Die beste Rache ist ein gutes Leben.

CN Mord, Transfeindlichkeit, Suizid, Feminizid, TDOR

Ein Jahr ist vorbei - ich lebe noch. Viele andere trans Personen nicht mehr.

Es ist der 20. November, es ist trans day of remembrance (TDOR), der Tag, an dem wir um die getöteten trans Personen des vergangenen Jahres trauern und um jene, die diese transfeindliche Welt nicht mehr ertrugen.

Es waren 375 Menschen, die aufgrund ihrer Transgeschlechtlichkeit ermordet wurden, der Großteil von ihnen waren Sexarbeiter_innen. Transfeminine Personen sind, wie jedes Jahr, deutlich öfter betroffen als transmaskuline Personen.

Hier könnt ihr ihre Namen nachlesen - und ihre Geschichten, soweit bekannt und eine Veröffentlichung gewünscht wurde. Die Namensliste ist als pdf verfügbar. Sie wird jedes Jahr zum TDOR aktualisiert.

Einsamkeit

Ich wurde - wie jedes Jahr - zu Gedenkveranstaltungen eingeladen. Und habe - wie jedes Jahr - abgesagt. Ich kann nicht in Gesellschaft trauern - auch wenn unsere Trauer etwas politisches hat. Wir trauern, wir klagen an. Alle von uns trauern um Leben, die aus ideologischen, hasserfüllten Gründen beendet wurden. Wir trauern um jene Geschwister, die wir nur als Namensliste des Todes kennen. Wir trauern, weil wir wissen, wie es ihnen geht, wie es ist, mit Hass und Gewalt aufgrund der geschlechtlichen Existenz umgehen zu müssen.

Ich sitze zu Hause, alleine. Lese die Namen, ich lese die Geschichten. Sitze in eine Decke gewickelt in meinem Zimmer und fühle mich leer. Ich möchte kämpfen, ich möchte schreien - aber ich der 20. November gehört der Stille und dem Schmerz.

Familie

Er gehört dem Nachdenken über eine Familienstruktur, die aus der Abweichung der geschlechtlichen Norm entsteht: trans Personen sind Geschwister. Ich zünde eine Kerze an. Dabei kenne ich keine der betroffenen Personen persönlich. Ich weiß nicht, ob wir uns verstanden hätten, uns sympathisch gewesen wären. Und trotzdem eint uns das trans Sein in dieser Welt, einer Welt, die noch immer nicht freundlich gegenüber Menschen wie uns eingestellt ist - weltweit. Der TDOR ist das Gegenstück zum trans day of visibility, wo ich mich sichtbar und stolz zeigen kann.

Familien streiten sich, Familien können dysfunktional und toxisch sein. Alles davon trifft auch auf die trans Familie zu - und trotzdem sind es meine Leute. Und wenn sie ermordet werden, weil sie trans sind, dann ist jeder dieser Morde etwas, das den Rest der Familie daran erinnert, was uns passieren kann.

Dieses Jahr ist die Erinnerung schmerzdurchsetzt, ich sehe, wie in Deutschland, Polen, Texas, Großbritannien (und das sind nur die ersten Länder, die mich durchzucken) unsere Rechte weiter beschnitten werden. Ich sehe, wie eine Welle transfeindlichen Hasses, ideologisch getränkt, durch Europa rollt. Sehe Menschen, die mir politische Standpunkte absprechen wollen, weil ich trans bin. Ich sehe die Angst in den Gesichtern meiner Geschwister, wenn es um politische Entwicklung geht. Sehe, wie transfeindliche Übergriffe und politische Aussagen zunehmen.

CN Suizid

Ich gedenke Ella, die sich am 14. September in Berlin das Leben nahm.

Ich denke an Jugendliche, die ich begleitet habe und versucht, ihre Hoffnungslosigkeit zu mildern.
Bei einigen weiß ich nicht, ob sie ihre Transition beginnen konnten, ob sie ihr Outing geschafft haben, ob sie (noch) leben oder ob ihre Depressionen zu stark wurden. Ich möchte nicht in einer Welt leben, in der trans Kinder wissen, was Suizid ist und sagen, dass sie lieber sterben würden, als noch weitere fünf Jahre durch eine Pubertät gehen zu müssen, die sie dysphorisch macht.

Schmerz

Dieser Text ist deutlich weniger durchdacht und analytisch als das, was ich normalerweise versuche zu schreiben. Gleichzeitig passt er zu den Gedankenfetzen, die in meinem Kopf umherschwirren und die alle ähnliche, hässliche Bilder zeigen.

Ich blicke in die Kerzenflamme. Ich kann nicht weinen, aber ich kann trauern. Alleine, zu Hause, für mich. Und gleichzeitig habe ich diesen Text geschrieben, eine Anklage, eine Trauerrede, ein Bedürfnis - vor allem für cis Menschen, für diejenigen, die nicht ermordet werden, weil sie cis sind. Die ermordet werden, weil sie Frauen sind, durch Feminizide und die sich im Tod mit trans Personen gemeinsam treffen.

Ich will nie wieder tote Frauen sehen, ob cis, ob trans. Ich will nie wieder tote trans Personen sehen, die ermordet wurden oder sich suizidiert haben, weil sie trans sind.

Feminist_innen hassen Männer. Männerhass ist das einzige, was Feminismus ausmacht.
Sie sind außerdem wahlweise ungefickt, hässlich, dumm, lesbisch oder beliebige weitere Abwertungen.
Klingt einfach, ist es für die Menschen, die das so nutzen, bestimmt auch. Aber auch Personen, die sich selbst als feministisch begreifen, werfen anderen Feminist_innen gerne mal (zu große) Radikalität, Männerhass und dadurch einen entstehenden Schaden am Feminismus vor.
Gerade gut zu sehen bei der #MenAreTrash Diskussion.

Fluff, 2018.

Die große Frage, die sich mir stellt, ist: Muss Feminismus bequem sein? Muss Feminismus nett zu strukturellen Täter_innen sein? Ist es notwendig, von Frauen und fälschlicherweise als Frauen bezeichneten Menschen, zu erwarten, dass sie dauerhaft ruhig und lieb und freundlich sind?
Niemals Frust ablassen, sei es auch nur als Hashtag? Okay, das sind mehrere Fragen. Mal sehen, ob ich sie beantwortet bekomme.

Erster Punkt. Männerhass.

Ich persönlich hasse ja keine Männer. Aber es macht mich manchmal unglaublich müde, mit ihnen über ihre Täterschaft zu diskutieren und ihnen zu erklären, warum ihr Verhalten gerade problematisch war. Gerade, wenn sie sich dann mit einem "Ich bin aber nicht so!" versuchen zu verteidigen.

