemir äußert sich und sagt, er hätte bereits 2020 die vorhandenen Strukturen scharf kritisiert und wäre daraufhin geblockt und aus den Gruppen ausgeschlossen worden.

    20.01.2022

    Die Berliner Polizei teilt mir auf Nachfrage mit, es hätte seit 2020 keine Zusammenarbeit mit Liebe wen Du willst gegeben und niemals eine Kooperation im Sinne einer Kooperationsvereinbarung bestanden. LSVD Deutschland distanziert sich und negiert die Existenz einer Kooperation. 

    Eine Presseanfrage an den Berliner Senat wird gestellt, inwiefern die Nummern auf der Seite von Liebe wen Du willst offizielle Notrufnummern seien und somit die Drohung eines Strafverfahrens nach § 145 StGB bei Missbrauch der Nummer berechtigt. Zitat:

    Hinweise:
    Unser Engagement richtet sich an Betroffene von Hasskriminalität, Opfer von Sexualstraftaten, suizidgefährdeten Personen. Der Missbrauch unserer Arbeit ist gemäß § 145 StGB strafbar und wird ohne Ausnahme strafrechtlich verfolgt.“

    Liebe wen Du willst – Kontakt

    Presseanfrage zur Kooperation / Kooperationsangebot an TikTok geht raus, um zu hinterfragen, wieso eine offizielle Kooperation mit TikTok bestand.

    Livestream von „Liebe wen Du willst“, in dem u.A. der Satz fällt „theoretisch (würde ich natürlich nie tun, wäre ja krank), aber theoretisch könnte ich auch mit einem neunjährigen Mädchen in einer Beziehung sein. Ich dürfte sie nur niemals anfassen.“ Bezogen ist der Satz darauf, dass zwischen Beziehungen und sexuellen Handlungen unterschieden werden müsse. Nur sexuelle Handlungen seien strafbar. „Und diese ganzen Klugscheißer wollen mir jetzt mitteilen, dass sie neben mir im Bett lagen, wo ich mit Jaron was hatte?!“

    21.01.2022

    Ich suche auf archive.org nach bisherigen Kooperationen von „Liebe wen Du willst“ und frage nach, inwiefern diese Kooperation tatsächlich bestanden hätte und ob sie fortgesetzt werden würden. Einige der genannten Kooperationen sind bezüglich Jugendschutz besorgniserregend (z.B. eine Erotikmesse oder eine Datingseite für Erwachsene). 

    „Liebe wen Du willst“ veröffentlicht ein Statement, indem sie mitteilen, dass sie frauloewenherz.de, QueerBILD, Sven Lehmann und Mental.Health.Mariam angezeigt hätten. Darüber hinaus wird auf die Kooperation mit der Polizei Berlin eingegangen: „Die Zustimmung für die Wort- und Bildmarke der Polizei Berlin wurde im August 2020 schriftlich erteilt!“ „So hat der Leiter des LKA535 unsere Arbeit und die Zusammenarbeit noch im Mai 2020 schriftlich gelobt, eine Aufhebung der Zusammenarbeit hat bis zum Shitstorm zu keinem Zeitpunkt stattgefunden!“

    Das Statement sagt, dass alle Unterstützenden und Kooperationen ausdrücklich zugestimmt hätten und der Verein nichts ohne Erlaubnis veröffentlichen würde. (Dem widerspricht das Statement vom 18.01.2022)
    Die Wort-Bild-Marke der Polizei Berlin wurde unvollständig von der Seite entfernt. Die Wort-Bild-Marken anderer Unterstützender und Kooperationen wurden vollständig entfernt.

    TikTok bietet Minzgespinst Telefonat an (vrstl. Mo/Di) B. übernimmt Gespräch. 

    22.01.2022

    Ich warte auf Antwort über die Kooperationen. Ein interviewter Sozialarbeiter (Name ist der Redaktion bekannt) bezeichnet die Beziehung zwischen Steve und Jaron als „mindestens unprofessionell“. Eine solche Konstellation sei in der Arbeit mit Jugendlichen zwingend zu vermeiden. Auch die Zusammenarbeit mit der Polizei in Krisensituationen sei problematisch. „Die Polizei ist leider in den meisten Fällen nicht für suizidale, queere Jugendliche ausgebildet. Hier sollte der Rettungsdienst die erste Wahl sein.“. 

    Fotos von der Gründungsadresse und der Impressumsanschrift mit Klingelschildern zeigen weder Vereinsnamen noch den Nachnamen des Vorsitzenden.

    Statement von Jaron bei @mrs.burnout auf TikTok. Er sagt, er ist glücklich und niemand hat das Recht, seine Beziehung zu beurteilen.

    23.01.2022

    fraulowenherz.de veröffentlicht ein Video mit einem Zusammenschnitt von Vivien S. und sich, in einem reaction-Format. (Zusammenschnitte, die dann einen Dialog ergeben.) Implizit wird der Umgang von Vivien S. und „Liebe wen Du willst“ mit Kritik kritisiert. In dem Video geht es ausschließlich um den Umgang mit Neopronomen.

    Auf Twitter veröffentlicht CaptainLala_ eine Zusammenfassung und Einordnung des neuesten Videos von „Liebe wen Du willst“. Der Verein hat das Video eines 15-jährigen Fans mit Körperbehinderung veröffentlicht. In diesem verteidigt sie den Verein und bittet um Nachsicht. CaptainLala_ kritisiert, dass „Liebe wen Du willst“ Kinder ihre Kämpfe führen lässt. Dieser Fan sei dadurch dem Hate ausgesetzt.

    Der Verein verändert mehrmals am Tag Aussagen auf seiner Website. Zuerst sind es vier Gruppen auf WhatsApp, dann drei. Auch die Aussagen über „Beratung“ schwanken. Unter „Vorfall melden“ könnte es das Angebot einer Rechtsberatung geben.

