Schlagwort: Diskriminierung

  • TDOV – 2022

    Ich bin zu autistisch, um mich in trans Räumen wohlzufühlen und zu trans für autistische Räume. Das macht den TDOV (trans day of visibility) jedes Jahr zu einem sehr… speziellen Event.

    Am wohlsten fühle ich mich, wenn ich Veranstaltungen leite, während ich bei sozialen Situationen regelmäßig vollständig versage. Das ist in Räumen, die vor allem queer geprägt sind, durchaus ein Problem. Schließlich sind dies einerseits die Räume, die mir eigentlich offen stehen sollten und andererseits – ganz pragmatisch – auch die Räume, die meine Bildungsarbeit in den meisten Fällen zur Multiplikation nutzen.

    Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit

    Das sorgt dafür, dass ich beim TDOV gleichzeitig sehr sichtbar und sehr unsichtbar bin. Ich bin sehr sichtbar, weil ich über trans und autistische Themen schreibe. Weil mich mittlerweile ein paar Leute kennen. Das sorgt dafür, dass angenommen wird, ich wäre in sozialen Situationen ähnlich kompetent wie in meinen Veranstaltungen. Ein Fehlschluss, der regelmäßig zu zwischenmenschlichen Katastrophen führt.

    (Disclaimer: Ich gebe mir sehr viel Mühe, zu maskieren. Sollte im Kontakt mit Lesenden dieses Textes das mal nicht geklappt haben und ihr von „die Situation ist eskaliert“ betroffen gewesen sein: Es tut mir leid. Ich mache das nicht absichtlich und gebe mir Mühe.)

    Drüber zu reden heißt nicht, dass mich Menschen verstehen

    Ich rede oft und viel über die Schwierigkeiten, die autistische Kommunikation macht. Gleichzeitig sind Menschen trotzdem erstaunt, dass soziale Situationen und ich zu einer explosiven Mischung führen.
    Vielleicht bin ich trotz aller (vor allem queeren) Sichtbarkeit doch nicht sichtbar genug?

    Ich will den diesjährigen TDOV auch dazu nutzen, auf neurodivergente trans Geschwister aufmerksam zu machen. Wir sind oft nicht in queeren Räumen, weil die soziale Struktur in queeren Räumen eine ganz eigene ist. Das sorgt dafür, dass queere Räume sehr oft eine emotional geprägte Kommunikation bevorzugen, die ich beispielsweise nicht leisten kann. Und damit sind neurodivergente trans Personen schlussendlich wieder unsichtbar.

    Bei den meisten Diskriminierungsformen findet Diskriminierung vor allem auch im Bereich der Kommunikation statt. Über wen wird geredet, mit wem wird geredet, welche Stereotypen werden reproduziert, welche Worte verwendet? Das ist sinnvoll. Dort anzusetzen, kann Dinge ändern.

    Gestörte Kommunikation

    Aber gerade bei Autismus ist die Kommunikation ein Problem. Es besteht ein fundamentales Missverständnis zwischen Erwartungen. Ich funktioniere anders als neurotypische Menschen.
    Intuitive Kommunikation wird als „normal“ vorausgesetzt.

    Und nein, ich weiß nicht, wie ich das ändern kann. Ich fühle mich nur gleichzeitig sehr sichtbar und sehr unsichtbar. Weil ich nicht vorgesehen bin. Weil ich immer wieder das Gefühl habe, „falsch“ zu sein.

    Und weil meine derzeitige Lösung ist, einfach keine private, soziale Situation zu haben. In meiner Rolle als Referent_in und Schreibendes bin ich ja gut. Klingt aber einsam.

  • Binäres System und Nichtbinarität – @coding_void


    CN für den gesamten Text
    Transfeindlichkeit, Misgendern, Dysphorie, binäres System

    Ein Gastbeitrag von @coding_void.
    Vor einigen Jahren habe ich mein Geschlecht noch ausschließlich als Nicht-Binär bezeichnet.
    Ich verwendete nur das Pronomen „es“, liebte meinen Buzzcut und wartete darauf, endlich mit Hormonen anfangen zu können. Nicht um einen „weiblicheren“ Körper zu haben, sondern einen, der weniger „männlich“ ist. Dennoch war da oft die unterschwellige Gewissheit, vor allem doch als Mann behandelt und wahrgenommen zu werden. Egal, wie sehr ich dies hasste. Das ich, egal was ich machen würde, zwangsläufig in der Fremdzuschreibung „Mann“ gefangen blieb. Es war dabei selten offenes Misgendern oder direktes Absprechen meines Geschlechtes, auch wenn ich das durchaus erlebt habe. Das Problem saß tiefer, in der grundlegenden Art und Weise, wie soziale Räume und Interaktionen um mich herum gestaltet waren. Wie ich mich (nicht) in sie integrieren konnte. Wie sich ein binäres System unterbewusst darstellt.

    Dies kann mensch aus verschiedenen Perspektiven betrachten.

    Fremdzuschreibung und Dysphorie

    Zum Beispiel aus der von Dysphorie und psychischer Gesundheit. Mit mir selber war ich zwar halbwegs glücklich. Aber das Wissen um die Art und Weise, wie ich von anderen Menschen wahrgenommen wurde, ließ mich verzweifeln. Dies wird in der Regel als soziale Dysphorie bezeichnet und ist etwas, worunter viele trans Personen leiden.

    Eine andere Interpretation würde sich auf die männlichen Privilegien konzentrieren, die ich durch diese Fremdzuschreibung angeblich hatte. Es stimmt sicher, dass z.B. meine Meinung ernster genommen wurde, als die von Menschen, die weiblich „gelesen“ wurden. Da gibt es viele weitere Beispiele.

    Die Ebene, dass diese Fremdzuschreibung gewaltvoll ist, wird dabei aber außen vor gelassen. Bei binären trans Personen wird meist noch anerkannt, dass die fortgesetzte Assoziation mit ihrem AGAB ein Ausdruck von Transfeindlichkeit ist. Diese löst bei vielen trans Personen signifikanten Leidensdruck aus. Bei nicht-binären trans Personen fällt diese Anerkennung eher weg. So wird strukturelle Gewalt gegen eine Person, wiederum als Teilhabe an struktureller Gewalt bewertet. Bei AMAB nicht-binären Menschen wird so häufig ihre Unterdrückung verunsichtbart und Teile davon sogar als Privileg geframed.

    Zwar halte ich es nicht für falsch, spezifische(!) Privilegien zu benennen, auch wenn sie im scheinbaren Widerspruch zum realen Leiden ihrer Träger*innen stehen. Aber wenn es um Umstände geht, bei denen Ursache der Privilegien gleichzeitig Ursache des Leidensdruckes ist, ist fragwürdig, ob es Privilegien sind.

    CN Suizid

    An dieser Stelle ist es mir wichtig, dass dies nicht als „verletzte Gefühle“ gegenüber materiellen Bedingungen dargestellt werden kann. Statistisch haben mehr als ein Drittel aller trans Personen einen Suizidversuch überlebt. Nur um einmal klar zu machen, worauf dieser abstrakte Leidensdruck, den ich hier beschreibe, nicht selten hinausläuft.

    Zugang zu Räumen

    Eine weiterer Aspekt, neben den direkten psychischen Auswirkungen, ist zum Beispiel der Zugang zu Schutzräumen. Ich hätte damals Schutzräume benötigt, aber praktisch standen mir keine offen. Selbst ernannte FLINTA*-Räume, vom Namen her also trans und nicht-binäre Menschen explizit einschließend, zogen keine praktischen Konsequenzen daraus. Das ist vielleicht gut gemeint, aber wertlos. Ein Raum, bei dem ich damit rechnen muss, mich Transfeindlichkeit auszusetzen, wenn ich ihn betrete, ist kein Schutzraum für mich.

    Unser binäres System von Geschlecht, das uns Geschlecht von Geburt an und jeden Tag aufs Neue, von außen zuschreibt, gab mir nur eine Möglichkeit der Annerkennung als „nicht-männlich“: Weiblichkeit.

    Meine Konsequenz war, stärker auf den transweiblichen Aspekten meiner Identität aufzubauen, um eine „Nicht-Männlichkeit“ erreichen zu können. Transfeminine Personen erleben natürlich auch Misgendering, Ausschluss aus Schutzräumen und im speziellen Transmisogynie und daraus folgende Gewalt.
    Für mich bot Transfeminität die einzige Chance, der geschlechtlichen Fremdzuschreibung als „Mann“ zu entkommen, der ich auch als offen nicht-binäre Person durchgehend ausgesetzt war.

    Heute kann ich mich z.B. leichter in FLINTA*-Räumen aufhalten als damals. Zumindest solange ich genug sichtbaren Aufwand betreibe, Weiblichkeit zu performen.
    Der Übergang zu einem primär transweiblichem Auftreten hat mir die Lebensqualität und Verbesserung meiner psychischen Gesundheit gegeben, die ich mir aus Outing und Transition erhofft hatte.
    Nicht dadurch, dass ich glücklicher mit meinem Körper wurde, sondern, dass ich endlich weniger als „Mann“ wahrgenommen werde.

    Auch wenn ich meine Weiblichkeit mag, musste ich erkennen, dass sie mir zum Teil aufgezwungen wurde und wird.
    Ich würde gerne wieder einen Buzzcut tragen und mich allgemein gender non-conforming präsentieren. Aber der Effekt darauf, wie (nicht-)männlich ich von anderen Menschen wahrgenommen werde, hindert mich daran.

    Die Ironie, dass ich, als nicht-binäre Person, dadurch nicht nur Zweigeschlechtlichkeit, sondern auch stereotype Weiblichkeit reproduziere, ist mir bewusst.

  • Swiss: Heilige, Hure und die Andern (Teil II)

    Ey, Swiss! Wer hat euch erlaubt, die Regenbogenfahne zu nutzen?!

