Schlagwort: Diskriminierung

  • Über Transmisogynie und Transfeindlichkeit – „u can’t trust the AFAB!“

    „Afab nichtbinäre Personen werden immer die sein, die transmisogyn sind. Du kannst ihnen nicht trauen!“

    Ein Take auf Twitter, unterschiedlich gesehen, zusammengefasst und verkürzt. Von trans Frauen geteilt und favorisiert. Schwierig, freundlich ausgedrückt, finde ich.

    Aber fangen wir mit Begriffsdefinitionen an. Ich mag Definitionen, sie bringen alle Beteiligten auf das gleiche Level an Informationen. Weniger Raum für Interpretationen, mehr klare Kommunikation. Winwin – und so.

    Transfeindlichkeit: Abwertung von trans Personen, weil sie trans sind. (Die Kurzfassung.)
    AMAB: Assigned male at birth (bei der Geburt dem männlichen Geschlecht zugeordnet.)
    AFAB: Assigned female at birth (bei der Geburt dem weiblichen Geschlecht zugeordnet.)
    Transmisogynie: Eine bestimmte Form der Transfeindlichkeit, die nur transfeminine Personen betrifft.

    Jetzt kommen die Langfassungen und die Begründungen, warum ich den Take so schwierig finde.

    Kindern wird – durch Genitalienbeschau – ein Geschlecht zugeordnet. Dieses Geschlecht wird mit Erwartungen verknüpft, die wiederum mit den Genitalien gleichgesetzt werden. Ein Penis = cis Männlichkeit. Eine Vulva = cis Weiblichkeit. Diese Zuordnung an und für sich ist bereits inhärent transfeindlich, weil Genitalien kein eigenes Geschlecht haben – sie haben nur das Geschlecht der Person, zu der sie gehören. Gleichzeitig ist es eine Gleichsetzung, mit der wir in dieser Gesellschaft aufwachsen – und die erst mühsam verlernt werden muss.
    Währenddessen wird AFAB Personen beigebracht, dass von Jungs und Männern (also innerhalb der cissexistischen Gesellschaft „Menschen mit Penis“) eine gewisse Gefahr ausgeht. „Selbst wenn sie dich mögen, werden sie dir wehtun.“ ist der Schlüsselsatz, der hängenbleibt, wenn „was sich liebt, das neckt sich“ und „der X, der meint das nicht so, wenn er dir an den Haaren zieht, der kann nur seine Sympathie nicht anders ausdrücken“ als Relativierung und „boys will be boys“ verwendet wird. „Geh nicht alleine nach Hause!“, „Geh nicht im Dunkeln nach Hause!“, „Zieh das nicht an!“ sind ebenfalls Glaubenssätze, mit denen AFAB Personen aufwachsen – und die auch in „züchtige Kleidung für die Schule“ Verwendung finden. Selbst bei den berechtigten Kritikstürmen, die regelmäßig entstehen, wenn Schulen auf so eine Idee kommen – die grundsätzliche Annahme, das AFAB Körper sexualisierend und problematisch sind, bleibt bestehen. (Etwas, wogegen der Feminismus seit Jahren kämpft. Aus Gründen.)

    Wir haben also eine Ausgangslage, die für trans Frauen in feministischen Räumen ziemlich beschissen ist. Weil die Gleichsetzung von Genitalien mit Geschlecht und die daraus folgende Erziehung zu Männern als „Gefährdern“ in Form von Transmisogynie direkt auf (trans) Frauen projiziert wird. Und während feministische Strukturen gegen Patriarchat und Sexismus kämpfen, unterstützen sie häufig aufgrund dieser unreflektierten Projektion den Ausschluss von trans Frauen aus feministischen Räumen. Das beginnt bei „Frauen*“ und endet beim „transsexual Empire“ und dem richtig harten TERF-Shit.

    Wir haben aber auch eine Ausgangslage, die AFAB nichtbinäre Personen zu „Frauen light“ oder auch „cis Frauen mit ein bisschen Glitzer“ erklärt. Schließlich wollen sie sich aus der patriarchalen Kategorie „Frau“ lösen, aber ja „nicht so richtig“ (i.S.v. binäre Transition.) Das kann dazu führen, dass AFAB nichtbinäre Personen (und teilweise trans Männer) Zugang zu feministischen Räumen haben, der AMAB Personen verwehrt bleibt. Aufgrund internalisierter Transmisogynie wird dann diese Form von Transfeindlichkeit („Frau light“) als Waffe gegen unliebsame AMAB Personen verwendet. Weil „Penis = Mann = gefährlich“ oft nicht ausreichend reflektiert wird – und tief in der derzeitigen Gesellschaft steckt. Weil AFAB Personen von Kindheit an die Gleichsetzung „Penis = Männlichkeit = Gefahr“ internalisiert haben, projizieren sie diese in Form von Transmisogynie auf trans Frauen und AMAB nichtbinäre Personen, was zum Ausschluss jener aus feministischen Räumen führt. Im Wissen, dass sie als „weiblich gelesen“ bzw. „Frauen light“ in feministischen Räumen eher Schutz zu erwarten haben, da bei anderen AFAB Menschen (wie beispielsweise cis Frauen) der gleiche Bias besteht. Muss bewusst verlernt werden, muss nicht bewusst passieren. Aber. Hat bewusst verlernt zu werden. Ja.

    Aber auch AFAB Personen leiden unter Transfeindlichkeit.

    1. „Aufsteigen“ im Patriarchat muss bestraft werden, weil „Frau muss an ihren Platz“.
    2. Fragile Heterosexualität, weil cis male Heten AFAB bestrafen müssen, dass sie auf selbige stehen, weil Bedrohung ihrer Heterosexualität.

    AMAB Personen erleben es in folgender Ausprägung:

    1. Die Transgression bei einer transfem Transition ist größer. („Mann sein zu wollen“ gilt als „natürliches Streben der Frau“) Bei AMAB Transition wird es dagegen als „pathologiesierender Wahnsinn“ wahrgenommen – und abgewertet.
    2. Fragile Heterosexualität und (CN T****) are gay aka gay/trans panic defense.

    Schlussendlich läuft Transfeindlichkeit also grundsätzlich auf eine Angst vor der Fragilität des Cistems hinaus. Transmisogynie dagegen ist die Projektion internalisierter Erwartungen an Männlichkeit auf Frauen. (Auch gerne mit vermeintlich „männlicher Sozialisierung“ begründet. Was die Komplexität von Sozialisation zwar unfassbar verkürzt, aber hübsch einfach klingt.)

