Schlagwort: Frauen

  • Trauer, Müdigkeit und Schmerz – you know, it’s 8. März

    Wenn du dir den Text über den Frauenkampftag lieber anhören möchtest, anstatt ihn zu lesen, klicke auf PLAY.

    Beim Frauenkampftag geht es nun mal ausschließlich um Frauen und die Diskriminierung, die sie als Frauen erleben. Ich gehe doch auch nicht mit einem All-Lives-Matter-Schild auf eine Black-Lives-Matter-Demo!

    Twitter. (Nein, ich verlinke den Account nicht.)

    Guten Morgen. Vorweg: Ich persönlich gehe nirgendwo mit einem All-Lives-Matter-Schild hin. Nicht auf eine Black-Lives-Matter Demo, nirgendwohin. Das liegt daran, dass dieser Slogan aus einer alt-right Richtung entstanden ist. Um die Kämpfe von Schwarzen Menschen gegen Diskriminierung und Rassismus zu schwächen und abzuwerten. Mit „All Lives Matter“ wird aus herrschender Position heraus der Kampf marginalisierter Gruppen unterdrückt und Diskriminierung verunsichtbart. Beim Frauenkampftag genauso?

    Alle Jahre wieder…

    Ich bekam diesen Vorwurf, als die – alljährliche – Diskussion darüber entbrannte, ob die Umbenennung von „FrauenKampftag“ in „feministischer Kampftag“ nicht Frauenkämpfe der Historie verunsichtbaren würde. Das es vor allem darum geht, dass Frauen auf spezifische Weise unter dem Patriarchat leiden. Nun.
    Ich persönlich vertrete die Meinung, dass nichtbinäre Personen und trans Männer schon immer – wenn auch nicht unbedingt mit diesen Worten – Teil der Frauen- (und später Lesben- und FrauenLesben-)kämpfe waren. Es geht also nicht darum, Geschichte umzuschreiben, sondern sichtbar zu machen, was schon immer da war. Trans Frauen sind Frauen, deshalb benenne ich sie nicht spezifisch. Ein Frauenkampftag nur für cis Frauen wäre absurd.

    Es geht auch nicht spezifisch um das Leid, das Frauen erfahren, weil sie Frauen sind. (Dafür gibt es beispielsweise den 25. November, den „Internationalen Tag der Gewalt gegen Frauen“.) Es geht um Arbeitskämpfe, um (unsichtbare) Emo- und Care Work, es geht um Gender Pay Gap. Darum, dass „weiblich“ konnotierte Berufe schlechter bezahlt sind. Kurz: Es geht um all die Dinge, die tatsächlich Frauen, nichtbinäre Personen, trans Männer und inter Personen einen. Kämpfe, die sich durch die Position im Patriarchat ergeben und nicht durch das tatsächliche Geschlecht.

    (Wenn ich schlechter bezahlt werde, weil mich Leute für eine Frau halten, dann hilft nicht einmal der geänderte Personenstand. Für euch getestet.)

    …kommt das Cistus-Kind

    Andererseits… Ich kann verstehen, woher diese Argumentation kommt. Ich habe mich acht Jahre lang feministisch engagiert, bis ich mich geoutet habe und aus den Gruppen herauskomplimentiert wurde bzw. mich bereits im Vorfeld zurückgezogen hatte. Die Debatte um den Frauenkampftag erinnert mich jedes Jahr erneut daran.

    Ich kann verstehen, dass cis Frauen das Gefühl haben, ihnen würde etwas weggenommen werden, das ihnen aus der Historie und ihres Platzes im Patriarchat wegen zusteht. Das es sie frustet, wenn sie dabei zusehen müssen, wie etwas, worauf sie sich das ganze Jahr freuen, in einen Kampf um Begriffe, Ein- und Ausschlüsse ausartet. (Und das tut es, alle Jahre wieder kommt das Cistuskind auf die Netze nihieder, wo wir Menschen sind…)

    Wer nicht über den eigenen Tellerrand, die eigenen Erfahrungen hinwegblicken kann oder will, wird die Erfahrungen von trans Personen als nicht so wichtig wahrnehmen wie die eigenen – falls selbige überhaupt anerkannt werden. Ich habe auch mal so argumentiert, hatte das gesamte Klischee von „weiblicher“ und „männlicher“ Sozialisation internalisiert und well, ich habe mich selten auf so brutale Art und Weise einer Realität stellen müssen.

    Manchmal ist es tatsächlich Dysphorie.

    Ich habe meine Essstörung, meine Dysphorie, meinen Unwillen gegenüber dem Wort „Frau“ mit Femininismus, mit weiblicher Sozialisation, mit Patriarchat begründet. Habe mich mit aller Kraft und Macht der Wahrheit entgegengestellt – acht Jahre lang. Bis zu meinem Outing, bis ich meinen Namen, meinen Personenstand änderte und anfing, mir Testosteron auf die Haut zu schmieren.

    Es wird nicht geschehen, dass alle cis Frauen plötzlich feststellen, dass sie trans sind, wie es mir passiert ist (und wofür ich im Nachhinein unfassbar dankbar bin. Mein Leben ist trotz Transfeindlichkeit deutlich besser).

    Ob Frauenkampftag oder nicht – unsere Kämpfe bleiben verbunden.

    Aber ihr könntet zuhören. Unsere Kämpfe lassen sich nicht direkt voneinander trennen, weder in der Theorie, noch in der Realität. Gerade in der Realität sind (un)geoutete trans Männer und nichtbinäre Personen Teil von feministischen Gruppen. Und gerade diese Realität hat dazu geführt, dass aus FrauenRäumen Frauen*Räume wurden. Mit dem Sternchen, um die Personen, die sich in ihrer feministischen Entwicklung outeten, einzubeziehen.

    Es ist nämlich deutlich schwieriger, den Freund, der mal Freundin genannt worden ist oder die Liebhaberin, di_er sich als Liebhaber_in geoutet hat, aus Gruppen zu entfernen, als sich als geschlossene Gruppe gegen Männer, die als ein „außen“ imaginiert werden, darzustellen. So kamen auch die historischen Ausschlüsse von trans Frauen zustande, die eben nicht bereits vor ihrem Outing willkommen waren. Und es auch nach ihrem Outing besonders schwer haben. Leider reichen diese Ausschlüsse in ihren Wurzeln bis heute weiter – daran müssen wir arbeiten!

    Und müssen gemeinsam gekämpft werden.

    Heute sind wir eigentlich weiter. Wir haben mit FLINTA (Frauen, Lesben, inter, nichtbinär, trans, ageschlechtlich) ein Akronym dafür, dass die Räume der damaligen Zeit nicht hatten. Aber streng genommen meinen wir das gleiche.

    Ich würde meinen Geschwistern gerne den Schmerz und die Müdigkeit ersparen, die ich seit meinem Outing vor, während und nach dem 8. März erfahre. Es war mal ein empowernder Tag für mich. Lasst es das wieder werden. Bis dahin… bestreike ich den Streik und schone meine Ressourcen. Feministischer Kampftag statt Frauenkampftag.

  • Die Frau als politische Kategorie – (k)ein Sternenhimmel

    Der Sternenhimmel wurde freundlicherweise eingelesen von Karisma Kaftanï.

    Alle Frauen* sind herzlich willkommen!

    Beliebiger, feministischer Aufruf.

    Der sogenannte „Sternenhimmel“ (das Anfügen eines Asterisk an Substantive) wird in feministischen Kontexten in vier verschiedenen Interpretationen verwendet. (Vielleicht gibt es mehr, mir sind vor allem diese vier bekannt):

    1. Geschlecht ist konstruiert

    Geschlecht ist konstruiert. Jup. Ist Kapitalismus, Geld und BAföG auch, trotzdem machen wir kein Sternchen dran. Sprache schafft Konstruktionen, Gesellschaft ebenso. Unter den Begriff „Frau“ fallen mehrere Kategorien, sowohl biologisch-biologistische, als auch soziale. (Für die Erhebung von Umfragen ist die biologistische Zuschreibung von Frauen weniger relevant als ihr Personenstand. Für die medizinische Erhebung ist die biologistische Zuschreibung ausschlaggebend.) Dennoch sind beide Kategorien nicht „naturgegeben“, sondern menschengemacht.Definitionen sind eine gesellschaftliche Übereinkunft über die Bedeutung von Wörtern – und damit konstruiert.