    Ich, beim Sehen von „Nicht kommen sehen“.

    Moin.
    Es ist August 2021 (als ich angefangen habe. Mittlerweile ist Oktober, oh. November. Wir sehen, ich leide unter Prokrastination.). Immer noch wird ein Artikel über Swiss geteilt, den ich im Oktober 2020 schrieb – nichtsahnend, was ich damit auslösen würde. Er ist hier verlinkt und hat mittlerweile knapp 10.000 Aufrufe. Die dürft ihr auch gerne verdoppeln und vielleicht werden dann die Beleidigungen, die ich im Ergebnis erhalte, ein bisschen kreativer.

    Unkreative Beleidigungen schalte ich übrigens prinzipiell nicht frei und deshalb strengt euch bitte ein bisschen an, ja?

    Swiss und die Andern waren ein gar fleißiger Haufen und haben im vergangenen Jahr viel veröffentlicht. In vielen Fällen hat Swiss dabei mit anderen Bands zusammengearbeitet. Dieser Beitrag wird sich mit den neuen Songs (2020, 2021) und ihren Videos auseinandersetzen. Für ihren Instagram gibt es vielleicht, irgendwann einen dritten Teil. (Weil Minzgespinst mittlerweilde auf Insta ist, bekomme ich viel mehr Dinge mit, die ich eigentlich nie wissen wollte, aber lassen wir das.)
    Danke nochmal an jene, die meinen Beitrag wohlwollend geteilt haben und die sagten, sie hätten viel gelernt. Für euch mache ich das hier!

    Übersicht über die Veröffentlichungen

    Beginnen wir chronologisch und arbeiten uns durch, wie gesagt, die Jungs waren fleißig. An Singles und EP wurde folgendes veröffentlicht:

    1. Nicht kommen sehen (2020) – mit Video
    2. 10 kleine Punkah (2020) – mit Video
    3. Herz auf St. Pauli (2020) – mit Video
    4. Alkohol (2020) – mit Video
    5. Lebe deinen Hass feat Ruffiction (2020) – mit Video
    6. Bullenwagen (2020) – mit Video
    7. Wir sterben alle (2020) – mit Video
    8. Schwarz Tot Gold (2020) – mit Video
    9. Mittelfinger Richtung Zukunft (2020) – mit Video
    10. FDM-Punk (2020) – mit Video
    11. No Pasaran (2020) – mit Video
    12. Stück für Stück (2020) – mit Video
    13. Kein Talent feat. ZSK (2020) – mit Video
    14. Orphan (2021) – mit Video
    15. Zatan lebt! (2021) – mit Video
    16. Panikk (2021) – mit Video
    17. Linksradikaler Schlager (2021) – mit Video
    18. Solikasse mit Joshi (2021) – mit Video
    19. Antifa (2021) – mit Video
    20. Keine Gewalt/Plenum (2021) – mit Video

    An Alben wurden nur zwei Neuerscheinungen veröffentlicht, namentlich „Saunaclub“ (2020) und „Orphan“ (2021). Stattdessen bekam jede Single ihr eigenes Video, und die waren teilweise aufwendig produziert. Es wurde also ordentlich in die eigene Visualisierung investiert.

    Ich stelle fest, die Lieder sind marginal besser, wenn Swiss (und die Andern) mit anderen Bands zusammen auftreten. Was das für den Stil der Band sagt – whatever. Nicht mein Sterni.

    Inhaltliche Analyse

    Mehrere Dinge sind auf jeden Fall prägnant und ich fasse hier zusammen. Die Zwischenüberschriften geben einen groben Überblick, aber natürlich ist es nicht vollständig.

    Sexismus

    Es werden immer mehr, deutlich sexualisierte Frauen (oder zumindest Menschen, die von mir in diesem Kontext als Frauen wahrgenommen werden). Von „ab und zu tanzt mal eine Frau im Hintergrund“ bis zu sehr sexualisiertem Tanzen und „auf den Arsch klatschen“ bei Keine Gewalt/Plenum. Gleichzeitig bleiben Frauen weiterhin passiv. Ein Beispiel dafür wäre „meine Schwester schläft im Shirt von Che Guevara“ oder (sinngemäß zusammengefasst) „meine Ex hat Angst, weil ich aus der Klapse raus bin“.

    Auch „Hurensöhne“ und Anspielungen auf Gewalt gegen Frauen ziehen sich durch, besonders bei 10 kleine Punkah, Kein Talent feat ZSK, Orphan, Panikk, Linksradikaler Schlager, Solikasse mit Joshi (die Dancemoves sind wiederum wirklich beeindruckend, ich erkenne das an), Antifa und Keine Gewalt/Plenum. Außerdem… kommt schon, ist wirklich „wir ficken deine Mama“ (wie bei 10 kleine Punkah und FDM-Punks und Panikk) das Niveau, auf dem sich eure Linksradikalität bewegt? Ist es wirklich so, so schwer, Frauen nicht als reine Ejakulationsobjekte wahrzunehmen?

    Ableismus

    Videos brauchen ne Epilepsiewarnung. Bei Alkohol wurde das umgesetzt, bei Nicht kommen sehen, Lebe deinen Hass feat Ruffiction, Mittelfinger Richtung Zukunft wäre es notwendig gewesen. Aber Ableismus ist bei euch und anderen Bands eh ein grundsätzliches Problem. Ich empfehle diesen Blogpost: Warum Nazis nicht dumm sind.

    Auch die Darstellung von psychischen Krankheiten und der „Klapse“ halte ich bei euch für problematisch bis gefährlich. Auch die linke Szene liebt ihren Ableismus, dafür muss es nicht einmal (wie bei der Terrorgruppe passiert) dazu kommen, dass Menschen einfach in die Konzerträume nicht reindürfen. Bei Swiss (und vielen anderen Punkbands) wird die Gesellschaft als „krank“ bezeichnet, was schlussendlich auch nur völkisches Denken ist: Die gesunde Gesellschaft, das gesunde Volk gegen die kranke Gesellschaft, das entartete Volk. Was dabei wiederum als „gesund“ oder „krank“ definiert wird, bleibt von der jeweiligen, politichen Überzeugung abhängig. Aber grundsätzlich problematisch ist die Metapher dennoch. Was macht ihr mit den „kranken“ Teilen, dem „Krebs“ der Gesellschaft? Erschießen, wie in Orphan? Satan opfern? Töten? Und wer definiert, was „krank“ ist?

    Schwulenfeindlichkeit

    Internalisierte Schwulenfeindlichkeit. In den Liedern 10 kleine Punkah, FDM-Punk, Panikk wird wahlweise (wie bei 10 kleine Punkah) Zärtlichkeit gegenüber Männern als „witzig“ und „Gag“ dargestellt oder in den anderen Liedern anale Vergewaltigung zur politischen Praxis erklärt. Bisschen ironisch, bei Linksradikaler Schlager dann „Homophobie ist widerlich“ zu singen, wenn dann die eigenen Songs dem dauerhaft widersprechen. Nein, Vergewaltigung (auch die von Bullen) und vor allem anale Vergewaltigung sind nicht witzig oder politisch. Die darin enthaltene Schwulenfeindlichkeit wird nicht weniger, nur weil ihr irgendwann mal „wir mögen keine Homophobie“ singt.

    Transfeindlichkeit und latenter Antisemitismus

    Transfeindlichkeit, binäres Geschlechterverständnis und Antisemitismus. Immer wieder in Songs, die diesbezüglich Raum zur Interpretation lassen (vor allem einer femininen Person eine „männliche“ Stimme zu geben, ist definitiv transmisogyn, siehe 10 kleine Punkah). Bezüglich Geschlechterverständnis: Für euch existieren offensichtlich ausschließlich Männer und Frauen. Geschenkt. Latenter Antisemitismus kommt immer mal wieder in Chiffren durch. Chiffren sind symbolartige Metaphern, die bewusst die eigentliche Bedeutung verschleiern. Antisemitische Chiffren sind auch in der linken Szene weit verbreitet. Aber ich gehe nicht davon aus, dass diese bewusst gewählt wurden.

    Gleichzeitig haben wir eine dauerhafte „die da oben mit dem Geld“-Rhetorik, darüber hinaus eine Anspielung auf schwarze Sonnen und satanische Rituale und die Zeile „ihr verleugnet mich, so wie den Holocaust“ in Orphan. In der Summe (ich habe mir die Lieder alle nacheinander angehört) wirkt es heftig und damit sollte sich auseinandergesetzt werden.

    Umgang mit Kritik

    Umgang mit Kritik: Klar, ihr könnt es immer extremer abwehren, euch grundsätzlich gegen jede Art der Kritik immunisieren und euch zusammen mit den Sippschaften in eure eigene „wir sind die Guten“-Bubble zurückziehen. Dies nennt sich ab einer gewissen Größe dann sektenhaftes Verhalten. Lieder wie 10 kleine Punkah, FDM-Punk, Kein Talent feat ZSK, Keine Gewalt/Plenum sind Songs, die bewusst auf innerlinke Kritik anspielen und sie lächerlich machen. Sorry Dudes, ich brauch kein Plenum, um euch albern zu finden, ich kriege das durchaus autonom hin. Mögt ihr nicht glauben, aber die Leute, die euch kritisieren, tun das durchaus aus unterschiedlichen Gründen und Perspektiven und kennen sich nicht einmal.

    Positives

    Was ich mochte: Herz auf St. Pauli war nett, No Pasaran war 0815 Punk, kannste schon machen. (Da Deutschland nie entnazifiziert wurde, wie ihr korrekt erkannt habt, sind die Nürnberger Prozesse (und ihr) nicht so einschüchternd, wie ihr vielleicht denkt, aber okay). Solikasse mit Joshi und Linksradikaler Schlager haben grundsätzlich Spaß gemacht zu hören, ich mag den Stalingradwitz beim letzteren.