Fluff, 2018

Dieser Anfang lag seit 2018 in meinem Entwürfeordner. Mittlerweile bin ich drei Jahre älter, gefühlt tausend Jahre müder und hasse immer noch keine (cis) Männer. Obwohl Männerhass mir das Leben wahrscheinlich einfacher machen würde. (Währenddessen lassen sich andere Organisationen den Begriff "Männer lol" schützen und verkaufen damit teuer feministischen Merch. Nicht unbedingt mein bevorzugtes Geschäftsmodell.)

Ich vertraue ihnen aber auch nicht mehr. Bin müde geworden, ihnen zu erklären, warum Feminismus notwendig geworden ist. Ich bin hart geworden: Krieg den Arsch hoch oder lass es. Ich werde dich nicht mehr bitten. Kämpf mit mir oder lass es, aber ich werde dir den Arsch nicht mehr hinterher tragen. Ist das schon Männerhass? Ich bin mir unsicher.

(Das gleiche gilt mittlerweile für alle Menschen, nicht nur für cis Männer. Es gilt auch für cis Frauen und all jene, die meine Existenz als verhandelbar wahrnehmen.)

Ich hab mich deutlich theoretischer mit den Problematiken auseinandergesetzt als 2018 - und ich sage: Es ist mir egal, ob ihr denkt, ich würde (cis) Männer hassen. Wenn sich der Wunsch nach Gleichberechtigung, nach Menschenrechten anfühlt, als würde dir Hass entgegenschlagen, dann sei dem so.

Ich bin radikaler geworden, zynischer und härter. Und dieses Fragment zu finden - das tat ein bisschen weh. Ich war damals deutlich hoffnungsfroher. Tschüss, damaliges Fluff. Du kommst wohl nicht zurück.

Wenn du dir den Text über den Frauenkampftag lieber anhören möchtest, anstatt ihn zu lesen, klicke auf PLAY.

Beim Frauenkampftag geht es nun mal ausschließlich um Frauen und die Diskriminierung, die sie als Frauen erleben. Ich gehe doch auch nicht mit einem All-Lives-Matter-Schild auf eine Black-Lives-Matter-Demo!

Twitter. (Nein, ich verlinke den Account nicht.)

Guten Morgen. Vorweg: Ich persönlich gehe nirgendwo mit einem All-Lives-Matter-Schild hin. Nicht auf eine Black-Lives-Matter Demo, nirgendwohin. Das liegt daran, dass dieser Slogan aus einer alt-right Richtung entstanden ist. Um die Kämpfe von Schwarzen Menschen gegen Diskriminierung und Rassismus zu schwächen und abzuwerten. Mit "All Lives Matter" wird aus herrschender Position heraus der Kampf marginalisierter Gruppen unterdrückt und Diskriminierung verunsichtbart. Beim Frauenkampftag genauso?

Alle Jahre wieder...

Ich bekam diesen Vorwurf, als die - alljährliche - Diskussion darüber entbrannte, ob die Umbenennung von "FrauenKampftag" in "feministischer Kampftag" nicht Frauenkämpfe der Historie verunsichtbaren würde. Das es vor allem darum geht, dass Frauen auf spezifische Weise unter dem Patriarchat leiden. Nun.
Ich persönlich vertrete die Meinung, dass nichtbinäre Personen und trans Männer schon immer - wenn auch nicht unbedingt mit diesen Worten - Teil der Frauen- (und später Lesben- und FrauenLesben-)kämpfe waren. Es geht also nicht darum, Geschichte umzuschreiben, sondern sichtbar zu machen, was schon immer da war. Trans Frauen sind Frauen, deshalb benenne ich sie nicht spezifisch. Ein Frauenkampftag nur für cis Frauen wäre absurd.

Es geht auch nicht spezifisch um das Leid, das Frauen erfahren, weil sie Frauen sind. (Dafür gibt es beispielsweise den 25. November, den "Internationalen Tag der Gewalt gegen Frauen".) Es geht um Arbeitskämpfe, um (unsichtbare) Emo- und Care Work, es geht um Gender Pay Gap. Darum, dass "weiblich" konnotierte Berufe schlechter bezahlt sind. Kurz: Es geht um all die Dinge, die tatsächlich Frauen, nichtbinäre Personen, trans Männer und inter Personen einen. Kämpfe, die sich durch die Position im Patriarchat ergeben und nicht durch das tatsächliche Geschlecht.

(Wenn ich schlechter bezahlt werde, weil mich Leute für eine Frau halten, dann hilft nicht einmal der geänderte Personenstand. Für euch getestet.)

...kommt das Cistus-Kind

Andererseits... Ich kann verstehen, woher diese Argumentation kommt. Ich habe mich acht Jahre lang feministisch engagiert, bis ich mich geoutet habe und aus den Gruppen herauskomplimentiert wurde bzw. mich bereits im Vorfeld zurückgezogen hatte. Die Debatte um den Frauenkampftag erinnert mich jedes Jahr erneut daran.

Ich kann verstehen, dass cis Frauen das Gefühl haben, ihnen würde etwas weggenommen werden, das ihnen aus der Historie und ihres Platzes im Patriarchat wegen zusteht. Das es sie frustet, wenn sie dabei zusehen müssen, wie etwas, worauf sie sich das ganze Jahr freuen, in einen Kampf um Begriffe, Ein- und Ausschlüsse ausartet. (Und das tut es, alle Jahre wieder kommt das Cistuskind auf die Netze nihieder, wo wir Menschen sind...)

Wer nicht über den eigenen Tellerrand, die eigenen Erfahrungen hinwegblicken kann oder will, wird die Erfahrungen von trans Personen als nicht so wichtig wahrnehmen wie die eigenen - falls selbige überhaupt anerkannt werden. Ich habe auch mal so argumentiert, hatte das gesamte Klischee von "weiblicher" und "männlicher" Sozialisation internalisiert und well, ich habe mich selten auf so brutale Art und Weise einer Realität stellen müssen.

Manchmal ist es tatsächlich Dysphorie.

Ich habe meine Essstörung, meine Dysphorie, meinen Unwillen gegenüber dem Wort "Frau" mit Femininismus, mit weiblicher Sozialisation, mit Patriarchat begründet. Habe mich mit aller Kraft und Macht der Wahrheit entgegengestellt - acht Jahre lang. Bis zu meinem Outing, bis ich meinen Namen, meinen Personenstand änderte und anfing, mir Testosteron auf die Haut zu schmieren.

