Schlagwort: Transfeindlichkeit

  • Sozialisiert im Patriarchat

    Kürzlich las ich (erneut) diesen Text von Jeja Klein. Jeja schreibt darüber, wie es ist, immer wieder zur Frau gemacht zu werden und selbst wenig tun zu können, dieser Zurichtung von außen zu entkommen. Daraufhin fragte Kim Posster, ob es solche Texte auch in Bezug auf Männlichkeit(en) gäbe – ihm wäre nichts bekannt. Ab jetzt gibt es so einen Text. Oder den Versuch davon. Sozialisiert im Patriarchat, zwei nichtbinäre Perspektiven.

    Wir sind zwei nichtbinäre, neurodiverse Menschen. Eins von uns wird innerhalb dieser Gesellschaft zur Frau gemacht, erfährt Sexismus, Misogynie, sexualisierte Gewalt im öffentlichen Raum. Wurde weiblich sozialisiert. Irgendwie.
    Das andere nicht. Die Perspektiven der afab Person werden in fett dargestellt, die Perspektiven der amab Person in kursiv. (Eins von uns ist außerdem inter, aber das ist Material für einen anderen Text.)

    AFAB

    Manchmal will ich nicht mehr trans sein. Testo hat mich mit meinem Körper versöhnt, ich bin zufrieden mit der tiefen Stimme, dem veränderten Körperfettanteil, dem leichten Bartschatten. Es hat meinen Kleidungsstil nicht beeinflusst, ich liebe Röcke, Kleider, Strumpfhosen, Hotpants, Overknees. Es hat meine Füße vergrößert, was meiner Schuhsammlung ein trauriges Grab und ein bewusstes Auferstehen bescherte. Aber solange ich mich nicht anstrenge, werde ich nicht als Mann wahrgenommen – entweder als androgyne Frau, als vorpubertärer Junge oder als trans Frau (ohne Passing). Kommt natürlich immer auch daran, ob ich Binder trage (und mir damit die Brüste flachdrücke) oder BH (und meine Rückenschmerzen sich in Grenzen halten).
    (Und wenn ich mich anstrenge, fühle ich mich unwohl und wie verkleidet. Also lasst mir meinen Stil, okay?) Und das ist nur die Außenwahrnehmung. Geht es um Konflikte oder zwischenmenschliche Erwartungen, fühle ich mich immer wieder weiblich sozialisiert.

    AMAB

    Ich möchte manchmal mehr Bart haben – und manchmal gar keinen. Brüste wären schön und ein bisschen weniger Behaarung. Aber eine Östrogen HRT oder Testoblocker sind nicht der richtige Weg für mich (ich habe es ausprobiert). Eine Testo-HRT, so stark dosiert, dass mir schon wieder Brüste wachsen, klingt manchmal verführerisch. Aber in den meisten Fällen möchte ich mich nicht mit meinem Körper beschäftigten. Es ist so anstrengend. Es gibt für mich keinen „richtigen“ Weg, meinen Körper zu verändern – nur unterschiedlich falsche. Also lasse ich es so, wie es ist.

    AFAB

    Meine Pronomen sind es/nims oder they/them. Jedes Mal, wenn ich mich vorstelle, muss ich erklären, dass ich trans bin, dass es nicht entmenschlichend ist, über mich mit „es“ zu sprechen und das Leute bitte aufhören sollen, ihre persönlichen Befindlichkeiten diesbezüglich über meine Wünsche zu stellen. Dabei bin ich manchmal höflich und manchmal laut. Danach fühle ich mich schlecht – weiblich sozialisiert. Ich bin in einem dauerhaften Outing-Prozess, es nicht zu tun, ist keine Option, wenn ich nicht jedes Mal zusammenzucken will. Ich habe einen neutralen Namen, selbst, wenn ich mich nicht als „nichtbinär“ vorstelle, kommen Fragen. (Ist das dein echter Name? Wie heißt du wirklich? Wie war dein Deadname?)

    AMAB

    Meine Pronomen sind er/ihm oder they/them. In den meisten Fällen nutzen Menschen einfach er/ihm. Das ich kein cis Mann bin, ist in meinem Umfeld bekannt, außerhalb dessen bin ich ungeoutet. Aber auch in diesem engen Kreis vergessen Menschen oft, dass ich kein Mann bin. Ich bin ageschlechtlich, ich habe keinen Zugang zu dem Konzept „Geschlecht“. Jeder Erklärungsversuch scheitert an meiner Wortlosigkeit, es korrekt zu beschreiben. Die Zuschreibung überlasse ich deshalb dem außen – wenn ich als Mann wahrgenommen werde, macht mich das dysphorisch, aber in dieser Gesellschaft habe ich nichtsdestotrotz Vorteile dadurch. Ich erlebe Schwulenfeindlichkeit, Femininitätsfeindlichkeit, aber keine explizite Transmisogynie. Ich werde in Ruhe gelassen. Männlich sozialisiert. Ich ertrage lieber, dauerhaft misgendert zu werden, als mich dieser offenen Feindlichkeit zu stellen. Habe die Wahl, zwischen zwei falschen Entscheidungen die zu wählen, die Privilegien mit sich bringt.

    AFAB

    Ich habe diese Wahl nicht. Manchmal nehme ich them übel, dass they diese, meine Kämpfe nicht führen muss. Ich werde seltener misgendert, aber ich werde immer als „das seltsame Andere“ wahrgenommen. Das Patriarchat macht mich zu einer Frau – oder versucht es zumindest. Und es ist sehr hartnäckig. Leuten ein „Ich bin KEINE FRAU“ entgegenzuschleudern, ist meistens nicht ausreichend. Meine Identität ist in dieser Gesellschaft unerheblich dafür, wie ich behandelt werde.

    AMAB

    Das Patriarchat macht mich zu einem Mann – und solange ich nichts aktiv dagegen tue, bekomme ich dadurch Raum. Es schließt mich aus FLINTA-Räumen aus (weil diese oft nur für cis Frauen und afab nichtbinäre Menschen wirklich safe sind), aber ich weiß auch meistens nicht, was ich in diesen Räumen soll. Ich bin FLINTA (sogar mehrere dieser Buchstaben gleichzeitig), aber sexualisierte Gewalt erfahre ich nicht. Zwar erlebe ich Transfeindlichkeit, aber auch männliche Privilegien.

