Schlagwort: Cistem

  • FLINTA* – Potenzial und Grenzen

    Wofür steht FLINTA*?

    Warum FLINTA?

    FLINTA* ist ein Akronym1, das eine lange, historische Entwicklung hinter sich hat.
    Ungefähr in den 1970er Jahren entstanden die ersten Frauenräume, um Frauen eine Art Schutzraum vor dem Patriarchat zu bieten. Später (in den 80er Jahren) erweiterten sich einige dieser Räume explizit auf FrauenLesben. Das lag unter Anderem am „lesbischen Separatismus“, einer Strömung, die „Frauen“ in Abhängigkeit zum heterosexuellen Mann definierte. Lesben waren somit keine Frauen, sondern Lesben.

    „Lesbisch“ kann also nicht nur eine sexuell-romantische Orientierung, sondern auch ein (nichtbinäres) Geschlecht sein. In den 90er Jahren kam das T hinzu, um vor allem trans Frauen explizit einzuschließen.
    Trans Männer waren in vielen Fällen bereits vor ihrer Transition Teil von feministischen Räumen und somit oft automatisch „irgendwie“ dabei.
    Seit den 2010er Jahren wurden dann nichtbinäre und ageschlechtliche Identitäten mitbenannt, auch, um ein Gegengewicht zum Begriff „Frauen*“ zu bilden. 
    Wer mehr über die historischen Entwicklungen lesen möchte, kann das beispielsweise im Spinnboden-Archiv in Berlin tun.

    Diese Geschichte der Entwicklung von Frauen- zu FLINTA*-Räumen ist wichtig für eine heutige Kritik am Begriff und seiner Verwendung. 

    Verwendung und Kritik

    FLINTA* ist ein Überbegriff für Menschen, die in einem endo-cis-sexistischen2 System marginalisiert3 sind. Der Begriff schließt also auch Männer ein – und zwar nicht nur trans Männer, sondern auch inter cis Männer. 

    Oft sagen oder schreiben Menschen aber „FLINTA*“ und meinen damit „irgendwie weiblich“, „Leute, die ich für Frauen halte“ oder „Menschen, die von den meisten anderen für Frauen gehalten werden“. Manchmal meinen sie auch „Menschen mit Vulva4„, „Leute mit Brüsten“ oder „Personen, die menstruieren“. Wir sehen, die Geschichte des Begriffs sitzt tief. 
    Das zeigt sich auch regelmäßig in Veranstaltungseinladungen, die sich an „FLINTA*“ richten, gleichzeitig aber Männer – oder auch „nur“ cis Männer  – explizit ausschließen.
    Oder wenn in einer Gruppe zu kritischer Männlichkeit die Frage auftaucht, ob Menschen lieber mit Männern oder mit FLINTA* sprechen.

    Viele AMAB Personen, trans Männer und inter-cis Männer sind damit zwar theoretisch „mitgemeint“, praktisch aber ausgeschlossen. Und ihre Perspektiven finden selten Raum. Es ist nicht ausreichend durchdacht, Menschengruppen nur als Buchstaben in ein Akronym aufzunehmen und es dann „nach Bauchgefühl“ zu verwenden. Frauen* durch FLINTA* zu ersetzen bringt nichts, wenn nicht auch die politische Analyse dahinter weiterentwickelt wird. 

    Mittlerweile misstrauen viele „mitgemeinte“ Menschen dem Begriff zu Recht genauso wie der Bezeichnung „Frauen*“. Anstatt immer neue, angeblich inklusive5 Begriffe zu erschaffen, müssen wir Endo-Cis-Sexismus als Ganzes reflektieren und unsere Art, zu denken, ändern. Zum Beispiel, indem wir Menschen keine bestimmte Sozialisierung aufgrund ihres Geschlechts zuschreiben.

    Alternativen

    Wir müssen uns dringend Gedanken darüber machen, wozu sichere Räume da sein sollen. 
    In einem FLINTA* Raum kann es zu Transfeindlichkeit kommen. Transfeindliche Frauen existieren.
    Wie soll damit umgegangen werden? Wollen wir über Menstruation reden? Über sexualisierte Gewalt? Soll über Männlichkeit gesprochen werden? Natürlich kann auch über Sozialisierung geredet werden. Oder darüber, was das Patriarchat aus uns gemacht hat. Wenn cis Frauen sich einen Raum für sich wünschen, ist das genauso in Ordnung. Wenn es um Blasenentzündungen geht, sind nicht FLINTA* anfälliger, sondern Menschen mit kurzer Harnröhre.

    Es ist gewaltvoll, Menschen die Zugehörigkeit zur Gruppe abzusprechen. Und es ist problematisch, eine so unterschiedliche Gruppe von Menschen unter einen Begriff zu fassen und zu erwarten, dass alle die gleichen Erfahrungen gemacht haben. 

    Um eine nichtbinäre, inter Person, die im Alltag als cis Mann lebt, zu zitieren: „Das letzte Mal Catcalling hab  ich in einer Schwulenbar erlebt. Was soll ich auf ner Demo gegen Catcalling für FLINTA*? Im Aufruf steht, alle FLINTA* erleben Catcalling. Bin ich Ally? Bin ich nicht FLINTA*?“

    Fußnote:
    1: Akronym = Wort, das aus den Anfangsbuchstaben mehrerer einzelner Wörter zusammengesetzt ist.
    2: Endo-Cis-Sexismus = das System geschlechtlicher und medizinischer Normen, das besonders cis Frauen, inter und trans Menschen schadet
    3: marginalisiert = gesellschaftlich an den Rand gedrängt, unterdrückt
    4: Vulva = Venushügel, Schamlippen und Klitoris
    5: inklusiv = miteinbeziehend

  • Die Biofrau im Kühlregal

    „Es muss die Option bleiben, Zugänge nach optischen Gesichtspunkten zu ermöglichen“, sagte Marco Buschmann im Interview mit Zeit online sinngemäß. Es ging (wie meist bei diesem Thema) um den Zugang zur Frauensauna. Ein anderer Schwerpunkt sind Toiletten. Ein Begriff, der in diesem Kontext oft fällt, ist der der „Biofrau“, in Abgrenzung zur trans Frau bzw. Transfemininität.