    2. Frauen* als cis Frauen, trans Männer und afab nichtbinäre Personen

    Frauen* = cis Frauen, trans Männer und afab nichtbinäre Personen [mindestens zwei Gruppen werden gerade misgendert und auf angenommene Genitalien bzw. Sozialisierung reduziert]. Schließt trans Frauen vom Diskurs aus und ist transmisogyn. Die meisten trans Personen steckten sehr viel Zeit, Geld und Energie in den Prozess der Transition. Nicht mehr als „Frau“ bezeichnet zu werden, bzw. als Frau anerkannt zu werden, ist ein Erfolg.

    3. Frauen* als cis Frauen und trans Frauen

    Frauen* = cis Frauen und trans Frauen. [Unterscheidung zwischen „normalen“ Frauen (die, die kein Sternchen brauchen) und trans Frauen (die dadurch als „anders“ markiert werden)]. Trans Frauen sind Frauen, deshalb ist die Unterscheidung bzw. diese Hervorhebung überflüssig, wenn es um die Erfahrungen aller Frauen geht.

    4. Frauen* als politische Kategorie

    Frauen* als politische Kategorie (vgl.: Koschka Linkerhand, Antje Schrupp): ähnelt der dritten Kategorie, schließt aber trans Frauen mit ein. Weiblich gelesene Menschen (afab) und trans Frauen werden zu einer Gruppe zusammengefasst, die als „weiblich sozialisiert“ gilt, in Anlehnung an „das andere Geschlecht“ von Simone de Beauvoir. Die Zusammenfassung übersieht jedoch die spezielle Situation, die alle nicht-cis-Frauen haben, vor allem bezüglich Erwartungsdruck und Annehmen von Geschlechterbildern. Sie werden doppelt „anders gemacht“. Einerseits als Abgrenzung zu cis Männern, andererseits als nicht-cis-Frauen, die sich selbst nicht in der erwarteten Kategorie wiederfinden können.

    Historischer Überblick und Nutzen vom Sternenhimmel

    Die ersten drei Interpretationen sind in den meisten Fällen nutzlos, um eine eingeladene Gruppe zu definieren.
    Sie eignen sich höchstens als Indikator, um eine Veranstaltung (als trans Person), nicht zu besuchen.
    Der Begriff entstand historisch. Aus den FrauenRäumen wurden die FrauenLesbenRäume und schließlich die Frauen*Räume. (Damals teilweise noch mit Listen, in denen man einzeln aufschlüsselte, wer alles unter das Asterisk fällt). Hier war der Sternenhimmel sogar dann eine ewige Fußnote, länger als der Begriff selbst. Mittlerweile ist der politische Diskurs jedoch an einem anderen Punkt, schon generationenbedingt.

    präzise Alternativen

    Andere Formulierungen wären präziser, um die Eingeladenen zu spezifizieren. Ein Workshop über Vulven ist für alle Menschen mit Vulva interessant, ein Erfahrungsaustausch über Menstruation interessiert nur Menstruierende. Und über Sexismus können alle Personen reden, die Sexismus erfahren. Wenn eine Einladung cis Männer ausschließt, dann formuliert das! Ebenso wie die explizite Einladung von inter-cis-Männern, aber die Ausladung von endo-cis-Männern. Das erfordert ein wenig mehr Arbeit als ein Sternenhimmel von „Frauen*“, sorgt aber dafür, dass Menschen sich sicher sein können, auch willkommen zu sein. Hier und hier und hier findet ihr übrigens Texte darüber, warum andere Menschen den Begriff „Frauen*“ problematisch bis diskriminierend finden.

    „das andere Geschlecht“

    Die vierte Kategorie ist jedoch interessant, weil sie in ihren Grundzügen eine Analyse vorbringt, die de facto stattfindet. Zur Frau gemacht werden.

    Menschen, die als Säugling (teilweise schon als Embryo) als „weiblich“ kategorisiert wurden, erhalten eine andere Art der Erziehung als solche, deren Zuordnung „männlich“ war. Daher kommt auch die (verkürzte) Analyse, trans Frauen hätten eine „männliche Sozialisation“.

    Sozialisation ist jedoch nichts, was man passend zum angenommenen Geschlecht in eine Person hineinstopft. Und auch nichts, was die entsprechende Person dann „passend“ tut. Sozialisation ist gesellschaftlicher Umgang, sind Geschlechterrollen, Erwartungen und Darstellungen.

    Wird ein Säugling für ein Mädchen gehalten, bietet man ihm vor allem Puppen, sozialer Kontakt und emotionale Auseinandersetzung an. Bei einem für männlich gehaltenen Säugling sind es Autos, Technik und ‚körperliches‘ Spielen (angedeutetes Raufen, rauhere Stimme). Eben das, was wir als „Geschlechterklischees“ kennen. Gleichzeitig ändert sich das Verhalten, wird ein Säugling mit Penis in einen rosa Strampler gesteckt und der Säugling mit Vulva in einen blauen. Hier wurde das populärwissenschaftlich aufbereitet. Es ist im Video gut zu sehen, wie die unterschiedliche Erwartungshaltung an das Baby herangetragen wird.

    Sozialisierung und Erwartungen

    Mit dieser Erwartungshaltung, die an den Genitalien festgemacht wird, wachsen also alle Kinder auf, cis und trans. Während cis Kinder jedoch innerlich den erwarteten Rollen entsprechen, leiden trans Kinder vor allem darunter, dass die Erwartungen an sie „falsch“ sind. Trans Mädchen lernen, dass der „Mann im Kleid“ ein zu verlachendes Trope ist. Trans Jungen lernen, dass „maskuline Mädchen“ gebrochen und erzogen werden müssen. Sie verhalten sich (zumindest bis sie meist lernen, es zu maskieren, weil sie nicht sein dürfen) ihren Rollenbildern entsprechend. Aber konträr zu den Erwartungen von außen.

    Auf die Spitze getrieben wird dies von den Vorgaben, sobald sich trans Personen in die Zwangstherapie begeben. Wer nicht bereits als trans Mädchen mit Puppen gespielt hat oder alt trans Junge Autos liebte, erfüllt nicht ausreichend Geschlechterklischees, um trans zu sein. Im schlimmsten Fall sagt die begutachtende Person „Nein“ und ruiniert dadurch Leben. Gleichzeitig wird trans Personen vorgeworfen, Geschlechterrollen zu zementieren. Ein Vorwurf, den Menschen, die immer „noch weiblicher“ und „noch männlicher“ sein mussten, um als „echt“ zu gelten auch noch zu Täter_innen in einer Gesellschaft macht, die sie zunächst zu diesem Verhalten gezwungen hat.

    politische Kategorie Frauen*

    Aber zurück zum Thema der „Kategorie Frau“. Auf Kinder wirken nicht nur die Erwartungen auf das eigene Geschlecht ein, sondern auch die Erwartungen auf „das andere Geschlecht“. Im Fall von cis Kindern sind hiermit die Rollen klar verteilt. Trans Kinder dagegen versuchen zunächst, die ihnen entsprechende Rolle zu erfüllen und lernen durch Ablehnung und Zurückweisung, in der konträren Rolle zu funktionieren. Nichtbinäre Kinder haben gar keine Rolle, die „zu ihnen passt“. Und somit nur die Wahl zwischen „falschen“ Erwartungen – ohne aber eine zu haben, die sich vollständig „richtig“ anfühlt.