    Fazit

    Was mir abschließend wichtig ist: Die Liste ist unvollständig und zu einigen Songs gäbe es deutlich mehr zu sagen. Mir geht es aber gar nicht um einzelne Songs, sondern um die Tatsache, dass hier eine Band „Punk“ macht, die eigentlich nichts anderes schreiben und in der Masse die nicht-problematischen Lieder Einzelfälle sind. Ich persönlich kenne keine cis männliche Punkband, die nicht irgendwo und irgendwann problematische Songs geschrieben hat. Aber die meisten machen das nicht als dauerhafte Hintergrundbeschallung.

  • Offener Brief an den MDR

    Sehr geehrte Menschen,

    ich schreibe Ihnen als Teil von minzgespinst, aber auch als aktivistische Einzelperson im Kontext Autismus – und nicht zuletzt als Betroffenes.

    Mit Entsetzen habe ich den Artikel von Clemens Haug mit dem Titel „Autismus – durch Therapie der Eltern verhinderbar“ gelesen. In der Hoffnung, mit meiner Kritik Gehör zu finden, schrieb ich Herrn Haug eine persönliche E-Mail. Statt sich inhaltlich mit meiner Kritik auseinanderzusetzen, unterstellte er mir, die Studie gar nicht gelesen zu haben.

    Ich bitte hiermit den MDR um eine Korrektur des betreffenden Textes und eine Schulung der Mitarbeiter_innen in den Bereichen „Neurodiversität“ und „Geschlechtliche Vielfalt“.

    Da Herr Haug mich in seiner Antwort mehrfach als „Frau“ adressierte, obwohl ich weder einen weiblich konnotierten Vornamen, noch eine weiblich konnotierte Anrede angegeben habe, im Gegenteil, ich bitte in meinen Mails grundsätzlich darum, mich neutral anzusprechen. Im Jahr 2021, drei Jahre, nachdem die sogenannte „Dritte Option“ Einzug in die gesellschaftliche Realität hielt, noch immer Menschen entgegen ihres ausdrücklichen Wunsches mit einem binären Geschlecht zu belegen, halte ich für ein Armutszeugnis in Bezug auf die journalistische (und menschliche) Sorgfaltspflicht.

    Entgegen der Unterstellung von Herrn Haug habe ich die Studie durchaus gelesen. Meine Kritik richtet sich vor allem an ihn, den Verfasser des Artikels, für die Darstellung von Autismus und autistischer Kinder.

    Das Journal (JAMA Pediatrics) ist ein seriöses Fachblatt mit hohem Impact-Faktor, die Studie ist grundsätzlich gut ausgeführt, randomisiert, jedoch nicht doppelblind (die Eltern wussten, ob das betreffende Kind in der Untersuchungs- oder der Kontrollgruppe ist). Dadurch kann nicht ausgeschlossen werden, dass die beobachteten Effekte auf einen Rosenthal-Effekt oder einen Hawthorne-Effekt (also weniger auf den Inhalt der Intervention, sondern vielmehr darauf, dass überhaupt eine experiementelle Intervention stattfand) zurückgeführt werden können.

    Von einem Artikel des MDR Wissen hätte ich mir gewünscht, dass der Interessenkonflikt der führenden Autor_innen, welche gleichzeitig an der Intervention beteiligt sind (und gegebenenfalls davon finanziell profitieren) und diese evaluieren, transparent gemacht wird, anstatt die Aussagen der Forschenden bzw. wortgetreu zu übernehmen. Dennoch ist die Finanzierung größtenteils unabhängig und wird sowohl von Forschungsinstituten, als auch der australischen Regierung übernommen.

    Wenn im Artikel darauf hingewiesen wird, wie stark die Behandlung von Autist_innen das jeweilige Gesundheitssystem belastet („Gesundheitskosten von Autisten höher als bei Krebs“), ist eine Studie im Auftrag einer Regierung, die darauf abzielt, die Symptome autistischer Kinder unter die Diagnoseschwelle zu drücken, nicht nur eine Intervention zum Wohle der Kinder, sondern auch eine pragmatische Entlastung des Gesundheitssystems, da undiagnostizierte Autist_innen für ihre Bedürfnisse selbst aufzukommen haben. Hier wird die Verantwortung vom Staat auf das Individuum verlagert. Leider macht der Artikel diese Zusammenhänge nicht transparent.

    „Wie ein britisch-australisches Forscherteam jetzt im Fachblatt „JAMA Pediatrics“ zeigt, lassen sich die schwierigsten Auswirkungen offenbar oftmals verhindern“, wird im Artikel behauptet. Dem widerspricht die Studie: Hier wird deutlich gemacht, dass die Werte auf den Autismus-Skalen in diesen Altersbereichen noch starken Schwankungen unterligen, sich erst im Vor- bzw. Grundschulalter stabilisieren und man langfristige Effekte nicht unbedingt voraussagen kann („Follow-up of these children in later childhood, when the behaviors for ASD and other neurodevelopmental conditions may be more apparent anddistinguishable, will be important to determining the longerterm clinical significance of the intervention effects observed in the current study.“).

    Gleichzeitig wird mit der Angst der Eltern argumentiert, das Kind „könne autistisch werden“, aus der geschlussfolgert wird, dass eine Therapie „so früh wie möglich“ begonnen werden müsse. Die anerkannten Therapien für Autist_innen, die „so früh wie möglich“ beginnen sollen, basieren in den meisten Fällen auf der sogenannten „Applied Behaviour Analysis“, kurz ABA genannt. Diese geht davon aus, autistische Symptome mittels einer Art „Dressur“ (die im schlimmsten Fall über die gesamte Wachphase eines Kleinkinds verläuft) mildern bzw. verschwinden lassen zu können. Schlussendlich werden autistische Kinder für autistisches Verhalten bestraft, für nicht-autistisches Verhalten belohnt – so lange, bis sie verinnerlicht haben, welches Verhalten „falsch“ und welches „richtig“ ist und dieses (entgegen der eigenen Bedürfnisse) passend anwenden können.

    In der vorgestellten Studie wurden nicht die Kinder geschult, sondern die Eltern, was eine massive Verbesserung im Gegensatz zur „Dressur“ von Kleinkindern darstellt. Doch auch hier gab es den üblichen Zirkelschluss, dass autistisches Verhalten („Symptome“) negativ, sozial erwünschtes, neurotypisches Verhalten dagegen positiv sei. Das wird vor allem in der verwendeten Methode ersichtlich, denn SACS-R als Diagnostik für Autismus bezieht sich hauptsächlich darauf, wie „sozial konform“ die Kinder sind. Entgegengesetzt dazu wurde ein Standardverfahren auf die Kontrollgruppe angewandt, im Artikel wird jedoch von „den besten, bereits erprobten Therapien“ gesprochen.

    SACS-R ist aber nicht nur inhaltlich zu kritisieren („The checklist on the 12-month version of the SACS-R includes 5 specified behaviors that are evaluated to determine whether the infant has a higher likelihood of ASD: spontaneous eyecontact, protodeclarative pointing, social gestures, imitation, and response to name. A pattern of atypical behavior on at least 3 of these items suggests an increased likelihood of an ASD diagnosis in later childhood.“). SACS-R ist eigentlich nicht für einmaliges Screening gedacht, sondern eher für die längsschnittliche Beurteilung der frühkindlichen Entwicklung, wurde hier aber als einmaliges Screeninginstrument verwendet.

    Die Intervention bestand aus zehn Videosessions für Familien. Interaktionen zwischen kümmernder Person (caregiver) und Kind wurden bei diesen Sessions per Video aufgezeichnet und waren Grundlage der Auswertung. Problematisch dabei ist, dass lediglich der Haupt-Autor alleine beurteilt hat, ob die gezeigten Verhalten(-sänderungen) ein Effekt der Intervention waren oder durch andere, externe Dinge beeinflusst worden sind.

    Familien bekamen Hausaufgaben und sollten Tagebuch über das Verhalten der Kinder führen. Dies führt zwangsläufig zu einer Intransparenz in der Auswertung, da die Kontrolle über den subjektiven Eindruck der jeweiligen Eltern/kümmernden Personen bezüglich der Verhaltensänderungen des Kindes fehlt. Hier wird von einer Objektivität von Eltern ausgegangen, die von Natur aus nicht als gegeben angesehen werden kann.

    „Dabei zeigte sich, dass am Ende der Beobachtungszeit in der Versuchsgruppe viel seltener Autismus diagnostiziert wurde, als in der Kontrollgruppe.“, steht im Artikel. Das ist grundsätzlich richtig, die Unterschiede beider Gruppen waren signifikant, auch wenn „viel seltener“ angesichts der sehr geringen Effektstärken sowie der nur in Teilbereichen auftretenden signifikanten Unterschiede eine Übertreibung darstellt. Allerdings geht es nicht darum, dass gesichert diagnostiziert worden wäre (wie die Studie selbst sagt, sind Schwankungen in dem Alter völlig normal, weshalb eine Kontrolle mit vier bis fünf Jahren sinnvoller gewesen wäre), sondern sie erfüllten zum derzeitigen Zeitpunkt die diagnostischen Kriterien. (Darüber hinaus ist die Idee, Autismus lieber nicht zu diagnostizieren, weil damit das Gesundheitssystem weniger belastet werden würde, moralisch eine mindestens fragwürdige Herangehensweise. Wie innerhalb der Studie (und in Teilen des Artikels) selbst festgestellt wird, ist Autismus eine angeborene Störung, eine sogenannte Neurodiversität. Vor allem autistische Frauen werden bereits jetzt signifikant seltener diagnostiziert als Männer und haben ein höheres Risiko für Komorbiditäten wie Zwangserkrankungen, Angsterkrankungen und Depressionen. Die Möglichkeit der Diagnostik weiter herunterzufahren, würde dem Gesundheitssystem langfristig keine Entlastung bringen, da – wenn nicht der Autismus – so zumindest die Komorbiditäten eine Behandlung notwendig machen. Statt verminderter Diagnostik würde gelebte Inklusion und vereinfachte Nachteilsausgleiche nicht nur kostengünstiger, sondern auch menschengerechter sein.)