    Als Person, die sehr lange (fast zehn Jahre) in femicistischen Gruppen aktiv war, kann ich aber – im Gegensatz zu transfemininen Personen, die diesen Zugang nie erhielten, auch diese Sichtweise beitragen:
    Die gefallene Schwester zu sein, die im Patriarchat aufsteigen will und den Feminismus verraten hat, der mehr oder weniger direkt psychiatrischer Aufenthalt nahegelegt wird und die gleichzeitig weder im Feminismus, noch auf der Straße stealth (also im korrekten Geschlecht, aber unerkannt) leben kann, von „du verstümmelst deinen Körper“ ganz abgesehen – der Vergewaltigungsvorwurf kommt auch da. Spätestens, wenn 1 mit Testo anfängt, weil wieder „Testosteron = Männlichkeit = Gefahr“ greift.

    Ja, es gibt bestimmt AFAB Personen, welche den Vorteil des „feministische Räume schützen mich“ gegen AMAB Personen verwenden. Das ist problematisch. Daraus einen Vorwurf an eine Gruppe zu imaginieren, die ebenfalls massiv unter dem Cistem leidet – und niemals die Option auf Passing (als das Geschlecht wahrgenommen werden, das 1 ist) hat – ist mindestens genauso problematisch.

    Der eigene Tellerrand eignet sich nur schlecht bis gar nicht für eine strukturelle Machtanalyse.

  • Suck my dick, Boi!

    Ich bin wütend. Ich bin außerdem aufgedreht, empowert und habe Lust auf Sekt, aber vorher will ich diesen Artikel schreiben, solange der Eindruck noch frisch ist.

    Linke Männer. Nehmen wir einen Typen, nennen wir ihn Matze. Matze ist gar kein Macker, Matze ist „kritisch männlich“. Matze kennt alle Buzzwords (Feminismus, Aktivismus, Anarchismus, Männlichkeit, Diskriminierung). Matze lebt schon irgendwie in einer offenen Beziehung, zumindest hat seine Freundin zugestimmt, dass er herumvögeln kann. Laut ihm kommt sie damit zwar nicht gut zurecht, aber er hat halt so große Lust dazu.

    Matze ist ein Arschloch. Aber weil Matze das immer nur bei einzelnen Personen macht, wird Matze dafür nicht zur Rechenschaft gezogen. Matze trifft vor allem FLINT-Personen. Er übertritt keine Grenzen, er verschiebt nur Grenzen immer weiter nach hinten, bis er bekommt, was er will.
    Wird er dafür kritisiert, tut er überrascht – er würde NIE eine Grenze überschreiten, das wäre ja fürchterlich!
    Zurück bleibt eine verwirrte Person, die ihre eigenen Erfahrungen hinterfragt. Aber Matze ist für ihre emotionalen Bedürfnisse auch nicht zuständig, schließlich sei ja alles casual und abgesprochen.

    Im besten Fall redet diese Person mit Freund_innen. Im allerbesten Fall trifft die Person Menschen, die ebenfalls Erfahrungen mit Matze haben. Und dann stellen alle fest: Es sind immer wieder die gleichen Geschichten, sie unterscheiden sich nur situativ. Hinterher steht im Raum… …was jetzt? Und: Warum haben wir das nicht viel früher erkannt?

    Weil patriarchale Strukturen auch in linken Räumen ein Problem sind. Weil Menschen wie Matze geschickt darin sind, ihr manipulatives Verhalten hinter „Szenezugehörigkeit“ zu verstecken. Weil FLINT immer noch vorgeworfen wird, sie würden ihre „persönlichen Probleme“ in Gruppen tragen, wenn sie darüber reden wollen. Weil das private, das sexuelle bitte innerhalb der eigenen vier Wände zu bleiben hat. Weil linke Räume immer noch eher Rufmord wittern, als Verhalten zu hinterfragen.
    Weil das Patriarchat auch unsere Szene vergiftet und FLINT die Verantwortung bei sich suchen, anstatt auf ihre eigenen Grenzen zu hören und sie zu beachten.

    Wir alle kennen einen solchen Matze. Aber die Szene ist klein, wir können nicht alle cis Dudes verlieren, die irgendwie uncool sind. Und wir wollen ja auch nicht, dass Menschen Angst vor einem Outcall haben müssen.

    Wollen wir nicht? Ich schon. Ich will, dass Menschen den Arsch hochkriegen. Und wenn sie es aus Angst vor feministischer Intervention tun, nun, dann ist dem eben so. Befreite Gesellschaft heißt, dass wir Normen überwinden und die des Patriarchats sind eindeutig Teil davon. Ich will ohne Angst reden können. Ich will das Private politisch machen.

    Und vor allem… Ich will Anerkennung für die Arbeit, die jeder Matze auslöst. Treffen organisieren. Erfahrungen abgleichen. Die eigene Betroffenheit von Übergriffen anerkennen. Die Auseinandersetzung mit eigenen Emotionen. Die Übersetzung eigener Emotionen in strukturelle Diskriminierungen. Die Abgrenzung. Das Aushalten von Schmerz, von „Warum hab ich nichts getan“, von internalisiertem victim blaming.

    Das Verhalten von Matze hat Auswirkungen – und die wenigsten Matze machen sich Gedanken darum. Nebenbei Tätertum – obwohl ja „eigentlich“ nichts schlimmes passiert ist. Bla.

    Ich möchte einen umfassenden Feminismus. Kein Feigenblatt, keine Kirsche auf der Torte. Und ja, heute bin ich nicht analytisch. Ich bin wütend über das Patriarchat und glücklich, dass Empowerment wichtig ist, richtig ist und funktioniert. Und jetzt gönne ich mir Sekt mit Glitzer und zeige den Matzes dieser Welt den Mittelfinger.

    Suck my Testodick, Boi.

  • „Kritische Männlichkeit“- Kritik

    „Ich habe meine Privilegien reflektiert und mir ist bewusst, dass dies nicht mein Sprechort ist, dennoch möchte ich sagen…“ – ich verdrehe innerlich die Augen. Ein weiteres Mal habe ich einen „kritischen Mann“ kennengelernt. Kritische Männlichkeit ist mittlerweile in Teilen feministischer Kreise der neue, heiße Shit. Ermöglicht sie doch Männern (hier vornehmlich cis Männern), sich aus dem patriarchalen Gefüge herauszulösen und ein besserer, ein kritischer Mann zu werden.

    So zumindest die Theorie und die Überzeugung jener, die ihre „kritische Männlichkeit“ wie einen Schild vor sich tragen. Ein Beispiel ist mein Exemplar von oben. (Seine gesamte Selbstreflektion hat ihn nicht daran gehindert, mir danach zu erklären, warum ich in all meinen Äußerungen falsch läge. Scheint ja gewirkt zu haben.)

    Wir merken, ich bin ein wenig ungehalten. Aber nun gut. Kommen wir zuerst zur Theorie.