    Livestream von official.404 und sonix187 auf Instagram. „Liebe wen Du willst“ werden zugeschaltet.

    Liebe wen Du willst veröffentlich auf Instagram ein weiteres Statement.

    24.01.2022

    Ich erhalte die ersten Antworten auf die Presseanfragen. Liste der Anworten folgt ganz unten.

    Ein polizeiliches Führungszeugnis wird gepostet. Der Account official.404 erhebt in seiner Story schwere Vorwürfe. Gleicher Account fiel in der Vergangenheit durch eher antifeministische Aussagen auf.

    25.01.2022

    Steve ist seit 21.04.2021 bzw. 31.08.2021 laut Facebook-Profil verlobt. Unklar, mit wem.

    Minzgespinst bekommt Antwort auf die Anfrage bei der Senatsverwaltung für Inneres, Digitalisierung und Sport. Wir dürfen die Sprecherin Sylvia Schwab zitieren: „Notrufverbindungen im Sinne der Notrufverordnung (NotrufV) sich Verbindungen, die entweder durch die Wahl der europaeinheitlichen Notrufnummer 112 oder der zusätzlichen nationalen Notrufnummer 110 eingeleitet werden (§ 164 Abs. 1 Satz 1 Telekommunikationsgesetz – TKG). Die Entgegennahme von Notrufen erfolgt danach ausschließlich von der zuständigen Notrufabfragestelle (2 Nummer 2 NotrufV). Zuständig in Berlin sind die Berliner Feuerwehr bzw. die Polizei Berlin. Die Verwaltung der Notrufanschlüsse obliegt der Bundesnetzagentur.

    Davon zu unterscheiden ist die Frage einer etwaigen Strafbarkeit nach § 145 Strafgesetzbuch (StGB). Danach macht sich strafbar, wer absichtlich oder wissentlich Notrufe oder Notzeichen missbraucht. Diese Voraussetzungen sind bei der missbräuchlichen Verwendung von 110 und 112 erfüllt.

    Als „Notrufe“ im strafrechtliche Sinne kann aber jede akustische oder optisch wahrnehmbare Bekundung in Betracht kommen, die auf das Vorhandensein einer (vermeintlichen) Not- oder Gefahrenlage und die Notwendigkeit fremder Hilfe aufmerksam macht (vgl. Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, 30. Aufl. 2019, StGB § 145 Rn. 4). Es bedarf also nicht zwangsläufig eines Anrufs bei den Notrufnummern 110/112. Ob die Voraussetzungen im Einzelfall erfüllt sind, prüft – ggfs. nach entsprechender Anzeige – die zuständige Strafverfolgungsbehörde.“

    Es ist nicht ersichtlich, ob die „Notrufnummern“ von „Liebe wen Du willst“ tatsächlich Notrufnummern sind, da sie auch als Kontakt-Nummer für Presseanfragen, in der Satzung und im Impressum angegeben werden. (Screenshots liegen vor.)

    26.01.2022

    Die Website von „Liebe wen Du willst“ ist offline. Später postet „Liebe wen Du wilst“ Stories über einen „Hacker-Angriff“.

    Auf Twitter entstehen die ersten Gerüchte. Es wird vermutet, official.404 könnte hinter dem Hack stecken. 404 bestätigt diese Gerüchte bis jetzt nicht.

    „Liebe wen Du willst“ (genauer: mrs.burnout aka Vivien S.) kündigt ein Statement an.

    Ap_Saegge macht auf negative Reviews bezüglich der Arbeitsbedingungen aufmerksam. Sie stammen aus der Zeit vor der massiven Kritik – im Gegensatz zu den google reviews, die eher auf Shitstorm-Bombing zurückzuführen sind.

    Es wird der Verdacht geäußert, Follower könnten gekauft worden sein. Auffällig viele kyrillische Namen für eine rein deutschsprachige Organisation.

    Ältere Beiträge (September 2021) von „Liebe wen Du willst“ werden kritisiert. Steve bezeichnet u.A. geschlechterneutrale Sprache als „schädlich“. Im gleichen Livestream ist wohl ein (minderjähriger?) Junge allein in Steves Wohnung. Gegen Ende bezeichnet Steve“divers“ als „Geschlecht“ für Menschen „die noch nicht wissen, in welche Richtung es für sie geht“. (Anmerkung der Redaktion: Das ist falsch. „Divers“ ist ein Geschlechtseintrag, einer von vier rechtlichen Einträgen in Deutschland. Es ist eine juristische Kategorie. Geschlecht ist vielfältig, hierfür bitte zum queer-lexikon gehen.)

    27.01.2022

    Beiträge und Videos von „Liebe wen Du willst“ auf Instagram werden gelöscht.

    Der Freitag berichtet über den Fall „Liebe wen Du willst“. Leider wird @frauloewenherz.de nicht erwähnt.

    28.01.2022

    Der Beitrag zu geschlechterneutraler Sprache ist gelöscht. Hier eine Sicherung. Auch das Statement vom 23.01.2022 ist gelöscht. Hier eine Sicherung.

    29.01.2022

    Der Instagram-Account von „Liebe wen Du willst“ wurde (angeblich durch 404) gehackt und Material, das Steve der sexuellen Handlungen mit Minderjährigen beschuldigt, hochgeladen. Innerhalb von Sekunden sind jedoch entsprechende Beiträge gelöscht.

    Das Transkript eines erschütternden Videos taucht auf, in dem Steve immer wieder einen Jugendlichen angreift und sich hinterher als „Opfer“ des Jugendlichen darstellt. CN Gewalt, Gaslighting, Ableismus

    „Liebe wen Du willst“ postet eine ableistische Story und benutzt das Stigma über Borderline gegen Betroffene.

    Das Hacking der Seite geht weiter. mrs.burnout/Vivien S. verurteilt die Angriffe.