    Im Text geht es um Transfeindlichkeit und transfeindliche Zuschreibungen. Es gibt dabei Beispiele von essentiellen Weiblichkeitsvorstellungen. Medizinische Maßnahmen und Transitionsschritte kommen ebenfalls vor.

    Biologisch abbaubar?

    Die Biofrau als natürlicher, organischer Zustand und die trans Frau als „künstliche“ Erschaffung daneben. In eine ähnliche Kerbe schlägt auch Jennifer Bilek mit dem Begriff des „Transhumanismus„. Hier wird eine ganze Industrie imaginiert, die hinter trans Personen stünde, namentlich Big Pharma, Big Bank und Big Tech. Sie würden die Idee des „falschen Geist im falschen Körper“ verbreiten und entsprechen behaupten, dass Männer Frauen seien.
    (Der Antisemitismus in diesen Aussagen ist einen eigenen Text wert.)

    Wir merken hierbei schon den ersten Fehler. Trans Frauen sind keine Männer, die sich als Frauen ausgeben. Sie sind Frauen. Bereits vor den Möglichkeiten einer hormonellen oder operativen Angleichung an den gewünschten Körper gab es trans Personen. (Und die ersten Operationen an trans Personen wurden Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts in Deutschland durchgeführt.) Trans Personen sind nichts neues. Sie sind nur geschichtlich unsichtbar geblieben. Diese Unsichtbarkeit liegt an veränderten Begriffen, aber auch an fehlenden Möglichkeiten. Wenn Menschen keine Worte für ihr Sein haben, schweigen sie.

    Weibliche Essenz(en)

    Die Unterscheidung in „Biofrauen“ und trans Frauen eröffnet eine Unterscheidung, die sich mit der essentiellen Frage von Weiblichkeit auseinandersetzt. Was macht eine Frau zu einer Frau? Gibt es überhaupt so etwas wie eine Weibliche Essenz, die allen Frauen gemeinsam ist? Eine fötale Entwicklung des Körpers? Eine gewisse Chromosomenausprägung? (Kennen Sie Ihre eigenen Chromosomen? So richtig, mit einem Karyogramm?) Die Fähigkeit zu gebären? Eine gewisse Körbchengröße? Haarlänge? Hormonwerte? Verhalten? Hobbys? Eine Art zu sprechen und zu gestikulieren?

    Die Antwort kann – je nachdem, aus welcher Perspektive geschaut wird – höchst unterschiedlich ausfallen. Wenn wir auf Steckerverbindungen schauen, dann ist eine weibliche Verbindung eine, in die etwas hineingesteckt wird. Die männliche Verbindung ist dagegen die, die hineinsteckt. Wenn wir auf Zeugungsfähigkeit blicken, dann sind weibliche Gonaden groß und unbeweglich. Und schauen wir auf das sozial ausgelebte Geschlecht, dann ist eine Frau eine erwachsene, weibliche Person, die sich selbst als Frau bezeichnet. Das, was Menschen im Alltag erleben, ist dabei vollkommen unabhängig von der Gonadengröße einer Person. Niemand fragt bei alltäglichen, sexistischen Situationen, ob ein Uterus vorhanden ist.

    Zumindest bei den Steckverbindungen und den Gonaden kann davon ausgegangen werden, dass zunächst ein Begriff für Weiblichkeit vorhanden war und dieser dann auf entsprechende Merkmale angewandt wurde.

    Körperliche Zirkelschlüsse

    Der Begriff „Biofrau“ schließt schlussendlich also nur diesen Zirkelschluss, dass aus der Zuordnung zu einem Geschlecht ein Körper entwickelt wurde, um diesen zur Zuordnung zu einem Geschlecht zu nutzen. Gleichzeitig wird damit Intergeschlechtlichkeit weiter unsichtbar gemacht (die Dunkelziffer einer XXY-Chromosomalität liegt bei ca. 70 %), als auch ein bestimmter Körper mit Weiblichkeit verknüpft.

    Diese Verknüpfung sorgt dafür, dass cis Frauen, die beispielsweise aufgrund von Brustkrebs sich einer Operation unterziehen mussten, oft das Gefühl haben „nicht mehr weiblich genug“ zu sein. Nicht gebärfähige cis Frauen berichten ebenfalls von diesen Gedanken. Das kann zu psychischen Erkrankungen wie Depressionen führen. Auch trans Frauen leiden unter diesem Druck. Vor allem ihnen wird abgesprochen, jemals eine „echte“ Frau zu sein. Weiblichkeit wird auf biologische Merkmale reduziert, die die meisten Menschen bei sich selbst nicht einmal kennen. Wer bereits vergeblich versucht hat, schwanger zu werden, kann diese Erfahrung bestätigen.

    Darüber hinaus führt diese Unterscheidung in der Praxis zu obskuren Situationen. Sind die Hormone, die cis Frauen in der Menopause nehmen, natürlich? Sind sie unnatürlich, sobald trans Frauen sie nehmen? Ist eine genitalangleichende Operation einer cis Frau, um eine „schönere“ Vulva zu haben, natürlich? Aber die Operation einer trans Frau dann unnatürlich? Sind Brustvergrößerungen von cis Frauen natürlich? Ist die Anti-Baby-Pille natürlicher als ein Östrogenpräparat?

    Hormonersatztherapien wurden für cis Personen entwickelt. Die Beipackzettel erhalten keine Angaben zu trans Personen. Die größte Gruppe an Menschen, die Hormonpräparate nimmt, ist cis.