    „‚Der Effekt der Therapie war enorm und deutlich größer als das, was wir bisher gesehen haben etwa durch den Einsatz neuer Medikamente‘, sagt Green.“
    Bei Betrachtung der Effekte der Intervention sowie der Diskussion der Studie durch die Autor*innen ist diese Behauptung nicht haltbar („These effects were small in extent, and their clinical significance is uncertain.“).

    Wichtig dabei ist darüber hinaus die Tatsache, dass Green sowohl Entwickler der Methode (und davon finanziell bevorteilt),als auch einer der Autoren, die hier den Nutzen evaluiert haben, ist. („Dr. J. Green reported owning a patent for the iBASIS-VIPP intervention, being the initiator and codeveloper of the original iBASIS-VIPP manual, receiving personal fees for his role as codirector of IMPACT, and serving as a senior investigator for the United Kingdom National Institute for Health Research outside the submitted work.“) Wenn Dr. J. Green nun zu den Effekten und der Relevanz der Studie interviewt wird, und dies dabei überschätzt, muss dieser Interessenskonflikt Greens im Artikel kritisch betrachtet werden, um eine kritische Distanz zu gewährleisten. Die kritische Auseinandersetzung mit der Studie durch den Autor ist aus dem Artikel leider nicht ersichtlich.

    Es ging also weniger um die Bedürfnisse von autistischen Kindern, sondern mehr darum, wie die Kinder (ohne allzuviel Schaden zu nehmen) an die Bedürfnisse eines neurotypischen Umfelds angepasst werden können. Es ist eine Fehlannahme, dass neurotypische Verhaltensweisen und Kommunikationsformen die „einzig richtigen“ wären, selbst wenn sie die derzeitige Norm darstellen, gleichzeitig verdienen Forschende, die an „Autismus-Heilung“ arbeiten, aufgrund des bestehenden Stigmas große Summen und werden gefördert.

    Wir wünschen uns, von einer Sendeanstalt, die in letzter Zeit massiv die Barrieren für Blinde und Sehbehinderte abgebaut hat, einen ähnlich offenen Zugang für die Bedürfnisse von Autist_innen und deren Diskriminierungserfahrungen, sowie eine Schulung der Mitarbeitenden, um transfeindliche Fehltritte zukünftig zu vermeiden.

    Mit freundlichen Grüßen

    Beccs Runge (minzgespinst)
    Ash (minzgespinst)
    Tamilla (minzgespinst)
    Tetz (minzgespinst)
    Mara (minzgespinst)



    Erstunterzeichnende:

    (Bei Privatpersonen haben wir auf die Veröffentlichung des Nachnamens aus Datenschutzgründen verzichtet, bei Personen des öffentlichen Lebens wurde sich für den vollen Namen entschieden.)

    Raúl Krauthausen

    Sarah Dubiel

    Jorinde Wiese

    Marie Polonyi (Referat für Inklusion; Studierendenrat Universität Leipzig)

    Hannah C. Rosenblatt

    Jasmin Subklewe

    Edith Arnold

    qube Greifswald

    Kuku Lueb (TIAM e.V.)

    Daniela S. (Queer-Lexikon e.V.)
    Xenia H. (Queer-Lexikon e.V.)
    Valo C. (Queer-Lexikon e.V.)
    René_e R. (Queer-Lexikon e.V.)
    Lir S. (Queer-Lexikon e.V.)
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  • Queer Exorzismus – eine Innenansicht

    Update, 12.11.2021:

    Wie ich heute erfuhr, wurden Teile dieses Textes und Verlinkungen hierher für einen hochschulpolitischen Antrag im StuRa der MLU verwendet. Es ist ein polemisch geschriebener Meinungstext. Der Aufhänger ist der Veranstaltungstext, dann werden ungefähr zwölf inhaltliche Schleifen gedreht. Er verarbeitet unter anderem meine persönlichen Erlebnisse mit Teilen des Umfelds des AK Antifa. Am Ende geht es wieder zurück zum Veranstaltungstext. Es ist kein inhaltlicher Analysetext zum Zustand der halleschen Hochschulpolitik. Ungefragt dafür verwendet zu werden, halte ich für mindestens unhöflich (as in: Leute, was sollte die Aktion?!

    (Update vom Update: Es kam eine Entschuldigung. Ist akzeptiert. Bitte nicht wiederholen.). Noch unangenehmer finde ich jedoch die entsprechenden Reaktionen unterschiedlichster Akteure, von bonjourtristesse bis zum alternativen Vorlesungsverzeichnis. In diesem Blog gibt es eine Maildresse und ein Impressum.
    Wenn ihr ein Problem mit mir habt, könnt ihr es auch direkt kommunizieren. Ich dachte, euch liegt so sehr an theoretischer Diskursarbeit? Queerer wirds hier nicht, queer-feministisch dagegen nicht zwingend.

    Anfang

    Guten Morgen. Das hier ist der erste Text im Herbst des Jahres 2021. Ich würde mich gern mit einer Tasse Tee auf der Couch zusammenzurollen und ein entspanntes Buch lesen (z. B. „das andere Geschlecht“ aus queer Perspektive). Stattdessen befasse ich mich mit dem Einladungstext zu einer Veranstaltung, weil mir (mal wieder) von der AG Antifa des StuRa der Universität Halle das Existenzrecht abgesprochen wird.

    Niemand spricht dir das Existenzrecht ab, du bist nicht Israel!

    Einer der Veranstaltenden, in einem privaten Kontext.

    Nun, ob das geschah (oder nicht), das werde ich im folgenden Beitrag besprechen. Wir fangen von oben an und arbeiten uns Absatz für Absatz vor. Außerdem (weil mir Barrierefreiheit überaus wichtig ist), werde ich die originalen Schachtelsätze in ein verständlicheres Format bringen. Wenn ein Ankündigungstext mindestens vier unterschiedliche Interpretationsebenen hat, versagt er im Bezug „rationale Argumentation“ leider.

    CN Transfeindlichkeit, Rassismus

    Eine Einleitung fehlt, wir landen direkt im Jahr 1991, als Judith Butler „gender trouble“ veröffentlichte. Angeblich der Beginn von etwas, das von dort „in die universitären Debatten und von dort aus in den Kulturbetrieb wanderte“. Hier zeigt sich, wie ignorant die AG/die Vortragenden sind:

    Queer/trans(-feministische) Arbeit im akademischen Kontext gab es lange vor Butler. Wir können bis zu Hirschfeld zurück gehen, oder uns die Trans Studies, die in den 70er/80er Jahren entstanden sind, anschauen. Wird die Unterwanderung der Trans-Lobby angedeutet, sind korrekte Zahlen notwendiger Beleg. Die Assoziation eines unaufhaltsamen Vormarsches eines nicht näher benannten „Etwas“ ist dabei nicht hilfreich. Worum es geht, erfahren wir erst im folgenden Satz: die „Vervielfältigung“ geschlechtlicher Identitäten zur „Subversion“ der „heterosexuellen Matrix“. Das sei „staatlicher wie gesellschaftspolitischer Arbeitsauftrag“. Große Worte, noch größere Zusammenhänge – die AG Antifa macht es nicht unter gesamtgesellschaftlichen Zusammenhängen. Nur… Was möchtet ihr uns damit sagen? Queer Kram tut Dinge in der Gesellschaft?

    Willkommen in der Matrix

    Als ich „Subversion heterosexueller Matrix“ google, stürzt mein Browser ab. Ein Arbeitsauftrag also, das Internet zu zerstören? Wohl kaum. Worauf die AG Antifa anspielt (was diesen Satz linguistisch sehr spannend macht), ist ein Zitat aus Judith Butlers „gender trouble“. Eine Einzelperspektive eine_r einzelnen Theoretiker_in also, die dennoch als „gesamtgesellschaftlich“ geframed wird. Außerhalb universitärer Kontexte dürfte sowohl Judith Butler, als auch dieses spezifische Zitat, mehrheitlich unbekannt sein. Dennoch suggeriert der Text, es gäbe einen (auch staatlichen) Arbeitsauftrag, die Forderungen aus der Analyse einer theoretischen Auseinandersetzung, gesellschaftlich umzusetzen.
    Zu Butler ist spannend, dass Butler als Bugfigur von queer/trans Bewegung (das scheint hier ein Einheitsbrei zu sein) dargestellt wird. Gerade im universitären Kontext von Trans Studies gibt es Kritik an Butler(s) Arbeit (wenn eins im akademischen Bereich bleiben will).

    Unterschiede verstärken die Norm

    De facto wäre mir neu, dass „gender trouble“ eine gesellschaftliche Bedienungsanleitung geworden ist, dafür fehlen schlicht die Belege, auch wenn der Ankündigungstext das Gegenteil behauptet. Wir befinden uns immer noch in den ersten Zeilen, deshalb fasse ich den nächsten Teil inhaltlich zusammen. Der Text behauptet, dass die dauerhafte Erinnerung dessen, dass es Abweichungen der (dya-cis-heterosexuellen) Norm gibt, diese Norm verfestigen würden. Die Bestätigung von queer Existenzen verfestigt die Norm. Genannt sind „die gleichgeschlechtliche Ehe“, „m/w/d“-Vermerke in Stellenausschreibungen, sprachmagische Appelle zur angeblichen „Sichtbarmachung“ randständiger Minderheiten allerorts“. Was der Text unter „sprachmagisch“ versteht, ist nicht erläutert. Ich vermute, es geht um die Debatte geschlechtergerechter Sprache und die Benennung aller geschlechtlicher Gruppen. Beispielsweise als Queer oder als LGBTQIA+.