    Wenn ich von „fühlen“ und „empfinden“ schreibe, meine ich hier einen unterbewussten Prozess, der sich über Jahre hinweg abspielt und nicht bewusst realisiert oder gar analysiert wird. Es geht um das Aufwachsen in einer Gesellschaft. Patriarchal, sexistisch und misogyn organisiert, die „Frauen“ als Negativversion von „Männern“ wahrnimmt und gestaltet. Somit ist die Idee einer „politischen Kategorie“ für alle, die nicht endo-cis-männlich sind, tatsächlich eine notwendige Analysekategorie, um die Vorherrschaft ebenjener Kategorie beschreiben, analysieren und schlussendlich kritisieren zu können.

    Fazit

    Ich kann auch nachvollziehe, warum „Frau*“ als Begriff gewählt wurde. Macht er doch cis Frauen sichtbar und eröffnet gleichzeitig das Feld für all jene, die ebenfalls betroffen sind, ohne cis Frauen zu sein. Gleichzeitig finde ich eine Umbenennung dieser Kategorie aus zwei Gründen notwendig. Zum einen wird der Umstand, dass „weibliche Sozialisation“ keine homogene Erfahrung ist, über das notwendige hinaus verkürzt. Zum anderen werden dadurch Menschen „zur Frau gemacht“, die Zeit ihres Lebens (spätestens nach dem inneren Outing) mit dieser Bezeichnung eine schmerzhafte Auseinandersetzung hatten.

    Als Oberbegriff würde sich grundsätzlich FLINTA (Frauen, Lesben, Inter, Nichtbinär, Trans, Ageschlechtlich) beziehungsweise FINTA (Frauen, Inter, Nichtbinär, Trans, Ageschlechtlich) anbieten, alternativ auch andere Varianten. Präzise Sprache halte ich für notwendig, um einen Diskurs über Strukturen führen zu können, der Sternenhimmel mit vier (oder mehr) Interpretationsmöglichkeiten eignet sich deshalb eher weniger dafür.

  • Swiss: Heilige, Hure und die Andern – missglückte Welt

    Dankenswerterweise eingelesen von Daniel Friedl.

    Bitte, lass uns einfach losfahren. Die erzählen da was von Antifa und dann stehen da nur halbnackte Macker auf der Bühne.

    Freund eines Freundes, von der Arbeit auf einem Swiss Konzert kommend.

    Ich kannte diesen Freund vorher nicht, aber nach der Aussage ist er in meiner Sympathie sprunghaft in die Höhe geschnellt. Ich saß nämlich, während wir vor der Location auf ihn warteten, auf dem Rücksitz und kritisierte monologisierend die auftretende Band.

    Eine Band (und explizit deren Sänger, welcher namentlich die Band anführt), die ich als sektenähnliche Strukturen fördernd, misogyn, sexistisch, mackerhaft, frauenfeindlich und latent (kolonial)rassistisch einordnen würde. Es geht um „Swiss und die Andern“, teilweise aber auch um die Werke von Swiss solo.
    Hier gibt es einen zweiten Teil.

    Da das hier ein längerer Text wird, sind die jeweiligen Quellen und Belege immer hinter den direkten Zitaten, ihr erkennt sie an den hochgestellten Zahlen. Das sind Hyperlinks, die direkt zu den Seiten führen, auf die ich mich beziehe. Die Initialbuchstaben zeigen jeweils einen neuen Abschnitt an. Am Anfang wird es um die sektenähnliche Struktur der Sippschaften gehen. Danach gehe ich genauer auf den Sexismus und die Misogynie der Texte ein, um im Anschluss den Unterschied von „damals zu heute“ (also Swiss solo vs. Swiss und die Andern) herauszuarbeiten. Im Anschluss gibt es ein Fazit (oder ich hab den Kaffeebecher auf den Laptop geworfen, je nachdem).

    Sippschaften

    Eine Band, deren Fangemeinde in „Sippschaften“ organisiert ist, mittlerweile gibt es in jeder größeren Stadt eine. Hauptaufgabe der „Sippschaften“ ist es, Promo für die „Missglückte Welt“ zu machen – also mehr oder weniger für Swiss (und die Andern), deren Markenzeichen (und offizielles Label) ebenjene „missglückte Welt“ ist. Für eine Sippschaft braucht es mindestens fünf Leute, die gemeinsam eine_n Postmeister_in bestimmen, der_die für die Promo-Pakete und die organisatorische Ansprechbarkeit zuständig ist. Außerdem gibt es die Möglichkeit, Kutten (Jeansweste (80 Euro Bearbeitungsgebühr) bzw. Bomberjacke (90 Euro Bearbeitungsgebühr) zu leihen. Sie müssen nach Ende der Sippschaftsangehörigkeit zurückgegeben werden, dürfen jedoch individualisiert werden. Das Geld gibt es selbstverständlich nicht zurück. Außerdem sind Sippschaftszecken verpflichtet, einander zu helfen und zu unterstützen.1

    Es gibt also eine Band, die ihre eigene Fangemeinde zu Promotern erzieht, indem sie ihnen Erkennungszeichen und Gruppenzugehörigkeit (und ab und zu, das wird nicht näher definiert, Gästelistenplätze und Freikarten) ermöglicht. Außerdem „darf“ man der Band bereits beim Soundcheck zusehen und es gibt ein Vorzugsrecht bezüglich Merch und Tickets. Einige Sippschaften haben ein „Anwärter_innensystem“ entwickelt, um Neue genau unter die Lupe nehmen zu können und zu bestimmen, wer dabei sein darf.

    Linke Burschenschaft?

    Ein Prinzip, das ich vor allem aus rechtsoffenen bis konservativen Kontexten kenne, namentlich Studentenverbindungen und Burschenschaften. Im Gegensatz zu jenen geht 1 bei den Sippschaften keinen „Lebensbund“ ein und es sind Frauen erlaubt. Höchst progressiv.

    Nachteil dagegen ist, dass Swiss und die Andern vor allem von jungen Menschen und Teenagern gehört wird, auch wenn das Altersspektrum bis in die Dreißiger hinaufgeht und somit eine – meiner Meinung nach – sektenähnliche Struktur gefördert wird, indem einige Fans Privilegien genießen, für die jedoch auch Promotionsarbeit übernehmen müssen. Eine Aufgabe, die normalerweise von Menschen geleistet wird, die dafür bezahlt werden, anstatt Jugendliche (durch den Merch und die Sippschaftskutten) dafür auch noch zahlen zu lassen. Im Gegenzug gibt es Zugang zu einer Struktur, die „Unterstützung“ und familiäres Umfeld propagiert – solange 1 spurt und ordentlich „Randale“ macht. Das Umfeld und der Zusammenhalt wird auch auf jedem Album in mehreren Texten beschworen und besungen – meist in „Du“-Botschaften, die Hörende direkt ansprechen und in die Gemeinschaft ziehen, bzw. darin halten sollen. Eine „Wir gegen Die“-Mentalität, welche Außenstehende schnell zu Feind_innen erklärt.

    Sexismus

    Gleichzeitig kommen in den Liedern immer wieder frauenfeindliche und misogyne Grundannahmen durch. Damit ich mir nicht vorwerfen lassen muss, ich würde dem Verfasser „seine alten Schinken“ vorwerfen, bewegen wir uns von der nahen Vergangenheit in die Ferne – und von subtilem Sexismus zu offener Frauenverachtung.

    Der subtilere Sexismus der neueren Alben (von „Große Freiheit“ bis „Saunaclub“) zeichnet sich vor allem durch ein Bild aus, das seit Jahrhunderten gepflegt und gehegt wird: die Frau, als entweder „unerreichbare Heilige“ oder „schamlose Hure“, niemals als Freundin, gleichberechtigtes Subjekt oder gar Gegnerin – ausschließlich als Objekt in Abhängigkeit vom männlichen Subjekt.