    Natürlichlichkeit – ein Konstrukt

    Natürlichkeit ist ein Konzept, das von einer ursprünglichen, korrekten Wahrheit ausgeht. Gleichzeitig sind sehr viele Krankheiten „natürlich“, in dem Sinne, dass sie in der Natur vorkommen und vom Menschen unbeeinflusst entwickeln. Krebs ist natürlich. Diabetes ist natürlich. Hashimoto (eine Schilddrüsenerkrankung) ist natürlich. Endometriose ist natürlich. Nichts davon sind Zustände, die unbehandelt bleiben sollten. Es sind aber gleichzeitig bei jeder Therapie medizinische Eingriffe in den Körper. Diabetes benötigt Behandlung durch Spritzen, sowohl zum Messen, als auch für Insulin. Eine Chemotherapie ist höchst giftig. Sie muss das sein, um zu wirken.

    Medizinischer Fortschritt rettet Leben.

    Manche Menschen haben körpereigenes Insulin. Manche Menschen benötigen dagegen körperfremdes Insulin.
    Einige Menschen haben körpereigenes Testosteron, das zu hoch ist. Da helfen Testosteronblocker.
    Andere Menschen haben kein körpereigenes Testosteron. Sie benutzen Gel oder Spritzen.

    In Bezug auf Geschlecht diese Grenze zwischen „natürlich“ und „künstlich“ zu eröffnen, ist absurd. Es zeigt, dass trans Personen nicht als sie selbst ernst genommen werden. Es ist eine künstliche Unterscheidung, die ausschließlich der Diskriminierung dient.

  • Meinungsfreiheit – ein Gastbeitrag von Leon

    „Das darf ich sagen! Das ist von meiner Meinungsfreiheit gedeckt!“
    Wann ist es sinnvoll, mit dem Grundgesetz zu argumentieren? … und wann nicht? Ein juristischer Exkurs in Debattenkultur.

    Wie sagte mein Professor am Anfang der Grundrechtevorlesung so schön: „Alles, was nicht Staatsgewalt ist, ist auch nicht unmittelbar an Grundrechte gebunden.“. Polemische Aussage? Nö!

    Art. 1 III GG stellt klar, dass alle Staatsgewalt unmittelbar an Grundrechte gebunden ist.

    Erlässt der Bundestag also (als Teil der Legislative und damit Staatsgewalt) ein Gesetz, darf dieses nicht gegen Grundrechte verstoßen. Ob es das tut, wird dann im Zweifel durch eine Verfassungsbeschwerde vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden.

    Nimmt ein*e Polizist*in (als Teil der Exekutive) eine Person fest, muss bei Zweifeln wieder ein Gericht entscheiden, ob die Grundrechte dabei unbegründet eingeschränkt wurden.

    Und so weiter…

    Grundrechtswirkung

    Das Ganze nennt sich unmittelbare Grundrechtswirkung und zeigt die Rolle der Grundrechte in der deutschen Verfassung: Sie sind dafür da die Rechte von Menschen in Deutschland vor Verletzungen durch den Staat zu schützen.

    Für den Staat heißt das, dass er durch die Grundrechte verpflichtet ist, etwas zu tun oder zu unterlassen. Für die Einzelperson, dass diese das Recht hat, vom Staat ein Tun oder Unterlassen zu verlangen.

    Das ist nötig, da der Staat und die Menschen einander nicht gleichberechtigt gegenüberstehen. Es herrscht ein Machtgefälle, in dem (nur) der Staat das Recht und die Möglichkeit hat, Gewalt auszuüben. Die Grundrechte setzen dem Staat dabei Grenzen und schützen die Menschen vor dieser Gewalt.

    Anders sieht das Ganze in der Beziehung zwischen Privatpersonen aus. Diese stehen einander grundsätzlich gleichberechtigt gegenüber. Es gibt kein Machtgefälle und somit auch keine Partei, die besonders vor Eingriffen durch die andere Partei geschützt werden müsste. Zumindest ist das in der Theorie des Gesetzes so. Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

    Im Hinblick auf die Meinungsfreiheit darf der Staat einer Einzelperson also nicht vorschreiben, was diese sagen oder nicht sagen darf.

    Meinungsfreiheit und Menschenwürde

    Es wird aber in einer privaten Diskussion schwierig, die eigenen Aussagen damit zu rechtfertigen, dass diese durch die Meinungsfreiheit geschützt sind…

    Kommen wir jetzt aber zu diskriminierenden Aussagen, hantieren Menschen in Argumentationen regelmäßig mit der Meinungsfreiheit und der Würde des Menschen.

    Es gibt Situationen, in denen das auch tatsächlich sinnvoll ist. Geht es z.B. um das TSG, ist der Rückschluss auf die Menschenwürde angebracht, da es sich hierbei um ein formelles Bundesgesetz handelt. Als formelles Bundesgesetz ist das TSG ein Ausdruck staatlichen Handelns und somit Staatsgewalt. Das TSG muss also die Grundrechte wahren und darf u.A. nicht gegen die Menschenwürde verstoßen. Dass große Teile des TSG eben das nicht tun, hat das BVerfG seit vielen Jahrzehnten immer wieder bestätigt.

    Onkel Oskar und der T-Slur

    Anders sieht das Ganze aus, wenn Onkel Oskar den T-Slur verwendet. Hier ist in keinster Weise Staatsgewalt am Werk, weshalb es sich also nicht um unmittelbar an Grundrechte gebundenes Verhalten handelt. Es ist also nicht nur weird, wenn Onkel Oskar sich mit seiner Meinungsfreiheit herausreden will, sondern auch nicht hilfreich als Gegenargument die Menschenwürde anzubringen. (Onkel Oskar würde sich im Zweifel sowieso nicht davon überzeugen lassen…)

    Grundrechte und Offenbarungsverbot

    Grundrechte werden aber z.B. beim dead-naming wieder relevant. Hat eine Person über das TSG deren Vornamen und Personenstand geändert, geht damit ein Offenbarungsverbot einher. Das heißt, dass es gem. § 5 TSG verboten ist, den Geburtsnamen zu erforschen oder offenbaren. Da dieses Offenbarungsverbot Teil eines Gesetzes und folglich ein Akt öffentlicher Gewalt ist, ist es auch rechtlich durchsetzbar und gültig. Wird dieses Verbot missachtet, gilt dies als Ordnungswidrigkeit und kann rechtlich verfolgt werden.