Es wird nicht geschehen, dass alle cis Frauen plötzlich feststellen, dass sie trans sind, wie es mir passiert ist (und wofür ich im Nachhinein unfassbar dankbar bin. Mein Leben ist trotz Transfeindlichkeit deutlich besser).

Ob Frauenkampftag oder nicht - unsere Kämpfe bleiben verbunden.

Aber ihr könntet zuhören. Unsere Kämpfe lassen sich nicht direkt voneinander trennen, weder in der Theorie, noch in der Realität. Gerade in der Realität sind (un)geoutete trans Männer und nichtbinäre Personen Teil von feministischen Gruppen. Und gerade diese Realität hat dazu geführt, dass aus FrauenRäumen Frauen*Räume wurden. Mit dem Sternchen, um die Personen, die sich in ihrer feministischen Entwicklung outeten, einzubeziehen.

Es ist nämlich deutlich schwieriger, den Freund, der mal Freundin genannt worden ist oder die Liebhaberin, di_er sich als Liebhaber_in geoutet hat, aus Gruppen zu entfernen, als sich als geschlossene Gruppe gegen Männer, die als ein "außen" imaginiert werden, darzustellen. So kamen auch die historischen Ausschlüsse von trans Frauen zustande, die eben nicht bereits vor ihrem Outing willkommen waren. Und es auch nach ihrem Outing besonders schwer haben. Leider reichen diese Ausschlüsse in ihren Wurzeln bis heute weiter - daran müssen wir arbeiten!

Und müssen gemeinsam gekämpft werden.

Heute sind wir eigentlich weiter. Wir haben mit FLINTA (Frauen, Lesben, inter, nichtbinär, trans, ageschlechtlich) ein Akronym dafür, dass die Räume der damaligen Zeit nicht hatten. Aber streng genommen meinen wir das gleiche.

Ich würde meinen Geschwistern gerne den Schmerz und die Müdigkeit ersparen, die ich seit meinem Outing vor, während und nach dem 8. März erfahre. Es war mal ein empowernder Tag für mich. Lasst es das wieder werden. Bis dahin... bestreike ich den Streik und schone meine Ressourcen. Feministischer Kampftag statt Frauenkampftag.

Der Sternenhimmel wurde freundlicherweise eingelesen von Karisma Kaftanï.

Alle Frauen* sind herzlich willkommen!

Beliebiger, feministischer Aufruf.

Der sogenannte "Sternenhimmel" (das Anfügen eines Asterisk an Substantive) wird in feministischen Kontexten in vier verschiedenen Interpretationen verwendet. (Vielleicht gibt es mehr, mir sind vor allem diese vier bekannt):

1. Geschlecht ist konstruiert

Geschlecht ist konstruiert. Jup. Ist Kapitalismus, Geld und BAföG auch, trotzdem machen wir kein Sternchen dran. Sprache schafft Konstruktionen, Gesellschaft ebenso. Unter den Begriff "Frau" fallen mehrere Kategorien, sowohl biologisch-biologistische, als auch soziale. (Für die Erhebung von Umfragen ist die biologistische Zuschreibung von Frauen weniger relevant als ihr Personenstand. Für die medizinische Erhebung ist die biologistische Zuschreibung ausschlaggebend.) Dennoch sind beide Kategorien nicht "naturgegeben", sondern menschengemacht.Definitionen sind eine gesellschaftliche Übereinkunft über die Bedeutung von Wörtern - und damit konstruiert.

2. Frauen* als cis Frauen, trans Männer und afab nichtbinäre Personen

Frauen* = cis Frauen, trans Männer und afab nichtbinäre Personen [mindestens zwei Gruppen werden gerade misgendert und auf angenommene Genitalien bzw. Sozialisierung reduziert]. Schließt trans Frauen vom Diskurs aus und ist transmisogyn. Die meisten trans Personen steckten sehr viel Zeit, Geld und Energie in den Prozess der Transition. Nicht mehr als "Frau" bezeichnet zu werden, bzw. als Frau anerkannt zu werden, ist ein Erfolg.

3. Frauen* als cis Frauen und trans Frauen

Frauen* = cis Frauen und trans Frauen. [Unterscheidung zwischen "normalen" Frauen (die, die kein Sternchen brauchen) und trans Frauen (die dadurch als "anders" markiert werden)]. Trans Frauen sind Frauen, deshalb ist die Unterscheidung bzw. diese Hervorhebung überflüssig, wenn es um die Erfahrungen aller Frauen geht.

4. Frauen* als politische Kategorie

Frauen* als politische Kategorie (vgl.: Koschka Linkerhand, Antje Schrupp): ähnelt der dritten Kategorie, schließt aber trans Frauen mit ein. Weiblich gelesene Menschen (afab) und trans Frauen werden zu einer Gruppe zusammengefasst, die als "weiblich sozialisiert" gilt, in Anlehnung an "das andere Geschlecht" von Simone de Beauvoir. Die Zusammenfassung übersieht jedoch die spezielle Situation, die alle nicht-cis-Frauen haben, vor allem bezüglich Erwartungsdruck und Annehmen von Geschlechterbildern. Sie werden doppelt "anders gemacht". Einerseits als Abgrenzung zu cis Männern, andererseits als nicht-cis-Frauen, die sich selbst nicht in der erwarteten Kategorie wiederfinden können.

Historischer Überblick und Nutzen vom Sternenhimmel

Die ersten drei Interpretationen sind in den meisten Fällen nutzlos, um eine eingeladene Gruppe zu definieren.
Sie eignen sich höchstens als Indikator, um eine Veranstaltung (als trans Person), nicht zu besuchen.
Der Begriff entstand historisch. Aus den FrauenRäumen wurden die FrauenLesbenRäume und schließlich die Frauen*Räume. (Damals teilweise noch mit Listen, in denen man einzeln aufschlüsselte, wer alles unter das Asterisk fällt). Hier war der Sternenhimmel sogar dann eine ewige Fußnote, länger als der Begriff selbst. Mittlerweile ist der politische Diskurs jedoch an einem anderen Punkt, schon generationenbedingt.

präzise Alternativen

Andere Formulierungen wären präziser, um die Eingeladenen zu spezifizieren. Ein Workshop über Vulven ist für alle Menschen mit Vulva interessant, ein Erfahrungsaustausch über Menstruation interessiert nur Menstruierende. Und über Sexismus können alle Personen reden, die Sexismus erfahren. Wenn eine Einladung cis Männer ausschließt, dann formuliert das! Ebenso wie die explizite Einladung von inter-cis-Männern, aber die Ausladung von endo-cis-Männern. Das erfordert ein wenig mehr Arbeit als ein Sternenhimmel von "Frauen*", sorgt aber dafür, dass Menschen sich sicher sein können, auch willkommen zu sein. Hier und hier und hier findet ihr übrigens Texte darüber, warum andere Menschen den Begriff "Frauen*" problematisch bis diskriminierend finden.