    Patriarchat

    Wir leben alle im Patriarchat. Das Patriarchat hat ein sehr enges Bild von Geschlecht und dessen, wie Geschlecht performt werden muss. So werden Männer als stark, durchsetzungsfähig, entschlossen, mutig, objektiv (…) beschrieben – und die Performance dieser Eigenschaften im Umkehrschluss von ihnen erwartet. Das Bild von Männlichkeit (und in Abhängigkeit dazu Weiblichkeit) ist dabei gesellschaftlich wandelbar, gleichzeitig bleibt die Aufwertung des Mannes. (Alternativ dessen, was als „männlich“ definiert ist.) Einhergehend damit die Abwertung alles nicht-männlichen. (Weiblichkeit, aber auch Queerness und cis Männer, die sich nicht den Erwartungen an Männlichkeit anpassen können/wollen.)

    cis Männlichkeit

    Männlichkeit ist dabei (dank Kolonialismus) universell, wir wissen aufgrund unserer Sozialisierung intuitiv „wie ein Mann zu sein hat“. Es wurde uns bereits von Geburt an wissentlich und unwissentlich beigebracht. Durch den äußeren Druck und Zwang zur Performance entsteht ein Muster, das als „toxische Männlichkeit“ bekannt ist. Namentlich ist es das Konzept, dass unter den Erwartungen an Männlichkeit nicht nur diejenigen leiden, die vom Patriarchat als „das andere Geschlecht“ gekennzeichnet werden, sondern auch diejenigen, die den Zwang zur Performance verspüren. Kurz: Unter dem Patriarchat leiden auch cis Männer, unter Sexismus jedoch nur nicht-cis Männer.

    kritische Männlichkeit

    Das Verlernen dieser Erwartungen (die keinesfalls biologisch begründet sind) ist hierbei der Knackpunkt – und da setzt „Kritische Männlichkeit“ an.
    Schwerpunktmäßig werden in Vorträgen, Workshops, „kritischen Männlichkeitsrunden“ und den wenigen Büchern zum Thema zunächst die Erwartungen an Männlichkeit analysiert. Dann sollen sie schlussendlich geändert werden können.

    Meist richten sich die Aufrufe dieser Veranstaltungen explizit (und teilweise ausschließlich) an cis Männer. Schließlich sind sie diejenigen, um die es hauptsächlich geht. Gleichzeitig geht es in den meisten Runden, die ich erlebt habe, vor allem darum, Einzelfallsituationen und Verhaltensweisen zu analysieren. Im besten Fall hat es etwas von Gruppentherapie bzw. Selbsthilfegruppe, im schlechtesten Fall von „wir klopfen uns gegenseitig auf die Schulter und vermeiden direkte Kritik, immerhin haben wir uns alle schon mal irgendwie mies und/oder diskriminierend verhalten“. Alternativ wird direkte Kritik geübt und dann in die einzelne Verhaltensweise abgetaucht und ergründet, auf welchen gesellschaftlichen Strukturen sie beruht. Am Ende ist die Gruppe so weit in den Metaebenen der strukturellen Konstruktionen verschwunden, dass die einzelne Verhaltensweise mikroskopisch klein und unbedeutend wirkt.

    Nabelschau

    Die Gefahr hierbei ist, dass am Ende des Tages zwar sehr viel über strukturelle Diskriminierung, Erwartungen an Männlichkeit, Männlichkeit im Spiegel der Gesellschaft und ähnliche Dinge gesprochen wurde, aber das konkrete Verhalten nicht verändert wird.
    „Ich habe meine Privilegien reflektiert“ ist ein hübscher, aber unsinniger Satz. Er beruht auf der Tatsache, dass die Person jetzt möglicherweise ein erweitertes Wissen gewonnen hat, aber damit dennoch nichts tut.
    Die reine Nabelschau der eigenen Privilegien ändert weder an den Privilegien, noch an den diskriminierenden Strukturen oder den Verhaltensweisen der einzelnen Person etwas. Im Gegenteil. Gleichzeitig wird diese Reflektion als Argumentation verwendet, um die eigene Machtposition zu sichern, ohne sie als Machtposition anerkennen zu müssen. Die Arbeit (namentlich die Erkenntnis der eigenen Privilegien) haben sie schließlich bereits geleistet.

    erlernte Hilflosigkeit

    Die Erkenntnis, Teil einer diskriminierenden Struktur zu sein (gleichzeitig als Profiteur und als Betroffener) ist schmerzhaft, der Widerspruch schwierig auszuhalten. Gleichzeitig betrifft diese Struktur sowohl Vergangenheit, als auch Gegenwart. Sie ist schwierig bis unmöglich von Charakter und Sozialisierung der einzelnen Person zu trennen. Dennoch ist diese Trennung notwendig, um aus der Analyse konkrete Verhaltensweisen ableiten zu können.

    Beispielsweise hilft es nicht, zu wissen, dass cis Männer durchschnittlich einen höheren Redeanteil haben als nicht-cis Männer. Die Frage ist auch, woher dieser Redeanteil kommt und etwas dagegen tun zu können. Ähnlich verhält es sich mit der Erkenntnis, dass cis Männern selten bis nie lernten, auf konstruktive Weise über Emotionen zu reden. Die Sozialisierung als cis Mann sieht diese Verhaltensweise schlicht nicht vor. (Die Sozialisierung von nicht-cis Männern dagegen, sich vor allem um die emotionalen Belange ihrer Mitmenschen zu kümmern, tut ein übriges.) Bleibt die Frage: Wer bringt diese Verhaltensweise bei? Wie wird diese Verhaltensweise produktiv?
    Wie trennen wir die emotionalen Bedürfnisse gegenüber nicht-cis Männern von dem Anspruch, dass diese von der emotionalen Arbeit ent- und nicht belastet werden? Wo beginnen unsere Bedürfnisse, wo endet unsere Sozialisierung? Wie kann das getrennt werden, ohne, dass sich Personen in der Analyse und Nabelschau völlig verzetteln?

    Theorie statt Praxis

    Diese Fragen werden in den meisten Kontexten, die sich mit „Kritischer Männlichkeit“ beschäftigen, im besten Fall angerissen, nicht aber beantwortet. Hier spricht eine Gruppe von Menschen, die ein pro:feministisches Café organisiert hatten, von ihren Erfahrungen mit kritischer Männlichkeit. Und spart dabei nicht mit Selbstkritik.

    Schwerwiegender ist die Auswirkung von „Kritischer Männlichkeit“, wenn selbige als Waffe wahrgenommen wird, um die eigene Machtposition zu sichern. Die Erkenntnisse verwenden diese Männer, sich besonders „woke“ und „reflektiert“ darzustellen. Nur, um dann die eigenen Bedürfnisse (emotionaler und politischer Literatur) in den Vordergrund zu rücken. Hier ist ein sehr guter Artikel, der sich mit linken Männlichkeitsbildern auseinandersetzt und diese kritisch beleuchtet.
    Gleichzeitig haben diese Männer das Vokabular erlernt, um ihre Bedürfnisse nicht „mackerhaft“, sondern „bedürfnisorientiert“ zu kommunizieren. Am Ende jedoch diejenigen zu sein, welche eine Debatte dominieren. Kritikabwehr mittels emotionaler Verletzlichkeit und die Verantwortung für einen liebevollen, freundlichen Umgang denjenigen gegeben, welche kritisierten. Das Eingehen auf Kritik elegant vermieden. Schließlich geht es dann nicht mehr um inhaltliche Fragen, sondern um Emotionen – und die BeKümmerung selbiger. Es wird Sprachkritik noch und nöcher geübt – aber die Strukturen bleiben die gleichen.