    30.01.2022

    404 „kritisiert“ Minzgespinst auf Instagram, wir haben die entsprechenden Passagen angepasst. Uns wird gedroht, wir würden „aus dem Weg geräumt werden, wie alle anderen“ (wenn wir unseren Job nicht so machen würden, wie 404 das erwartet. Andererseits seien wir keine Journalist_innen, sondern nur Wannabe-Journalist_innen). 404 misgendert uns.

    CaptainLala_ kündigt einen Exkurs bezüglich eines Chat-Protokolls von „Liebe wen Du willst“ und Steve an.

    31.01.2022

    Auf „Volksverpetzer“ erscheint ein Beitrag zu „Liebe wen Du willst“.

    Wir werden in Privatnachrichten von Einelpersonen für unsere Berichterstattung scharf kritisiert.

    01.02.2022

    Frau Loewenherz und Lars Tönsfeuerborn veröffentlichen ein gemeinsames Statement und kündigen
    eine intensive, saubere Recherche an.

    04.02.2022

    Drama Detective“ auf YouTube hat ein Update zu „Liebe wen Du willst“.

    14.02.2022

    Von „Liebe wen Du willst“ und „Mrs._Burnout“ gab es in den letzten Wochen mehrere Statements, die innerhalb kürzester Zeit wieder gelöscht waren. Aus diesem Grund haben wir uns entschieden, diese nicht mehr mit aufzunehmen, bis ein finales Statement zustandekommt.

    Organisationen und Firmen:

    gay.parship

    Sie stimmten 2019 einmalig zu, als Unterstützende auf der Website aufgeführt zu werden. Sie sahen das Anliegen der Organisation als grundsätzlich sinnvoll. „Mit Blick auf die aktuellen Äußerungen fehlt dafür aber jegliche Basis. Parship steht für einen diskriminierungsfreien und weltoffenen Umgang, unabhängig von sexueller Identität und Orientierung. Daher haben wir den Verein bereits darum gebeten, unsere Logos zu entfernen.“ Es gab und gibt keine Zusammenarbeit zwischen parship und „Liebe wen Du willst“.

    100% Mensch:

    Hatte vor mehreren Jahren mal eine kurze Kooperation mit LWDW. Hat diese schnell wieder beendet. Logo blieb dennoch. Veröffentlichte jedoch ein Statement.

    Spreadshirt:

    Hatte 2019 ein Produkt-Sponsoring für den Verein. „Dabei wurde Teamwear in Form von T-Shirts und Turnbeuteln zur Verfügung gestellt. Desweiteren betreibt der Verein über Spreadshop einen Online-Shop. Ob dieser gegen unsere Community-Standards verstößt, ist gerade in der Prüfung.“

    LSVD Berlin-Brandenburg:

    distanziert sich vom Verein LWDW. Bekräftigt die Unterstützung von nichtbinären Personen. Korrekte Ansprache gehöre dazu. „Wir wurden auf der Webseite von „Liebe wen Du willst“ als Partner genannt. Nachdem wir die Veröffentlichungen von „Liebe wen Du willst“ geprüft haben, haben wir umgehend die Entfernung unseres Logos von der Webseite des Vereins veranlasst. Gegenüber dem Vorstand von „Liebe wen Du Willst“ haben wir unser Missfallen zum Ausdruck gebracht und deutlich gemacht, dass wir nicht mehr für eine Zusammenarbeit zur Verfügung stehen.“

    innocent:

    „Im Jahr 2019 wurden wir vom Verein diverse Male gebeten, unsere Reichweite für Projekte des Vereins zur Verfügung zu stellen und Aktionen des Vereins finanziell zu unterstützen.“ Innocent lehnte ab. Sie machen grundsätzlich kein finanzielles Sponsoring. „Nach den Hinweisen der User:innen haben wir den Verein gebeten, uns von der Liste der offiziellen Partner zu nehmen, da es ja keinerlei substanzielle Zusammenarbeit oder Unterstützung in den letzten Jahren gegeben hat. Und nur wegen eines kleine Getränke-Sponsorings gleich dauerhaft als offizieller Partner genannt zu werden, dafür sind wir viel zu schüchtern und bescheiden. Dieser Bitte wurde von Seiten des Vereins auch prompt Folge geleistet.“

    Venus Berlin:

    Bestätigt eine Instagram-Kommunikation im Jahr 2019. Kann keinerlei Absprachen oder Kooperationen nachvollziehen. Möchte nicht hundertprozentig ausschließen, dass es Absprachen gab, hat aber keine Dokumente/Unterlagen darüber.

    Fairtrade Deutschland

    Fairtrade Deutschland ist der Verein „Liebe wen Du willst“ nicht bekannt.

    Einzelpersonen:

    Electra Pain:

    „Es bestand tatsächlich eine offizielle Kooperation mit „Liebe wen du willst“ und die Nutzungserlaubnis meiner Wort-Bild-Marke. Die Kooperation bestand lediglich darin, dass ich ab und zu etwas von LWDW in meiner Story geteilt habe. Außerdem war ich mal über deren Kanal live und habe über LGBT-Themen geredet. Das ist alles aber schon etwas her. Ich habe die Zusammenarbeit sofort beendet nachdem ich gesehen hatte, dass sie sich in einem Video über Pronomen für non-binary Personen lustig gemacht haben. Das hat mich sehr geschockt und enttäuscht. Ich habe außerdem verlangt, dass alle Fotos von mir von deren Seiten genommen werden.“

    Jurassica Parka:

    Sie distanziert sich ausdrücklich von der Öffentlichkeitsarbeit des Vereins und sieht sich nicht als Unterstützerin.

    Hape Kerkeling:

    Unterstützt diese Organisation nicht mehr.