"das andere Geschlecht"

Die vierte Kategorie ist jedoch interessant, weil sie in ihren Grundzügen eine Analyse vorbringt, die de facto stattfindet. Zur Frau gemacht werden.

Menschen, die als Säugling (teilweise schon als Embryo) als "weiblich" kategorisiert wurden, erhalten eine andere Art der Erziehung als solche, deren Zuordnung "männlich" war. Daher kommt auch die (verkürzte) Analyse, trans Frauen hätten eine "männliche Sozialisation".

Sozialisation ist jedoch nichts, was man passend zum angenommenen Geschlecht in eine Person hineinstopft. Und auch nichts, was die entsprechende Person dann "passend" tut. Sozialisation ist gesellschaftlicher Umgang, sind Geschlechterrollen, Erwartungen und Darstellungen.

Wird ein Säugling für ein Mädchen gehalten, bietet man ihm vor allem Puppen, sozialer Kontakt und emotionale Auseinandersetzung an. Bei einem für männlich gehaltenen Säugling sind es Autos, Technik und 'körperliches' Spielen (angedeutetes Raufen, rauhere Stimme). Eben das, was wir als "Geschlechterklischees" kennen. Gleichzeitig ändert sich das Verhalten, wird ein Säugling mit Penis in einen rosa Strampler gesteckt und der Säugling mit Vulva in einen blauen. Hier wurde das populärwissenschaftlich aufbereitet. Es ist im Video gut zu sehen, wie die unterschiedliche Erwartungshaltung an das Baby herangetragen wird.

Sozialisierung und Erwartungen

Mit dieser Erwartungshaltung, die an den Genitalien festgemacht wird, wachsen also alle Kinder auf, cis und trans. Während cis Kinder jedoch innerlich den erwarteten Rollen entsprechen, leiden trans Kinder vor allem darunter, dass die Erwartungen an sie "falsch" sind. Trans Mädchen lernen, dass der "Mann im Kleid" ein zu verlachendes Trope ist. Trans Jungen lernen, dass "maskuline Mädchen" gebrochen und erzogen werden müssen. Sie verhalten sich (zumindest bis sie meist lernen, es zu maskieren, weil sie nicht sein dürfen) ihren Rollenbildern entsprechend. Aber konträr zu den Erwartungen von außen.

Auf die Spitze getrieben wird dies von den Vorgaben, sobald sich trans Personen in die Zwangstherapie begeben. Wer nicht bereits als trans Mädchen mit Puppen gespielt hat oder alt trans Junge Autos liebte, erfüllt nicht ausreichend Geschlechterklischees, um trans zu sein. Im schlimmsten Fall sagt die begutachtende Person "Nein" und ruiniert dadurch Leben. Gleichzeitig wird trans Personen vorgeworfen, Geschlechterrollen zu zementieren. Ein Vorwurf, den Menschen, die immer "noch weiblicher" und "noch männlicher" sein mussten, um als "echt" zu gelten auch noch zu Täter_innen in einer Gesellschaft macht, die sie zunächst zu diesem Verhalten gezwungen hat.

politische Kategorie Frauen*

Aber zurück zum Thema der "Kategorie Frau". Auf Kinder wirken nicht nur die Erwartungen auf das eigene Geschlecht ein, sondern auch die Erwartungen auf "das andere Geschlecht". Im Fall von cis Kindern sind hiermit die Rollen klar verteilt. Trans Kinder dagegen versuchen zunächst, die ihnen entsprechende Rolle zu erfüllen und lernen durch Ablehnung und Zurückweisung, in der konträren Rolle zu funktionieren. Nichtbinäre Kinder haben gar keine Rolle, die "zu ihnen passt". Und somit nur die Wahl zwischen "falschen" Erwartungen - ohne aber eine zu haben, die sich vollständig "richtig" anfühlt.

Wenn ich von "fühlen" und "empfinden" schreibe, meine ich hier einen unterbewussten Prozess, der sich über Jahre hinweg abspielt und nicht bewusst realisiert oder gar analysiert wird. Es geht um das Aufwachsen in einer Gesellschaft. Patriarchal, sexistisch und misogyn organisiert, die "Frauen" als Negativversion von "Männern" wahrnimmt und gestaltet. Somit ist die Idee einer "politischen Kategorie" für alle, die nicht endo-cis-männlich sind, tatsächlich eine notwendige Analysekategorie, um die Vorherrschaft ebenjener Kategorie beschreiben, analysieren und schlussendlich kritisieren zu können.

Fazit

Ich kann auch nachvollziehe, warum "Frau*" als Begriff gewählt wurde. Macht er doch cis Frauen sichtbar und eröffnet gleichzeitig das Feld für all jene, die ebenfalls betroffen sind, ohne cis Frauen zu sein. Gleichzeitig finde ich eine Umbenennung dieser Kategorie aus zwei Gründen notwendig. Zum einen wird der Umstand, dass "weibliche Sozialisation" keine homogene Erfahrung ist, über das notwendige hinaus verkürzt. Zum anderen werden dadurch Menschen "zur Frau gemacht", die Zeit ihres Lebens (spätestens nach dem inneren Outing) mit dieser Bezeichnung eine schmerzhafte Auseinandersetzung hatten.

Als Oberbegriff würde sich grundsätzlich FLINTA (Frauen, Lesben, Inter, Nichtbinär, Trans, Ageschlechtlich) beziehungsweise FINTA (Frauen, Inter, Nichtbinär, Trans, Ageschlechtlich) anbieten, alternativ auch andere Varianten. Präzise Sprache halte ich für notwendig, um einen Diskurs über Strukturen führen zu können, der Sternenhimmel mit vier (oder mehr) Interpretationsmöglichkeiten eignet sich deshalb eher weniger dafür.

"Afab nichtbinäre Personen werden immer die sein, die transmisogyn sind. Du kannst ihnen nicht trauen!"

Ein Take auf Twitter, unterschiedlich gesehen, zusammengefasst und verkürzt. Von trans Frauen geteilt und favorisiert. Schwierig, freundlich ausgedrückt, finde ich.