    Innerhalb der Songtexte (wir beginnen mit „Saunaclub“ von 2020 und arbeiten uns in die Vergangenheit vor) sehen wir das daran, dass beispielsweise „Alkohol“ seine Alkoholabhängigkeit beschreibt, bei der „Uschi“ ihn betrügt – und er sich in den Alkohol flüchtet.2 Während in „Besteste Band“, die zweite Strophe – in welcher er die Eltern seiner Freundin kennenlernt, aber nur der Vater der Freundin seine Meinung thematisiert. Sie selbst scheint zum Thema nichts zu sagen zu haben, die Meinung eines anderen Mannes zu ihrem Partner wiegt schwerer.3

    Beispiele

    Dieser Punk

    In „Dieser Punk“ rühmt er sich darin, dass Frauen „keine Opfer von Männern“ seien, sondern „Sie benehm‘ sich wie ein Haufen von besoffenen Pennern – Ist normal, wenn man unser’n Scheiß hört“ – auch hier treffen Frauen keine eigenständigen Entscheidungen, sondern sind abhängig von ihrem Musikgeschmack. (Im gleichen Song werden „Hausmänner“ außerdem abwertend verwendet, denn offensichtlich reicht es nicht für einen „echten Mann“, zu Hause zu bleiben.)3

    zehn kleine Punkah

    Unabhängig davon, dass „zehn kleine Punkah“ Assoziationen mit einem gewissen, rassistischen Kinderlied wecken, ist der Sexismus und die Frauenverachtung, die in „Der letzte kleine Punkah ist voll einsam
    Randale macht ohne die ander’n Punkah kein Spaß
    Drum trifft er Neun and’re im Bett von deiner Mama
    So werden aus einem ganz schnell Zehn kleine Punkah“ stecken, nicht einmal mehr subtil. Come on, andere Typen aufgrund der Sexgewohnheiten ihrer Mütter abwerten? Junge, das ist nicht links und nicht emanzipatorisch, sondern mittlerweile sogar da, wo es herkommt, im Battle-Rap, ein peinlicher Move.4

    kein Blatt Papier

    In „Kein Blatt Papier“ wird seine Freundschaft zu einem anderen Mann beschrieben – dessen Frau kommt nur vor, weil sie ihm schon die Couch bereitgemacht hat, wenn er „keine Penne hat“. Eine Meinung oder Freundschaft zu ihm scheint sie nicht zu haben – er ist Familie für den Angesprochen, nicht für dessen Familie. Frauen als Beiwerk, als nützliche Objekte und Dienstleistungserbringerinnen.5

    (Ich bin ehrlich, ich möchte mich nicht durch die nächsten Jahre arbeiten. Aber machen wir erstmal weiter, ich werde dafür auch mit Kaffee versorgt. Küsschen an die Menschen im Hintergrund.)

    Voicemail

    2018 erschien „Randalieren für die Liebe“, in der das übliche Muster beibehalten wird. In der „Voicemail“ von Pat wird beklagt, dass das Album zu wenig „Mainstreamsongs“ hätte. „Wo, wo ist der Song, den Gertrude 5, beim Bügeln irgendwie mal locker mitsummen kann?
    Wo? Wo?“ – Klar. Gertrude, fünf Jahre alt, muss bügeln können. Kleine Mädchen gehören schließlich in die Küche und die Wäschekammer.6 (Das schlimme ist, es ist immer noch subtiler als in der Vergangenheit.)
    Edit: Mir wurde gesagt, dass meine Quelle fehlerhaft sei. Gertrude sei 53, nicht fünf. Der Sexismus (Frauen in die Küche, die Wäschekammer) bleibt meiner Meinung nach dennoch bestehen – es ist ein Trope, das nicht noch weiter gefördert werden sollte.

    Hassen oder Lieben

    In „Hassen oder Lieben“ wird die Kritik an ihnen damit abgeschmettert, dass sie „Patte machen“ und „die längste Penisse“ hätten. Feministische Kritiker_innen als „provinziell“, „neidisch“ oder „ungefickt“ darzustellen, ist ein tiefer Griff in die Mottenkiste der Misogynie. Außer einem „in Afrika verhungern die Kinder“-Take, wonach die Kritiker_innen selbst viel weniger links wären, weil sie Swiss und die Andern mit Eiern bewerfen, während „anderswo Menschen hungern“, kommt keine inhaltliche Auseinandersetzung. Diskreditierung statt Reflektion.7

    Älteres

    In den älteren Liedern (wir machen einen Sprung, ansonsten wird dieser Text wirklich viel zu lang) werden Frauen als „Votze“ bezeichnet8 und hindern entweder den Punk an der Entfaltung (die Frau als „häuslich bürgerlich“)9 oder stoßen ihn weg (weil er zu wenig Geld verdient)10 oder nutzen ihn aus11. Das transportierte Frauenbild ist wahlweise „unerreichbare Heilige“ (er liebt so sehnsüchtig, aber sie weiß nichts davon bzw. wurde grausam von ihm getrennt12) oder „bösartige Hure“ (er liebt sie, aber sie nutzt ihn nur aus13).
    Freundschaft wird vor allem zwischen Männern thematisiert, die im Zweifelsfall von ihren Frauen am Mann-Sein gehindert werden.

    Noch ältere Lieder, von Swiss damals noch solo veröffentlicht, thematisieren u.A. Sex mit toten Kindern14, Gewalt, Stalking/häusliche Gewalt/Folter/Gefangenschaft15, Vergewaltigung/Inzest/rape drugs16 (die Tatsache, dass es als Spendenaktion für dunkelziffer e.V. entstanden ist, macht die Themen der anderen Texte noch ein wenig ekelhafter) und Mord17, meistens grafisch beschrieben. (Bitte bedenkt das, bevor ihr euch die Quellen durchlest.) Auch hier sind Frauen die Objekte der Handlung, während den Tätern, als Subjekten, der Raum und die Definitionsmacht überlassen wird. Während damals Gewalt deutlich mehr Raum einnahm, wird die Frauenverachtung heute vor allem durch das Heilige/Hure Bild transportiert – in der „linken“ Szene machen sich vergewaltigte Frauen und tote Mädchen wahrscheinlich nicht so gut wie objektifizierte Frauen (weshalb Feminismus dringend notwendig ist, auch und gerade bei Zecken).

    Fazit

    Der Text hier ist sehr, sehr lang geworden – danke für die Menschen, die bis zum Ende gelesen haben. Abschließend kann ich nur sagen, dass ich entsetzt darüber bin, wie unreflektiert und fanatisch diese Band, aber auch der Sänger alleine, in „linken Kreisen“ angenommen und gefeiert werden. Andererseits wird diese Selbstdarstellung eben auch durch die sektenhafte Struktur der Sippschaften und die „Randale“ (also die aggressive Promotion) unterstützt und gefördert. Ich persönlich halte es für problematisch bis gefährlich, nicht intensiv auf „Swiss und die Andern“ aufmerksam zu machen und erwarte eigentlich von einer „linken“ Szene eine intensivere Auseinandersetzung als das plumpe Abfeiern von „wir sind gegen Nazis und den Staat“ – the bar is so low, you need a grave. (Der Anspruch ist so niedrig, du brauchst ein Grab (um ihn zu erreichen)).

  • Über Transmisogynie und Transfeindlichkeit – „u can’t trust the AFAB!“

    „Afab nichtbinäre Personen werden immer die sein, die transmisogyn sind. Du kannst ihnen nicht trauen!“

    Ein Take auf Twitter, unterschiedlich gesehen, zusammengefasst und verkürzt. Von trans Frauen geteilt und favorisiert. Schwierig, freundlich ausgedrückt, finde ich.

    Aber fangen wir mit Begriffsdefinitionen an. Ich mag Definitionen, sie bringen alle Beteiligten auf das gleiche Level an Informationen. Weniger Raum für Interpretationen, mehr klare Kommunikation. Winwin – und so.

    Transfeindlichkeit: Abwertung von trans Personen, weil sie trans sind. (Die Kurzfassung.)
    AMAB: Assigned male at birth (bei der Geburt dem männlichen Geschlecht zugeordnet.)
    AFAB: Assigned female at birth (bei der Geburt dem weiblichen Geschlecht zugeordnet.)
    Transmisogynie: Eine bestimmte Form der Transfeindlichkeit, die nur transfeminine Personen betrifft.

    Jetzt kommen die Langfassungen und die Begründungen, warum ich den Take so schwierig finde.