    Statt Nabelschau und Sprachkritik – für eine effektive Änderung der Verhältnisse!

  • Autismus, Baby!

    Frisch diagnostiziert sitze ich bei meiner Therapeutin. Sie hat keine Expertise bezüglich Autismus, sagt sie selbst. Sie weiß, dass es das gibt und wie die Diagnoseverfahren grob laufen – mehr nicht.
    Zuerst erklärt sie mir, dass sie bezweifelt, dass ich Autismus habe. Bei ihr wirke ich erst so, wie es im Gutachten steht, seitdem es im Gutachten steht.


    Ich denke mir: „Ja, weil ich jetzt die medizinische Erlaubnis habe, nicht immer angepasst sein zu müssen. Weil es jetzt okay ist, das ich krasse Überforderungen auch einfach nicht tue. Wie beispielsweise, Ihnen in die Augen sehen zu müssen.“ Aber als ich das sage, wirkt sie nicht überzeugt. Aber sie hat mir auch nicht geglaubt, dass ich trans bin oder eine HRT haben darf. Das hat ihr „Bauchschmerzen“ bereitet.

    Vermeidung

    Ich sitze verkrampft da. Ich sitze eigentlich immer im Gespräch verkrampft da. Ab und zu sagt sie mir, ich solle aufrecht sitzen. Ich richte mich dann auf. Stimmen ist auch verboten, weil Stimming würde bedeuten, dass ich das „innere Kind“ alleine lasse. Ich versuche also, unauffällig zu stimmen, aber ich darf mich dabei nicht erwischen lassen. Zum Glück erkennt sie viele Stimmingmethoden nicht. (Nicht behandeltes Stimming bei Autismus kann zu chronischen Schmerzen führen, weil beispielsweise auf Zähneknirschen oder Muskelverkrampfungen ausgewichen wird.)

    Es ist Schematherapie, ich muss mich also in die verschiedenen Modi begeben. Es gibt Elternmodi (die sind abwertend oder verlangen zu viel in Bezug auf (emotionale) Leistung), Bewältigungsmodi (Vermeidung, Unterwerfung, Überkompensation) und Kindmodi (wütendes, glückliches, verletzliches, impulsives Kind). Und ein sogenanntes „gesundes Erwachsenes“, das einerseits alles koordinieren soll, andererseits sich um den Modus des verletzlichen Kindes kümmern soll.

    „In die Modi begeben“ heißt Rollenspiele. Ich muss dieser Modus sein. Gleichzeitig darf ich nicht von den Modi als unterschiedliche, sich austauschende Persönlichkeiten denken, ich darf nicht von „wir“ sprechen. Warum? Keine Ahnung. Weil die Therapeutin sagt, dass das falsch ist.

    Überforderung

    Wenn ich Dinge nicht verstehe (und ich verstehe viele Dinge nicht), darf ich nicht nachfragen, weil kognitives Verständnis Teil der Vermeidung ist. Sagt meine Therapeutin.
    (Es ist auch die Art, wie Autismus sich äußert, aber das darf ich nicht sagen.)
    Sie versteht mich häufig nicht, wenn ich versuche, mit ihr zu kommunizieren. Da sind Worte und ich weiß, dass ich mit diesen Worten etwas wichtiges aussagen möchte, aber es kommt nicht an. Und wenn ich darüber verzweifele, dass ich mich nicht verständlich machen kann, dann sagt sie, es wäre eine wütender Modus. Oder Vermeidung.

    Die Depression könnte eine organische Krankheit sein, die organische Auswirkungen hat. Oder eine psychische Krankheit, die organische Auswirkungen hat. Oder eine „Strategie eines Bewältigungsmodus“, die organische Auswirkungen hat. Die organischen Auswirkungen sind da, die merke ich. Aber sie hat gesagt, dass die Bewältigungsmodi dazu da sind, das „innere Kind“ zu schützen. Die Depression (zumindest die organischen Auswirkungen wie Müdigkeit, Überempfindlichkeit, Geräuschempfindlichkeit, Schmerzen) sind aber doch kein Schutz? Das passt nicht. Das fühlt sich bis auf die Knochen verschoben und falsch an. Oder sind es keine depressiven Symptome? Ist es Autismus? Ich bin verwirrt.

    Overload

    Manchmal versuche ich, eine eindeutige Antwort zu bekommen. Ich bettele um eine Antwort. Ich verstehe das nicht. Sie sagt, ich solle nicht wütend sein. Das wäre Vermeidung. Ich sitze doch im Modus des gesunden Erwachsenen, der wäre aber zu wenig da. Ich solle den gesunden Erwachsenen verkörpern. Das würde ich aber nicht tun.

    Ich bin aber nicht wütend, ich versuche, ihr wichtige Dinge zu erklären. Aber „Dinge erklären“ ist Vermeidung, sagt sie. Ich weiß nicht, wie ich etwas richtig machen soll, wenn ich es nicht verstehe. Aber ich bekomme keine Bedienungsanleitung oder Handlungsanweisungen. Ich soll sie mir selbst erarbeiten, aber ich weiß nicht, wie.
    Ich kann doch nur Dinge aufschreiben, die ich bereits erfahren oder erkannt habe.
    Aber sie sagt, ich muss das selbst entwickeln. Beispielsweise, was eine „gesunde Beziehung“ ist. Aber ich kann das nicht, weil jedes Beispiel einer gesunden Beziehung auch Zeichen einer toxischen Beziehung sein könnte und es da keine klare Trennlinie gibt. Wie soll ich  Beispiele sammeln, wenn es keine klare Trennlinie gibt?

    Shutdown

    Ich sage ihr das. Sie sagt, sie wird sich nicht auf die Strategie der Vermeidung einlassen. Ich fange an zu wippen. Sie sagt, ich muss damit aufhören, ich würde das „innere Kind“ alleine lassen. Redet immer weiter. Wird immer lauter in meinen Ohren. Ich wippe stärker. Sie sagt, ich soll aufstehen und den Stuhl wechseln. Ich bettele, dass sie den Mund hält, ich kann nicht mehr. Ja, ich weiß, dass ich nicht wippen darf, aber ich kann nicht aufhören. Ich falle auseinander. Ich brauche das Wippen gerade. Sie hält den Mund. Ich kann ein bisschen atmen. Setze mich auf anderen Stuhl. Benutze mein StimToy zum stimmen.