    Die Grundrechte sind insofern relevant, dass – vom Staat – durch die gesetzliche Regelung die Würde von Trans*Personen geschützt werden soll. Durch das Gesetz (again: Akt der öffentlichen Gewalt) wird das Verhalten von Privatpersonen sanktioniert, um eben diese Grundrechte zu wahren.

    Auch der Vorschlag für das Selbstbestimmungsgesetz greift dieses Offenbarungsverbot wieder auf.

    Trotz diesen rechtlichen Auseinandersetzungen mit der Rolle der Grundrechte, sollten wir einander natürlich trotzdem zuhören, einander respektieren und lieb und freundlich miteinander bleiben.

    Das hat aber nichts mit der Menschenwürde oder Meinungsfreiheit des Grundgesetzes zu tun, sondern gesellschaftlichen und moralischen Wertvorstellungen.

    Tldr; Grundrechte regeln die Beziehung der Menschen zum Staat und nicht zwischenmenschliche Beziehungen. Eigene Aussagen in privaten Debatten auf die Meinungsfreiheit zu stützen ist also eher schwach.

  • Es ist entmenschlichend!

    Meine Pronomen im Deutschen sind „es“ und „nims„, wobei nims nicht weiter dekliniert wird. Aber bis zu dem Punkt, das zu erklären, komme ich meistens gar nicht. Denn sofort schreit irgendwer auf, meine Pronomen seien „entmenschlichend“, die Person könne einen anderen Menschen nicht mit „es“ ansprechen (sollst du auch nicht, „du“ ist ausreichend für die direkte Ansprache) und ich solle mir doch etwas besseres überlegen.

    Ich bin jedes Mal wieder fasziniert.

    Fremde Menschen haben die Erwartung, dass es bei meinen Pronomen über sie geht. Das ich mich nach ihnen richten würde. Das es relevant ist, was sie über mein Pronomen denken.

    Und dann erzählen sie auch noch Unsinn. Gerade Leute, die normalerweise echt viel zu Grammatik und Geschlecht zu sagen haben, sind bei dem Thema ganz streng geschlechtlich. Dabei gibt es durchaus Unterschiede im grammatischen und im sozialen Geschlecht. (Das wir trotzdem das generische Maskulinum mit Männlichkeit gleichsetzen, ist dann unseren Hirnen geschuldet. Deshalb ist das generische Maskulinum nicht geschlechtsneutral.)

    „Das Mädchen, es geht zum Einkaufen.“ und „Das Kind, es isst Schokolade.“ sind zwei vollständige Sätze im Deutschen. Beide benutzen „es“ in Bezug auf einen Menschen (nämlich ein Mädchen oder ein Kind). Obwohl es durchaus Menschen gibt, die Kindern ihre volle Persönlichkeit erst mit der Vollendung der Volljährigkeit zugestehen (und dann trans Kindern eine falsche Pubertät zumuten wollen). Aber um die geht es gar nicht.

    „Der Hund, er geht spazieren.“ und „Die Katze, sie springt auf den Baum.“ sind dagegen zwei Sätze, die vergeschlechtlich sind, aber sowohl Hund als auch Katze sind menschliche Geschlechter ziemlich egal.
    Dem Tisch und dem Stuhl übrigens auch.

    Wenn ihr ein Problem damit habt, wie ihr „es“ wahrnehmt, dann liegt das an euch. Wenn es „entmenschlichend“ ist, korrekt über Leute zu sprechen, aber nicht, ihre Wünsche zu respektieren…

    …dann denke ich, gibt es durchaus Priorisierungsunterschiede darin, was Menschen als „entmenschlichend“ wahrnehmen.

    Ich bin nicht männlich. Und auch nicht weiblich. Ich denke, wenn euch bei der Verwendung meines Pronomens wahlweise ein gruseliger Clown oder Sarah McGonagalls Version davon in den Sinn kommt, dann ist mein Geschlecht eigentlich ganz gut beschrieben.

    Und Luftballons mag ich auch.

  • Wir alle kennen Betroffene – Redebeitrag Halle 14.4.22

    In diesem Text wird sexualisierte Gewalt, Übergriffigkeit, Transfeindlichkeit und Ableismus thematisiert. Betroffene verdienen mehr als das hier. Der Beitrag begann mit einer Minute für Jess, um ihr alles Gute und schnelle Genesung zu wünschen.

    Prioritäten

    Wir alle kennen Betroffene, aber niemand kennt Täter.

    Willkommen in der Stadt, in der über trans Personen und Toiletten diskutiert wird, als gäbe es keine wichtigeren Themen.
    Ich habe keine Angst vor einer trans Frau in einer Toilette.

    Nein, ich habe Angst vor einer Szene, in der Menschen vergewaltigt werden können und es niemanden interessiert.

    Ich war hier, als 2014 auf einer linken Veranstaltung eine Person sexualisierte Gewalt erfuhr.
    Und ich war hier, als in den folgenden Jahren im VL Sprüche fielen wie „so, wie die herumgelaufen ist, wollte die das doch“.

    Ich war hier, als die betroffene Person in der Reile um Hilfe bat und stattdessen mit dem Problem allein gelassen wurde.

    Irgendwann war ich nicht mehr hier.

    Stattdessen bin ich weggezogen, weg aus einer Stadt, in der über trans Personen und Toiletten diskutiert wird, während die sexualisierte Gewalt in den eigenen Strukturen geflissentlich übersehen wurde.

    Heute bin ich wieder hier.

    Ich bin hier, weil es Menschen gibt, die sich diesen Normalzustand nicht mehr gefallen lassen wollen. Weil sich Strukturen entwickelt haben, die es möglicherweise vor acht Jahren gebraucht hätte.

    Ich bin hier, damit es eine Stimme gibt, die diese Strukturen kennt und die sagt, dass ihr genügend Schmutz unter eurem Teppich habt.