    Kindern wird – durch Genitalienbeschau – ein Geschlecht zugeordnet. Dieses Geschlecht wird mit Erwartungen verknüpft, die wiederum mit den Genitalien gleichgesetzt werden. Ein Penis = cis Männlichkeit. Eine Vulva = cis Weiblichkeit. Diese Zuordnung an und für sich ist bereits inhärent transfeindlich, weil Genitalien kein eigenes Geschlecht haben – sie haben nur das Geschlecht der Person, zu der sie gehören. Gleichzeitig ist es eine Gleichsetzung, mit der wir in dieser Gesellschaft aufwachsen – und die erst mühsam verlernt werden muss.
    Währenddessen wird AFAB Personen beigebracht, dass von Jungs und Männern (also innerhalb der cissexistischen Gesellschaft „Menschen mit Penis“) eine gewisse Gefahr ausgeht. „Selbst wenn sie dich mögen, werden sie dir wehtun.“ ist der Schlüsselsatz, der hängenbleibt, wenn „was sich liebt, das neckt sich“ und „der X, der meint das nicht so, wenn er dir an den Haaren zieht, der kann nur seine Sympathie nicht anders ausdrücken“ als Relativierung und „boys will be boys“ verwendet wird. „Geh nicht alleine nach Hause!“, „Geh nicht im Dunkeln nach Hause!“, „Zieh das nicht an!“ sind ebenfalls Glaubenssätze, mit denen AFAB Personen aufwachsen – und die auch in „züchtige Kleidung für die Schule“ Verwendung finden. Selbst bei den berechtigten Kritikstürmen, die regelmäßig entstehen, wenn Schulen auf so eine Idee kommen – die grundsätzliche Annahme, das AFAB Körper sexualisierend und problematisch sind, bleibt bestehen. (Etwas, wogegen der Feminismus seit Jahren kämpft. Aus Gründen.)

    Wir haben also eine Ausgangslage, die für trans Frauen in feministischen Räumen ziemlich beschissen ist. Weil die Gleichsetzung von Genitalien mit Geschlecht und die daraus folgende Erziehung zu Männern als „Gefährdern“ in Form von Transmisogynie direkt auf (trans) Frauen projiziert wird. Und während feministische Strukturen gegen Patriarchat und Sexismus kämpfen, unterstützen sie häufig aufgrund dieser unreflektierten Projektion den Ausschluss von trans Frauen aus feministischen Räumen. Das beginnt bei „Frauen*“ und endet beim „transsexual Empire“ und dem richtig harten TERF-Shit.

    Wir haben aber auch eine Ausgangslage, die AFAB nichtbinäre Personen zu „Frauen light“ oder auch „cis Frauen mit ein bisschen Glitzer“ erklärt. Schließlich wollen sie sich aus der patriarchalen Kategorie „Frau“ lösen, aber ja „nicht so richtig“ (i.S.v. binäre Transition.) Das kann dazu führen, dass AFAB nichtbinäre Personen (und teilweise trans Männer) Zugang zu feministischen Räumen haben, der AMAB Personen verwehrt bleibt. Aufgrund internalisierter Transmisogynie wird dann diese Form von Transfeindlichkeit („Frau light“) als Waffe gegen unliebsame AMAB Personen verwendet. Weil „Penis = Mann = gefährlich“ oft nicht ausreichend reflektiert wird – und tief in der derzeitigen Gesellschaft steckt. Weil AFAB Personen von Kindheit an die Gleichsetzung „Penis = Männlichkeit = Gefahr“ internalisiert haben, projizieren sie diese in Form von Transmisogynie auf trans Frauen und AMAB nichtbinäre Personen, was zum Ausschluss jener aus feministischen Räumen führt. Im Wissen, dass sie als „weiblich gelesen“ bzw. „Frauen light“ in feministischen Räumen eher Schutz zu erwarten haben, da bei anderen AFAB Menschen (wie beispielsweise cis Frauen) der gleiche Bias besteht. Muss bewusst verlernt werden, muss nicht bewusst passieren. Aber. Hat bewusst verlernt zu werden. Ja.

    Aber auch AFAB Personen leiden unter Transfeindlichkeit.

    1. „Aufsteigen“ im Patriarchat muss bestraft werden, weil „Frau muss an ihren Platz“.
    2. Fragile Heterosexualität, weil cis male Heten AFAB bestrafen müssen, dass sie auf selbige stehen, weil Bedrohung ihrer Heterosexualität.

    AMAB Personen erleben es in folgender Ausprägung:

    1. Die Transgression bei einer transfem Transition ist größer. („Mann sein zu wollen“ gilt als „natürliches Streben der Frau“) Bei AMAB Transition wird es dagegen als „pathologiesierender Wahnsinn“ wahrgenommen – und abgewertet.
    2. Fragile Heterosexualität und (CN T****) are gay aka gay/trans panic defense.

    Schlussendlich läuft Transfeindlichkeit also grundsätzlich auf eine Angst vor der Fragilität des Cistems hinaus. Transmisogynie dagegen ist die Projektion internalisierter Erwartungen an Männlichkeit auf Frauen. (Auch gerne mit vermeintlich „männlicher Sozialisierung“ begründet. Was die Komplexität von Sozialisation zwar unfassbar verkürzt, aber hübsch einfach klingt.)

    Als Person, die sehr lange (fast zehn Jahre) in femicistischen Gruppen aktiv war, kann ich aber – im Gegensatz zu transfemininen Personen, die diesen Zugang nie erhielten, auch diese Sichtweise beitragen:
    Die gefallene Schwester zu sein, die im Patriarchat aufsteigen will und den Feminismus verraten hat, der mehr oder weniger direkt psychiatrischer Aufenthalt nahegelegt wird und die gleichzeitig weder im Feminismus, noch auf der Straße stealth (also im korrekten Geschlecht, aber unerkannt) leben kann, von „du verstümmelst deinen Körper“ ganz abgesehen – der Vergewaltigungsvorwurf kommt auch da. Spätestens, wenn 1 mit Testo anfängt, weil wieder „Testosteron = Männlichkeit = Gefahr“ greift.

    Ja, es gibt bestimmt AFAB Personen, welche den Vorteil des „feministische Räume schützen mich“ gegen AMAB Personen verwenden. Das ist problematisch. Daraus einen Vorwurf an eine Gruppe zu imaginieren, die ebenfalls massiv unter dem Cistem leidet – und niemals die Option auf Passing (als das Geschlecht wahrgenommen werden, das 1 ist) hat – ist mindestens genauso problematisch.

    Der eigene Tellerrand eignet sich nur schlecht bis gar nicht für eine strukturelle Machtanalyse.

  • Suck my dick, Boi!

    Ich bin wütend. Ich bin außerdem aufgedreht, empowert und habe Lust auf Sekt, aber vorher will ich diesen Artikel schreiben, solange der Eindruck noch frisch ist.

    Linke Männer. Nehmen wir einen Typen, nennen wir ihn Matze. Matze ist gar kein Macker, Matze ist „kritisch männlich“. Matze kennt alle Buzzwords (Feminismus, Aktivismus, Anarchismus, Männlichkeit, Diskriminierung). Matze lebt schon irgendwie in einer offenen Beziehung, zumindest hat seine Freundin zugestimmt, dass er herumvögeln kann. Laut ihm kommt sie damit zwar nicht gut zurecht, aber er hat halt so große Lust dazu.

    Matze ist ein Arschloch. Aber weil Matze das immer nur bei einzelnen Personen macht, wird Matze dafür nicht zur Rechenschaft gezogen. Matze trifft vor allem FLINT-Personen. Er übertritt keine Grenzen, er verschiebt nur Grenzen immer weiter nach hinten, bis er bekommt, was er will.
    Wird er dafür kritisiert, tut er überrascht – er würde NIE eine Grenze überschreiten, das wäre ja fürchterlich!
    Zurück bleibt eine verwirrte Person, die ihre eigenen Erfahrungen hinterfragt. Aber Matze ist für ihre emotionalen Bedürfnisse auch nicht zuständig, schließlich sei ja alles casual und abgesprochen.