    Ich werde auf der Straße und in der Gesellschaft nicht sexualisiert. Es ist kompliziert. Die Vereinfachung vieler Diskurse sieht mich nicht vor – und ich nehme nicht teil. Einerseits, weil ich wenig Grund habe, mich zu beschweren, andererseits, weil die Kämpfe meiner afab Geschwister und trans Frauen derzeit wichtiger, lebensbedrohlicher sind. Aber dieses „dazwischen“ ist ebenfalls kein Raum, in dem ich teilhaben kann. Ich bin unsichtbar, unsichtbar in einer Sicherheit in dieser Welt, die nicht selbstverständlich ist. Ich werde oft als schwul oder queer wahrgenommen, auch wenn nur letzteres zutrifft.

    AFAB

    Für mich waren schwule Räume, tuntige Räume Orte der Selbstermächtigung. Orte, an denen ich sein konnte und mich wohl fühlte. An denen ich nicht sexualisiert wurde – oder in einer Art sexualisiert wurde, die ich wollte. Orte, an denen ich selbst entscheiden konnte, wie ich mit meiner Männlichkeit umgehen wollte und wie viel Weiblichkeit ich zulassen will. An denen maskuline Personen im Kleid keine Lächerlichkeit sind und nicht hinterfragt werden. Tuntige Räume gaben mir immer mehr Sicherheit als sogenannte FLINTA-Räume oder queere Räume – auch aus persönlichen Gründen. Der Umgangston in schwulen, tuntigen Räumen ist für mich gut umsetzbar, gesellschaftliche Konventionen in FLINTA-Räumen erschließen sich mir nicht immer. Und ausgeschlossen zu werden, weil die eigene Kommunikation falsch ist, erlebe ich zu oft (ganz ohne männliche Privilegien).

    AMAB

    Ich bin männlich sozialisiert. An mich wurde immer eine Erwartungshaltung herangetragen, die mit der, die cis Männer erfahren, identisch ist. Diese Erwartungshaltung konnte ich für mich annehmen, ich hatte aber auch das Gefühl, ich würde von „weiblichen“ Erwartungen eher angesprochen. Wissentlich, dass es Erwartungen sind, die an Frauen gestellt wurden, dennoch überwog ein „ich weiß, was ihr von mir wollt, aber ich finde alles komisch“. Ich fand geschlechtliche Erwartungen, die an mich gestellt wurden, gleichbleibend seltsam. Mein Umfeld hatte damit jedoch einen anderen Umgang als ich.

    Mein inneres Outing war eher ein „okay, männlich stimmt nicht, aber weiblich stimmt auch nicht und eigentlich ist es mir egal, und das ist okay“. Ich würde nicht behaupten, dass das eine allgemeingültige Erfahrung ist, die alle amab nichtbinären Personen machen, aber ich kann sie für mich annehmen. Gleichzeitig bin ich kein Mann – ich gehe als einer durch, aber ich bin es nicht. Ich habe kein positives/negatives Verhältnis zu Männlichkeit, ich sehe nur die Erwartungen, das Kommunikationsverhalten, die Unfähigkeiten, die mir durch dieses „für einen Mann gehalten werden“ vermittelt wurden.

    Fazit

    Sozialisiert werden ist eine individuelle Erfahrung, die gleichzeitig immer wieder auf gesellschaftliche Rollen zurückwirft. Andererseits sind es nicht unsere Identitäten, auch wenn sich Erfahrungen ähneln. Ähnlich wie dieser Beitrag die Erfahrungen von cis und trans Frauen gegenüberstellt, sind auch unsere Erfahrungen teilweise diametral. Wir müssen beide mit der Tatsache leben, niemals als nichtbinär erkennbar zu sein. Gleichzeitig ist es für them einfacher, zum Mann, zum Subjekt gemacht zu werden, denn als Frau, als „das andere Geschlecht“ zu überleben. Unser Umgang ist ein gemeinsamer. Gemeinsam gegen das Patriarchat. Erfahrungen abgleichen. Miteinander leben und kämpfen. Schutzräume schaffen, in denen Nichtbinarität die Norm ist. Und immer wieder kritisch Erfahrungsräume hinterfragen. Nichtbinarität ist eine leere Schablone, es gibt keine Erwartungen, nur Perversität.

  • TDOR – Trans day of remembrance

    CN Mord, Transfeindlichkeit, Suizid, Feminizid, TDOR

    Ein Jahr ist vorbei – ich lebe noch. Viele andere trans Personen nicht mehr.

    Es ist der 20. November, es ist trans day of remembrance (TDOR), der Tag, an dem wir um die getöteten trans Personen des vergangenen Jahres trauern und um jene, die diese transfeindliche Welt nicht mehr ertrugen.

    Es waren 375 Menschen, die aufgrund ihrer Transgeschlechtlichkeit ermordet wurden, der Großteil von ihnen waren Sexarbeiter_innen. Transfeminine Personen sind, wie jedes Jahr, deutlich öfter betroffen als transmaskuline Personen.

    Hier könnt ihr ihre Namen nachlesen – und ihre Geschichten, soweit bekannt und eine Veröffentlichung gewünscht wurde. Die Namensliste ist als pdf verfügbar. Sie wird jedes Jahr zum TDOR aktualisiert.

    Einsamkeit

    Ich wurde – wie jedes Jahr – zu Gedenkveranstaltungen eingeladen. Und habe – wie jedes Jahr – abgesagt. Ich kann nicht in Gesellschaft trauern – auch wenn unsere Trauer etwas politisches hat. Wir trauern, wir klagen an. Alle von uns trauern um Leben, die aus ideologischen, hasserfüllten Gründen beendet wurden. Wir trauern um jene Geschwister, die wir nur als Namensliste des Todes kennen. Wir trauern, weil wir wissen, wie es ihnen geht, wie es ist, mit Hass und Gewalt aufgrund der geschlechtlichen Existenz umgehen zu müssen.

    Ich sitze zu Hause, alleine. Lese die Namen, ich lese die Geschichten. Sitze in eine Decke gewickelt in meinem Zimmer und fühle mich leer. Ich möchte kämpfen, ich möchte schreien – aber ich der 20. November gehört der Stille und dem Schmerz.

    Familie

    Er gehört dem Nachdenken über eine Familienstruktur, die aus der Abweichung der geschlechtlichen Norm entsteht: trans Personen sind Geschwister. Ich zünde eine Kerze an. Dabei kenne ich keine der betroffenen Personen persönlich. Ich weiß nicht, ob wir uns verstanden hätten, uns sympathisch gewesen wären. Und trotzdem eint uns das trans Sein in dieser Welt, einer Welt, die noch immer nicht freundlich gegenüber Menschen wie uns eingestellt ist – weltweit. Der TDOR ist das Gegenstück zum trans day of visibility, wo ich mich sichtbar und stolz zeigen kann.