    Diese Aufzählung ist ein rhetorischer Trick, dass drei völlig unterschiedliche, aus unterschiedlichen Gründen heraus entstandene, sprachlich-gesellschaftliche Situationen gleichgesetzt werden. Dadurch würde eine „Gegenargumentation“ (z. B., dass die meisten queer-feministischen Aktivist_innen die m/w/d-Vermerke politisch eher schädlich finden), grundsätzlich nur auf einen Teil der Aufzählung zutreffen. Das suggeriert, es käme zusammen, was zusammen gehört.

    Warum haben es Queers dann immer noch so schwer?

    Ungeachtet, dass die gleichgeschlechtliche Ehe vor allem monogamen Schwulen und Lesben zugute kommt. (Die immer noch beim Thema Adoption und Stiefkindadoption schwere, politische Kämpfe zu führen haben). Die m/w/d-Vermerke kommen aus rechtlichen (in Deutschland existieren vier Personenstände, deal with it) Kontexten. Forderungen nach geschlechtergerechter Sprache dagegen aus aktivistischen Kontext.

    Der Staat und queer Aktivist_innen sind keine Personalunion, noch „lenkt“ die „queere Ideologie“ als „repressive Instanz“. Im Gegenteil, gerade queer und trans Personen sind bis heute gesellschaftlicher staatlicher Repression gesondert ausgesetzt. Mir wäre nicht bekannt, dass es für cis Personen/heterosexuelle Paare gesonderte Gesetze gäbe. Diese existieren für gleichgeschlechtliche Paare bei Adoption und durch das TSG.

    Verschwörungsmythen

    Ein weiterer, geschickter, rhetorischer Kniff. Wenn etwas nicht existiert, ist der Beleg der Nichtexistenz deutlich schwieriger zu erbringen. Das Geraune, es wäre in „den Hinterzimmern“, dem „bürokratischen Imaginären“ dennoch existent. Diese Argumentationsstrukturen gibt es vor allem in antisemitischen Bereichen (auch der Begriff der „Transideologie“ bzw. der „Genderideologie“ stammt von einem Antisemiten, nämlich Kevin MacDonald, der die antisemitische Argumentation vertrat, dass Jüd*innen hinter der Auflösung des Geschlechtersystems durch u.A. Queer und trans Personen stehen würden) und ist politisch wie auch moralisch zu verurteilen. Es ist eine für Antisemitismus charakteristische Funktionsweise, vermeintliche Tatsachen zu behaupten, die nicht beweisbar sind. Diese vermeintlichen Tatsachen sind dann als Beweise für das eigene Verschwörungsdenken zu handhaben. Dies sorgt dafür, dass logische Einwände nicht mehr möglich sind.

    rassistische Entgleisungen

    Der nächste Teilsatz hat zwar keinen logischen Zusammenhang mit dem vorhergehenden, dennoch taucht er dort auf. Ich fasse zusammen: Es gibt Benennungen von Abweichungen. Diese sorgen dafür, dass sich die Norm noch fester im Kopf verankert. Weil dem so ist, werden mit rassistischem Nachdruck Ehrenmorde, Genitalverstümmelung, Kinderehen, sittsamkeitsbedingte Vollverschleierung und Zwangsverheiratungen zur „Kultur“ der „Anderen“ verklärt“. Die Gesamtheit der „queer“ bzw. „trans“ Personen (bzw. Ideolog_innen, je nachdem), argumentiert rassistisch, Ehrenmorde, Genitalverstümmelungen, Kinderehen und Zwangsverschleierungen seien Teil einer „anderen Kultur“ und müssten deshalb geschützt werden.

    Wäre das hier eine Hausarbeit oder ein Buch, das mir zum sensitivity reading vorliegt, würde ich Belege?! an den Seitenrand schreiben. Grundsätzlich sei es allen Leuten erlaubt, wirre Zusammenhänge zu konstruieren, ich hätte diese nur gerne ansatzweise logisch konsequent hergeleitet.
    Auch hier ginge wieder eine Menge Text dafür verloren, die Absurdität dieses Zusammenhangs herzuleiten. Deshalb habe ich die letzten fünf Absätze zu dem Thema gelöscht.
    Ich möchte die Beweispflicht an jene zurückgeben, die diesen Unfug behaupten. Bitte belegt, dass die Nennung nichtbinärerer Geschlechter zu vermehrten Zwangsehen und Vollverschleierungen führt. Ebenso die Verteidigung von Genitalverstümmelungen im Kontext der gleichgeschlechtlichen Ehe. Benennt, wer menschenfeindliche, misogyne Traditionen als Teil von „anderer Kultur“ allumfassend rechtfertigt, damit Akteur_innen statt diffusen Gruppenzuschreibungen kritisierbar sind!

    Antisemitismus ist KEINE Queerfeindlichkeit

    Auch hier wieder der gleiche, rhetorische Kniff. Es werden Behauptungen als Tatsachen präsentiert, die sich schlicht und ergreifend nicht belegen lassen.
    Zur vergleichenden Analyse schlage ich die üblichen, antisemitischen Verschwörungsmythen, namentlich die „Kindermorde“ und „Brunnenvergiftungen“ vor. Es ist unangenehm, wie sehr sich transfeindliche und antisemitische Verschwörungsmythen in ihren Grundzügen ähneln. In beiden Kontexten sind es zahlenmäßig kleine Gruppen, denen massive Macht zugeschrieben wird und die deshalb „machtmäßig beschränkt“ gehören. Ohne auch nur ansatzweise einen Beleg, dass diese Macht jemals existent gewesen sei. (Disclaimer: Ich setzte selbstverständlich nicht Transfeindlichkeit und Antisemitismus gleich, ich stelle nur fest, dass die Verschwörungserzählungen beider Diskriminierungsformen sich ähneln.)

    Die Tatsache, dass die Gruppe gegen Genitalverstümmelungen zu sein scheint, freut mich sehr. In diesem Kontext lege ich ihnen nahe, sich mit den Operationen an intergeschlechtlichen Säuglingen zu befassen. Diese finden nicht in Kulturen der „Anderen“ sondern in der (falls wir bei diesem „Kulturbegriff“ bleiben), hegemonialen, christlichen Kultur statt. Oder wollt ihr Genitalverstümmelungen nur dort verurteilen, wo ihr Personen zu „Anderen“ erklären könnt?

    Butler und queer theory

    Weiter geht damit, dass Butler eigentlich gar keine krasse Theorie aufgestellt hat, sondern nur etwas, das Konsens sei, in Worte gefasst. In diesem Zusammenhang ist spannend, dass erst vor kurzem ein Interview von Butler im Guardian zensiert erschien. Der zensierte Teil geht auf Zusammenhänge von GCs (Gendercriticals) und Faschismus ein. Wenn die Trans-Lobby so mächtig ist, frage ich mich, wie da Zensur geschah.

    Nun, in Anbetracht der vorgebrachten Verschwörungsmythen mag das innerhalb dessen sogar logisch konsequent sein. Wenn Leute glauben, dass „queer Ideologie“ die Welt bereits beherrscht, dann wirkt queer „Ideologie“ selbstverständlich nicht subversiv. Dafür muss eins nur z. B. das TSG, den genauen Wortlaut des PStG, die Diskriminierungen von Schwulen und Lesben im Bereich der (Stiefkind)Adoption, die Tatsache, dass der Eintrag „divers“ das sächsische Impfportal zum Absturz brachte, die Unmöglichkeit einer medizinischen Transition ohne Pathologisierung ignorieren.
    (Die rechtlichen und gesellschaftlichen Tatsachen, inklusive Studien zur psychischen Gesundheit von trans Personen, sprechen leider das Gegenteil aus. Ich hätte also immer noch gern Belege für die Existenz jener Welt, ich glaube, da würde ich gerne wohnen.)

    schlechte Bücher, großer Einfluss

    Der nächste Absatz ist einfach zusammenzufassen. Butler hat ein schlechtes Buch geschrieben.
    Es behauptete, das „biologisches Geschlecht“ ausschließlich konstruiert sei. Im Ergebnis behaupten das jetzt ständig Leute und greifen damit in Wirklichkeit Frauen und feministische Errungenschaften an.

    Nun, leider hat die Biologie Butler Recht gegeben. Aber das wäre ja ein Fakt, der mit „auch die sind von der Genderideologie missbraucht worden“ widerlegt werden könnte. (Weshalb ich ihn eher pro forma anbringe.) Auch hier wieder ein Zirkelschluss. Butlers Buch war schlecht, deshalb sind alle Richtungen, die sich auf Butler beziehen (oder von euch dort eingeordnet werden), schlecht. Und sie müssen sich irren. Wenn eins Butler nicht mag, gibt es genug Arbeit im akademischen Kontext, die sich mit der Konstruktion von biologischem Geschlecht beschäftigt. Beispielsweise Fausto-Sterling oder Christine Delphy.

    Es braucht nicht zwangsläufig einen post-strukturalistischen Ansatz wie Butlers, um zu verstehen, dass biologisches Geschlecht ein Konstrukt ist. Kann natürlich sein, dass denen davon die Köpfe platzen.

    Darüber hinaus hat Butler selbst ein zweites Buch geschrieben, namentlich „bodies that matters“, das sich (im Gegensatz zu „gender troubles“, in dem das gar nicht vorkommt), damit auseinandersetzt, dass biologische Zuschreibungen gesellschaftliche Konstruktionen seien (wir weisen Penis und Vulvina die Attribute „männlich“ und „weiblich“ zu), gleichzeitig biologische Fakten (es gibt Penisse und Vulvinas) dadurch jedoch unberührt blieben. Kurz: Wurde eigentlich überhaupt gelesen, was so großmäulig kritisiert und/oder als Gefahr für die Allgemeinheit dargestellt wird?