    Transfeindlichkeit

    Es wird ein Feindbild konstruiert, während mir Menschen freundlich ins Gesicht lächelnd sagen, dass sie mit mir ficken wollen, solange ich mich nicht verstümmele, wie die „echten trans Personen“. Aber das sei in Ordnung, immerhin sei es nur eine Einzelperson und zwar übergriffig, aber kein Grund, etwas an Strukturen zu ändern. Und ich solle mir doch überlegen, ob die Person nicht doch Recht hätte, so ne Operation sei immerhin schon eine einschneidende Erfahrung und ob ich mal über Reue nachgedacht hätte?

    Wir alle kennen Betroffene, aber niemand kennt Täter.

    In dieser Stadt werden Täterinnnen konstruiert, die nur durch ihre bloße Existenz bereits als Bedrohung für Frauen dargestellt werden, während cis Männer ungestraft sexualisierte Gewalt ausüben dürfen. Wer den Mund aufmacht, wird als Nestbeschmutzer_in wahrgenommen und der Konflikt vermieden. Immerhin sei ja niemand selbst dabeigewesen, ne? Und es gäbe ja immer zwei Perspektiven, außerdem ist er doch so ein cooler Typ und die Partys in der WG seien immer gut. Wäre doch ärgerlich, wenn das nicht mehr ginge.

    Ab leismus und Antifeminismus

    Transfeindliche Strukturen zeichnen sich immer auch dadurch aus, dass sie in letzter Konsequenz antifeministisch sind. Transfeindlichkeit für sich sollte ausreichen, aber machen wir uns nichts vor. Schlussendlich ist Transfeindlichkeit erst dann schlimm, wenn sie auch cis Frauen trifft. Oder Menschen, die sich noch nicht geoutet haben.

    Transgeschlechtlichkeit wird als psychische Erkrankung geframed und wir alle wissen: Psychische Erkrankungen sorgen für böse Menschen, für Monster. Auch so ist eine Pathologisierung, verbunden mit der Stigmatisierung psychischer Erkrankungen, nichts anderes als eine Dämonisierung von trans Personen. Verrückte wissen nicht, was sie tun und sind eine Gefahr für die „normale“, „cissige“ Gesellschaft.

    Die härtesten Auswirkungen dieses Framings spüren vor allem trans Personen in Großbritannien und den USA. Nachdem ensprechende Gesetze in u.A. Texas gekippt wurden, beschloss letzte Woche Alabama, dass in Schulen nicht mehr über queere Themen gesprochen werden darf und Eltern sich im Zweifelsfall strafbar machen, wenn sie ihr trans Kind unterstützen. Ebenso wurde jede medizinische Unterstüzung für trans Kinder verboten.

    Nichts davon ist wirklich weit weg. In Berlin müssen trans Personen bei der Charité üblicherweise einen Pädophilietest im Rahmen ihrer Zwangstherapie zur Transition machen. Leipzig verlangt drei Gutachten, was den Preis einer Transition noch einmal um durchschnittlich ein Drittel in die Höhe treibt. Und in Halle gründen sich Gruppen, die trans Frauen explizit aus ihrer Definition von „Frau“ ausschließen.

    Feministische Intervention gegen Täterschutz

    Wir alle kennen Betroffene, aber niemand kennt Täter.

    Das muss sich ändern. Der gefährlichste Ort für eine trans Person ist eine Beziehung mit einem cis Mann. Der gefährlichste Ort für eine cis Frau auch. Das Problem sind patriarchale Strukturen und die Erwartungshaltung, über den Körper anderer Personen bestimmen zu können. Der Großteil sexualisierter Gewalt passiert in Nahbeziehungen, der Großteil der Femizide geht von cis Männern aus, die ihren Anspruch auf den Körper ihrer Ex-Partnerinnen nicht aufgeben wollen.

    Anstatt trans Personen und vor allem trans Frauen als einen Feind darzustellen, brauchen wir einen Feminismus, der Betroffene schützt. Wir kennen alle Betroffene.

    Lasst uns Täter sichtbar machen und sie Konsequenzen spüren!

  • TDOV – 2022

    Ich bin zu autistisch, um mich in trans Räumen wohlzufühlen und zu trans für autistische Räume. Das macht den TDOV (trans day of visibility) jedes Jahr zu einem sehr… speziellen Event.

    Am wohlsten fühle ich mich, wenn ich Veranstaltungen leite, während ich bei sozialen Situationen regelmäßig vollständig versage. Das ist in Räumen, die vor allem queer geprägt sind, durchaus ein Problem. Schließlich sind dies einerseits die Räume, die mir eigentlich offen stehen sollten und andererseits – ganz pragmatisch – auch die Räume, die meine Bildungsarbeit in den meisten Fällen zur Multiplikation nutzen.

    Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit

    Das sorgt dafür, dass ich beim TDOV gleichzeitig sehr sichtbar und sehr unsichtbar bin. Ich bin sehr sichtbar, weil ich über trans und autistische Themen schreibe. Weil mich mittlerweile ein paar Leute kennen. Das sorgt dafür, dass angenommen wird, ich wäre in sozialen Situationen ähnlich kompetent wie in meinen Veranstaltungen. Ein Fehlschluss, der regelmäßig zu zwischenmenschlichen Katastrophen führt.

    (Disclaimer: Ich gebe mir sehr viel Mühe, zu maskieren. Sollte im Kontakt mit Lesenden dieses Textes das mal nicht geklappt haben und ihr von „die Situation ist eskaliert“ betroffen gewesen sein: Es tut mir leid. Ich mache das nicht absichtlich und gebe mir Mühe.)

    Drüber zu reden heißt nicht, dass mich Menschen verstehen

    Ich rede oft und viel über die Schwierigkeiten, die autistische Kommunikation macht. Gleichzeitig sind Menschen trotzdem erstaunt, dass soziale Situationen und ich zu einer explosiven Mischung führen.
    Vielleicht bin ich trotz aller (vor allem queeren) Sichtbarkeit doch nicht sichtbar genug?