    Im besten Fall redet diese Person mit Freund_innen. Im allerbesten Fall trifft die Person Menschen, die ebenfalls Erfahrungen mit Matze haben. Und dann stellen alle fest: Es sind immer wieder die gleichen Geschichten, sie unterscheiden sich nur situativ. Hinterher steht im Raum… …was jetzt? Und: Warum haben wir das nicht viel früher erkannt?

    Weil patriarchale Strukturen auch in linken Räumen ein Problem sind. Weil Menschen wie Matze geschickt darin sind, ihr manipulatives Verhalten hinter „Szenezugehörigkeit“ zu verstecken. Weil FLINT immer noch vorgeworfen wird, sie würden ihre „persönlichen Probleme“ in Gruppen tragen, wenn sie darüber reden wollen. Weil das private, das sexuelle bitte innerhalb der eigenen vier Wände zu bleiben hat. Weil linke Räume immer noch eher Rufmord wittern, als Verhalten zu hinterfragen.
    Weil das Patriarchat auch unsere Szene vergiftet und FLINT die Verantwortung bei sich suchen, anstatt auf ihre eigenen Grenzen zu hören und sie zu beachten.

    Wir alle kennen einen solchen Matze. Aber die Szene ist klein, wir können nicht alle cis Dudes verlieren, die irgendwie uncool sind. Und wir wollen ja auch nicht, dass Menschen Angst vor einem Outcall haben müssen.

    Wollen wir nicht? Ich schon. Ich will, dass Menschen den Arsch hochkriegen. Und wenn sie es aus Angst vor feministischer Intervention tun, nun, dann ist dem eben so. Befreite Gesellschaft heißt, dass wir Normen überwinden und die des Patriarchats sind eindeutig Teil davon. Ich will ohne Angst reden können. Ich will das Private politisch machen.

    Und vor allem… Ich will Anerkennung für die Arbeit, die jeder Matze auslöst. Treffen organisieren. Erfahrungen abgleichen. Die eigene Betroffenheit von Übergriffen anerkennen. Die Auseinandersetzung mit eigenen Emotionen. Die Übersetzung eigener Emotionen in strukturelle Diskriminierungen. Die Abgrenzung. Das Aushalten von Schmerz, von „Warum hab ich nichts getan“, von internalisiertem victim blaming.

    Das Verhalten von Matze hat Auswirkungen – und die wenigsten Matze machen sich Gedanken darum. Nebenbei Tätertum – obwohl ja „eigentlich“ nichts schlimmes passiert ist. Bla.

    Ich möchte einen umfassenden Feminismus. Kein Feigenblatt, keine Kirsche auf der Torte. Und ja, heute bin ich nicht analytisch. Ich bin wütend über das Patriarchat und glücklich, dass Empowerment wichtig ist, richtig ist und funktioniert. Und jetzt gönne ich mir Sekt mit Glitzer und zeige den Matzes dieser Welt den Mittelfinger.

    Suck my Testodick, Boi.

  • Krümel und Kuchen

    WIR WOLLEN KEIN STÜCK VOM KUCHEN, WIR WOLLEN DIE GANZE BÄCKEREI!

    Einer der beliebtesten Demosprüche vor allem feministischer Demonstrationen. Er signalisiert, dass die Betroffenen durchaus sehen, dass ihnen zwar ein bisschen gleichberechtigter entgegengekommen werden soll, aber sie eben nur ein Stückchen abhaben sollen, obwohl es grundsätzlich um eine gleichberechtigte Teilhabe geht, um ein selbstbestimmtes Leben, ohne Kapitalismus, ohne Patriarchat. Eben um die ganze Bäckerei.

    Ich war Teil dieser Demonstrationen. Ich war acht Jahre Feministin, bevor ich erkannte, dass ich Feminist_in bin. Das ich zwar sehr lange für eine Frau gehalten wurde, aber keine Frau bin – sondern nichtbinär, genderfluid. Ich hab meinen offiziellen Namen, meinen Personenstand und meine Anrede ändern lassen und eine Hormonersatztherapie begonnen.

    Ich wusste, es würde Änderungen bedeuten. Ich wusste, es würde Menschen irritieren und bereits der Weg hin zu den rechtlichen Änderungen gab mir einen Vorgeschmack dessen, was meine bloße Existenz mit der Gesellschaft machte – sie irritieren, verunsichern und viel zu oft war die Reaktion mehr oder minder gut versteckte Aggression.

    Was ich nicht erwartet hatte, war, wie viel Einfluss es auf meine feministische Arbeit haben würde. Ich war plötzlich nicht mehr gleichberechtigt in feministischen Kämpfen, sondern „nur noch“ trans. Mir wurde – und wird – das Recht abgesprochen, Teil vom 08. März sein zu dürfen, da ich ja nicht die gleichen Diskriminierungen erfahren würde wie Frauen.
    Teilweise wurde ich aus Gruppen ausgeschlossen, da die Quotierung nur für Frauen galt und meine Anwesenheit eine cis-männliche-Dominanz bedeutet hätte.
    Mein Körper wird vereinnahmt, wenn es um (ungewollte) Schwangerschaften geht, während meine intellektuellen Beiträge ausgeklammert werden, da diese ja nur trans Personen betreffen würden und für den feministischen Diskurs keinen Mehrwert hätten.

    Auf der nächsten „Marx ist Muss“ wird es Veranstaltungen geben, die sich zum Schwerpunkt gemacht haben, trans Kämpfe und Frauenkämpfe zusammenführen zu wollen – ohne daran zu denken, dass trans Frauen eigentlich schon zu den Frauenkämpfen gehören sollten und trans Männer mehr Erfahrungen mit den Themen der Frauenkämpfe haben, als allen eigentlich lieb ist. Es wird Transfeindlichkeit reproduziert, um sich im Anschluss solidarisch mit trans Personen (die Originalformulierung ist leider transfeindlich) zeigen zu können. Ein Stück vom Kuchen? Nein, ausschließlich Krümel.

    Ich weiß, wie sich feministische Kämpfe anfühlen, die mich einschließen. Ich weiß, wie sich feministische Solidarität, Solidarität unter Frauen anfühlt. Habe ich die mir erschlichen, sie heimlich ausgesaugt, wie mir so oft unterstellt wird, weil ich zu dem Zeitpunkt noch keine Worte hatte für mein Empfinden? Ist es nur gerecht, dass ich ausgeschlossen werde, schließlich habe ich durch meine Existenz keine Solidarität, zumindest keine selbstverständliche, verdient?
    Vor drei Jahren war der 08. März noch mein Tag, dieses Jahr wurde mir gesagt, er wäre nur für Frauen, ich solle mich verziehen, schweigen, solidarisch mit Frauen sein.
    Während mir keine Solidarität entgegengebracht wird, immerhin hätte ich mich ja selbst dazu entschieden, mich zu outen und müsste jetzt mit den Konsequenzen leben. Das klingt, als wäre Feminismus, dieser Femicismus, eine Gemeinschaft, aus der ich freiwillig ausgetreten wäre und nun die gerechte Strafe dafür erhielte, keine Frau zu sein.
    Ich wäre ja Teil der Transkämpfe, so als trans Person. Und natürlich müsste der Feminismus auch solidarisch mit den Kämpfen von trans Personen sein, so sei das ja nicht. Aber gleichberechtigt seien diese Kämpfe nicht. Trans Männer und nichtbinäre Personen haben am FrauenKampfTag solidarisch zu sein, um dann am NonbinaryDay alleine zu stehen.
    Oder könnt ihr mir sagen, wann NonbinaryDay ist? Könnt ihr euch auch an die großartige Solidarität, das Pushen des Tages und den eigenen Hashtag auf Twitter mit süßem Bildchen dahinter erinnern? Nein? Ich auch nicht, es hat nämlich nie stattgefunden.