    Sie erkennt das StimToy nicht als StimToy. Ich habe aufgehört zu wippen. Habe mich brav an ihre Aufgaben gehalten. Sie gibt mir eine Aufgabe. Ich merke, dass ich wegdrifte. Kann nicht mehr sprechen. Ich nehme mein Handy. Nehme meine Tasche. Ich gehe. Bin ein kleiner Ball, innen eingerollt in mich. Ich kann nicht mehr sprechen. Ich weiß, dass sich meine Menschen darum kümmern werden, dass ich nach Hause komme.
    Shutdown.

  • Krümel und Kuchen

    WIR WOLLEN KEIN STÜCK VOM KUCHEN, WIR WOLLEN DIE GANZE BÄCKEREI!

    Einer der beliebtesten Demosprüche vor allem feministischer Demonstrationen. Er signalisiert, dass die Betroffenen durchaus sehen, dass ihnen zwar ein bisschen gleichberechtigter entgegengekommen werden soll, aber sie eben nur ein Stückchen abhaben sollen, obwohl es grundsätzlich um eine gleichberechtigte Teilhabe geht, um ein selbstbestimmtes Leben, ohne Kapitalismus, ohne Patriarchat. Eben um die ganze Bäckerei.

    Ich war Teil dieser Demonstrationen. Ich war acht Jahre Feministin, bevor ich erkannte, dass ich Feminist_in bin. Das ich zwar sehr lange für eine Frau gehalten wurde, aber keine Frau bin – sondern nichtbinär, genderfluid. Ich hab meinen offiziellen Namen, meinen Personenstand und meine Anrede ändern lassen und eine Hormonersatztherapie begonnen.

    Ich wusste, es würde Änderungen bedeuten. Ich wusste, es würde Menschen irritieren und bereits der Weg hin zu den rechtlichen Änderungen gab mir einen Vorgeschmack dessen, was meine bloße Existenz mit der Gesellschaft machte – sie irritieren, verunsichern und viel zu oft war die Reaktion mehr oder minder gut versteckte Aggression.

    Was ich nicht erwartet hatte, war, wie viel Einfluss es auf meine feministische Arbeit haben würde. Ich war plötzlich nicht mehr gleichberechtigt in feministischen Kämpfen, sondern „nur noch“ trans. Mir wurde – und wird – das Recht abgesprochen, Teil vom 08. März sein zu dürfen, da ich ja nicht die gleichen Diskriminierungen erfahren würde wie Frauen.
    Teilweise wurde ich aus Gruppen ausgeschlossen, da die Quotierung nur für Frauen galt und meine Anwesenheit eine cis-männliche-Dominanz bedeutet hätte.
    Mein Körper wird vereinnahmt, wenn es um (ungewollte) Schwangerschaften geht, während meine intellektuellen Beiträge ausgeklammert werden, da diese ja nur trans Personen betreffen würden und für den feministischen Diskurs keinen Mehrwert hätten.

    Auf der nächsten „Marx ist Muss“ wird es Veranstaltungen geben, die sich zum Schwerpunkt gemacht haben, trans Kämpfe und Frauenkämpfe zusammenführen zu wollen – ohne daran zu denken, dass trans Frauen eigentlich schon zu den Frauenkämpfen gehören sollten und trans Männer mehr Erfahrungen mit den Themen der Frauenkämpfe haben, als allen eigentlich lieb ist. Es wird Transfeindlichkeit reproduziert, um sich im Anschluss solidarisch mit trans Personen (die Originalformulierung ist leider transfeindlich) zeigen zu können. Ein Stück vom Kuchen? Nein, ausschließlich Krümel.

    Ich weiß, wie sich feministische Kämpfe anfühlen, die mich einschließen. Ich weiß, wie sich feministische Solidarität, Solidarität unter Frauen anfühlt. Habe ich die mir erschlichen, sie heimlich ausgesaugt, wie mir so oft unterstellt wird, weil ich zu dem Zeitpunkt noch keine Worte hatte für mein Empfinden? Ist es nur gerecht, dass ich ausgeschlossen werde, schließlich habe ich durch meine Existenz keine Solidarität, zumindest keine selbstverständliche, verdient?
    Vor drei Jahren war der 08. März noch mein Tag, dieses Jahr wurde mir gesagt, er wäre nur für Frauen, ich solle mich verziehen, schweigen, solidarisch mit Frauen sein.
    Während mir keine Solidarität entgegengebracht wird, immerhin hätte ich mich ja selbst dazu entschieden, mich zu outen und müsste jetzt mit den Konsequenzen leben. Das klingt, als wäre Feminismus, dieser Femicismus, eine Gemeinschaft, aus der ich freiwillig ausgetreten wäre und nun die gerechte Strafe dafür erhielte, keine Frau zu sein.
    Ich wäre ja Teil der Transkämpfe, so als trans Person. Und natürlich müsste der Feminismus auch solidarisch mit den Kämpfen von trans Personen sein, so sei das ja nicht. Aber gleichberechtigt seien diese Kämpfe nicht. Trans Männer und nichtbinäre Personen haben am FrauenKampfTag solidarisch zu sein, um dann am NonbinaryDay alleine zu stehen.
    Oder könnt ihr mir sagen, wann NonbinaryDay ist? Könnt ihr euch auch an die großartige Solidarität, das Pushen des Tages und den eigenen Hashtag auf Twitter mit süßem Bildchen dahinter erinnern? Nein? Ich auch nicht, es hat nämlich nie stattgefunden.

    Sozialisation ist komplizierter, als cis Geschlechterdenken es uns glauben macht. Sie ist nicht nur von außen oder von innen heraus zu betrachten. Trans Frauen zu unterstellen, sie wären ausschließlich männlich sozialisiert worden, ist genauso falsch, wie trans Männern zu signalisieren, sie hätten absolut keine Ahnung, wie es sei, als Frau gelesen zu werden.

    Ich hatte den Kuchen, nun bekomme ich Krümel zugeworfen und habe dafür dankbar zu sein.

    ICH WILL KEIN STÜCK VOM KUCHEN, ICH WILL NICHT EURE KRÜMEL, ICH WILL DIE GANZE BÄCKEREI!

    Dankeschön.
    (Internationaler Tag der Nichtbinarität ist übrigens am 14. Juli, falls ihr Lust habt, dieses Jahr mal solidarisch zu sein.)

  • Solidarität und Druck

    Solidarität muss praktisch werden!
    Hoch! Die! Inter/Antinationale! Solidarität!
    Solidarität ist eine Waffe und wir wissen ganz genau, wie man sie gebraucht!

    Menschen helfen einander, nicht, weil sie es müssen oder aus kapitalistischen Gründen, sondern, weil sie es wollen.