    Ich will den diesjährigen TDOV auch dazu nutzen, auf neurodivergente trans Geschwister aufmerksam zu machen. Wir sind oft nicht in queeren Räumen, weil die soziale Struktur in queeren Räumen eine ganz eigene ist. Das sorgt dafür, dass queere Räume sehr oft eine emotional geprägte Kommunikation bevorzugen, die ich beispielsweise nicht leisten kann. Und damit sind neurodivergente trans Personen schlussendlich wieder unsichtbar.

    Bei den meisten Diskriminierungsformen findet Diskriminierung vor allem auch im Bereich der Kommunikation statt. Über wen wird geredet, mit wem wird geredet, welche Stereotypen werden reproduziert, welche Worte verwendet? Das ist sinnvoll. Dort anzusetzen, kann Dinge ändern.

    Gestörte Kommunikation

    Aber gerade bei Autismus ist die Kommunikation ein Problem. Es besteht ein fundamentales Missverständnis zwischen Erwartungen. Ich funktioniere anders als neurotypische Menschen.
    Intuitive Kommunikation wird als „normal“ vorausgesetzt.

    Und nein, ich weiß nicht, wie ich das ändern kann. Ich fühle mich nur gleichzeitig sehr sichtbar und sehr unsichtbar. Weil ich nicht vorgesehen bin. Weil ich immer wieder das Gefühl habe, „falsch“ zu sein.

    Und weil meine derzeitige Lösung ist, einfach keine private, soziale Situation zu haben. In meiner Rolle als Referent_in und Schreibendes bin ich ja gut. Klingt aber einsam.

  • Binäres System und Nichtbinarität – @coding_void


    CN für den gesamten Text
    Transfeindlichkeit, Misgendern, Dysphorie, binäres System

    Ein Gastbeitrag von @coding_void.
    Vor einigen Jahren habe ich mein Geschlecht noch ausschließlich als Nicht-Binär bezeichnet.
    Ich verwendete nur das Pronomen „es“, liebte meinen Buzzcut und wartete darauf, endlich mit Hormonen anfangen zu können. Nicht um einen „weiblicheren“ Körper zu haben, sondern einen, der weniger „männlich“ ist. Dennoch war da oft die unterschwellige Gewissheit, vor allem doch als Mann behandelt und wahrgenommen zu werden. Egal, wie sehr ich dies hasste. Das ich, egal was ich machen würde, zwangsläufig in der Fremdzuschreibung „Mann“ gefangen blieb. Es war dabei selten offenes Misgendern oder direktes Absprechen meines Geschlechtes, auch wenn ich das durchaus erlebt habe. Das Problem saß tiefer, in der grundlegenden Art und Weise, wie soziale Räume und Interaktionen um mich herum gestaltet waren. Wie ich mich (nicht) in sie integrieren konnte. Wie sich ein binäres System unterbewusst darstellt.

    Dies kann mensch aus verschiedenen Perspektiven betrachten.

    Fremdzuschreibung und Dysphorie

    Zum Beispiel aus der von Dysphorie und psychischer Gesundheit. Mit mir selber war ich zwar halbwegs glücklich. Aber das Wissen um die Art und Weise, wie ich von anderen Menschen wahrgenommen wurde, ließ mich verzweifeln. Dies wird in der Regel als soziale Dysphorie bezeichnet und ist etwas, worunter viele trans Personen leiden.

    Eine andere Interpretation würde sich auf die männlichen Privilegien konzentrieren, die ich durch diese Fremdzuschreibung angeblich hatte. Es stimmt sicher, dass z.B. meine Meinung ernster genommen wurde, als die von Menschen, die weiblich „gelesen“ wurden. Da gibt es viele weitere Beispiele.

    Die Ebene, dass diese Fremdzuschreibung gewaltvoll ist, wird dabei aber außen vor gelassen. Bei binären trans Personen wird meist noch anerkannt, dass die fortgesetzte Assoziation mit ihrem AGAB ein Ausdruck von Transfeindlichkeit ist. Diese löst bei vielen trans Personen signifikanten Leidensdruck aus. Bei nicht-binären trans Personen fällt diese Anerkennung eher weg. So wird strukturelle Gewalt gegen eine Person, wiederum als Teilhabe an struktureller Gewalt bewertet. Bei AMAB nicht-binären Menschen wird so häufig ihre Unterdrückung verunsichtbart und Teile davon sogar als Privileg geframed.

    Zwar halte ich es nicht für falsch, spezifische(!) Privilegien zu benennen, auch wenn sie im scheinbaren Widerspruch zum realen Leiden ihrer Träger*innen stehen. Aber wenn es um Umstände geht, bei denen Ursache der Privilegien gleichzeitig Ursache des Leidensdruckes ist, ist fragwürdig, ob es Privilegien sind.

    CN Suizid

    An dieser Stelle ist es mir wichtig, dass dies nicht als „verletzte Gefühle“ gegenüber materiellen Bedingungen dargestellt werden kann. Statistisch haben mehr als ein Drittel aller trans Personen einen Suizidversuch überlebt. Nur um einmal klar zu machen, worauf dieser abstrakte Leidensdruck, den ich hier beschreibe, nicht selten hinausläuft.

    Zugang zu Räumen

    Eine weiterer Aspekt, neben den direkten psychischen Auswirkungen, ist zum Beispiel der Zugang zu Schutzräumen. Ich hätte damals Schutzräume benötigt, aber praktisch standen mir keine offen. Selbst ernannte FLINTA*-Räume, vom Namen her also trans und nicht-binäre Menschen explizit einschließend, zogen keine praktischen Konsequenzen daraus. Das ist vielleicht gut gemeint, aber wertlos. Ein Raum, bei dem ich damit rechnen muss, mich Transfeindlichkeit auszusetzen, wenn ich ihn betrete, ist kein Schutzraum für mich.

    Unser binäres System von Geschlecht, das uns Geschlecht von Geburt an und jeden Tag aufs Neue, von außen zuschreibt, gab mir nur eine Möglichkeit der Annerkennung als „nicht-männlich“: Weiblichkeit.