    Familien streiten sich, Familien können dysfunktional und toxisch sein. Alles davon trifft auch auf die trans Familie zu – und trotzdem sind es meine Leute. Und wenn sie ermordet werden, weil sie trans sind, dann ist jeder dieser Morde etwas, das den Rest der Familie daran erinnert, was uns passieren kann.

    Dieses Jahr ist die Erinnerung schmerzdurchsetzt, ich sehe, wie in Deutschland, Polen, Texas, Großbritannien (und das sind nur die ersten Länder, die mich durchzucken) unsere Rechte weiter beschnitten werden. Ich sehe, wie eine Welle transfeindlichen Hasses, ideologisch getränkt, durch Europa rollt. Sehe Menschen, die mir politische Standpunkte absprechen wollen, weil ich trans bin. Ich sehe die Angst in den Gesichtern meiner Geschwister, wenn es um politische Entwicklung geht. Sehe, wie transfeindliche Übergriffe und politische Aussagen zunehmen.

    CN Suizid

    Ich gedenke Ella, die sich am 14. September in Berlin das Leben nahm.

    Ich denke an Jugendliche, die ich begleitet habe und versucht, ihre Hoffnungslosigkeit zu mildern.
    Bei einigen weiß ich nicht, ob sie ihre Transition beginnen konnten, ob sie ihr Outing geschafft haben, ob sie (noch) leben oder ob ihre Depressionen zu stark wurden. Ich möchte nicht in einer Welt leben, in der trans Kinder wissen, was Suizid ist und sagen, dass sie lieber sterben würden, als noch weitere fünf Jahre durch eine Pubertät gehen zu müssen, die sie dysphorisch macht.

    Schmerz

    Dieser Text ist deutlich weniger durchdacht und analytisch als das, was ich normalerweise versuche zu schreiben. Gleichzeitig passt er zu den Gedankenfetzen, die in meinem Kopf umherschwirren und die alle ähnliche, hässliche Bilder zeigen.

    Ich blicke in die Kerzenflamme. Ich kann nicht weinen, aber ich kann trauern. Alleine, zu Hause, für mich. Und gleichzeitig habe ich diesen Text geschrieben, eine Anklage, eine Trauerrede, ein Bedürfnis – vor allem für cis Menschen, für diejenigen, die nicht ermordet werden, weil sie cis sind. Die ermordet werden, weil sie Frauen sind, durch Feminizide und die sich im Tod mit trans Personen gemeinsam treffen.

    Ich will nie wieder tote Frauen sehen, ob cis, ob trans. Ich will nie wieder tote trans Personen sehen, die ermordet wurden oder sich suizidiert haben, weil sie trans sind.

  • Swiss: Heilige, Hure und die Andern (Teil II)

    Ey, Swiss! Wer hat euch erlaubt, die Regenbogenfahne zu nutzen?!

    Ich, beim Sehen von „Nicht kommen sehen“.

    Moin.
    Es ist August 2021 (als ich angefangen habe. Mittlerweile ist Oktober, oh. November. Wir sehen, ich leide unter Prokrastination.). Immer noch wird ein Artikel über Swiss geteilt, den ich im Oktober 2020 schrieb – nichtsahnend, was ich damit auslösen würde. Er ist hier verlinkt und hat mittlerweile knapp 10.000 Aufrufe. Die dürft ihr auch gerne verdoppeln und vielleicht werden dann die Beleidigungen, die ich im Ergebnis erhalte, ein bisschen kreativer.

    Unkreative Beleidigungen schalte ich übrigens prinzipiell nicht frei und deshalb strengt euch bitte ein bisschen an, ja?

    Swiss und die Andern waren ein gar fleißiger Haufen und haben im vergangenen Jahr viel veröffentlicht. In vielen Fällen hat Swiss dabei mit anderen Bands zusammengearbeitet. Dieser Beitrag wird sich mit den neuen Songs (2020, 2021) und ihren Videos auseinandersetzen. Für ihren Instagram gibt es vielleicht, irgendwann einen dritten Teil. (Weil Minzgespinst mittlerweilde auf Insta ist, bekomme ich viel mehr Dinge mit, die ich eigentlich nie wissen wollte, aber lassen wir das.)
    Danke nochmal an jene, die meinen Beitrag wohlwollend geteilt haben und die sagten, sie hätten viel gelernt. Für euch mache ich das hier!

    Übersicht über die Veröffentlichungen

    Beginnen wir chronologisch und arbeiten uns durch, wie gesagt, die Jungs waren fleißig. An Singles und EP wurde folgendes veröffentlicht:

    1. Nicht kommen sehen (2020) – mit Video
    2. 10 kleine Punkah (2020) – mit Video
    3. Herz auf St. Pauli (2020) – mit Video
    4. Alkohol (2020) – mit Video
    5. Lebe deinen Hass feat Ruffiction (2020) – mit Video
    6. Bullenwagen (2020) – mit Video
    7. Wir sterben alle (2020) – mit Video
    8. Schwarz Tot Gold (2020) – mit Video
    9. Mittelfinger Richtung Zukunft (2020) – mit Video
    10. FDM-Punk (2020) – mit Video
    11. No Pasaran (2020) – mit Video
    12. Stück für Stück (2020) – mit Video
    13. Kein Talent feat. ZSK (2020) – mit Video
    14. Orphan (2021) – mit Video
    15. Zatan lebt! (2021) – mit Video
    16. Panikk (2021) – mit Video
    17. Linksradikaler Schlager (2021) – mit Video
    18. Solikasse mit Joshi (2021) – mit Video
    19. Antifa (2021) – mit Video
    20. Keine Gewalt/Plenum (2021) – mit Video

    An Alben wurden nur zwei Neuerscheinungen veröffentlicht, namentlich „Saunaclub“ (2020) und „Orphan“ (2021). Stattdessen bekam jede Single ihr eigenes Video, und die waren teilweise aufwendig produziert. Es wurde also ordentlich in die eigene Visualisierung investiert.

    Ich stelle fest, die Lieder sind marginal besser, wenn Swiss (und die Andern) mit anderen Bands zusammen auftreten. Was das für den Stil der Band sagt – whatever. Nicht mein Sterni.