  • Der Plot – Interview

    Der Plot – Interview

    Vor ein paar Wochen zeigte mir ein sehr guter Freund einen Song. Genauergesagt zwei Songs, einmal „Triggerwarnung“ und einmal „Casey Affleck“ von Der Plot. Er hatte Sorge, dass mich vor allem „Casey Affleck“ triggern könnte. Stattdessen fand ich den Song heftig, aber ermutigend. Beides erschienen auf „Biedermann & Brandstifter“, 2020.

    Gleichzeitig ließ es mich nicht los. Musik zu hören ist das eine, aber ich habe schon in der Schule Gedichtinterpretationen gehasst. „Was hat sich die_r Autor_in beim Schreiben gedacht?“ Weiß ich doch nicht, fragt ihn! (Ja, das ist ein Sally-Ann-Problem. Ja, ich bin Autist_in.)

    Der Vorteil gegenüber Gedichtinterpretationen ist, dass ich heute Menschen fragen kann. Ich wollte wissen, was sich Der Plot bei dem Album gedacht hatte. Wollte wissen, was sie bewegt hat, einen Song aus Täterperspektive zu schreiben. Ich wollte wissen, ob sie sich mit eigener Täterschaft auseinandergesetzt haben. (Und natürlich habe ich mir auch die alten Alben angehört und wollte wissen, ob die politische Entwicklung performativ sei.)

    Minzgespinst:

    Wie kam der Song „Casey Affleck“ zustande? Was hat euch bewogen, den Song aus der Sicht des Täters zu schreiben? Casey Affleck und Weinstein sind große Namen, der Beginn klingt dagegen wie jeder Täter auch aus linken Kontexten. Wie geht ihr damit um, dass das ihr oder eure Kumpels sein könnten?

    Der Plot:

    Elmäx: Conny hat mir die Skizze von seinem Vers geschickt. Die lag lange rum bis ich einen Weg gefunden habe, einen eigenen Ansatz zu finden. Ich fühlte mich dem Thema nicht gewachsen und hatte das Gefühl, Conny ist da ein paar Schritte weiter als ich. Gleichzeitig habe ich aber direkt gespürt, dass dieses Thema unbedingt auf dem Album stattfinden muss. Ich habe unter Anderem das Buch „Vergewaltigung“ von Mithu Sanyal gelesen aber fühlte mich danach noch unsicherer das Thema anzugehen. Wie soll ich denn einen wichtigen Beitrag zu diesem Thema geben?

    Je mehr man sich einliest, desto wichtiger werden die Stimmen der Geschädigten, die tagtäglich damit umgehen müssen. Schlussendlich habe ich mich entschlossen eine Art Schauspieler Modus einzunehmen und wollte mich an der Täter-Opfer-Umkehr abarbeiten. Diese 16 Zeilen sind ekelhaft, mir wurde schlecht als ich das geschrieben habe. Das bin nicht ich, der das sagt, aber ich habe gemerkt da steckt wohl ein Teil von mir mit drin. Es geht gar nicht so sehr darum was gesagt wird, sondern das Wie bereitet mir Unbehagen.

    CONNY: Ich denke die Wucht von Max‘ Part besteht vor allem darin, dass nicht genau erkennbar ist, wer hier spricht. Es könnte sehr gut jemand aus einem linken Umfeld sein – aber auch eben auch eine Person aus einem anderen Milieu. Gerade dadurch wird es so bedrohlich, denn oft passiert sexualisierte Gewalt in vermeintlichen Safespaces. Umso mehr ein Anlass für uns, uns mit der Struktur von Männlichkeit und unserer persönlichen Verortung darin auseinanderzusetzen.

    Minzgespinst

    Viel auf „Biedermann und Brandstifter“ packt ernste Themen in Satire und Überspitzung (z.B. frische Avocados, Mama Porzellan). Dazwischen immer wieder ernste Themen wie Casey Affleck und Leuchten. Wie lässt sich dieser Widerspruch aushalten?

    Der Plot:

    Elmäx: Der Mensch an sich ist doch der größte Widerspruch überhaupt. Ich habe heute morgen erst Avocados gegessen, ohne darüber nachzudenken, ich steige in den nächsten Flieger, um Urlaub in der Sonne zu machen und wenn es regnet, geh ich nicht auf die Demo. Es ist wichtig zu checken, dass niemand perfekt ist und wir falsche Dinge aus richtigen Absichten machen oder andersherum. Für mich ist das auf dem Album kein Widerspruch, sondern wieder ein Perspektivwechsel. Nicht alles ist schwarz oder weiß, Brandstifter oder Biedermann; sondern wir sind viele Graustufen dazwischen.

    Minzgespinst:

    Das Album beginnt mit einer Triggerwarnung – gleichzeitig wird nicht spezifiziert, vor was gewarnt werden soll. Innerhalb der Trauma-Community gibt es zwiespältige Meinungen bezüglich Triggerwarnungen. Was wollt ihr mit dem Song aussagen? Soll er wirklich als Triggerwarnung verstanden werden oder als Metapher?

    Der Plot:

    Elmäx: Für uns war es wichtig, dass Hörer*innen für die Inhalte vom Album sensibilisiert werden und das Album als Gesamtwerk verstehen; Songs oder Textzeilen immer im Kontext bewerten und nicht losgelöst. Nach dem Lesen des Artikels muss ich zugeben, ich war mir der Tragweite, welche Bedeutung eine Triggerwarnung für Geschädigte haben kann, nicht bewusst. Vielleicht würden wir den Song heute anders machen und konkreter auf die einzelnen Trigger eingehen oder gar den Gebrauch von Triggerwarnungen thematisieren. Eine Triggerwarnung wie zB. vor unserem Video bei „Casey Affleck“ halte ich für sehr wichtig, dort wird eben auch direkt angesprochen, worum es inhaltlich in dem Video geht.