    Meine Konsequenz war, stärker auf den transweiblichen Aspekten meiner Identität aufzubauen, um eine „Nicht-Männlichkeit“ erreichen zu können. Transfeminine Personen erleben natürlich auch Misgendering, Ausschluss aus Schutzräumen und im speziellen Transmisogynie und daraus folgende Gewalt.
    Für mich bot Transfeminität die einzige Chance, der geschlechtlichen Fremdzuschreibung als „Mann“ zu entkommen, der ich auch als offen nicht-binäre Person durchgehend ausgesetzt war.

    Heute kann ich mich z.B. leichter in FLINTA*-Räumen aufhalten als damals. Zumindest solange ich genug sichtbaren Aufwand betreibe, Weiblichkeit zu performen.
    Der Übergang zu einem primär transweiblichem Auftreten hat mir die Lebensqualität und Verbesserung meiner psychischen Gesundheit gegeben, die ich mir aus Outing und Transition erhofft hatte.
    Nicht dadurch, dass ich glücklicher mit meinem Körper wurde, sondern, dass ich endlich weniger als „Mann“ wahrgenommen werde.

    Auch wenn ich meine Weiblichkeit mag, musste ich erkennen, dass sie mir zum Teil aufgezwungen wurde und wird.
    Ich würde gerne wieder einen Buzzcut tragen und mich allgemein gender non-conforming präsentieren. Aber der Effekt darauf, wie (nicht-)männlich ich von anderen Menschen wahrgenommen werde, hindert mich daran.

    Die Ironie, dass ich, als nicht-binäre Person, dadurch nicht nur Zweigeschlechtlichkeit, sondern auch stereotype Weiblichkeit reproduziere, ist mir bewusst.

  • Sozialisiert im Patriarchat

    Kürzlich las ich (erneut) diesen Text von Jeja Klein. Jeja schreibt darüber, wie es ist, immer wieder zur Frau gemacht zu werden und selbst wenig tun zu können, dieser Zurichtung von außen zu entkommen. Daraufhin fragte Kim Posster, ob es solche Texte auch in Bezug auf Männlichkeit(en) gäbe – ihm wäre nichts bekannt. Ab jetzt gibt es so einen Text. Oder den Versuch davon. Sozialisiert im Patriarchat, zwei nichtbinäre Perspektiven.

    Wir sind zwei nichtbinäre, neurodiverse Menschen. Eins von uns wird innerhalb dieser Gesellschaft zur Frau gemacht, erfährt Sexismus, Misogynie, sexualisierte Gewalt im öffentlichen Raum. Wurde weiblich sozialisiert. Irgendwie.
    Das andere nicht. Die Perspektiven der afab Person werden in fett dargestellt, die Perspektiven der amab Person in kursiv. (Eins von uns ist außerdem inter, aber das ist Material für einen anderen Text.)

    AFAB

    Manchmal will ich nicht mehr trans sein. Testo hat mich mit meinem Körper versöhnt, ich bin zufrieden mit der tiefen Stimme, dem veränderten Körperfettanteil, dem leichten Bartschatten. Es hat meinen Kleidungsstil nicht beeinflusst, ich liebe Röcke, Kleider, Strumpfhosen, Hotpants, Overknees. Es hat meine Füße vergrößert, was meiner Schuhsammlung ein trauriges Grab und ein bewusstes Auferstehen bescherte. Aber solange ich mich nicht anstrenge, werde ich nicht als Mann wahrgenommen – entweder als androgyne Frau, als vorpubertärer Junge oder als trans Frau (ohne Passing). Kommt natürlich immer auch daran, ob ich Binder trage (und mir damit die Brüste flachdrücke) oder BH (und meine Rückenschmerzen sich in Grenzen halten).
    (Und wenn ich mich anstrenge, fühle ich mich unwohl und wie verkleidet. Also lasst mir meinen Stil, okay?) Und das ist nur die Außenwahrnehmung. Geht es um Konflikte oder zwischenmenschliche Erwartungen, fühle ich mich immer wieder weiblich sozialisiert.

    AMAB

    Ich möchte manchmal mehr Bart haben – und manchmal gar keinen. Brüste wären schön und ein bisschen weniger Behaarung. Aber eine Östrogen HRT oder Testoblocker sind nicht der richtige Weg für mich (ich habe es ausprobiert). Eine Testo-HRT, so stark dosiert, dass mir schon wieder Brüste wachsen, klingt manchmal verführerisch. Aber in den meisten Fällen möchte ich mich nicht mit meinem Körper beschäftigten. Es ist so anstrengend. Es gibt für mich keinen „richtigen“ Weg, meinen Körper zu verändern – nur unterschiedlich falsche. Also lasse ich es so, wie es ist.

    AFAB

    Meine Pronomen sind es/nims oder they/them. Jedes Mal, wenn ich mich vorstelle, muss ich erklären, dass ich trans bin, dass es nicht entmenschlichend ist, über mich mit „es“ zu sprechen und das Leute bitte aufhören sollen, ihre persönlichen Befindlichkeiten diesbezüglich über meine Wünsche zu stellen. Dabei bin ich manchmal höflich und manchmal laut. Danach fühle ich mich schlecht – weiblich sozialisiert. Ich bin in einem dauerhaften Outing-Prozess, es nicht zu tun, ist keine Option, wenn ich nicht jedes Mal zusammenzucken will. Ich habe einen neutralen Namen, selbst, wenn ich mich nicht als „nichtbinär“ vorstelle, kommen Fragen. (Ist das dein echter Name? Wie heißt du wirklich? Wie war dein Deadname?)