    Inhaltliche Analyse

    Mehrere Dinge sind auf jeden Fall prägnant und ich fasse hier zusammen. Die Zwischenüberschriften geben einen groben Überblick, aber natürlich ist es nicht vollständig.

    Sexismus

    Es werden immer mehr, deutlich sexualisierte Frauen (oder zumindest Menschen, die von mir in diesem Kontext als Frauen wahrgenommen werden). Von „ab und zu tanzt mal eine Frau im Hintergrund“ bis zu sehr sexualisiertem Tanzen und „auf den Arsch klatschen“ bei Keine Gewalt/Plenum. Gleichzeitig bleiben Frauen weiterhin passiv. Ein Beispiel dafür wäre „meine Schwester schläft im Shirt von Che Guevara“ oder (sinngemäß zusammengefasst) „meine Ex hat Angst, weil ich aus der Klapse raus bin“.

    Auch „Hurensöhne“ und Anspielungen auf Gewalt gegen Frauen ziehen sich durch, besonders bei 10 kleine Punkah, Kein Talent feat ZSK, Orphan, Panikk, Linksradikaler Schlager, Solikasse mit Joshi (die Dancemoves sind wiederum wirklich beeindruckend, ich erkenne das an), Antifa und Keine Gewalt/Plenum. Außerdem… kommt schon, ist wirklich „wir ficken deine Mama“ (wie bei 10 kleine Punkah und FDM-Punks und Panikk) das Niveau, auf dem sich eure Linksradikalität bewegt? Ist es wirklich so, so schwer, Frauen nicht als reine Ejakulationsobjekte wahrzunehmen?

    Ableismus

    Videos brauchen ne Epilepsiewarnung. Bei Alkohol wurde das umgesetzt, bei Nicht kommen sehen, Lebe deinen Hass feat Ruffiction, Mittelfinger Richtung Zukunft wäre es notwendig gewesen. Aber Ableismus ist bei euch und anderen Bands eh ein grundsätzliches Problem. Ich empfehle diesen Blogpost: Warum Nazis nicht dumm sind.

    Auch die Darstellung von psychischen Krankheiten und der „Klapse“ halte ich bei euch für problematisch bis gefährlich. Auch die linke Szene liebt ihren Ableismus, dafür muss es nicht einmal (wie bei der Terrorgruppe passiert) dazu kommen, dass Menschen einfach in die Konzerträume nicht reindürfen. Bei Swiss (und vielen anderen Punkbands) wird die Gesellschaft als „krank“ bezeichnet, was schlussendlich auch nur völkisches Denken ist: Die gesunde Gesellschaft, das gesunde Volk gegen die kranke Gesellschaft, das entartete Volk. Was dabei wiederum als „gesund“ oder „krank“ definiert wird, bleibt von der jeweiligen, politichen Überzeugung abhängig. Aber grundsätzlich problematisch ist die Metapher dennoch. Was macht ihr mit den „kranken“ Teilen, dem „Krebs“ der Gesellschaft? Erschießen, wie in Orphan? Satan opfern? Töten? Und wer definiert, was „krank“ ist?

    Schwulenfeindlichkeit

    Internalisierte Schwulenfeindlichkeit. In den Liedern 10 kleine Punkah, FDM-Punk, Panikk wird wahlweise (wie bei 10 kleine Punkah) Zärtlichkeit gegenüber Männern als „witzig“ und „Gag“ dargestellt oder in den anderen Liedern anale Vergewaltigung zur politischen Praxis erklärt. Bisschen ironisch, bei Linksradikaler Schlager dann „Homophobie ist widerlich“ zu singen, wenn dann die eigenen Songs dem dauerhaft widersprechen. Nein, Vergewaltigung (auch die von Bullen) und vor allem anale Vergewaltigung sind nicht witzig oder politisch. Die darin enthaltene Schwulenfeindlichkeit wird nicht weniger, nur weil ihr irgendwann mal „wir mögen keine Homophobie“ singt.

    Transfeindlichkeit und latenter Antisemitismus

    Transfeindlichkeit, binäres Geschlechterverständnis und Antisemitismus. Immer wieder in Songs, die diesbezüglich Raum zur Interpretation lassen (vor allem einer femininen Person eine „männliche“ Stimme zu geben, ist definitiv transmisogyn, siehe 10 kleine Punkah). Bezüglich Geschlechterverständnis: Für euch existieren offensichtlich ausschließlich Männer und Frauen. Geschenkt. Latenter Antisemitismus kommt immer mal wieder in Chiffren durch. Chiffren sind symbolartige Metaphern, die bewusst die eigentliche Bedeutung verschleiern. Antisemitische Chiffren sind auch in der linken Szene weit verbreitet. Aber ich gehe nicht davon aus, dass diese bewusst gewählt wurden.

    Gleichzeitig haben wir eine dauerhafte „die da oben mit dem Geld“-Rhetorik, darüber hinaus eine Anspielung auf schwarze Sonnen und satanische Rituale und die Zeile „ihr verleugnet mich, so wie den Holocaust“ in Orphan. In der Summe (ich habe mir die Lieder alle nacheinander angehört) wirkt es heftig und damit sollte sich auseinandergesetzt werden.

    Umgang mit Kritik

    Umgang mit Kritik: Klar, ihr könnt es immer extremer abwehren, euch grundsätzlich gegen jede Art der Kritik immunisieren und euch zusammen mit den Sippschaften in eure eigene „wir sind die Guten“-Bubble zurückziehen. Dies nennt sich ab einer gewissen Größe dann sektenhaftes Verhalten. Lieder wie 10 kleine Punkah, FDM-Punk, Kein Talent feat ZSK, Keine Gewalt/Plenum sind Songs, die bewusst auf innerlinke Kritik anspielen und sie lächerlich machen. Sorry Dudes, ich brauch kein Plenum, um euch albern zu finden, ich kriege das durchaus autonom hin. Mögt ihr nicht glauben, aber die Leute, die euch kritisieren, tun das durchaus aus unterschiedlichen Gründen und Perspektiven und kennen sich nicht einmal.

    Positives

    Was ich mochte: Herz auf St. Pauli war nett, No Pasaran war 0815 Punk, kannste schon machen. (Da Deutschland nie entnazifiziert wurde, wie ihr korrekt erkannt habt, sind die Nürnberger Prozesse (und ihr) nicht so einschüchternd, wie ihr vielleicht denkt, aber okay). Solikasse mit Joshi und Linksradikaler Schlager haben grundsätzlich Spaß gemacht zu hören, ich mag den Stalingradwitz beim letzteren.