    CONNY: Der Song ist definitiv als Metapher zu verstehen. Wir setzen uns auf einem Deutschrap-Album kritisch mit Männlichkeit, Fussball und Konsumismus auseinander – das sind aber drei wichtige Säulen von Deutschrap (wie oft werden die Namen von Fussballern auf Songs gedropt?). Auf eine sarkastische Art und Weise wollten wir damit also den Deutschrap-Fans zu verstehen geben: Achtung, hier geht es (unter anderem) deinem Lieblingsgenre an den Kragen. Darüber hinaus gibt es aber durchaus auch Stellen auf dem Album (ich denke da zB an meinen Verse auf „Niemand hat die Absicht“), die – zumindest ohne Kontext – durchaus missverstanden werden könnten, und wir wollten unsere Position einfach sehr deutlich machen. Ich möchte nicht, dass so ein Song möglicherweise von Rechten instrumentalisiert wird.

    Fazit:

    Im Deutschrap bewegt sich etwas! Die älteren Alben von Der Plot würde ich nicht vorbehaltlos empfehlen, aber mit „Biedermann & Brandstifter“ bekamen die beiden mich! Meistens setze ich mich mit Männern und Musik auseinander, wenn ich sie kritisiere. Hier kann ich mich zurücklehnen und genießen – selbst wenn die Themen unter die Haut gehen. (Bitte bedenkt trotzdem, es sind triggernde Themen. Nur, weil ich sie gut finde, muss das bei euch nicht der Fall sein. Hört das Album nicht, wenn euch sexualisierte Gewalt triggert.)
    Ich bedanke mich auch bei Conny und Elmäx für die Beantwortung meiner Fragen und den tollen Kontakt.

  • Binäres System und Nichtbinarität – @coding_void


    CN für den gesamten Text
    Transfeindlichkeit, Misgendern, Dysphorie, binäres System

    Ein Gastbeitrag von @coding_void.
    Vor einigen Jahren habe ich mein Geschlecht noch ausschließlich als Nicht-Binär bezeichnet.
    Ich verwendete nur das Pronomen „es“, liebte meinen Buzzcut und wartete darauf, endlich mit Hormonen anfangen zu können. Nicht um einen „weiblicheren“ Körper zu haben, sondern einen, der weniger „männlich“ ist. Dennoch war da oft die unterschwellige Gewissheit, vor allem doch als Mann behandelt und wahrgenommen zu werden. Egal, wie sehr ich dies hasste. Das ich, egal was ich machen würde, zwangsläufig in der Fremdzuschreibung „Mann“ gefangen blieb. Es war dabei selten offenes Misgendern oder direktes Absprechen meines Geschlechtes, auch wenn ich das durchaus erlebt habe. Das Problem saß tiefer, in der grundlegenden Art und Weise, wie soziale Räume und Interaktionen um mich herum gestaltet waren. Wie ich mich (nicht) in sie integrieren konnte. Wie sich ein binäres System unterbewusst darstellt.

    Dies kann mensch aus verschiedenen Perspektiven betrachten.

    Fremdzuschreibung und Dysphorie

    Zum Beispiel aus der von Dysphorie und psychischer Gesundheit. Mit mir selber war ich zwar halbwegs glücklich. Aber das Wissen um die Art und Weise, wie ich von anderen Menschen wahrgenommen wurde, ließ mich verzweifeln. Dies wird in der Regel als soziale Dysphorie bezeichnet und ist etwas, worunter viele trans Personen leiden.

    Eine andere Interpretation würde sich auf die männlichen Privilegien konzentrieren, die ich durch diese Fremdzuschreibung angeblich hatte. Es stimmt sicher, dass z.B. meine Meinung ernster genommen wurde, als die von Menschen, die weiblich „gelesen“ wurden. Da gibt es viele weitere Beispiele.

    Die Ebene, dass diese Fremdzuschreibung gewaltvoll ist, wird dabei aber außen vor gelassen. Bei binären trans Personen wird meist noch anerkannt, dass die fortgesetzte Assoziation mit ihrem AGAB ein Ausdruck von Transfeindlichkeit ist. Diese löst bei vielen trans Personen signifikanten Leidensdruck aus. Bei nicht-binären trans Personen fällt diese Anerkennung eher weg. So wird strukturelle Gewalt gegen eine Person, wiederum als Teilhabe an struktureller Gewalt bewertet. Bei AMAB nicht-binären Menschen wird so häufig ihre Unterdrückung verunsichtbart und Teile davon sogar als Privileg geframed.

    Zwar halte ich es nicht für falsch, spezifische(!) Privilegien zu benennen, auch wenn sie im scheinbaren Widerspruch zum realen Leiden ihrer Träger*innen stehen. Aber wenn es um Umstände geht, bei denen Ursache der Privilegien gleichzeitig Ursache des Leidensdruckes ist, ist fragwürdig, ob es Privilegien sind.

    CN Suizid

    An dieser Stelle ist es mir wichtig, dass dies nicht als „verletzte Gefühle“ gegenüber materiellen Bedingungen dargestellt werden kann. Statistisch haben mehr als ein Drittel aller trans Personen einen Suizidversuch überlebt. Nur um einmal klar zu machen, worauf dieser abstrakte Leidensdruck, den ich hier beschreibe, nicht selten hinausläuft.

    Zugang zu Räumen

    Eine weiterer Aspekt, neben den direkten psychischen Auswirkungen, ist zum Beispiel der Zugang zu Schutzräumen. Ich hätte damals Schutzräume benötigt, aber praktisch standen mir keine offen. Selbst ernannte FLINTA*-Räume, vom Namen her also trans und nicht-binäre Menschen explizit einschließend, zogen keine praktischen Konsequenzen daraus. Das ist vielleicht gut gemeint, aber wertlos. Ein Raum, bei dem ich damit rechnen muss, mich Transfeindlichkeit auszusetzen, wenn ich ihn betrete, ist kein Schutzraum für mich.

    Unser binäres System von Geschlecht, das uns Geschlecht von Geburt an und jeden Tag aufs Neue, von außen zuschreibt, gab mir nur eine Möglichkeit der Annerkennung als „nicht-männlich“: Weiblichkeit.