    Eine Person braucht Hilfe, die andere Person gibt Hilfe. Grundprinzip der meisten linken Strömungen, ob Kommunismus oder Anarchismus.
    Strukturell gesehen eine große Gefahr für den Kapitalismus. Denn funktionierende soziale Netze, die ohne Wachstums- und/oder Gewinnabsicht auskommen, machen dieses Wirtschaftssystem grundsätzlich überflüssig. Globale Solidarität ist das Gegenteil von Ausbeutung und neoliberalen Zwängen.

    Eine großartige Theorie, die ich sehr schätze. Ich spreche oft in Vorträgen über Solidarität, solidarisches Miteinander und gemeinsames Schaffen des „Guten Leben für Alle“. Aber dann fällt mir wieder auf, dass vor allem die Perspektive jener in den Fokus rückt, die „solidarisch geben“.
    In Zeiten einer weltweiten Pandemie sind das jene, die für andere Menschen einkaufen gehen. Die Risikogruppen unterstützen. Menschen von A nach B fahren, damit diese nicht in den öffentlichen Verkehrsmitteln der Gefahr ausgesetzt sind, sich anzustecken.
    Es sind Menschen, die ihr eigenes Sozialleben zurückschrauben, um andere Menschen zu unterstützen/nicht zu gefährden.

    Es wird als selbstverständlich dargestellt diese Solidarität zu bekommen – und das sollte es auch sein.

    Neoliberale Sozialisation

    Dennoch sind wir alle in einer Gesellschaft sozialisiert worden, die „Schwäche“ ablehnt und den neoliberalen Anspruch des „eigenen Glückes Schmied“ als einzige Möglichkeit vertritt. Solidarität ist verpönt und das spüren vor allem Menschen, die auf Solidarität angewiesen sind.

    Es ist solidarisch, die Musik leiser zu drehen, wenn die Nachbarn aufgrund der Vibration nicht schlafen können.
    Aber die Person, die nicht schlafen kann, fühlt sich möglicherweise als Belastung. Weil sie nie gelernt hat, dass ihre Bedürfnisse valide sind.

    Es ist solidarisch, die Risikogruppen nicht noch größerem Risiko auszusetzen.
    Aber die Person mit Asthma, die gerade Demos von zu Hause aus verfolgt, fühlt sich womöglich „nicht ausreichend“ oder „nicht links genug“.

    Solidarität und Hürden

    Es ist solidarisch, gemeinsam zu überlegen, wie wir Armut in unserer Peer Group kommunizieren und bekämpfen können.
    Aber die Person, welche die meisten Gaben und Unterstützungen erhält, hat vielleicht das Gefühl „nicht genug geben zu können“ und  ihr Umfeld „auszunutzen“.

    Solidarität und mildtätige Gaben christlicher Konfessionen hängen geschichtlich eng zusammen. Sowohl die „Armenspeisung“ als auch die heutigen Tafeln sind ein Zeichen dafür. Staatliches Versagen und kapitalistische Ausbeutung werden durch die Schaffung eines mildtätigen Netzes ausgeglichen, woraufhin der Staat auf eben jenes Netz verweist. Anstatt selbst in die Pflicht genommen werden zu müssen (oder gar abgeschafft).

    Solidarität wirkt der Verelendungstheorie entgegen, schafft Netze und hilft Personen. Dennoch bleibt die Frage im Raum, wie wir Menschen die Sicherheit geben können, nichts zurückgeben zu müssen?
    Arbeit gleichberechtigt zu bewerten, anstatt von allen das gleiche zu fordern?

    Jedes nach dessen Bedürfnissen, jedes nach dessen Fähigkeiten und Solidarität muss praktisch werden. Wie können wir dies in den Köpfen der eigenen Szene verankern? Was können wir einem linken Imposter Syndrom und dem kapitalistischen Selbstanspruch entgegen setzen?

    Schreibt mir auf Twitter, wenn ihr praktische Ideen habt, ich habe nur Fragen.

  • BDSM und Feminismus

    Let’s talk about Sex! Also, Sex, Kink und BDSM.

    Vor ein paar Tagen sah ich einen „feministischen“ Film, in dem es um Gewalt an (cis) Frauen ging.
    Dabei fiel unter Anderem der Satz „Sie schlagen uns.“. Unterlegt mit dem Bild einer an die Wand gepressten, weiblich gelesenen Person. Sie streckt ihren Po nach hinten und sah im Großen und Ganzen nicht unzufrieden mit der Situation aus. Es wirkte eher wie eine erotische BDSM Darstellung als Gewalt.

    Ich war verärgert. Gewalt – ausgeübt von cis Männern, am meisten betroffen sind Frauen – ist ein gewaltiges Problem, strukturell bedingt durch das Patriarchat. Wir müssen darüber sprechen und Strukturen aufbrechen. Cis männliche Vorherrschaft abschaffen. Müssen wir nicht diskutieren. Was es nicht braucht: Das Bild devoter, sexuell selbstbestimmter Frauen, welches mit Gewalt gleichgesetzt wird.

    Am gleichen Tag las ich dann auch noch, dass BDSM nichts anderes wäre, als unter Erwachsenen Kindesmissbrauch nachzuspielen und dann war ich endgültig bedient.

    Hier also ein Artikel über Sex, BDSM, Feminismus und Selbstbestimmung.

    BDSM = antifeministisch?

    Also, kommen wir zu dem, was gerne als „antifeministisch“ verschrien wird: „weibliche“ Unterwerfung.
    (Ich übernehme diesen Begriff, obwohl ich ihn problematisch finde. Er rückt vor allem cis Frauen in die Perspektive. Nicht cis Frauen bleiben unbeachtet.) Es geht der Kritik an BDSM aber um alle afab Personen, ungeachtet ihres Geschlechts.

    So werden cis Frauen gemacht – und trans Personen diskriminiert.

    Der Feminismus der zweiten Welle (Alice Schwarzer und KonsortInnen) war und ist der Meinung, dass Männlichkeit und männliche Dominanz in allen Lebensbereichen herrscht (stimmt, soweit) und deshalb auch das Sexleben von Feministinnen radikal feministisch sein müsste (maybe) und sogenannte „weibliche Unterwerfung“ nur das Patriarchat stützen würde (stimmt definitiv nicht). (Und „weibliche Dominanz“ stützt das Patriarchat auch, weil es ja Safewords gibt. Kinky Frauen und afab nichtbinäre Personen können nur verlieren. Yay.) Ich hab mich mal ein bisschen durch diese Variante des Feminismus gewühlt und folgende Texte gefunden.

    Kritk an Blowjob und Valentinstag [EMMA]

    1. Der Koitus verdammt die Frau zur Passivität und ist so für Männer die unkomplizierteste und bequemste Sexualpraktik. Beine breit machen genügt.

    2. Die psychologische Bedeutung dieses in sich gewaltsamen Aktes des Eindringens ist für Männer (und Frauen) sicherlich von Bedeutung. Bumsen – wie es so traurig treffend heißt als höchste Demonstration männlicher Herrschaft und weiblicher Unterordnung.