    Fazit

    Was mir abschließend wichtig ist: Die Liste ist unvollständig und zu einigen Songs gäbe es deutlich mehr zu sagen. Mir geht es aber gar nicht um einzelne Songs, sondern um die Tatsache, dass hier eine Band „Punk“ macht, die eigentlich nichts anderes schreiben und in der Masse die nicht-problematischen Lieder Einzelfälle sind. Ich persönlich kenne keine cis männliche Punkband, die nicht irgendwo und irgendwann problematische Songs geschrieben hat. Aber die meisten machen das nicht als dauerhafte Hintergrundbeschallung.

  • Offener Brief an den MDR

    Sehr geehrte Menschen,

    ich schreibe Ihnen als Teil von minzgespinst, aber auch als aktivistische Einzelperson im Kontext Autismus – und nicht zuletzt als Betroffenes.

    Mit Entsetzen habe ich den Artikel von Clemens Haug mit dem Titel „Autismus – durch Therapie der Eltern verhinderbar“ gelesen. In der Hoffnung, mit meiner Kritik Gehör zu finden, schrieb ich Herrn Haug eine persönliche E-Mail. Statt sich inhaltlich mit meiner Kritik auseinanderzusetzen, unterstellte er mir, die Studie gar nicht gelesen zu haben.

    Ich bitte hiermit den MDR um eine Korrektur des betreffenden Textes und eine Schulung der Mitarbeiter_innen in den Bereichen „Neurodiversität“ und „Geschlechtliche Vielfalt“.

    Da Herr Haug mich in seiner Antwort mehrfach als „Frau“ adressierte, obwohl ich weder einen weiblich konnotierten Vornamen, noch eine weiblich konnotierte Anrede angegeben habe, im Gegenteil, ich bitte in meinen Mails grundsätzlich darum, mich neutral anzusprechen. Im Jahr 2021, drei Jahre, nachdem die sogenannte „Dritte Option“ Einzug in die gesellschaftliche Realität hielt, noch immer Menschen entgegen ihres ausdrücklichen Wunsches mit einem binären Geschlecht zu belegen, halte ich für ein Armutszeugnis in Bezug auf die journalistische (und menschliche) Sorgfaltspflicht.

    Entgegen der Unterstellung von Herrn Haug habe ich die Studie durchaus gelesen. Meine Kritik richtet sich vor allem an ihn, den Verfasser des Artikels, für die Darstellung von Autismus und autistischer Kinder.

    Das Journal (JAMA Pediatrics) ist ein seriöses Fachblatt mit hohem Impact-Faktor, die Studie ist grundsätzlich gut ausgeführt, randomisiert, jedoch nicht doppelblind (die Eltern wussten, ob das betreffende Kind in der Untersuchungs- oder der Kontrollgruppe ist). Dadurch kann nicht ausgeschlossen werden, dass die beobachteten Effekte auf einen Rosenthal-Effekt oder einen Hawthorne-Effekt (also weniger auf den Inhalt der Intervention, sondern vielmehr darauf, dass überhaupt eine experiementelle Intervention stattfand) zurückgeführt werden können.

    Von einem Artikel des MDR Wissen hätte ich mir gewünscht, dass der Interessenkonflikt der führenden Autor_innen, welche gleichzeitig an der Intervention beteiligt sind (und gegebenenfalls davon finanziell profitieren) und diese evaluieren, transparent gemacht wird, anstatt die Aussagen der Forschenden bzw. wortgetreu zu übernehmen. Dennoch ist die Finanzierung größtenteils unabhängig und wird sowohl von Forschungsinstituten, als auch der australischen Regierung übernommen.

    Wenn im Artikel darauf hingewiesen wird, wie stark die Behandlung von Autist_innen das jeweilige Gesundheitssystem belastet („Gesundheitskosten von Autisten höher als bei Krebs“), ist eine Studie im Auftrag einer Regierung, die darauf abzielt, die Symptome autistischer Kinder unter die Diagnoseschwelle zu drücken, nicht nur eine Intervention zum Wohle der Kinder, sondern auch eine pragmatische Entlastung des Gesundheitssystems, da undiagnostizierte Autist_innen für ihre Bedürfnisse selbst aufzukommen haben. Hier wird die Verantwortung vom Staat auf das Individuum verlagert. Leider macht der Artikel diese Zusammenhänge nicht transparent.

    „Wie ein britisch-australisches Forscherteam jetzt im Fachblatt „JAMA Pediatrics“ zeigt, lassen sich die schwierigsten Auswirkungen offenbar oftmals verhindern“, wird im Artikel behauptet. Dem widerspricht die Studie: Hier wird deutlich gemacht, dass die Werte auf den Autismus-Skalen in diesen Altersbereichen noch starken Schwankungen unterligen, sich erst im Vor- bzw. Grundschulalter stabilisieren und man langfristige Effekte nicht unbedingt voraussagen kann („Follow-up of these children in later childhood, when the behaviors for ASD and other neurodevelopmental conditions may be more apparent anddistinguishable, will be important to determining the longerterm clinical significance of the intervention effects observed in the current study.“).

    Gleichzeitig wird mit der Angst der Eltern argumentiert, das Kind „könne autistisch werden“, aus der geschlussfolgert wird, dass eine Therapie „so früh wie möglich“ begonnen werden müsse. Die anerkannten Therapien für Autist_innen, die „so früh wie möglich“ beginnen sollen, basieren in den meisten Fällen auf der sogenannten „Applied Behaviour Analysis“, kurz ABA genannt. Diese geht davon aus, autistische Symptome mittels einer Art „Dressur“ (die im schlimmsten Fall über die gesamte Wachphase eines Kleinkinds verläuft) mildern bzw. verschwinden lassen zu können. Schlussendlich werden autistische Kinder für autistisches Verhalten bestraft, für nicht-autistisches Verhalten belohnt – so lange, bis sie verinnerlicht haben, welches Verhalten „falsch“ und welches „richtig“ ist und dieses (entgegen der eigenen Bedürfnisse) passend anwenden können.