    Meine Konsequenz war, stärker auf den transweiblichen Aspekten meiner Identität aufzubauen, um eine „Nicht-Männlichkeit“ erreichen zu können. Transfeminine Personen erleben natürlich auch Misgendering, Ausschluss aus Schutzräumen und im speziellen Transmisogynie und daraus folgende Gewalt.
    Für mich bot Transfeminität die einzige Chance, der geschlechtlichen Fremdzuschreibung als „Mann“ zu entkommen, der ich auch als offen nicht-binäre Person durchgehend ausgesetzt war.

    Heute kann ich mich z.B. leichter in FLINTA*-Räumen aufhalten als damals. Zumindest solange ich genug sichtbaren Aufwand betreibe, Weiblichkeit zu performen.
    Der Übergang zu einem primär transweiblichem Auftreten hat mir die Lebensqualität und Verbesserung meiner psychischen Gesundheit gegeben, die ich mir aus Outing und Transition erhofft hatte.
    Nicht dadurch, dass ich glücklicher mit meinem Körper wurde, sondern, dass ich endlich weniger als „Mann“ wahrgenommen werde.

    Auch wenn ich meine Weiblichkeit mag, musste ich erkennen, dass sie mir zum Teil aufgezwungen wurde und wird.
    Ich würde gerne wieder einen Buzzcut tragen und mich allgemein gender non-conforming präsentieren. Aber der Effekt darauf, wie (nicht-)männlich ich von anderen Menschen wahrgenommen werde, hindert mich daran.

    Die Ironie, dass ich, als nicht-binäre Person, dadurch nicht nur Zweigeschlechtlichkeit, sondern auch stereotype Weiblichkeit reproduziere, ist mir bewusst.

  • Sozialisiert im Patriarchat

    Kürzlich las ich (erneut) diesen Text von Jeja Klein. Jeja schreibt darüber, wie es ist, immer wieder zur Frau gemacht zu werden und selbst wenig tun zu können, dieser Zurichtung von außen zu entkommen. Daraufhin fragte Kim Posster, ob es solche Texte auch in Bezug auf Männlichkeit(en) gäbe – ihm wäre nichts bekannt. Ab jetzt gibt es so einen Text. Oder den Versuch davon. Sozialisiert im Patriarchat, zwei nichtbinäre Perspektiven.

    Wir sind zwei nichtbinäre, neurodiverse Menschen. Eins von uns wird innerhalb dieser Gesellschaft zur Frau gemacht, erfährt Sexismus, Misogynie, sexualisierte Gewalt im öffentlichen Raum. Wurde weiblich sozialisiert. Irgendwie.
    Das andere nicht. Die Perspektiven der afab Person werden in fett dargestellt, die Perspektiven der amab Person in kursiv. (Eins von uns ist außerdem inter, aber das ist Material für einen anderen Text.)

    AFAB

    Manchmal will ich nicht mehr trans sein. Testo hat mich mit meinem Körper versöhnt, ich bin zufrieden mit der tiefen Stimme, dem veränderten Körperfettanteil, dem leichten Bartschatten. Es hat meinen Kleidungsstil nicht beeinflusst, ich liebe Röcke, Kleider, Strumpfhosen, Hotpants, Overknees. Es hat meine Füße vergrößert, was meiner Schuhsammlung ein trauriges Grab und ein bewusstes Auferstehen bescherte. Aber solange ich mich nicht anstrenge, werde ich nicht als Mann wahrgenommen – entweder als androgyne Frau, als vorpubertärer Junge oder als trans Frau (ohne Passing). Kommt natürlich immer auch daran, ob ich Binder trage (und mir damit die Brüste flachdrücke) oder BH (und meine Rückenschmerzen sich in Grenzen halten).
    (Und wenn ich mich anstrenge, fühle ich mich unwohl und wie verkleidet. Also lasst mir meinen Stil, okay?) Und das ist nur die Außenwahrnehmung. Geht es um Konflikte oder zwischenmenschliche Erwartungen, fühle ich mich immer wieder weiblich sozialisiert.

    AMAB

    Ich möchte manchmal mehr Bart haben – und manchmal gar keinen. Brüste wären schön und ein bisschen weniger Behaarung. Aber eine Östrogen HRT oder Testoblocker sind nicht der richtige Weg für mich (ich habe es ausprobiert). Eine Testo-HRT, so stark dosiert, dass mir schon wieder Brüste wachsen, klingt manchmal verführerisch. Aber in den meisten Fällen möchte ich mich nicht mit meinem Körper beschäftigten. Es ist so anstrengend. Es gibt für mich keinen „richtigen“ Weg, meinen Körper zu verändern – nur unterschiedlich falsche. Also lasse ich es so, wie es ist.

    AFAB

    Meine Pronomen sind es/nims oder they/them. Jedes Mal, wenn ich mich vorstelle, muss ich erklären, dass ich trans bin, dass es nicht entmenschlichend ist, über mich mit „es“ zu sprechen und das Leute bitte aufhören sollen, ihre persönlichen Befindlichkeiten diesbezüglich über meine Wünsche zu stellen. Dabei bin ich manchmal höflich und manchmal laut. Danach fühle ich mich schlecht – weiblich sozialisiert. Ich bin in einem dauerhaften Outing-Prozess, es nicht zu tun, ist keine Option, wenn ich nicht jedes Mal zusammenzucken will. Ich habe einen neutralen Namen, selbst, wenn ich mich nicht als „nichtbinär“ vorstelle, kommen Fragen. (Ist das dein echter Name? Wie heißt du wirklich? Wie war dein Deadname?)