    3. Nur der Mythos von der zentralen Bedeutung des Koitus sichert Männern das Sexmonopol über Frauen, macht sie unentbehrlich denn penetrieren können nur sie. Das ist der kleine Unterschied. Der „vaginale Orgasmus“ ist eine Erfindung der Männergesellschaft. EMMA,1977

    Sexualität hatte über Jahrhunderte, ja Jahrtausende nichts mit Lust zu tun, sondern mit Macht. Macht von Männern über Frauen. Und es gab entweder die käuflichen Sünderinnen, zuständig für die Lust; oder die abhängigen Heiligen, zuständig für die Arbeit im Haus. Emanzipation der Frauen implizierte also zwangsläufig auch die Emanzipation der weiblichen Sexualität.

    Doch so schnell waren die Söhne nicht bereit, die Macht aufzugeben. Denn nun kamen wir. Die Feministinnen. Wir stellten die Machtfrage. Im Leben und in der Liebe. […] Und wir entdeckten unsere Körper und unsere Lust. Das war nicht nur ein harter Kampf, es war auch ein wahres Fest. Wir tanzten von Erkenntnis zu Erkenntnis, von Abenteuer zu Abenteuer. Die Gender-Studentinnen von heute würden zart erröten, ahnten sie nur, was wir alles so angestellt und erlebt haben. […}

    Nie zuvor und nie danach ist so offen über den weiblichen Körper und die Lust der Frauen geredet und geschrieben worden wie in den 1970er Jahren, diesen Jahren des Aufbruchs der Frauen. Doch keiner Frau wäre es damals auch nur im Traum eingefallen, die Trennung von Sexualität und Gefühl oder den Konsum entseelter Pornografie für sonderlich emanzipiert zu halten; von der Prostitution, als Objekt oder Subjekt, ganz zu schweigen. […] Gleichzeitig aber steigt die Pornografisierung unserer Gesellschaft, diese Verknüpfung der sexuellen Lust mit Lust an Erniedrigung und Gewalt. […] Und auch der weibliche Masochismus – diese unbewusste Bewältigung von Schmerz und Erniedrigung durch ihre Umwandlung in Lust – steckt noch tief in den Knochen der Frauen.

    Oh Hilfe, hier wird behauptet, die Vagina hätte quasi null Nerven. Der Text ist von 2016! (Okay, sie behauptet das durchgehend seit 1977). Und alle Personen mit Vagina sind automatisch Frauen. Naja. Das ist genug Material für einen anderen Artikel.

    Menschen haben Vorlieben, Kinks, Fetische. Gerade „weibliche“ Fetische wurden sehr lange pathologisiert, verunsichtbart und unterdrückt. Sie durften nicht ausgelebt werden, zumindest nicht in einem konsensuellen, selbstbestimmten Rahmen. (Frauen und afab nichtbinäre Personen durch sexualisierte Gewalt zu unterwerfen, das ging jedoch voll klar. Weil Patriarchat.)

    Fazit

    Zwischen der Unterdrückung von Frauen und afab nichtbinären Personen und konsensuellem Sex liegt ungefähr so viel Raum wie zwischen mir und dem Boden des Marianengrabens. Das liegt daran, dass konsensueller Sex eigentlich die – für das Patriarchat – gefährlichste Art ist, Sex zu haben. Beide Personen sprechen auf Augenhöhe miteinander, über ihre Bedürfnisse und Wünsche und Fantasien. Bei Sessions wird noch ein Safeword (oder etwas ähnliches) vereinbart, es werden „harte“ und „weiche“ Limits festgelegt – die harten Limits werden niemals angetastet, die weichen Limits dürfen gemeinsam erprobt werden. Augenhöhe zerstört aber das Machtgefälle, welches das Patriarchat aufgebaut hat – Augenhöhe ist eben keine „Unterdrückung durch Sex“, sondern ein bewusstes Auseinandersetzen mit den eigenen Wünschen, Bedürfnissen, Kinks, Fetischen und dem eigenen Körper.

    Dabei ist – solange es selbstbestimmt geschieht und keine Dritten davon unkonsensuell beeinflusst werden – völlig irrelevant, auf welchen Kink sich bezogen wird. Oder ob es überhaupt um BDSM geht.

    Wie genau Neigungen und Kinks entstehen, wurde noch nicht ausreichend erforscht. Es steht jedoch fest, dass es weder eine Krankheit, noch ein charakterlicher Mangel ist, bestimmte Praktiken zu bevorzugen, masochistisch, sadistisch oder devot zu sein.

    Gleichzeitig drängt die Behauptung, „weibliche“ Dominanz sei „Patriarchat über Bande“, dominante, feminine Personen in Rollen. Rollen, die sie gar nicht haben wollen. Zuerst Anerkennung, dass es sich um eine einvernehmliche Vereinbarung handelt, dann Waffe gegen sie. Denn dominante Weiblichkeiten würden dies ja nur tun, um dem (devoten) Patriarchat zu gefallen. Das bedeutet, es kann in dieser Lesart des Feminismus keine selbstbestimmten Kinks geben.

    Das halte ich für zutiefst misogyn.

  • Trigger Warnung/Content Note: Stabil, instabil, kaputt.

    Was haben Triggerwarnungen, ein gut gemeintes „Dafür bist du nicht stabil genug, meinst du wirklich?“ und das Absprechen der Diskursfähigkeit gemeinsam? Und wo ist der Unterschied zwischen Trigger Warnung (TW) und Content Note (CN)?
    Sie berufen sich alle auf meine (zugeschriebene) psychische Stabilität.

    Trigger

    Teilweise ist das gut gemeint – aber nicht gut gemacht. Triggerwarnungen nehmen sich heraus, für andere Menschen zu entscheiden, was (potentiell) triggernd sein könnte. Allerdings ist diese Zuschreibung unmöglich, da Trigger so vielfältig sind wie die Menschen, die traumatisiert wurden. Während einige Personen von Wörtern überhaupt nicht getriggert werden, trifft bei anderen Menschen das durchaus zu.
    Manchmal wird alleine durch das Lesen ein Bild im Kopf geweckt, dass dann zum Flashback führt. In anderen Momenten wird die Assoziation mit einer Situation oder einer Täter_in hervorgerufen. Und manchmal passiert gar nichts.

    Nicht alle Trigger wirken immer, manchmal ist die betroffene Person stabil und das Wort löst überhaupt nichts aus. Manchmal bricht eins dann psychisch zusammen. (Ha. Da kam sie wieder, die Stabilität. Aber dazu später mehr.) Leider kündigen sich diese wechselhaften Trigger nicht mit blinkenden Schildern an, also wird erst nach der Verletzung festgestellt, was heute triggerte.
    Andere Worte triggern immer und sind zuverlässig – und können somit vermieden werden. Auch, indem eins Themen vermeidet, die diese Worte/Beschreibungen/(Wort)Bilder beinhalten.