    In der vorgestellten Studie wurden nicht die Kinder geschult, sondern die Eltern, was eine massive Verbesserung im Gegensatz zur „Dressur“ von Kleinkindern darstellt. Doch auch hier gab es den üblichen Zirkelschluss, dass autistisches Verhalten („Symptome“) negativ, sozial erwünschtes, neurotypisches Verhalten dagegen positiv sei. Das wird vor allem in der verwendeten Methode ersichtlich, denn SACS-R als Diagnostik für Autismus bezieht sich hauptsächlich darauf, wie „sozial konform“ die Kinder sind. Entgegengesetzt dazu wurde ein Standardverfahren auf die Kontrollgruppe angewandt, im Artikel wird jedoch von „den besten, bereits erprobten Therapien“ gesprochen.

    SACS-R ist aber nicht nur inhaltlich zu kritisieren („The checklist on the 12-month version of the SACS-R includes 5 specified behaviors that are evaluated to determine whether the infant has a higher likelihood of ASD: spontaneous eyecontact, protodeclarative pointing, social gestures, imitation, and response to name. A pattern of atypical behavior on at least 3 of these items suggests an increased likelihood of an ASD diagnosis in later childhood.“). SACS-R ist eigentlich nicht für einmaliges Screening gedacht, sondern eher für die längsschnittliche Beurteilung der frühkindlichen Entwicklung, wurde hier aber als einmaliges Screeninginstrument verwendet.

    Die Intervention bestand aus zehn Videosessions für Familien. Interaktionen zwischen kümmernder Person (caregiver) und Kind wurden bei diesen Sessions per Video aufgezeichnet und waren Grundlage der Auswertung. Problematisch dabei ist, dass lediglich der Haupt-Autor alleine beurteilt hat, ob die gezeigten Verhalten(-sänderungen) ein Effekt der Intervention waren oder durch andere, externe Dinge beeinflusst worden sind.

    Familien bekamen Hausaufgaben und sollten Tagebuch über das Verhalten der Kinder führen. Dies führt zwangsläufig zu einer Intransparenz in der Auswertung, da die Kontrolle über den subjektiven Eindruck der jeweiligen Eltern/kümmernden Personen bezüglich der Verhaltensänderungen des Kindes fehlt. Hier wird von einer Objektivität von Eltern ausgegangen, die von Natur aus nicht als gegeben angesehen werden kann.

    „Dabei zeigte sich, dass am Ende der Beobachtungszeit in der Versuchsgruppe viel seltener Autismus diagnostiziert wurde, als in der Kontrollgruppe.“, steht im Artikel. Das ist grundsätzlich richtig, die Unterschiede beider Gruppen waren signifikant, auch wenn „viel seltener“ angesichts der sehr geringen Effektstärken sowie der nur in Teilbereichen auftretenden signifikanten Unterschiede eine Übertreibung darstellt. Allerdings geht es nicht darum, dass gesichert diagnostiziert worden wäre (wie die Studie selbst sagt, sind Schwankungen in dem Alter völlig normal, weshalb eine Kontrolle mit vier bis fünf Jahren sinnvoller gewesen wäre), sondern sie erfüllten zum derzeitigen Zeitpunkt die diagnostischen Kriterien. (Darüber hinaus ist die Idee, Autismus lieber nicht zu diagnostizieren, weil damit das Gesundheitssystem weniger belastet werden würde, moralisch eine mindestens fragwürdige Herangehensweise. Wie innerhalb der Studie (und in Teilen des Artikels) selbst festgestellt wird, ist Autismus eine angeborene Störung, eine sogenannte Neurodiversität. Vor allem autistische Frauen werden bereits jetzt signifikant seltener diagnostiziert als Männer und haben ein höheres Risiko für Komorbiditäten wie Zwangserkrankungen, Angsterkrankungen und Depressionen. Die Möglichkeit der Diagnostik weiter herunterzufahren, würde dem Gesundheitssystem langfristig keine Entlastung bringen, da – wenn nicht der Autismus – so zumindest die Komorbiditäten eine Behandlung notwendig machen. Statt verminderter Diagnostik würde gelebte Inklusion und vereinfachte Nachteilsausgleiche nicht nur kostengünstiger, sondern auch menschengerechter sein.)

    „‚Der Effekt der Therapie war enorm und deutlich größer als das, was wir bisher gesehen haben etwa durch den Einsatz neuer Medikamente‘, sagt Green.“
    Bei Betrachtung der Effekte der Intervention sowie der Diskussion der Studie durch die Autor*innen ist diese Behauptung nicht haltbar („These effects were small in extent, and their clinical significance is uncertain.“).

    Wichtig dabei ist darüber hinaus die Tatsache, dass Green sowohl Entwickler der Methode (und davon finanziell bevorteilt),als auch einer der Autoren, die hier den Nutzen evaluiert haben, ist. („Dr. J. Green reported owning a patent for the iBASIS-VIPP intervention, being the initiator and codeveloper of the original iBASIS-VIPP manual, receiving personal fees for his role as codirector of IMPACT, and serving as a senior investigator for the United Kingdom National Institute for Health Research outside the submitted work.“) Wenn Dr. J. Green nun zu den Effekten und der Relevanz der Studie interviewt wird, und dies dabei überschätzt, muss dieser Interessenskonflikt Greens im Artikel kritisch betrachtet werden, um eine kritische Distanz zu gewährleisten. Die kritische Auseinandersetzung mit der Studie durch den Autor ist aus dem Artikel leider nicht ersichtlich.

    Es ging also weniger um die Bedürfnisse von autistischen Kindern, sondern mehr darum, wie die Kinder (ohne allzuviel Schaden zu nehmen) an die Bedürfnisse eines neurotypischen Umfelds angepasst werden können. Es ist eine Fehlannahme, dass neurotypische Verhaltensweisen und Kommunikationsformen die „einzig richtigen“ wären, selbst wenn sie die derzeitige Norm darstellen, gleichzeitig verdienen Forschende, die an „Autismus-Heilung“ arbeiten, aufgrund des bestehenden Stigmas große Summen und werden gefördert.

    Wir wünschen uns, von einer Sendeanstalt, die in letzter Zeit massiv die Barrieren für Blinde und Sehbehinderte abgebaut hat, einen ähnlich offenen Zugang für die Bedürfnisse von Autist_innen und deren Diskriminierungserfahrungen, sowie eine Schulung der Mitarbeitenden, um transfeindliche Fehltritte zukünftig zu vermeiden.