    AMAB

    Meine Pronomen sind er/ihm oder they/them. In den meisten Fällen nutzen Menschen einfach er/ihm. Das ich kein cis Mann bin, ist in meinem Umfeld bekannt, außerhalb dessen bin ich ungeoutet. Aber auch in diesem engen Kreis vergessen Menschen oft, dass ich kein Mann bin. Ich bin ageschlechtlich, ich habe keinen Zugang zu dem Konzept „Geschlecht“. Jeder Erklärungsversuch scheitert an meiner Wortlosigkeit, es korrekt zu beschreiben. Die Zuschreibung überlasse ich deshalb dem außen – wenn ich als Mann wahrgenommen werde, macht mich das dysphorisch, aber in dieser Gesellschaft habe ich nichtsdestotrotz Vorteile dadurch. Ich erlebe Schwulenfeindlichkeit, Femininitätsfeindlichkeit, aber keine explizite Transmisogynie. Ich werde in Ruhe gelassen. Männlich sozialisiert. Ich ertrage lieber, dauerhaft misgendert zu werden, als mich dieser offenen Feindlichkeit zu stellen. Habe die Wahl, zwischen zwei falschen Entscheidungen die zu wählen, die Privilegien mit sich bringt.

    AFAB

    Ich habe diese Wahl nicht. Manchmal nehme ich them übel, dass they diese, meine Kämpfe nicht führen muss. Ich werde seltener misgendert, aber ich werde immer als „das seltsame Andere“ wahrgenommen. Das Patriarchat macht mich zu einer Frau – oder versucht es zumindest. Und es ist sehr hartnäckig. Leuten ein „Ich bin KEINE FRAU“ entgegenzuschleudern, ist meistens nicht ausreichend. Meine Identität ist in dieser Gesellschaft unerheblich dafür, wie ich behandelt werde.

    AMAB

    Das Patriarchat macht mich zu einem Mann – und solange ich nichts aktiv dagegen tue, bekomme ich dadurch Raum. Es schließt mich aus FLINTA-Räumen aus (weil diese oft nur für cis Frauen und afab nichtbinäre Menschen wirklich safe sind), aber ich weiß auch meistens nicht, was ich in diesen Räumen soll. Ich bin FLINTA (sogar mehrere dieser Buchstaben gleichzeitig), aber sexualisierte Gewalt erfahre ich nicht. Zwar erlebe ich Transfeindlichkeit, aber auch männliche Privilegien.

    Ich werde auf der Straße und in der Gesellschaft nicht sexualisiert. Es ist kompliziert. Die Vereinfachung vieler Diskurse sieht mich nicht vor – und ich nehme nicht teil. Einerseits, weil ich wenig Grund habe, mich zu beschweren, andererseits, weil die Kämpfe meiner afab Geschwister und trans Frauen derzeit wichtiger, lebensbedrohlicher sind. Aber dieses „dazwischen“ ist ebenfalls kein Raum, in dem ich teilhaben kann. Ich bin unsichtbar, unsichtbar in einer Sicherheit in dieser Welt, die nicht selbstverständlich ist. Ich werde oft als schwul oder queer wahrgenommen, auch wenn nur letzteres zutrifft.

    AFAB

    Für mich waren schwule Räume, tuntige Räume Orte der Selbstermächtigung. Orte, an denen ich sein konnte und mich wohl fühlte. An denen ich nicht sexualisiert wurde – oder in einer Art sexualisiert wurde, die ich wollte. Orte, an denen ich selbst entscheiden konnte, wie ich mit meiner Männlichkeit umgehen wollte und wie viel Weiblichkeit ich zulassen will. An denen maskuline Personen im Kleid keine Lächerlichkeit sind und nicht hinterfragt werden. Tuntige Räume gaben mir immer mehr Sicherheit als sogenannte FLINTA-Räume oder queere Räume – auch aus persönlichen Gründen. Der Umgangston in schwulen, tuntigen Räumen ist für mich gut umsetzbar, gesellschaftliche Konventionen in FLINTA-Räumen erschließen sich mir nicht immer. Und ausgeschlossen zu werden, weil die eigene Kommunikation falsch ist, erlebe ich zu oft (ganz ohne männliche Privilegien).

    AMAB

    Ich bin männlich sozialisiert. An mich wurde immer eine Erwartungshaltung herangetragen, die mit der, die cis Männer erfahren, identisch ist. Diese Erwartungshaltung konnte ich für mich annehmen, ich hatte aber auch das Gefühl, ich würde von „weiblichen“ Erwartungen eher angesprochen. Wissentlich, dass es Erwartungen sind, die an Frauen gestellt wurden, dennoch überwog ein „ich weiß, was ihr von mir wollt, aber ich finde alles komisch“. Ich fand geschlechtliche Erwartungen, die an mich gestellt wurden, gleichbleibend seltsam. Mein Umfeld hatte damit jedoch einen anderen Umgang als ich.

    Mein inneres Outing war eher ein „okay, männlich stimmt nicht, aber weiblich stimmt auch nicht und eigentlich ist es mir egal, und das ist okay“. Ich würde nicht behaupten, dass das eine allgemeingültige Erfahrung ist, die alle amab nichtbinären Personen machen, aber ich kann sie für mich annehmen. Gleichzeitig bin ich kein Mann – ich gehe als einer durch, aber ich bin es nicht. Ich habe kein positives/negatives Verhältnis zu Männlichkeit, ich sehe nur die Erwartungen, das Kommunikationsverhalten, die Unfähigkeiten, die mir durch dieses „für einen Mann gehalten werden“ vermittelt wurden.