    Transfeindlichkeit an der Uni

    Das Verständnis von biologischem und sozialen Geschlecht war immer im Wandel begriffen. Der aktuelle Backlash „zur Biologie“ kann auch im wissenschaftlichen Kontext eindeutig transfeindlichen Argumentationen zugeordnet werden.
    „Die gemeinen trans Personen nehmen uns Feminismus weg“ heißt üblicherweise „wir wollen an der Uni keine trans Personen. Erst recht keine trans Frauen“. Wodurch diese dann immer prekärer im universitären Bereich arbeiten, wenn es überhaupt noch möglich ist

    Inwieweit feministische Errungenschaften in letzter Zeit durch trans Personen abgeschafft wurden, erschließt sich mir leider nicht, auch hier fehlen Belege.

    Bisher – um zum Ende zu kommen – ist dieser Ankündigungstext eine Reihe geraunter Verschwörungserzählungen. Eine „trans Lobby“ deutet sich an, welche die Rechte „echter Frauen“ beschneiden wollen würden (und dies angeblich bereits tun). Gleichzeitig aber zu irrational und ideologisch verblendet seien für „rationale Argumente“.

    Fazit

    Leider ist der eigene Text recht schwach an „rationalen Argumenten“, dafür reich an Verschwörungsmythen und Suggestionen. Es ist bemerkenswert schlecht recherchiert, was queer und trans-feministische Studien angeht. Da scheint gar nicht recherchiert geworden zu sein. Es herrscht der Trugschluss, weil im deutschsprachigen Raum in gewissen (!) akademischen Kontexten Butler rezipiert wird, sei Butlers Werk stellvertretend für queer theory. Aber eine tatsächliche Auseinandersetzung mit feministischen Studien, Queer Studies und Trans Studies hätte ja auch aufgrund der Komplexität der verschiedenen Forschungsansätze tatsächliche Theoriearbeit erfordert . Für einen akademisch geschriebenen Text voller Schachtelsätze fehlt es leider an Inhalt. Vielleicht sollte diesbezüglich nochmal Adorno vorgenommen werden, anstatt seltsame Ideen über die Existenz von trans Personen zu entwickeln.

    Exorzismen

    Im Übrigen: Die „Austreibung der Natur“ mittels eines „Exorzismus“ ähnelt doch sehr dem Absprechen meiner Existenz, allerdings scheint eine gar irrationale Angst bezüglich der Existenz von trans Succubi/Incubi oder anderer Dämonen vorhanden zu sein (ein Exorzismus ist immerhin wörtlich eine „Dämonenaustreibung“) und das halte ich im politischen Kontext mindestens für besorgniserregend. Klerikale Fundamentalist_innen mit Hang zu Exorzismus machen regelmäßig den „Marsch für das Leben“. Der will tatsächlich feministische Errungenschaften rückgängig und darüber hinaus das Gesetz bezüglich Abtreibung weiter verschärfen.

    Eine andere Lesart wäre, dass ihr uns als Exorzist_innen wahrnehmt, die den wahren Geist der Natur austreiben wollen würden. In diesem Kontext habe ich vage Assoziationen zu Impfgegner_innen und einem essentialistischen Naturbegriff, eher kontraproduktiv für eine progressive Gesellschaft. Eine Antifa, die in ihrem Naturbegriff noch hinter Rudolf Steiner zurückfällt, halte ich diskurstechnisch für nicht haltbar.

  • Swiss: Heilige, Hure und die Andern – missglückte Welt

    Dankenswerterweise eingelesen von Daniel Friedl.

    Bitte, lass uns einfach losfahren. Die erzählen da was von Antifa und dann stehen da nur halbnackte Macker auf der Bühne.

    Freund eines Freundes, von der Arbeit auf einem Swiss Konzert kommend.

    Ich kannte diesen Freund vorher nicht, aber nach der Aussage ist er in meiner Sympathie sprunghaft in die Höhe geschnellt. Ich saß nämlich, während wir vor der Location auf ihn warteten, auf dem Rücksitz und kritisierte monologisierend die auftretende Band.

    Eine Band (und explizit deren Sänger, welcher namentlich die Band anführt), die ich als sektenähnliche Strukturen fördernd, misogyn, sexistisch, mackerhaft, frauenfeindlich und latent (kolonial)rassistisch einordnen würde. Es geht um „Swiss und die Andern“, teilweise aber auch um die Werke von Swiss solo.
    Hier gibt es einen zweiten Teil.

    Da das hier ein längerer Text wird, sind die jeweiligen Quellen und Belege immer hinter den direkten Zitaten, ihr erkennt sie an den hochgestellten Zahlen. Das sind Hyperlinks, die direkt zu den Seiten führen, auf die ich mich beziehe. Die Initialbuchstaben zeigen jeweils einen neuen Abschnitt an. Am Anfang wird es um die sektenähnliche Struktur der Sippschaften gehen. Danach gehe ich genauer auf den Sexismus und die Misogynie der Texte ein, um im Anschluss den Unterschied von „damals zu heute“ (also Swiss solo vs. Swiss und die Andern) herauszuarbeiten. Im Anschluss gibt es ein Fazit (oder ich hab den Kaffeebecher auf den Laptop geworfen, je nachdem).

    Sippschaften

    Eine Band, deren Fangemeinde in „Sippschaften“ organisiert ist, mittlerweile gibt es in jeder größeren Stadt eine. Hauptaufgabe der „Sippschaften“ ist es, Promo für die „Missglückte Welt“ zu machen – also mehr oder weniger für Swiss (und die Andern), deren Markenzeichen (und offizielles Label) ebenjene „missglückte Welt“ ist. Für eine Sippschaft braucht es mindestens fünf Leute, die gemeinsam eine_n Postmeister_in bestimmen, der_die für die Promo-Pakete und die organisatorische Ansprechbarkeit zuständig ist. Außerdem gibt es die Möglichkeit, Kutten (Jeansweste (80 Euro Bearbeitungsgebühr) bzw. Bomberjacke (90 Euro Bearbeitungsgebühr) zu leihen. Sie müssen nach Ende der Sippschaftsangehörigkeit zurückgegeben werden, dürfen jedoch individualisiert werden. Das Geld gibt es selbstverständlich nicht zurück. Außerdem sind Sippschaftszecken verpflichtet, einander zu helfen und zu unterstützen.1

    Es gibt also eine Band, die ihre eigene Fangemeinde zu Promotern erzieht, indem sie ihnen Erkennungszeichen und Gruppenzugehörigkeit (und ab und zu, das wird nicht näher definiert, Gästelistenplätze und Freikarten) ermöglicht. Außerdem „darf“ man der Band bereits beim Soundcheck zusehen und es gibt ein Vorzugsrecht bezüglich Merch und Tickets. Einige Sippschaften haben ein „Anwärter_innensystem“ entwickelt, um Neue genau unter die Lupe nehmen zu können und zu bestimmen, wer dabei sein darf.

    Linke Burschenschaft?

    Ein Prinzip, das ich vor allem aus rechtsoffenen bis konservativen Kontexten kenne, namentlich Studentenverbindungen und Burschenschaften. Im Gegensatz zu jenen geht 1 bei den Sippschaften keinen „Lebensbund“ ein und es sind Frauen erlaubt. Höchst progressiv.

    Nachteil dagegen ist, dass Swiss und die Andern vor allem von jungen Menschen und Teenagern gehört wird, auch wenn das Altersspektrum bis in die Dreißiger hinaufgeht und somit eine – meiner Meinung nach – sektenähnliche Struktur gefördert wird, indem einige Fans Privilegien genießen, für die jedoch auch Promotionsarbeit übernehmen müssen. Eine Aufgabe, die normalerweise von Menschen geleistet wird, die dafür bezahlt werden, anstatt Jugendliche (durch den Merch und die Sippschaftskutten) dafür auch noch zahlen zu lassen. Im Gegenzug gibt es Zugang zu einer Struktur, die „Unterstützung“ und familiäres Umfeld propagiert – solange 1 spurt und ordentlich „Randale“ macht. Das Umfeld und der Zusammenhalt wird auch auf jedem Album in mehreren Texten beschworen und besungen – meist in „Du“-Botschaften, die Hörende direkt ansprechen und in die Gemeinschaft ziehen, bzw. darin halten sollen. Eine „Wir gegen Die“-Mentalität, welche Außenstehende schnell zu Feind_innen erklärt.

    Sexismus

    Gleichzeitig kommen in den Liedern immer wieder frauenfeindliche und misogyne Grundannahmen durch. Damit ich mir nicht vorwerfen lassen muss, ich würde dem Verfasser „seine alten Schinken“ vorwerfen, bewegen wir uns von der nahen Vergangenheit in die Ferne – und von subtilem Sexismus zu offener Frauenverachtung.

    Der subtilere Sexismus der neueren Alben (von „Große Freiheit“ bis „Saunaclub“) zeichnet sich vor allem durch ein Bild aus, das seit Jahrhunderten gepflegt und gehegt wird: die Frau, als entweder „unerreichbare Heilige“ oder „schamlose Hure“, niemals als Freundin, gleichberechtigtes Subjekt oder gar Gegnerin – ausschließlich als Objekt in Abhängigkeit vom männlichen Subjekt.