    Mit freundlichen Grüßen

    Beccs Runge (minzgespinst)
    Ash (minzgespinst)
    Tamilla (minzgespinst)
    Tetz (minzgespinst)
    Mara (minzgespinst)



    Erstunterzeichnende:

    (Bei Privatpersonen haben wir auf die Veröffentlichung des Nachnamens aus Datenschutzgründen verzichtet, bei Personen des öffentlichen Lebens wurde sich für den vollen Namen entschieden.)

    Raúl Krauthausen

    Sarah Dubiel

    Jorinde Wiese

    Marie Polonyi (Referat für Inklusion; Studierendenrat Universität Leipzig)

    Hannah C. Rosenblatt

    Jasmin Subklewe

    Edith Arnold

    qube Greifswald

    Kuku Lueb (TIAM e.V.)

    Daniela S. (Queer-Lexikon e.V.)
    Xenia H. (Queer-Lexikon e.V.)
    Valo C. (Queer-Lexikon e.V.)
    René_e R. (Queer-Lexikon e.V.)
    Lir S. (Queer-Lexikon e.V.)
    Aurora H. (Queer-Lexikon e.V.)

    Einzelpersonen:

    Martin J.
    Malte M.
    Marin S.
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  • Queer Exorzismus – eine Innenansicht

    Update, 12.11.2021:

    Wie ich heute erfuhr, wurden Teile dieses Textes und Verlinkungen hierher für einen hochschulpolitischen Antrag im StuRa der MLU verwendet. Es ist ein polemisch geschriebener Meinungstext. Der Aufhänger ist der Veranstaltungstext, dann werden ungefähr zwölf inhaltliche Schleifen gedreht. Er verarbeitet unter anderem meine persönlichen Erlebnisse mit Teilen des Umfelds des AK Antifa. Am Ende geht es wieder zurück zum Veranstaltungstext. Es ist kein inhaltlicher Analysetext zum Zustand der halleschen Hochschulpolitik. Ungefragt dafür verwendet zu werden, halte ich für mindestens unhöflich (as in: Leute, was sollte die Aktion?!

    (Update vom Update: Es kam eine Entschuldigung. Ist akzeptiert. Bitte nicht wiederholen.). Noch unangenehmer finde ich jedoch die entsprechenden Reaktionen unterschiedlichster Akteure, von bonjourtristesse bis zum alternativen Vorlesungsverzeichnis. In diesem Blog gibt es eine Maildresse und ein Impressum.
    Wenn ihr ein Problem mit mir habt, könnt ihr es auch direkt kommunizieren. Ich dachte, euch liegt so sehr an theoretischer Diskursarbeit? Queerer wirds hier nicht, queer-feministisch dagegen nicht zwingend.

    Anfang

    Guten Morgen. Das hier ist der erste Text im Herbst des Jahres 2021. Ich würde mich gern mit einer Tasse Tee auf der Couch zusammenzurollen und ein entspanntes Buch lesen (z. B. „das andere Geschlecht“ aus queer Perspektive). Stattdessen befasse ich mich mit dem Einladungstext zu einer Veranstaltung, weil mir (mal wieder) von der AG Antifa des StuRa der Universität Halle das Existenzrecht abgesprochen wird.

    Niemand spricht dir das Existenzrecht ab, du bist nicht Israel!

    Einer der Veranstaltenden, in einem privaten Kontext.

    Nun, ob das geschah (oder nicht), das werde ich im folgenden Beitrag besprechen. Wir fangen von oben an und arbeiten uns Absatz für Absatz vor. Außerdem (weil mir Barrierefreiheit überaus wichtig ist), werde ich die originalen Schachtelsätze in ein verständlicheres Format bringen. Wenn ein Ankündigungstext mindestens vier unterschiedliche Interpretationsebenen hat, versagt er im Bezug „rationale Argumentation“ leider.

    CN Transfeindlichkeit, Rassismus

    Eine Einleitung fehlt, wir landen direkt im Jahr 1991, als Judith Butler „gender trouble“ veröffentlichte. Angeblich der Beginn von etwas, das von dort „in die universitären Debatten und von dort aus in den Kulturbetrieb wanderte“. Hier zeigt sich, wie ignorant die AG/die Vortragenden sind:

    Queer/trans(-feministische) Arbeit im akademischen Kontext gab es lange vor Butler. Wir können bis zu Hirschfeld zurück gehen, oder uns die Trans Studies, die in den 70er/80er Jahren entstanden sind, anschauen. Wird die Unterwanderung der Trans-Lobby angedeutet, sind korrekte Zahlen notwendiger Beleg. Die Assoziation eines unaufhaltsamen Vormarsches eines nicht näher benannten „Etwas“ ist dabei nicht hilfreich. Worum es geht, erfahren wir erst im folgenden Satz: die „Vervielfältigung“ geschlechtlicher Identitäten zur „Subversion“ der „heterosexuellen Matrix“. Das sei „staatlicher wie gesellschaftspolitischer Arbeitsauftrag“. Große Worte, noch größere Zusammenhänge – die AG Antifa macht es nicht unter gesamtgesellschaftlichen Zusammenhängen. Nur… Was möchtet ihr uns damit sagen? Queer Kram tut Dinge in der Gesellschaft?

    Willkommen in der Matrix

    Als ich „Subversion heterosexueller Matrix“ google, stürzt mein Browser ab. Ein Arbeitsauftrag also, das Internet zu zerstören? Wohl kaum. Worauf die AG Antifa anspielt (was diesen Satz linguistisch sehr spannend macht), ist ein Zitat aus Judith Butlers „gender trouble“. Eine Einzelperspektive eine_r einzelnen Theoretiker_in also, die dennoch als „gesamtgesellschaftlich“ geframed wird. Außerhalb universitärer Kontexte dürfte sowohl Judith Butler, als auch dieses spezifische Zitat, mehrheitlich unbekannt sein. Dennoch suggeriert der Text, es gäbe einen (auch staatlichen) Arbeitsauftrag, die Forderungen aus der Analyse einer theoretischen Auseinandersetzung, gesellschaftlich umzusetzen.
    Zu Butler ist spannend, dass Butler als Bugfigur von queer/trans Bewegung (das scheint hier ein Einheitsbrei zu sein) dargestellt wird. Gerade im universitären Kontext von Trans Studies gibt es Kritik an Butler(s) Arbeit (wenn eins im akademischen Bereich bleiben will).