    Fazit

    Sozialisiert werden ist eine individuelle Erfahrung, die gleichzeitig immer wieder auf gesellschaftliche Rollen zurückwirft. Andererseits sind es nicht unsere Identitäten, auch wenn sich Erfahrungen ähneln. Ähnlich wie dieser Beitrag die Erfahrungen von cis und trans Frauen gegenüberstellt, sind auch unsere Erfahrungen teilweise diametral. Wir müssen beide mit der Tatsache leben, niemals als nichtbinär erkennbar zu sein. Gleichzeitig ist es für them einfacher, zum Mann, zum Subjekt gemacht zu werden, denn als Frau, als „das andere Geschlecht“ zu überleben. Unser Umgang ist ein gemeinsamer. Gemeinsam gegen das Patriarchat. Erfahrungen abgleichen. Miteinander leben und kämpfen. Schutzräume schaffen, in denen Nichtbinarität die Norm ist. Und immer wieder kritisch Erfahrungsräume hinterfragen. Nichtbinarität ist eine leere Schablone, es gibt keine Erwartungen, nur Perversität.

  • TDOR – Trans day of remembrance

    CN Mord, Transfeindlichkeit, Suizid, Feminizid, TDOR

    Ein Jahr ist vorbei – ich lebe noch. Viele andere trans Personen nicht mehr.

    Es ist der 20. November, es ist trans day of remembrance (TDOR), der Tag, an dem wir um die getöteten trans Personen des vergangenen Jahres trauern und um jene, die diese transfeindliche Welt nicht mehr ertrugen.

    Es waren 375 Menschen, die aufgrund ihrer Transgeschlechtlichkeit ermordet wurden, der Großteil von ihnen waren Sexarbeiter_innen. Transfeminine Personen sind, wie jedes Jahr, deutlich öfter betroffen als transmaskuline Personen.

    Hier könnt ihr ihre Namen nachlesen – und ihre Geschichten, soweit bekannt und eine Veröffentlichung gewünscht wurde. Die Namensliste ist als pdf verfügbar. Sie wird jedes Jahr zum TDOR aktualisiert.

    Einsamkeit

    Ich wurde – wie jedes Jahr – zu Gedenkveranstaltungen eingeladen. Und habe – wie jedes Jahr – abgesagt. Ich kann nicht in Gesellschaft trauern – auch wenn unsere Trauer etwas politisches hat. Wir trauern, wir klagen an. Alle von uns trauern um Leben, die aus ideologischen, hasserfüllten Gründen beendet wurden. Wir trauern um jene Geschwister, die wir nur als Namensliste des Todes kennen. Wir trauern, weil wir wissen, wie es ihnen geht, wie es ist, mit Hass und Gewalt aufgrund der geschlechtlichen Existenz umgehen zu müssen.

    Ich sitze zu Hause, alleine. Lese die Namen, ich lese die Geschichten. Sitze in eine Decke gewickelt in meinem Zimmer und fühle mich leer. Ich möchte kämpfen, ich möchte schreien – aber ich der 20. November gehört der Stille und dem Schmerz.

    Familie

    Er gehört dem Nachdenken über eine Familienstruktur, die aus der Abweichung der geschlechtlichen Norm entsteht: trans Personen sind Geschwister. Ich zünde eine Kerze an. Dabei kenne ich keine der betroffenen Personen persönlich. Ich weiß nicht, ob wir uns verstanden hätten, uns sympathisch gewesen wären. Und trotzdem eint uns das trans Sein in dieser Welt, einer Welt, die noch immer nicht freundlich gegenüber Menschen wie uns eingestellt ist – weltweit. Der TDOR ist das Gegenstück zum trans day of visibility, wo ich mich sichtbar und stolz zeigen kann.

    Familien streiten sich, Familien können dysfunktional und toxisch sein. Alles davon trifft auch auf die trans Familie zu – und trotzdem sind es meine Leute. Und wenn sie ermordet werden, weil sie trans sind, dann ist jeder dieser Morde etwas, das den Rest der Familie daran erinnert, was uns passieren kann.

    Dieses Jahr ist die Erinnerung schmerzdurchsetzt, ich sehe, wie in Deutschland, Polen, Texas, Großbritannien (und das sind nur die ersten Länder, die mich durchzucken) unsere Rechte weiter beschnitten werden. Ich sehe, wie eine Welle transfeindlichen Hasses, ideologisch getränkt, durch Europa rollt. Sehe Menschen, die mir politische Standpunkte absprechen wollen, weil ich trans bin. Ich sehe die Angst in den Gesichtern meiner Geschwister, wenn es um politische Entwicklung geht. Sehe, wie transfeindliche Übergriffe und politische Aussagen zunehmen.

    CN Suizid

    Ich gedenke Ella, die sich am 14. September in Berlin das Leben nahm.

    Ich denke an Jugendliche, die ich begleitet habe und versucht, ihre Hoffnungslosigkeit zu mildern.
    Bei einigen weiß ich nicht, ob sie ihre Transition beginnen konnten, ob sie ihr Outing geschafft haben, ob sie (noch) leben oder ob ihre Depressionen zu stark wurden. Ich möchte nicht in einer Welt leben, in der trans Kinder wissen, was Suizid ist und sagen, dass sie lieber sterben würden, als noch weitere fünf Jahre durch eine Pubertät gehen zu müssen, die sie dysphorisch macht.

    Schmerz

    Dieser Text ist deutlich weniger durchdacht und analytisch als das, was ich normalerweise versuche zu schreiben. Gleichzeitig passt er zu den Gedankenfetzen, die in meinem Kopf umherschwirren und die alle ähnliche, hässliche Bilder zeigen.

    Ich blicke in die Kerzenflamme. Ich kann nicht weinen, aber ich kann trauern. Alleine, zu Hause, für mich. Und gleichzeitig habe ich diesen Text geschrieben, eine Anklage, eine Trauerrede, ein Bedürfnis – vor allem für cis Menschen, für diejenigen, die nicht ermordet werden, weil sie cis sind. Die ermordet werden, weil sie Frauen sind, durch Feminizide und die sich im Tod mit trans Personen gemeinsam treffen.

    Ich will nie wieder tote Frauen sehen, ob cis, ob trans. Ich will nie wieder tote trans Personen sehen, die ermordet wurden oder sich suizidiert haben, weil sie trans sind.

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