Aber fangen wir mit Begriffsdefinitionen an. Ich mag Definitionen, sie bringen alle Beteiligten auf das gleiche Level an Informationen. Weniger Raum für Interpretationen, mehr klare Kommunikation. Winwin - und so.

Transfeindlichkeit: Abwertung von trans Personen, weil sie trans sind. (Die Kurzfassung.)
AMAB: Assigned male at birth (bei der Geburt dem männlichen Geschlecht zugeordnet.)
AFAB: Assigned female at birth (bei der Geburt dem weiblichen Geschlecht zugeordnet.)
Transmisogynie: Eine bestimmte Form der Transfeindlichkeit, die nur transfeminine Personen betrifft.

Jetzt kommen die Langfassungen und die Begründungen, warum ich den Take so schwierig finde.

Kindern wird - durch Genitalienbeschau - ein Geschlecht zugeordnet. Dieses Geschlecht wird mit Erwartungen verknüpft, die wiederum mit den Genitalien gleichgesetzt werden. Ein Penis = cis Männlichkeit. Eine Vulva = cis Weiblichkeit. Diese Zuordnung an und für sich ist bereits inhärent transfeindlich, weil Genitalien kein eigenes Geschlecht haben - sie haben nur das Geschlecht der Person, zu der sie gehören. Gleichzeitig ist es eine Gleichsetzung, mit der wir in dieser Gesellschaft aufwachsen - und die erst mühsam verlernt werden muss.
Währenddessen wird AFAB Personen beigebracht, dass von Jungs und Männern (also innerhalb der cissexistischen Gesellschaft "Menschen mit Penis") eine gewisse Gefahr ausgeht. "Selbst wenn sie dich mögen, werden sie dir wehtun." ist der Schlüsselsatz, der hängenbleibt, wenn "was sich liebt, das neckt sich" und "der X, der meint das nicht so, wenn er dir an den Haaren zieht, der kann nur seine Sympathie nicht anders ausdrücken" als Relativierung und "boys will be boys" verwendet wird. "Geh nicht alleine nach Hause!", "Geh nicht im Dunkeln nach Hause!", "Zieh das nicht an!" sind ebenfalls Glaubenssätze, mit denen AFAB Personen aufwachsen - und die auch in "züchtige Kleidung für die Schule" Verwendung finden. Selbst bei den berechtigten Kritikstürmen, die regelmäßig entstehen, wenn Schulen auf so eine Idee kommen - die grundsätzliche Annahme, das AFAB Körper sexualisierend und problematisch sind, bleibt bestehen. (Etwas, wogegen der Feminismus seit Jahren kämpft. Aus Gründen.)

Wir haben also eine Ausgangslage, die für trans Frauen in feministischen Räumen ziemlich beschissen ist. Weil die Gleichsetzung von Genitalien mit Geschlecht und die daraus folgende Erziehung zu Männern als "Gefährdern" in Form von Transmisogynie direkt auf (trans) Frauen projiziert wird. Und während feministische Strukturen gegen Patriarchat und Sexismus kämpfen, unterstützen sie häufig aufgrund dieser unreflektierten Projektion den Ausschluss von trans Frauen aus feministischen Räumen. Das beginnt bei "Frauen*" und endet beim "transsexual Empire" und dem richtig harten TERF-Shit.

Wir haben aber auch eine Ausgangslage, die AFAB nichtbinäre Personen zu "Frauen light" oder auch "cis Frauen mit ein bisschen Glitzer" erklärt. Schließlich wollen sie sich aus der patriarchalen Kategorie "Frau" lösen, aber ja "nicht so richtig" (i.S.v. binäre Transition.) Das kann dazu führen, dass AFAB nichtbinäre Personen (und teilweise trans Männer) Zugang zu feministischen Räumen haben, der AMAB Personen verwehrt bleibt. Aufgrund internalisierter Transmisogynie wird dann diese Form von Transfeindlichkeit ("Frau light") als Waffe gegen unliebsame AMAB Personen verwendet. Weil "Penis = Mann = gefährlich" oft nicht ausreichend reflektiert wird - und tief in der derzeitigen Gesellschaft steckt. Weil AFAB Personen von Kindheit an die Gleichsetzung "Penis = Männlichkeit = Gefahr" internalisiert haben, projizieren sie diese in Form von Transmisogynie auf trans Frauen und AMAB nichtbinäre Personen, was zum Ausschluss jener aus feministischen Räumen führt. Im Wissen, dass sie als "weiblich gelesen" bzw. "Frauen light" in feministischen Räumen eher Schutz zu erwarten haben, da bei anderen AFAB Menschen (wie beispielsweise cis Frauen) der gleiche Bias besteht. Muss bewusst verlernt werden, muss nicht bewusst passieren. Aber. Hat bewusst verlernt zu werden. Ja.

Aber auch AFAB Personen leiden unter Transfeindlichkeit.

  1. "Aufsteigen" im Patriarchat muss bestraft werden, weil "Frau muss an ihren Platz".
  2. Fragile Heterosexualität, weil cis male Heten AFAB bestrafen müssen, dass sie auf selbige stehen, weil Bedrohung ihrer Heterosexualität.

AMAB Personen erleben es in folgender Ausprägung:

  1. Die Transgression bei einer transfem Transition ist größer. ("Mann sein zu wollen" gilt als "natürliches Streben der Frau") Bei AMAB Transition wird es dagegen als "pathologiesierender Wahnsinn" wahrgenommen - und abgewertet.
  2. Fragile Heterosexualität und (CN T****) are gay aka gay/trans panic defense.

Schlussendlich läuft Transfeindlichkeit also grundsätzlich auf eine Angst vor der Fragilität des Cistems hinaus. Transmisogynie dagegen ist die Projektion internalisierter Erwartungen an Männlichkeit auf Frauen. (Auch gerne mit vermeintlich "männlicher Sozialisierung" begründet. Was die Komplexität von Sozialisation zwar unfassbar verkürzt, aber hübsch einfach klingt.)

Als Person, die sehr lange (fast zehn Jahre) in femicistischen Gruppen aktiv war, kann ich aber - im Gegensatz zu transfemininen Personen, die diesen Zugang nie erhielten, auch diese Sichtweise beitragen:
Die gefallene Schwester zu sein, die im Patriarchat aufsteigen will und den Feminismus verraten hat, der mehr oder weniger direkt psychiatrischer Aufenthalt nahegelegt wird und die gleichzeitig weder im Feminismus, noch auf der Straße stealth (also im korrekten Geschlecht, aber unerkannt) leben kann, von "du verstümmelst deinen Körper" ganz abgesehen - der Vergewaltigungsvorwurf kommt auch da. Spätestens, wenn 1 mit Testo anfängt, weil wieder "Testosteron = Männlichkeit = Gefahr" greift.