    Sozialisation ist komplizierter, als cis Geschlechterdenken es uns glauben macht. Sie ist nicht nur von außen oder von innen heraus zu betrachten. Trans Frauen zu unterstellen, sie wären ausschließlich männlich sozialisiert worden, ist genauso falsch, wie trans Männern zu signalisieren, sie hätten absolut keine Ahnung, wie es sei, als Frau gelesen zu werden.

    Ich hatte den Kuchen, nun bekomme ich Krümel zugeworfen und habe dafür dankbar zu sein.

    ICH WILL KEIN STÜCK VOM KUCHEN, ICH WILL NICHT EURE KRÜMEL, ICH WILL DIE GANZE BÄCKEREI!

    Dankeschön.
    (Internationaler Tag der Nichtbinarität ist übrigens am 14. Juli, falls ihr Lust habt, dieses Jahr mal solidarisch zu sein.)

  • BDSM und Feminismus

    Let’s talk about Sex! Also, Sex, Kink und BDSM.

    Vor ein paar Tagen sah ich einen „feministischen“ Film, in dem es um Gewalt an (cis) Frauen ging.
    Dabei fiel unter Anderem der Satz „Sie schlagen uns.“. Unterlegt mit dem Bild einer an die Wand gepressten, weiblich gelesenen Person. Sie streckt ihren Po nach hinten und sah im Großen und Ganzen nicht unzufrieden mit der Situation aus. Es wirkte eher wie eine erotische BDSM Darstellung als Gewalt.

    Ich war verärgert. Gewalt – ausgeübt von cis Männern, am meisten betroffen sind Frauen – ist ein gewaltiges Problem, strukturell bedingt durch das Patriarchat. Wir müssen darüber sprechen und Strukturen aufbrechen. Cis männliche Vorherrschaft abschaffen. Müssen wir nicht diskutieren. Was es nicht braucht: Das Bild devoter, sexuell selbstbestimmter Frauen, welches mit Gewalt gleichgesetzt wird.

    Am gleichen Tag las ich dann auch noch, dass BDSM nichts anderes wäre, als unter Erwachsenen Kindesmissbrauch nachzuspielen und dann war ich endgültig bedient.

    Hier also ein Artikel über Sex, BDSM, Feminismus und Selbstbestimmung.

    BDSM = antifeministisch?

    Also, kommen wir zu dem, was gerne als „antifeministisch“ verschrien wird: „weibliche“ Unterwerfung.
    (Ich übernehme diesen Begriff, obwohl ich ihn problematisch finde. Er rückt vor allem cis Frauen in die Perspektive. Nicht cis Frauen bleiben unbeachtet.) Es geht der Kritik an BDSM aber um alle afab Personen, ungeachtet ihres Geschlechts.

    So werden cis Frauen gemacht – und trans Personen diskriminiert.

    Der Feminismus der zweiten Welle (Alice Schwarzer und KonsortInnen) war und ist der Meinung, dass Männlichkeit und männliche Dominanz in allen Lebensbereichen herrscht (stimmt, soweit) und deshalb auch das Sexleben von Feministinnen radikal feministisch sein müsste (maybe) und sogenannte „weibliche Unterwerfung“ nur das Patriarchat stützen würde (stimmt definitiv nicht). (Und „weibliche Dominanz“ stützt das Patriarchat auch, weil es ja Safewords gibt. Kinky Frauen und afab nichtbinäre Personen können nur verlieren. Yay.) Ich hab mich mal ein bisschen durch diese Variante des Feminismus gewühlt und folgende Texte gefunden.

    Kritk an Blowjob und Valentinstag [EMMA]

    1. Der Koitus verdammt die Frau zur Passivität und ist so für Männer die unkomplizierteste und bequemste Sexualpraktik. Beine breit machen genügt.

    2. Die psychologische Bedeutung dieses in sich gewaltsamen Aktes des Eindringens ist für Männer (und Frauen) sicherlich von Bedeutung. Bumsen – wie es so traurig treffend heißt als höchste Demonstration männlicher Herrschaft und weiblicher Unterordnung.

    3. Nur der Mythos von der zentralen Bedeutung des Koitus sichert Männern das Sexmonopol über Frauen, macht sie unentbehrlich denn penetrieren können nur sie. Das ist der kleine Unterschied. Der „vaginale Orgasmus“ ist eine Erfindung der Männergesellschaft. EMMA,1977

    Sexualität hatte über Jahrhunderte, ja Jahrtausende nichts mit Lust zu tun, sondern mit Macht. Macht von Männern über Frauen. Und es gab entweder die käuflichen Sünderinnen, zuständig für die Lust; oder die abhängigen Heiligen, zuständig für die Arbeit im Haus. Emanzipation der Frauen implizierte also zwangsläufig auch die Emanzipation der weiblichen Sexualität.

    Doch so schnell waren die Söhne nicht bereit, die Macht aufzugeben. Denn nun kamen wir. Die Feministinnen. Wir stellten die Machtfrage. Im Leben und in der Liebe. […] Und wir entdeckten unsere Körper und unsere Lust. Das war nicht nur ein harter Kampf, es war auch ein wahres Fest. Wir tanzten von Erkenntnis zu Erkenntnis, von Abenteuer zu Abenteuer. Die Gender-Studentinnen von heute würden zart erröten, ahnten sie nur, was wir alles so angestellt und erlebt haben. […}

    Nie zuvor und nie danach ist so offen über den weiblichen Körper und die Lust der Frauen geredet und geschrieben worden wie in den 1970er Jahren, diesen Jahren des Aufbruchs der Frauen. Doch keiner Frau wäre es damals auch nur im Traum eingefallen, die Trennung von Sexualität und Gefühl oder den Konsum entseelter Pornografie für sonderlich emanzipiert zu halten; von der Prostitution, als Objekt oder Subjekt, ganz zu schweigen. […] Gleichzeitig aber steigt die Pornografisierung unserer Gesellschaft, diese Verknüpfung der sexuellen Lust mit Lust an Erniedrigung und Gewalt. […] Und auch der weibliche Masochismus – diese unbewusste Bewältigung von Schmerz und Erniedrigung durch ihre Umwandlung in Lust – steckt noch tief in den Knochen der Frauen.

    Oh Hilfe, hier wird behauptet, die Vagina hätte quasi null Nerven. Der Text ist von 2016! (Okay, sie behauptet das durchgehend seit 1977). Und alle Personen mit Vagina sind automatisch Frauen. Naja. Das ist genug Material für einen anderen Artikel.

    Menschen haben Vorlieben, Kinks, Fetische. Gerade „weibliche“ Fetische wurden sehr lange pathologisiert, verunsichtbart und unterdrückt. Sie durften nicht ausgelebt werden, zumindest nicht in einem konsensuellen, selbstbestimmten Rahmen. (Frauen und afab nichtbinäre Personen durch sexualisierte Gewalt zu unterwerfen, das ging jedoch voll klar. Weil Patriarchat.)

    Fazit

    Zwischen der Unterdrückung von Frauen und afab nichtbinären Personen und konsensuellem Sex liegt ungefähr so viel Raum wie zwischen mir und dem Boden des Marianengrabens. Das liegt daran, dass konsensueller Sex eigentlich die – für das Patriarchat – gefährlichste Art ist, Sex zu haben. Beide Personen sprechen auf Augenhöhe miteinander, über ihre Bedürfnisse und Wünsche und Fantasien. Bei Sessions wird noch ein Safeword (oder etwas ähnliches) vereinbart, es werden „harte“ und „weiche“ Limits festgelegt – die harten Limits werden niemals angetastet, die weichen Limits dürfen gemeinsam erprobt werden. Augenhöhe zerstört aber das Machtgefälle, welches das Patriarchat aufgebaut hat – Augenhöhe ist eben keine „Unterdrückung durch Sex“, sondern ein bewusstes Auseinandersetzen mit den eigenen Wünschen, Bedürfnissen, Kinks, Fetischen und dem eigenen Körper.

    Dabei ist – solange es selbstbestimmt geschieht und keine Dritten davon unkonsensuell beeinflusst werden – völlig irrelevant, auf welchen Kink sich bezogen wird. Oder ob es überhaupt um BDSM geht.