    Paternalismus

    Wenn ich jetzt aber von wildfremden Personen „gewarnt“ werde, dann nehmen sie sich heraus, zu wissen, was mich (heute) triggert. Das ist verquer, denn ich weiß es meistens selber nicht. Potentiell traumatische Themenbereiche (z.B Psychiatrie, Suizid, SVV) sind natürlich prädestiniert dafür, Trigger zu beinhalten. Allerdings triggert mich auch die Beschreibung von deiner letzten Diät und im Zweifelsfall, was du gestern gegessen hast (hallo, Essstörung, alte Freundin). Aber da schreiben irgendwie Menschen relativ selten eine Warnung dran. (Und nein, ich möchte auf KEINEN FALL noch mehr Warnungen.)

    Content Notes

    Inhaltsbeschreibungen (Content Notes) haben den Vorteil, dass sie mir einen groben Überblick über den Inhalt geben. Ich kann (im Wissen über meine momentane Stabilität, meinen Umgang mit potentiellen Triggern und im besten Fall einem Rückzugsraum) entscheiden, ob ich das jetzt gerade lesen, es später lesen oder gar nicht lesen möchte.
    Ein bisschen wie der Klappentext eines Buches: Geht es da bereits um hocherotische Werwölfe mit muskelbepackten Armen, denen die Protagonistin (oder der Protagonist) instant verfällt… Dann lasse ich das Buch lieber liegen. (Nicht, weil es mich triggern würde, sondern weil es höchstwahrscheinlich schlechte Erotik und Sexismus und Heteronormativität enthält.) Aber durch die vorherige Information über den Text kann ich entscheiden und mir das Geld (oder den Flashback) ersparen.

    Gemeinsamkeiten und Unterschiede

    Der Unterschied zwischen einer Inhaltsbeschreibung und einer Warnung ist die Intention des Erstellenden. Eine Information informiert – wertungsfrei. Eine Warnung warnt – und wertet dabei. Eine Warnung entscheidet FÜR MICH, eine Information LÄSST MICH entscheiden. Aktiv und passiv.
    Und meine persönliche Entscheidungsfreiheit ist mir – gerade als Person mit Psychiatrie- und psychotherapeutischer Intensiverfahrung – sehr, sehr wichtig.

    Eigenverantwortung

    Deshalb kann ich es auch gar nicht haben, wenn Entscheidungen von mir – gut gemeint – hinterfragt werden. „Bist du dir sicher, dass du dafür stabil genug bist?“ – JA. Und wenn nicht, dann mache ich eben Fehler und lerne daraus. Auch psychisch kranke Menschen dürfen mal gegen ne Wand laufen, weil sie ihren Dickkopf durchsetzen mussten. Ich möchte nicht in jedem Fall „vor mir selbst geschützt“ werden. Die Momente, in denen ich mir das wünsche, habe ich vorher kommuniziert – und die Hürden dafür sind bewusst hoch gelegt.

    Ich bin für mich selbst verantwortlich und das bedeutet, dass ich auch „ungesund“ handeln darf. Ich darf gegen Mauern rennen und mir den Kopf anstoßen. Deshalb bin ich ÜBERAUS verärgert, wenn mir andere Menschen dauerhaft eine Matratze vor die Wand stellen.
    Dabei können Menschen auch durchaus sagen, dass sie meine Entscheidungen nicht gut finden. Sie dürfen auch sagen, dass ich sie noch einmal überdenken sollte. Allerdings dann bitte begründet (und zwar inhaltlich) und nicht auf Basis meiner psychischen Stabilität. Die schätze ich schlussendlich immer noch alleine ein. Das kann keine andere Person für mich tun. Punkt.

    Ableismus als Waffe

    Noch schlimmer sind nur Menschen, die meine Traumata (über die ich bewusst sehr offen kommuniziere) dazu verwenden, mich zu diskreditieren. Die mir die Diskursfähigkeit absprechen und versuchen, mich als instabil darzustellen – um sich nicht inhaltlich mit mir auseinandersetzen zu müssen. Ein inhaltlicher Diskurs (gerne auch Streit) würde ja bedeuten, mich als gleichberechtigte_n Diskurspartner_in wahrzunehmen und mir eine Stellung einzuräumen. Es würde bedeuten, dass sich Personen mit anderen Meinungen als meiner ARGUMENTE ÜBERLEGEN MÜSSEN, um mir Kontra zu bieten.
    Stattdessen wird darauf abgestellt, dass alle meine Argumente aus sich selbst heraus wertlos seien und eine weitere Beschäftigung damit unnütz. Ich als Gestörte_s (meine Eigenbezeichnung, wenn ihr mich so nennt, gibt es Stress!) wäre ohnehin nicht fähig, am Diskurs teilzunehmen.

    Gatekeeping

    Leider haben Personen, die so etwas äußern, die Gesellschaft auf ihrer Seite. Menschen aufgrund von Krankheiten aus dem Diskurs auszuschließen hat eine lange Tradition. Die Unterdrückung von Personen aufgrund von (zugeschriebenen) Einschränkungen einen Namen: Ableismus.
    Jede beschriebene Situation ist ein Beispiel  dafür, wie sich neurotypische, body abled Personen als Gatekeeper_innen sehen, die bestimmen, wer „stabil“ genug ist, zum Diskurs zugelassen zu werden – und wer nicht.
    Gatekeeping bedeutet, dass sich nicht-Betroffene zum Torhüter ernennen, um für Betroffene zu entscheiden. Entweder, weil sie behaupten, besser als Betroffene entscheiden zu können, was gut für diese ist. Alternativ, weil sie Betroffene gar nicht im Diskurs haben wollen. Die könnten ja anderer Meinung sein und das macht die eigene, privilegierte Weltsicht kaputt.

    ableistische Erwartungen

    Gleichzeitig leben wir in einer Gesellschaft, die nicht auf die Bedürfnisse von body disabled und/oder neuroatypischen Personen ausgelegt ist. Deshalb erwartet sie von uns Betroffenen, dass wir uns anpassen und uns Mühe geben, in dieser Gesellschaft klarzukommen. Oft haben wir das sogar selbst verinnerlicht und suchen die Schuld für unser „Versagen“ bei uns, anstatt anzuerkennen, dass wir in einer Gesellschaft überleben, die alles dafür tut, damit wir es nicht schaffen. Kapitalistische Verwertungslogik wird in Therapien eingetrichtert und sorgt dafür, dass wir uns so lange Mühe geben, bis wir zusammenbrechen – um immer noch nicht genug getan zu haben. Finde ich kacke.

    Fazit

    Zum „guten Leben für alle“ gehört auch, dass mein DaSein und SoSein einen Raum bekommen. Und den nehme ich mir und ich beiße, wenn irgendwer versucht, mich in Watte zu packen und mir die Zähne zu ziehen!

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