    AMAB

    Meine Pronomen sind er/ihm oder they/them. In den meisten Fällen nutzen Menschen einfach er/ihm. Das ich kein cis Mann bin, ist in meinem Umfeld bekannt, außerhalb dessen bin ich ungeoutet. Aber auch in diesem engen Kreis vergessen Menschen oft, dass ich kein Mann bin. Ich bin ageschlechtlich, ich habe keinen Zugang zu dem Konzept „Geschlecht“. Jeder Erklärungsversuch scheitert an meiner Wortlosigkeit, es korrekt zu beschreiben. Die Zuschreibung überlasse ich deshalb dem außen – wenn ich als Mann wahrgenommen werde, macht mich das dysphorisch, aber in dieser Gesellschaft habe ich nichtsdestotrotz Vorteile dadurch. Ich erlebe Schwulenfeindlichkeit, Femininitätsfeindlichkeit, aber keine explizite Transmisogynie. Ich werde in Ruhe gelassen. Männlich sozialisiert. Ich ertrage lieber, dauerhaft misgendert zu werden, als mich dieser offenen Feindlichkeit zu stellen. Habe die Wahl, zwischen zwei falschen Entscheidungen die zu wählen, die Privilegien mit sich bringt.

    AFAB

    Ich habe diese Wahl nicht. Manchmal nehme ich them übel, dass they diese, meine Kämpfe nicht führen muss. Ich werde seltener misgendert, aber ich werde immer als „das seltsame Andere“ wahrgenommen. Das Patriarchat macht mich zu einer Frau – oder versucht es zumindest. Und es ist sehr hartnäckig. Leuten ein „Ich bin KEINE FRAU“ entgegenzuschleudern, ist meistens nicht ausreichend. Meine Identität ist in dieser Gesellschaft unerheblich dafür, wie ich behandelt werde.

    AMAB

    Das Patriarchat macht mich zu einem Mann – und solange ich nichts aktiv dagegen tue, bekomme ich dadurch Raum. Es schließt mich aus FLINTA-Räumen aus (weil diese oft nur für cis Frauen und afab nichtbinäre Menschen wirklich safe sind), aber ich weiß auch meistens nicht, was ich in diesen Räumen soll. Ich bin FLINTA (sogar mehrere dieser Buchstaben gleichzeitig), aber sexualisierte Gewalt erfahre ich nicht. Zwar erlebe ich Transfeindlichkeit, aber auch männliche Privilegien.

    Ich werde auf der Straße und in der Gesellschaft nicht sexualisiert. Es ist kompliziert. Die Vereinfachung vieler Diskurse sieht mich nicht vor – und ich nehme nicht teil. Einerseits, weil ich wenig Grund habe, mich zu beschweren, andererseits, weil die Kämpfe meiner afab Geschwister und trans Frauen derzeit wichtiger, lebensbedrohlicher sind. Aber dieses „dazwischen“ ist ebenfalls kein Raum, in dem ich teilhaben kann. Ich bin unsichtbar, unsichtbar in einer Sicherheit in dieser Welt, die nicht selbstverständlich ist. Ich werde oft als schwul oder queer wahrgenommen, auch wenn nur letzteres zutrifft.

    AFAB

    Für mich waren schwule Räume, tuntige Räume Orte der Selbstermächtigung. Orte, an denen ich sein konnte und mich wohl fühlte. An denen ich nicht sexualisiert wurde – oder in einer Art sexualisiert wurde, die ich wollte. Orte, an denen ich selbst entscheiden konnte, wie ich mit meiner Männlichkeit umgehen wollte und wie viel Weiblichkeit ich zulassen will. An denen maskuline Personen im Kleid keine Lächerlichkeit sind und nicht hinterfragt werden. Tuntige Räume gaben mir immer mehr Sicherheit als sogenannte FLINTA-Räume oder queere Räume – auch aus persönlichen Gründen. Der Umgangston in schwulen, tuntigen Räumen ist für mich gut umsetzbar, gesellschaftliche Konventionen in FLINTA-Räumen erschließen sich mir nicht immer. Und ausgeschlossen zu werden, weil die eigene Kommunikation falsch ist, erlebe ich zu oft (ganz ohne männliche Privilegien).

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    Ich bin männlich sozialisiert. An mich wurde immer eine Erwartungshaltung herangetragen, die mit der, die cis Männer erfahren, identisch ist. Diese Erwartungshaltung konnte ich für mich annehmen, ich hatte aber auch das Gefühl, ich würde von „weiblichen“ Erwartungen eher angesprochen. Wissentlich, dass es Erwartungen sind, die an Frauen gestellt wurden, dennoch überwog ein „ich weiß, was ihr von mir wollt, aber ich finde alles komisch“. Ich fand geschlechtliche Erwartungen, die an mich gestellt wurden, gleichbleibend seltsam. Mein Umfeld hatte damit jedoch einen anderen Umgang als ich.

    Mein inneres Outing war eher ein „okay, männlich stimmt nicht, aber weiblich stimmt auch nicht und eigentlich ist es mir egal, und das ist okay“. Ich würde nicht behaupten, dass das eine allgemeingültige Erfahrung ist, die alle amab nichtbinären Personen machen, aber ich kann sie für mich annehmen. Gleichzeitig bin ich kein Mann – ich gehe als einer durch, aber ich bin es nicht. Ich habe kein positives/negatives Verhältnis zu Männlichkeit, ich sehe nur die Erwartungen, das Kommunikationsverhalten, die Unfähigkeiten, die mir durch dieses „für einen Mann gehalten werden“ vermittelt wurden.

    Fazit

    Sozialisiert werden ist eine individuelle Erfahrung, die gleichzeitig immer wieder auf gesellschaftliche Rollen zurückwirft. Andererseits sind es nicht unsere Identitäten, auch wenn sich Erfahrungen ähneln. Ähnlich wie dieser Beitrag die Erfahrungen von cis und trans Frauen gegenüberstellt, sind auch unsere Erfahrungen teilweise diametral. Wir müssen beide mit der Tatsache leben, niemals als nichtbinär erkennbar zu sein. Gleichzeitig ist es für them einfacher, zum Mann, zum Subjekt gemacht zu werden, denn als Frau, als „das andere Geschlecht“ zu überleben. Unser Umgang ist ein gemeinsamer. Gemeinsam gegen das Patriarchat. Erfahrungen abgleichen. Miteinander leben und kämpfen. Schutzräume schaffen, in denen Nichtbinarität die Norm ist. Und immer wieder kritisch Erfahrungsräume hinterfragen. Nichtbinarität ist eine leere Schablone, es gibt keine Erwartungen, nur Perversität.

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