    Innerhalb der Songtexte (wir beginnen mit „Saunaclub“ von 2020 und arbeiten uns in die Vergangenheit vor) sehen wir das daran, dass beispielsweise „Alkohol“ seine Alkoholabhängigkeit beschreibt, bei der „Uschi“ ihn betrügt – und er sich in den Alkohol flüchtet.2 Während in „Besteste Band“, die zweite Strophe – in welcher er die Eltern seiner Freundin kennenlernt, aber nur der Vater der Freundin seine Meinung thematisiert. Sie selbst scheint zum Thema nichts zu sagen zu haben, die Meinung eines anderen Mannes zu ihrem Partner wiegt schwerer.3

    Beispiele

    Dieser Punk

    In „Dieser Punk“ rühmt er sich darin, dass Frauen „keine Opfer von Männern“ seien, sondern „Sie benehm‘ sich wie ein Haufen von besoffenen Pennern – Ist normal, wenn man unser’n Scheiß hört“ – auch hier treffen Frauen keine eigenständigen Entscheidungen, sondern sind abhängig von ihrem Musikgeschmack. (Im gleichen Song werden „Hausmänner“ außerdem abwertend verwendet, denn offensichtlich reicht es nicht für einen „echten Mann“, zu Hause zu bleiben.)3

    zehn kleine Punkah

    Unabhängig davon, dass „zehn kleine Punkah“ Assoziationen mit einem gewissen, rassistischen Kinderlied wecken, ist der Sexismus und die Frauenverachtung, die in „Der letzte kleine Punkah ist voll einsam
    Randale macht ohne die ander’n Punkah kein Spaß
    Drum trifft er Neun and’re im Bett von deiner Mama
    So werden aus einem ganz schnell Zehn kleine Punkah“ stecken, nicht einmal mehr subtil. Come on, andere Typen aufgrund der Sexgewohnheiten ihrer Mütter abwerten? Junge, das ist nicht links und nicht emanzipatorisch, sondern mittlerweile sogar da, wo es herkommt, im Battle-Rap, ein peinlicher Move.4

    kein Blatt Papier

    In „Kein Blatt Papier“ wird seine Freundschaft zu einem anderen Mann beschrieben – dessen Frau kommt nur vor, weil sie ihm schon die Couch bereitgemacht hat, wenn er „keine Penne hat“. Eine Meinung oder Freundschaft zu ihm scheint sie nicht zu haben – er ist Familie für den Angesprochen, nicht für dessen Familie. Frauen als Beiwerk, als nützliche Objekte und Dienstleistungserbringerinnen.5

    (Ich bin ehrlich, ich möchte mich nicht durch die nächsten Jahre arbeiten. Aber machen wir erstmal weiter, ich werde dafür auch mit Kaffee versorgt. Küsschen an die Menschen im Hintergrund.)

    Voicemail

    2018 erschien „Randalieren für die Liebe“, in der das übliche Muster beibehalten wird. In der „Voicemail“ von Pat wird beklagt, dass das Album zu wenig „Mainstreamsongs“ hätte. „Wo, wo ist der Song, den Gertrude 5, beim Bügeln irgendwie mal locker mitsummen kann?
    Wo? Wo?“ – Klar. Gertrude, fünf Jahre alt, muss bügeln können. Kleine Mädchen gehören schließlich in die Küche und die Wäschekammer.6 (Das schlimme ist, es ist immer noch subtiler als in der Vergangenheit.)
    Edit: Mir wurde gesagt, dass meine Quelle fehlerhaft sei. Gertrude sei 53, nicht fünf. Der Sexismus (Frauen in die Küche, die Wäschekammer) bleibt meiner Meinung nach dennoch bestehen – es ist ein Trope, das nicht noch weiter gefördert werden sollte.

    Hassen oder Lieben

    In „Hassen oder Lieben“ wird die Kritik an ihnen damit abgeschmettert, dass sie „Patte machen“ und „die längste Penisse“ hätten. Feministische Kritiker_innen als „provinziell“, „neidisch“ oder „ungefickt“ darzustellen, ist ein tiefer Griff in die Mottenkiste der Misogynie. Außer einem „in Afrika verhungern die Kinder“-Take, wonach die Kritiker_innen selbst viel weniger links wären, weil sie Swiss und die Andern mit Eiern bewerfen, während „anderswo Menschen hungern“, kommt keine inhaltliche Auseinandersetzung. Diskreditierung statt Reflektion.7

    Älteres

    In den älteren Liedern (wir machen einen Sprung, ansonsten wird dieser Text wirklich viel zu lang) werden Frauen als „Votze“ bezeichnet8 und hindern entweder den Punk an der Entfaltung (die Frau als „häuslich bürgerlich“)9 oder stoßen ihn weg (weil er zu wenig Geld verdient)10 oder nutzen ihn aus11. Das transportierte Frauenbild ist wahlweise „unerreichbare Heilige“ (er liebt so sehnsüchtig, aber sie weiß nichts davon bzw. wurde grausam von ihm getrennt12) oder „bösartige Hure“ (er liebt sie, aber sie nutzt ihn nur aus13).
    Freundschaft wird vor allem zwischen Männern thematisiert, die im Zweifelsfall von ihren Frauen am Mann-Sein gehindert werden.

    Noch ältere Lieder, von Swiss damals noch solo veröffentlicht, thematisieren u.A. Sex mit toten Kindern14, Gewalt, Stalking/häusliche Gewalt/Folter/Gefangenschaft15, Vergewaltigung/Inzest/rape drugs16 (die Tatsache, dass es als Spendenaktion für dunkelziffer e.V. entstanden ist, macht die Themen der anderen Texte noch ein wenig ekelhafter) und Mord17, meistens grafisch beschrieben. (Bitte bedenkt das, bevor ihr euch die Quellen durchlest.) Auch hier sind Frauen die Objekte der Handlung, während den Tätern, als Subjekten, der Raum und die Definitionsmacht überlassen wird. Während damals Gewalt deutlich mehr Raum einnahm, wird die Frauenverachtung heute vor allem durch das Heilige/Hure Bild transportiert – in der „linken“ Szene machen sich vergewaltigte Frauen und tote Mädchen wahrscheinlich nicht so gut wie objektifizierte Frauen (weshalb Feminismus dringend notwendig ist, auch und gerade bei Zecken).

    Fazit

    Der Text hier ist sehr, sehr lang geworden – danke für die Menschen, die bis zum Ende gelesen haben. Abschließend kann ich nur sagen, dass ich entsetzt darüber bin, wie unreflektiert und fanatisch diese Band, aber auch der Sänger alleine, in „linken Kreisen“ angenommen und gefeiert werden. Andererseits wird diese Selbstdarstellung eben auch durch die sektenhafte Struktur der Sippschaften und die „Randale“ (also die aggressive Promotion) unterstützt und gefördert. Ich persönlich halte es für problematisch bis gefährlich, nicht intensiv auf „Swiss und die Andern“ aufmerksam zu machen und erwarte eigentlich von einer „linken“ Szene eine intensivere Auseinandersetzung als das plumpe Abfeiern von „wir sind gegen Nazis und den Staat“ – the bar is so low, you need a grave. (Der Anspruch ist so niedrig, du brauchst ein Grab (um ihn zu erreichen)).

  • Awarenessarbeit – Partypolizei mit Machtgelüsten

    Wir brauchen kein Awarenessteam. Wir sind doch schon alle aware und passen gut aufeinander auf! Awarenessarbeit ist überflüssig!

    Veranstalter.

    Sagen wir so, meine Sympathie mit den Veranstaltenden war zu dem Zeitpunkt ohnehin auf den Grad flüssigen Stickstoffs gesunken. Aber ich war ja nicht da, um den Veranstaltenden zu gefallen, sondern, um meinen Job zu machen.

    Awarenessarbeit

    Mein Job nennt sich „Awarenessarbeit“. Awareness kommt aus dem Englischen und bedeutet soviel wie „Achtsamkeit“. Im deutschen Sprachgebrauch wird damit eine Sensibilität gegenüber strukturellen Diskriminierungen und sexualisierter Gewalt gemeint. Ein Awarenessteam soll also dafür sorgen, dass Betroffene von sexualisierter Gewalt und/oder Diskriminierungen einen Anlaufpunkt haben. Wir sind die, an die sich Leute wenden können.

    Ein Awarenessteam ist nicht dazu da, betroffene Personen zu trösten oder mit ihnen über ihre Erfahrungen zu diskutieren. Wir wollen die Veranstaltung zu einem sichereren und diskriminierungsärmeren Raum machen. Meine Veranstaltungen sollen nicht sein wie Jeja Klein hier sehr gut kritisiert. Ich will kein Feigenblatt sein. Sondern fundamentale Veränderung.

    Umsetzung

    Es gibt verschiedene Varianten, wie Awareness aussehen kann. Ich persönlich habe eine sehr spezialisierte und konkrete Vorstellung davon, wie sie auszusehen hat. In meinen Workshops biete ich aber auch immer die jeweiligen Alternativen an.

    Definitionsmacht

    Definitionsmacht (oder DefMa) ist ein Konzept, dass Betroffenen die alleinige Macht gibt, Situationen als Übergriff zu bezeichnen. Entwickelt wurde das Konzept, um patriarchalen Strukturen (victim blaming) und bürgerlichen Gesetzestexten eine alternative, autonome und empowernde Möglichkeit entgegenzusetzen. Es ist also nicht Aufgabe des Awarenessteams, die Darstellung der betroffenen Person zu hinterfragen. Sie gehört als gegeben hingenommen

    Machtgefälle

    Machtgefälle. Nein, Awarenessteams sind nicht dazu da, dass sich „alle“ wohlfühlen. Wir sind dafür da, dass sich „vor allem Marginalisierte“ wohlfühlen können. Wir sind nicht die Schlichtungseinrichtung und wir sind nicht dafür da, auszudiskutieren, „ob das jetzt wirklich schlimm war“. Unser Job ist es, Marginalisierte zu schützen und zu unterstützen. Wer sich konfliktscheu zurückzieht und Nazis die Tanzfläche überlässt, weil sie ja (noch) nicht übergriffig waren, macht seinen Job falsch. Ja, Awareness schafft ein Machtgefälle. Dieses Machtgefälle gleicht (wenn auch nicht mal annähernd) das strukturelle Machtgefälle aus, das sexualisierte Gewalt und Diskriminierungen unterstützt und schützt.