Ja, es gibt bestimmt AFAB Personen, welche den Vorteil des "feministische Räume schützen mich" gegen AMAB Personen verwenden. Das ist problematisch. Daraus einen Vorwurf an eine Gruppe zu imaginieren, die ebenfalls massiv unter dem Cistem leidet - und niemals die Option auf Passing (als das Geschlecht wahrgenommen werden, das 1 ist) hat - ist mindestens genauso problematisch.

Der eigene Tellerrand eignet sich nur schlecht bis gar nicht für eine strukturelle Machtanalyse.

Ich bin wütend. Ich bin außerdem aufgedreht, empowert und habe Lust auf Sekt, aber vorher will ich diesen Artikel schreiben, solange der Eindruck noch frisch ist.

Linke Männer. Nehmen wir einen Typen, nennen wir ihn Matze. Matze ist gar kein Macker, Matze ist "kritisch männlich". Matze kennt alle Buzzwords (Feminismus, Aktivismus, Anarchismus, Männlichkeit, Diskriminierung). Matze lebt schon irgendwie in einer offenen Beziehung, zumindest hat seine Freundin zugestimmt, dass er herumvögeln kann. Laut ihm kommt sie damit zwar nicht gut zurecht, aber er hat halt so große Lust dazu.

Matze ist ein Arschloch. Aber weil Matze das immer nur bei einzelnen Personen macht, wird Matze dafür nicht zur Rechenschaft gezogen. Matze trifft vor allem FLINT-Personen. Er übertritt keine Grenzen, er verschiebt nur Grenzen immer weiter nach hinten, bis er bekommt, was er will.
Wird er dafür kritisiert, tut er überrascht - er würde NIE eine Grenze überschreiten, das wäre ja fürchterlich!
Zurück bleibt eine verwirrte Person, die ihre eigenen Erfahrungen hinterfragt. Aber Matze ist für ihre emotionalen Bedürfnisse auch nicht zuständig, schließlich sei ja alles casual und abgesprochen.

Im besten Fall redet diese Person mit Freund_innen. Im allerbesten Fall trifft die Person Menschen, die ebenfalls Erfahrungen mit Matze haben. Und dann stellen alle fest: Es sind immer wieder die gleichen Geschichten, sie unterscheiden sich nur situativ. Hinterher steht im Raum... ...was jetzt? Und: Warum haben wir das nicht viel früher erkannt?

Weil patriarchale Strukturen auch in linken Räumen ein Problem sind. Weil Menschen wie Matze geschickt darin sind, ihr manipulatives Verhalten hinter "Szenezugehörigkeit" zu verstecken. Weil FLINT immer noch vorgeworfen wird, sie würden ihre "persönlichen Probleme" in Gruppen tragen, wenn sie darüber reden wollen. Weil das private, das sexuelle bitte innerhalb der eigenen vier Wände zu bleiben hat. Weil linke Räume immer noch eher Rufmord wittern, als Verhalten zu hinterfragen.
Weil das Patriarchat auch unsere Szene vergiftet und FLINT die Verantwortung bei sich suchen, anstatt auf ihre eigenen Grenzen zu hören und sie zu beachten.

Wir alle kennen einen solchen Matze. Aber die Szene ist klein, wir können nicht alle cis Dudes verlieren, die irgendwie uncool sind. Und wir wollen ja auch nicht, dass Menschen Angst vor einem Outcall haben müssen.

Wollen wir nicht? Ich schon. Ich will, dass Menschen den Arsch hochkriegen. Und wenn sie es aus Angst vor feministischer Intervention tun, nun, dann ist dem eben so. Befreite Gesellschaft heißt, dass wir Normen überwinden und die des Patriarchats sind eindeutig Teil davon. Ich will ohne Angst reden können. Ich will das Private politisch machen.

Und vor allem... Ich will Anerkennung für die Arbeit, die jeder Matze auslöst. Treffen organisieren. Erfahrungen abgleichen. Die eigene Betroffenheit von Übergriffen anerkennen. Die Auseinandersetzung mit eigenen Emotionen. Die Übersetzung eigener Emotionen in strukturelle Diskriminierungen. Die Abgrenzung. Das Aushalten von Schmerz, von "Warum hab ich nichts getan", von internalisiertem victim blaming.

Das Verhalten von Matze hat Auswirkungen - und die wenigsten Matze machen sich Gedanken darum. Nebenbei Tätertum - obwohl ja "eigentlich" nichts schlimmes passiert ist. Bla.

Ich möchte einen umfassenden Feminismus. Kein Feigenblatt, keine Kirsche auf der Torte. Und ja, heute bin ich nicht analytisch. Ich bin wütend über das Patriarchat und glücklich, dass Empowerment wichtig ist, richtig ist und funktioniert. Und jetzt gönne ich mir Sekt mit Glitzer und zeige den Matzes dieser Welt den Mittelfinger.

Suck my Testodick, Boi.

"Ich habe meine Privilegien reflektiert und mir ist bewusst, dass dies nicht mein Sprechort ist, dennoch möchte ich sagen..." - ich verdrehe innerlich die Augen. Ein weiteres Mal habe ich einen "kritischen Mann" kennengelernt. Kritische Männlichkeit ist mittlerweile in Teilen feministischer Kreise der neue, heiße Shit. Ermöglicht sie doch Männern (hier vornehmlich cis Männern), sich aus dem patriarchalen Gefüge herauszulösen und ein besserer, ein kritischer Mann zu werden.

So zumindest die Theorie und die Überzeugung jener, die ihre "kritische Männlichkeit" wie einen Schild vor sich tragen. Ein Beispiel ist mein Exemplar von oben. (Seine gesamte Selbstreflektion hat ihn nicht daran gehindert, mir danach zu erklären, warum ich in all meinen Äußerungen falsch läge. Scheint ja gewirkt zu haben.)

Wir merken, ich bin ein wenig ungehalten. Aber nun gut. Kommen wir zuerst zur Theorie.