    Wie genau Neigungen und Kinks entstehen, wurde noch nicht ausreichend erforscht. Es steht jedoch fest, dass es weder eine Krankheit, noch ein charakterlicher Mangel ist, bestimmte Praktiken zu bevorzugen, masochistisch, sadistisch oder devot zu sein.

    Gleichzeitig drängt die Behauptung, „weibliche“ Dominanz sei „Patriarchat über Bande“, dominante, feminine Personen in Rollen. Rollen, die sie gar nicht haben wollen. Zuerst Anerkennung, dass es sich um eine einvernehmliche Vereinbarung handelt, dann Waffe gegen sie. Denn dominante Weiblichkeiten würden dies ja nur tun, um dem (devoten) Patriarchat zu gefallen. Das bedeutet, es kann in dieser Lesart des Feminismus keine selbstbestimmten Kinks geben.

    Das halte ich für zutiefst misogyn.

  • Schminke und Adorno.

    Es gibt kein Richtiges im Falschen – oder warum die Kücheneinrichtung der fünfziger Jahre auch für den Feminismus gilt. Und was Schminke eigentlich mit Adorno zu tun hat.

    Ich könnte damit beginnen, dass bereits meine Überschrift irreführend ist, denn DEN Feminismus gibt es gar nicht. Es gibt unterschiedliche Strömungen und Menschen interpretieren Feminismus unterschiedlich.

    Für mich bedeutet Feminismus, dass ich gegen jede Ungleichbehandlung von Menschen aufgrund ihres Geschlechts bin. Geschlecht ist hierbei das, was Individuen als selbiges bezeichnen. Dabei müssen wir berücksichtigen, dass wir in einer patriarchalen, transfeindlichen, dyacissexistischen Gesellschaft leben. Somit müssen zunächst die nicht-privilegierten Personen supportet werden. Eine scheinbare Ungleichbehandlung ist nötig, um Gleichstellung zu erreichen.

    Sexistische Erwartungen

    Frauen wird in dieser, unserer Gesellschaft eine Menge an Ansprüchen mitgegeben: Sie sollen gut aussehen (also dünn, weiß, sportlich, zierlich, symmetrisch, modisch, angemessen geschminkt, etc. pp.), intelligent, aber auch emotional und familiär sein. Sie sollen gleichzeitig für die Familie sorgen (und eine haben wollen), einer Arbeit nachgehen (die höchstwahrscheinlich schlechter bezahlt ist als die von Männern) und dabei auch noch jung und schön (was sich je nach Schönheitsideal durchaus ändern kann) bleiben. Weiblichkeit wird als „schwach“ wahrgenommen und Frauen signifikant häufiger Opfer von sexueller und/oder häuslicher Gewalt (und dann im Zweifelsfall nicht ernst genommen, weil „Frauen sind ja so emotional und denken sich das nur aus“.)

    Wer gegen dieses Anspruchsdenken ist, wird meistens Feminist_in. Dabei gibt es verschiedene Strömungen (und einige davon hält die schreibende Person für wirklich schrecklich). Eine Vertreterin einer davon hat vor kurzem einen Text veröffentlicht. Zusammengefasst ist der Inhalt, dass Frauen sich weder schminken noch hohe Schuhe tragen sollten, noch Strumpfhosen oder „hübsche“ Outfits, denn von Männern würde dies ja auch nicht erwartet. Es ist völlig irrelevant, wer das war, die Debatte ist über fünfzig Jahre alt und kommt immer wieder.

    Das geht meiner Meinung nach auf vielen Ebenen in die falsche Richtung.

    Erstens erleben Männer andere Erwartungen, was das äußerliche Erscheinungsbild angeht und mit Sicherheit sind diese nicht so streng wie bei Frauen, aber sie sind vorhanden. Außerdem macht diese Erwartungshaltung die von struktureller Diskriminierung Betroffenen zu Täter_innen, da sie ja „selbst schuld“ seien, wenn sie sich „freiwillig“ dem Druck des Patriarchats unterwerfen würden.

    Strukturelle Diskriminierung

    Dabei übersieht diese Analyse, dass strukturelle Diskriminierung, ja, nun mal strukturell ist. Das bedeutet, dass es in diesem System immanent ist, Frauen zu unterdrücken. Ob diese dabei geschminkt sind oder nicht, ist dem System egal. Gesellschaftlich angepasst geschminkte Frauen haben jedoch innerhalb dieses Systems Vorteile, weil sie nach den Regeln spielen. Oder schlicht Spaß daran haben, sich zu schminken. Die Intention ist hier erstmal irrelevant.

    Wichtig ist, dass es einfach nichts bringt, Menschen, die in diesem System überleben wollen, für ihren Überlebenswillen zu kritisieren.

    Wenn Menschen alt genug sind, dass sie sich übers Schminken Gedanken machen, erlebten sie bereits ihr Leben lang gesellschaftliche Sozialisierung. Herauszufinden, was bei Individuen charakterlich (Spaß am Schminken) und was gesellschaftlich indoktriniert (Frauen schminken sich nunmal gerne) ist, ist unmöglich. Deshalb sollte es auch nicht Ziel einer gesamtgesellschaftlichen Kritik sein. Ich schätze feministische Psychoanalsyse sehr, dennoch ist sie die Grundlage, nicht der Lösungsweg.

    Das Problem im Patriarchat sind weder Frauen, die sich schminken, noch Frauen, die das Schminken verweigern. (Die gleiche Diskussion gilt übrigens auch für die Themen Enthaarung, High Heels, kurze Röcke/Kleider, Hotpants und lange Haare). Das Problem ist einerseits, dass Schminken als weiblich konnotiert ist und damit Männer, die sich schminken, abgewertet werden (weil als weiblich konnotierte Dinge grundsätzlich dazu verwendet werden, Männer abzuwerten). Andererseits die Erwartungshaltung, dass Frauen sich schminken MÜSSEN, um im patriarchalen Spiel um Normschönheit mitspielen zu dürfen.

    Normschönheit wird belohnt. Aber es kann durchaus ein empowernder, emanzipatorischer Akt sein, sich aus diesem Spiel bewusst herauszunehmen und gegen die gesellschaftlichen Erwartungen zu verstoßen. Inwieweit das möglich ist, ist eine andere Diskussion.

    Problematiken

    Kein emanzipatorischer Akt dagegen ist es, Frauen vorzuwerfen, dass sie Mittel und Wege wählen, die nicht die eigenen sind. Auch nicht, sie als „Opfer des Systems“ abzuwerten.

    Anstatt von Frauen zu erwarten, dass sie sich den Männern anpassen, wäre eine grundsätzliche Analyse von Männlichkeit und Weiblichkeit notwendig. Dazu gehören natürlich auch Erwartungshaltungen und Sozialisation. Alternativ ein Aufbrechen von weiblich konnotierten Handlungen/Verhaltensweisen durch Männer, damit die Abwertung aufgrund von zugeschriebener Weiblichkeit nicht mehr funktioniert. Lackierte Nägel und Lippenstift für alle!

    Schminke und Adorno

    Womit wir übrigens bei den Küchenmöbeln der Fünfziger angekommen sind, denn Adornos berühmt-berüchtiger Ausspruch „Es gibt kein richtiges Leben im Falschen“ bezieht sich auf ebenjene Inneneinrichtung. Ein Leben innerhalb dieser sei nicht möglich. Natürlich ist das eine Metapher, aber auch „Schminke und Adorno“ ist eine. Der Satz „es gibt nichts richtiges im falschen“ wurde so oft in beliebigen Kontexten verwendet, dass er selbt beliebig wurde.

    Allerdings lässt sich dieser Satz wunderbar in weitere Kontexte einfügen. Somit gibt es für Frauen tatsächlich in dieser Gesellschaft keine Möglichkeit, frei von patriarchalen Strukturen zu leben. Bleibt als einzige Möglichkeit eine Veränderung der Gesellschaft, frei von patriarchalen Zwängen und Sexismus.

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