    Voraussetzungen

    Awareness ist Arbeit. Wir sind diejenigen, die Ahnung von Substanzenkonsum haben müssen. (Weil wir vor allem auf Partys zwangsläufig diejenigen sind, die auch Menschen mit Überkonsum betreuen).
    Uns mit Gewalt auskennen, strukturelle Diskriminierung erkennen und benennen. Wir stehen (teilweise über Stunden) mit Betroffenen in engem Kontakt.
    Awarenessarbeit ist anstrengend. Sie ist belastend (physisch und psychisch). Es sollte definitiv nicht von Leuten gemacht werden, die zu langsam waren, als die Frage aufkam, wer „heute Abend die Awareness macht“.
    (In Teams, in denen ich arbeite, gibt es für neue Menschen ein Tandemprinzip, damit Leute voneinander lernen können. Außerdem ist die Faustregel „zwei Menschen pro Floor“, damit ausreichend Ressourcen für Fälle zur Verfügung stehen.)

    struktureller Ansatz

    Awarenessarbeit ist kein „Trost“. Wir sollen strukturelle Probleme auf eine individuelle Situation anpassen und erkennen. Danach eine Lösung für die Situation finden, welche die Diskriminierung mit einbezieht. Es geht nicht (nur) darum, einer Person über den Rücken zu streicheln und ihr zu sagen, dass alles gut wird. Eher darum, der Person zu ermöglichen, eine machtlose Situation in eine zu verändern, in der sie Selbst_Ermächtigung erfährt. Übergriffe sind in den meisten Fällen etwas, womit Betroffene aufgrund der gesellschaftlichen Struktur ohnehin dauerhaft konfrontiert werden. Awarenessarbeit ist, den Kreislauf von 1. Ich wurde in eine machtlose Situation gebracht.
    2. Niemensch hilft mir.
    3. Ich bleibe allein und machtlos.
    zu brechen und Menschen handlungsfähig zu machen.

    Abschluss

    Eine letze Anmerkung noch zu dem Typen aus dem Eingangszitat. Wenn hier alle so aware und achtsam wären, hätte ich nicht vor Beginn der Party zwei Shoa-leugnende-Hippies verweisen müssen. (In diesem Fall auch wichtig: Eine Security, die das Awarenesskonzept unterstützt.)

  • Jüdischer Widerstand – ein Gastbeitrag von Naomi

    In diesem Gerichtssaal hängt die Frage in der Luft, warum hat sich das [jüdische] Volk nicht erhoben. Als kämpferischer Jude protestiere ich mit aller Leidenschaft gegen diese Frage, soweit sie auch nur die Spur eines Vorwurfs enthält. Dem Mann [Adolf Eichmann], der mir hier gegenüber sitzt und den 80 Millionen, die auf der Straße das Lied sangen ‚Wenn Judenblut vom Messer spritzt‘, denen schulde ich keine Antwort.

    Abba Kovner, während des Eichmannprozesses

    Diese Worte sprach Abba Kovner, leidenschaftlicher Widerstandskämpfer aus Vilnius, während des Eichmannprozesses in Jerusalem. Er antwortete damit auf eine zentrale Frage, die sich bis heute zahlreiche Menschen innerhalb und außerhalb der jüdischen Community stellen.

    Auf der, vom fzs, von JSUD und anderen studentischen Gruppen 2019 organisierten, Deutsch-Israelischen Studierendenkonferenz wurde eine Diskussionsrunde mit Shahar Arieli, Botschaftsrat und außenpolitischer Sprecher der Israelischen Botschaft in Berlin, veranstaltet. In dieser ging es auch um die Bedeutung der Worte „Never Again“. Nach Arieli bedeuten diese Worte für die Jüdische Gemeinschaft, dass sie sich nie wieder wehrlos gegenüber einer solchen Katastrophe ergeben werden. Auch dieser Ausdruck fügt sich ein in das Narrativ folgender Frage: Warum lies die Jüdische Bevölkerung die Shoah über sich ergehen? Warum gingen sie „wie die Schafe zur Schlachtbank“?

    „Wie die Schafe zur Schlachtbank“
    Noch immer wird dieses Narrativ präsentiert. Was wird damit impliziert? Die „Juden“ hätten sich nicht gewehrt, sie wären also in Teilen selber Schuld an dem, was passiert ist. Wenn sie überleben, nicht untergehen sollen, dann brauchen sie andere Leute, die sie beschützen. Zelebriert werden also meist (deutsche) Widerstandskämpfer_innen, um sich selbst das Gefühl zu geben, es wären ja nicht alle schlecht gewesen, es hätte auch „gute Deutsche“ gegeben. Die einzige Geschichte, die hin und wieder bekannt ist, ist die des Aufstands im Warschauer Ghetto. Er wird jedoch weniger als Befreiungsversuch dargestellt, sondern vielmehr symbolisch für die Brutalität des NS-Regimes verwendet und präsentiert.

    Max Czollek spricht in „Desintegriert Euch!“ davon, dass die „Juden“ Objekte sind, anhand deren die Deutschen ihre Identität als geläuterte Gesellschaft entwickeln und aufrechterhalten können. Dieses Bild schließt sich auch das von mir dargestellte Narrativ ein. Wehrhafte jüdische Menschen würden einfach nicht hineinpassen.

    Wie perfide dies ist, zeigt sich anhand des oben bereits erwähnten, symbolischen Zitat „wie die Schafe zur Schlachtbank“. Dieses Zitat wurde von ebenjenem Abba Kovner benutzt. Nicht jedoch als Beschreibung der Shoah:

    „Jüdische Jugend! Traut nicht jenen, die euch zu täuschen versuchen. Hitler plant die Zerstörung aller Juden [sic!] in Europa. […] Wir werden nicht wie die Schafe zur Schlachtbank gehen! Es stimmt dass wir schwach und wehrlos sind, aber die einzige Antwort auf den Mörder ist Widerstand! Brüder! Lieber fallen wir als freie Kämpfer[_innen] als bei der Gnade der Mörderer[_innen] zu leben. Wehrt euch! Wehrt euch bis zum letzten Atemzug!“

    Abba Kovner, Anfang 1942

    Diese Worte fielen Anfang 1942. Sie stehen in komplettem Widerspruch zum Narrativ, welches sich hinter diesem Zitat heute verbirgt. Ein Narrativ, das nicht nur einen Jüdischen Schlachtruf für sich beansprucht, sondern dessen Bedeutung fundamental die eigentlichen Tatsachen verschweigt. Ein Narrativ, das jedoch nicht überall besteht, denn die US-Amerikanische jüdische Community zelebriert und gedenkt dem Widerstand.

    Welche Folgen hat dies alles? Es gibt kein Selbstbewusstsein, kein Bewusstsein hinsichtlich des Widerstands, geschweige denn Gedenken oder Zelebrieren. Jüdische Menschen werden noch weiter zu Objekten degradiert. Nicht nur zum Bekämpfen oder Erlangen der Absolution, sondern auch zum Beschützen und Verteidigen. Quer durch die Lager hinweg, von Antideutschen, die „ein sicheres Zuhause für ihre jüdischen Freund_innen“ schaffen wollen und in diesem Kontext Bestrafungen auch innerhalb von Freundeskreisen verteilen, bis hin zu Nationalist_innen, welche die Jüdische Bevölkerung vor dem bösen Islam schützen wollen. Wahrlich, ihr seid edle Ritter_innen, was wäre ich armes, kleines, jüdisches Wesen nur ohne euch. (Sarkasmus aus).

    Das ist keine Hilfe, das ist Bevormundung. Ich will und ich werde mich nicht von Goyim (nichtjüdische Menschen) abhängig machen, nur damit sie sich ach so geläutert, ach so offen, ach so anti-antisemitisch präsentieren können. Eine Abhängigkeit, symbolisch an der Thematik der stabilen Holztür in Halle darstellbar.

    Wir haben gekämpft und gesiegt! Wir haben in Konzentrationslagern Menschen befreit, in Armeen und in Partisan_innengruppen Wehrmacht und SS das Leben schwer gemacht! Wir haben Menschen versteckt, zur Flucht verholfen, außer Landes gebracht und versorgt, teilweise gegen unsere eigenen Leute.

    Abba Kovner, Vitka Kempner, Itizk Vitnberg, Zivia Lubetkin, der Aufstand in Sobibor, die Armée Juive, die FPO …

    Wir werden sie ehren. Und wir werden all dies, wenn es sein muss, wieder tun. Mag sein, dass nur die Alliierten Deutschland besiegen konnten und nicht wir allein, mag sein, dass Polizei vor Synagogen weiterhin notwendig ist (und am Ende dennoch stabile Holztüren uns besser schützen als die vormals so edlen Ritter_innen). Aber uns die Schuld dafür geben? Niemals! „[…] den 80 Millionen, die auf der Straße das Lied sangen ‚Wenn Judenblut vom Messer spritzt‘, denen schulde ich keine Antwort.“

    Gerade jetzt braucht es keine Geschichten der Angst und des Leids. Es braucht Wehrhaftigkeit, Widerstand und vor allem Selbstbewusstsein. Widerstand muss zelebriert werden, denn er zeigt, dass wir uns wehren können, wehren dürfen! Liebe Goyim, mit welchem Recht nehmt ihr uns diese Geschichten weg, mit welchem Recht zelebriert ihr, gerade ihr, euren Widerstand, ohne unseren zu erwähnen? Wenn ihr tatsächlich Hilfe sein wollt, dann verteidigt uns nicht nur, sondern helft uns, unsere Wehrfähigkeit, unser Selbstbewusstsein zu erlangen!

    Disclaimer: Es gab und es gibt auch in Deutschland Personen und Projekte, welche Widerstand, auch jüdischen, zelebrieren und ehren. Ihnen gebührt Dank, dass sie diese Erzählung, dieses kleine Licht, am Leben halten.

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