Patriarchat

Wir leben alle im Patriarchat. Das Patriarchat hat ein sehr enges Bild von Geschlecht und dessen, wie Geschlecht performt werden muss. So werden Männer als stark, durchsetzungsfähig, entschlossen, mutig, objektiv (...) beschrieben - und die Performance dieser Eigenschaften im Umkehrschluss von ihnen erwartet. Das Bild von Männlichkeit (und in Abhängigkeit dazu Weiblichkeit) ist dabei gesellschaftlich wandelbar, gleichzeitig bleibt die Aufwertung des Mannes. (Alternativ dessen, was als "männlich" definiert ist.) Einhergehend damit die Abwertung alles nicht-männlichen. (Weiblichkeit, aber auch Queerness und cis Männer, die sich nicht den Erwartungen an Männlichkeit anpassen können/wollen.)

cis Männlichkeit

Männlichkeit ist dabei (dank Kolonialismus) universell, wir wissen aufgrund unserer Sozialisierung intuitiv "wie ein Mann zu sein hat". Es wurde uns bereits von Geburt an wissentlich und unwissentlich beigebracht. Durch den äußeren Druck und Zwang zur Performance entsteht ein Muster, das als "toxische Männlichkeit" bekannt ist. Namentlich ist es das Konzept, dass unter den Erwartungen an Männlichkeit nicht nur diejenigen leiden, die vom Patriarchat als "das andere Geschlecht" gekennzeichnet werden, sondern auch diejenigen, die den Zwang zur Performance verspüren. Kurz: Unter dem Patriarchat leiden auch cis Männer, unter Sexismus jedoch nur nicht-cis Männer.

kritische Männlichkeit

Das Verlernen dieser Erwartungen (die keinesfalls biologisch begründet sind) ist hierbei der Knackpunkt - und da setzt "Kritische Männlichkeit" an.
Schwerpunktmäßig werden in Vorträgen, Workshops, "kritischen Männlichkeitsrunden" und den wenigen Büchern zum Thema zunächst die Erwartungen an Männlichkeit analysiert. Dann sollen sie schlussendlich geändert werden können.

Meist richten sich die Aufrufe dieser Veranstaltungen explizit (und teilweise ausschließlich) an cis Männer. Schließlich sind sie diejenigen, um die es hauptsächlich geht. Gleichzeitig geht es in den meisten Runden, die ich erlebt habe, vor allem darum, Einzelfallsituationen und Verhaltensweisen zu analysieren. Im besten Fall hat es etwas von Gruppentherapie bzw. Selbsthilfegruppe, im schlechtesten Fall von "wir klopfen uns gegenseitig auf die Schulter und vermeiden direkte Kritik, immerhin haben wir uns alle schon mal irgendwie mies und/oder diskriminierend verhalten". Alternativ wird direkte Kritik geübt und dann in die einzelne Verhaltensweise abgetaucht und ergründet, auf welchen gesellschaftlichen Strukturen sie beruht. Am Ende ist die Gruppe so weit in den Metaebenen der strukturellen Konstruktionen verschwunden, dass die einzelne Verhaltensweise mikroskopisch klein und unbedeutend wirkt.

Nabelschau

Die Gefahr hierbei ist, dass am Ende des Tages zwar sehr viel über strukturelle Diskriminierung, Erwartungen an Männlichkeit, Männlichkeit im Spiegel der Gesellschaft und ähnliche Dinge gesprochen wurde, aber das konkrete Verhalten nicht verändert wird.
"Ich habe meine Privilegien reflektiert" ist ein hübscher, aber unsinniger Satz. Er beruht auf der Tatsache, dass die Person jetzt möglicherweise ein erweitertes Wissen gewonnen hat, aber damit dennoch nichts tut.
Die reine Nabelschau der eigenen Privilegien ändert weder an den Privilegien, noch an den diskriminierenden Strukturen oder den Verhaltensweisen der einzelnen Person etwas. Im Gegenteil. Gleichzeitig wird diese Reflektion als Argumentation verwendet, um die eigene Machtposition zu sichern, ohne sie als Machtposition anerkennen zu müssen. Die Arbeit (namentlich die Erkenntnis der eigenen Privilegien) haben sie schließlich bereits geleistet.

erlernte Hilflosigkeit

Die Erkenntnis, Teil einer diskriminierenden Struktur zu sein (gleichzeitig als Profiteur und als Betroffener) ist schmerzhaft, der Widerspruch schwierig auszuhalten. Gleichzeitig betrifft diese Struktur sowohl Vergangenheit, als auch Gegenwart. Sie ist schwierig bis unmöglich von Charakter und Sozialisierung der einzelnen Person zu trennen. Dennoch ist diese Trennung notwendig, um aus der Analyse konkrete Verhaltensweisen ableiten zu können.

Beispielsweise hilft es nicht, zu wissen, dass cis Männer durchschnittlich einen höheren Redeanteil haben als nicht-cis Männer. Die Frage ist auch, woher dieser Redeanteil kommt und etwas dagegen tun zu können. Ähnlich verhält es sich mit der Erkenntnis, dass cis Männern selten bis nie lernten, auf konstruktive Weise über Emotionen zu reden. Die Sozialisierung als cis Mann sieht diese Verhaltensweise schlicht nicht vor. (Die Sozialisierung von nicht-cis Männern dagegen, sich vor allem um die emotionalen Belange ihrer Mitmenschen zu kümmern, tut ein übriges.) Bleibt die Frage: Wer bringt diese Verhaltensweise bei? Wie wird diese Verhaltensweise produktiv?
Wie trennen wir die emotionalen Bedürfnisse gegenüber nicht-cis Männern von dem Anspruch, dass diese von der emotionalen Arbeit ent- und nicht belastet werden? Wo beginnen unsere Bedürfnisse, wo endet unsere Sozialisierung? Wie kann das getrennt werden, ohne, dass sich Personen in der Analyse und Nabelschau völlig verzetteln?

Theorie statt Praxis

Diese Fragen werden in den meisten Kontexten, die sich mit "Kritischer Männlichkeit" beschäftigen, im besten Fall angerissen, nicht aber beantwortet. Hier spricht eine Gruppe von Menschen, die ein pro:feministisches Café organisiert hatten, von ihren Erfahrungen mit kritischer Männlichkeit. Und spart dabei nicht mit Selbstkritik.

Schwerwiegender ist die Auswirkung von "Kritischer Männlichkeit", wenn selbige als Waffe wahrgenommen wird, um die eigene Machtposition zu sichern. Die Erkenntnisse verwenden diese Männer, sich besonders "woke" und "reflektiert" darzustellen. Nur, um dann die eigenen Bedürfnisse (emotionaler und politischer Literatur) in den Vordergrund zu rücken. Hier ist ein sehr guter Artikel, der sich mit linken Männlichkeitsbildern auseinandersetzt und diese kritisch beleuchtet.
Gleichzeitig haben diese Männer das Vokabular erlernt, um ihre Bedürfnisse nicht "mackerhaft", sondern "bedürfnisorientiert" zu kommunizieren. Am Ende jedoch diejenigen zu sein, welche eine Debatte dominieren. Kritikabwehr mittels emotionaler Verletzlichkeit und die Verantwortung für einen liebevollen, freundlichen Umgang denjenigen gegeben, welche kritisierten. Das Eingehen auf Kritik elegant vermieden. Schließlich geht es dann nicht mehr um inhaltliche Fragen, sondern um Emotionen - und die BeKümmerung selbiger. Es wird Sprachkritik noch und nöcher geübt - aber die Strukturen bleiben die gleichen.

Statt Nabelschau und Sprachkritik - für eine effektive Änderung der Verhältnisse!

WIR WOLLEN KEIN STÜCK VOM KUCHEN, WIR WOLLEN DIE GANZE BÄCKEREI!

Einer der beliebtesten Demosprüche vor allem feministischer Demonstrationen. Er signalisiert, dass die Betroffenen durchaus sehen, dass ihnen zwar ein bisschen gleichberechtigter entgegengekommen werden soll, aber sie eben nur ein Stückchen abhaben sollen, obwohl es grundsätzlich um eine gleichberechtigte Teilhabe geht, um ein selbstbestimmtes Leben, ohne Kapitalismus, ohne Patriarchat. Eben um die ganze Bäckerei.

Ich war Teil dieser Demonstrationen. Ich war acht Jahre Feministin, bevor ich erkannte, dass ich Feminist_in bin. Das ich zwar sehr lange für eine Frau gehalten wurde, aber keine Frau bin - sondern nichtbinär, genderfluid. Ich hab meinen offiziellen Namen, meinen Personenstand und meine Anrede ändern lassen und eine Hormonersatztherapie begonnen.

Ich wusste, es würde Änderungen bedeuten. Ich wusste, es würde Menschen irritieren und bereits der Weg hin zu den rechtlichen Änderungen gab mir einen Vorgeschmack dessen, was meine bloße Existenz mit der Gesellschaft machte - sie irritieren, verunsichern und viel zu oft war die Reaktion mehr oder minder gut versteckte Aggression.

Was ich nicht erwartet hatte, war, wie viel Einfluss es auf meine feministische Arbeit haben würde. Ich war plötzlich nicht mehr gleichberechtigt in feministischen Kämpfen, sondern "nur noch" trans. Mir wurde - und wird - das Recht abgesprochen, Teil vom 08. März sein zu dürfen, da ich ja nicht die gleichen Diskriminierungen erfahren würde wie Frauen.
Teilweise wurde ich aus Gruppen ausgeschlossen, da die Quotierung nur für Frauen galt und meine Anwesenheit eine cis-männliche-Dominanz bedeutet hätte.
Mein Körper wird vereinnahmt, wenn es um (ungewollte) Schwangerschaften geht, während meine intellektuellen Beiträge ausgeklammert werden, da diese ja nur trans Personen betreffen würden und für den feministischen Diskurs keinen Mehrwert hätten.

Auf der nächsten "Marx ist Muss" wird es Veranstaltungen geben, die sich zum Schwerpunkt gemacht haben, trans Kämpfe und Frauenkämpfe zusammenführen zu wollen - ohne daran zu denken, dass trans Frauen eigentlich schon zu den Frauenkämpfen gehören sollten und trans Männer mehr Erfahrungen mit den Themen der Frauenkämpfe haben, als allen eigentlich lieb ist. Es wird Transfeindlichkeit reproduziert, um sich im Anschluss solidarisch mit trans Personen (die Originalformulierung ist leider transfeindlich) zeigen zu können. Ein Stück vom Kuchen? Nein, ausschließlich Krümel.

Ich weiß, wie sich feministische Kämpfe anfühlen, die mich einschließen. Ich weiß, wie sich feministische Solidarität, Solidarität unter Frauen anfühlt. Habe ich die mir erschlichen, sie heimlich ausgesaugt, wie mir so oft unterstellt wird, weil ich zu dem Zeitpunkt noch keine Worte hatte für mein Empfinden? Ist es nur gerecht, dass ich ausgeschlossen werde, schließlich habe ich durch meine Existenz keine Solidarität, zumindest keine selbstverständliche, verdient?
Vor drei Jahren war der 08. März noch mein Tag, dieses Jahr wurde mir gesagt, er wäre nur für Frauen, ich solle mich verziehen, schweigen, solidarisch mit Frauen sein.
Während mir keine Solidarität entgegengebracht wird, immerhin hätte ich mich ja selbst dazu entschieden, mich zu outen und müsste jetzt mit den Konsequenzen leben. Das klingt, als wäre Feminismus, dieser Femicismus, eine Gemeinschaft, aus der ich freiwillig ausgetreten wäre und nun die gerechte Strafe dafür erhielte, keine Frau zu sein.
Ich wäre ja Teil der Transkämpfe, so als trans Person. Und natürlich müsste der Feminismus auch solidarisch mit den Kämpfen von trans Personen sein, so sei das ja nicht. Aber gleichberechtigt seien diese Kämpfe nicht. Trans Männer und nichtbinäre Personen haben am FrauenKampfTag solidarisch zu sein, um dann am NonbinaryDay alleine zu stehen.
Oder könnt ihr mir sagen, wann NonbinaryDay ist? Könnt ihr euch auch an die großartige Solidarität, das Pushen des Tages und den eigenen Hashtag auf Twitter mit süßem Bildchen dahinter erinnern? Nein? Ich auch nicht, es hat nämlich nie stattgefunden.

Sozialisation ist komplizierter, als cis Geschlechterdenken es uns glauben macht. Sie ist nicht nur von außen oder von innen heraus zu betrachten. Trans Frauen zu unterstellen, sie wären ausschließlich männlich sozialisiert worden, ist genauso falsch, wie trans Männern zu signalisieren, sie hätten absolut keine Ahnung, wie es sei, als Frau gelesen zu werden.

Ich hatte den Kuchen, nun bekomme ich Krümel zugeworfen und habe dafür dankbar zu sein.

ICH WILL KEIN STÜCK VOM KUCHEN, ICH WILL NICHT EURE KRÜMEL, ICH WILL DIE GANZE BÄCKEREI!

Dankeschön.
(Internationaler Tag der Nichtbinarität ist übrigens am 14. Juli, falls ihr Lust habt, dieses Jahr mal solidarisch zu sein.)

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