    Unterschiede verstärken die Norm

    De facto wäre mir neu, dass „gender trouble“ eine gesellschaftliche Bedienungsanleitung geworden ist, dafür fehlen schlicht die Belege, auch wenn der Ankündigungstext das Gegenteil behauptet. Wir befinden uns immer noch in den ersten Zeilen, deshalb fasse ich den nächsten Teil inhaltlich zusammen. Der Text behauptet, dass die dauerhafte Erinnerung dessen, dass es Abweichungen der (dya-cis-heterosexuellen) Norm gibt, diese Norm verfestigen würden. Die Bestätigung von queer Existenzen verfestigt die Norm. Genannt sind „die gleichgeschlechtliche Ehe“, „m/w/d“-Vermerke in Stellenausschreibungen, sprachmagische Appelle zur angeblichen „Sichtbarmachung“ randständiger Minderheiten allerorts“. Was der Text unter „sprachmagisch“ versteht, ist nicht erläutert. Ich vermute, es geht um die Debatte geschlechtergerechter Sprache und die Benennung aller geschlechtlicher Gruppen. Beispielsweise als Queer oder als LGBTQIA+.

    Diese Aufzählung ist ein rhetorischer Trick, dass drei völlig unterschiedliche, aus unterschiedlichen Gründen heraus entstandene, sprachlich-gesellschaftliche Situationen gleichgesetzt werden. Dadurch würde eine „Gegenargumentation“ (z. B., dass die meisten queer-feministischen Aktivist_innen die m/w/d-Vermerke politisch eher schädlich finden), grundsätzlich nur auf einen Teil der Aufzählung zutreffen. Das suggeriert, es käme zusammen, was zusammen gehört.

    Warum haben es Queers dann immer noch so schwer?

    Ungeachtet, dass die gleichgeschlechtliche Ehe vor allem monogamen Schwulen und Lesben zugute kommt. (Die immer noch beim Thema Adoption und Stiefkindadoption schwere, politische Kämpfe zu führen haben). Die m/w/d-Vermerke kommen aus rechtlichen (in Deutschland existieren vier Personenstände, deal with it) Kontexten. Forderungen nach geschlechtergerechter Sprache dagegen aus aktivistischen Kontext.

    Der Staat und queer Aktivist_innen sind keine Personalunion, noch „lenkt“ die „queere Ideologie“ als „repressive Instanz“. Im Gegenteil, gerade queer und trans Personen sind bis heute gesellschaftlicher staatlicher Repression gesondert ausgesetzt. Mir wäre nicht bekannt, dass es für cis Personen/heterosexuelle Paare gesonderte Gesetze gäbe. Diese existieren für gleichgeschlechtliche Paare bei Adoption und durch das TSG.

    Verschwörungsmythen

    Ein weiterer, geschickter, rhetorischer Kniff. Wenn etwas nicht existiert, ist der Beleg der Nichtexistenz deutlich schwieriger zu erbringen. Das Geraune, es wäre in „den Hinterzimmern“, dem „bürokratischen Imaginären“ dennoch existent. Diese Argumentationsstrukturen gibt es vor allem in antisemitischen Bereichen (auch der Begriff der „Transideologie“ bzw. der „Genderideologie“ stammt von einem Antisemiten, nämlich Kevin MacDonald, der die antisemitische Argumentation vertrat, dass Jüd*innen hinter der Auflösung des Geschlechtersystems durch u.A. Queer und trans Personen stehen würden) und ist politisch wie auch moralisch zu verurteilen. Es ist eine für Antisemitismus charakteristische Funktionsweise, vermeintliche Tatsachen zu behaupten, die nicht beweisbar sind. Diese vermeintlichen Tatsachen sind dann als Beweise für das eigene Verschwörungsdenken zu handhaben. Dies sorgt dafür, dass logische Einwände nicht mehr möglich sind.

    rassistische Entgleisungen

    Der nächste Teilsatz hat zwar keinen logischen Zusammenhang mit dem vorhergehenden, dennoch taucht er dort auf. Ich fasse zusammen: Es gibt Benennungen von Abweichungen. Diese sorgen dafür, dass sich die Norm noch fester im Kopf verankert. Weil dem so ist, werden mit rassistischem Nachdruck Ehrenmorde, Genitalverstümmelung, Kinderehen, sittsamkeitsbedingte Vollverschleierung und Zwangsverheiratungen zur „Kultur“ der „Anderen“ verklärt“. Die Gesamtheit der „queer“ bzw. „trans“ Personen (bzw. Ideolog_innen, je nachdem), argumentiert rassistisch, Ehrenmorde, Genitalverstümmelungen, Kinderehen und Zwangsverschleierungen seien Teil einer „anderen Kultur“ und müssten deshalb geschützt werden.

    Wäre das hier eine Hausarbeit oder ein Buch, das mir zum sensitivity reading vorliegt, würde ich Belege?! an den Seitenrand schreiben. Grundsätzlich sei es allen Leuten erlaubt, wirre Zusammenhänge zu konstruieren, ich hätte diese nur gerne ansatzweise logisch konsequent hergeleitet.
    Auch hier ginge wieder eine Menge Text dafür verloren, die Absurdität dieses Zusammenhangs herzuleiten. Deshalb habe ich die letzten fünf Absätze zu dem Thema gelöscht.
    Ich möchte die Beweispflicht an jene zurückgeben, die diesen Unfug behaupten. Bitte belegt, dass die Nennung nichtbinärerer Geschlechter zu vermehrten Zwangsehen und Vollverschleierungen führt. Ebenso die Verteidigung von Genitalverstümmelungen im Kontext der gleichgeschlechtlichen Ehe. Benennt, wer menschenfeindliche, misogyne Traditionen als Teil von „anderer Kultur“ allumfassend rechtfertigt, damit Akteur_innen statt diffusen Gruppenzuschreibungen kritisierbar sind!

    Antisemitismus ist KEINE Queerfeindlichkeit

    Auch hier wieder der gleiche, rhetorische Kniff. Es werden Behauptungen als Tatsachen präsentiert, die sich schlicht und ergreifend nicht belegen lassen.
    Zur vergleichenden Analyse schlage ich die üblichen, antisemitischen Verschwörungsmythen, namentlich die „Kindermorde“ und „Brunnenvergiftungen“ vor. Es ist unangenehm, wie sehr sich transfeindliche und antisemitische Verschwörungsmythen in ihren Grundzügen ähneln. In beiden Kontexten sind es zahlenmäßig kleine Gruppen, denen massive Macht zugeschrieben wird und die deshalb „machtmäßig beschränkt“ gehören. Ohne auch nur ansatzweise einen Beleg, dass diese Macht jemals existent gewesen sei. (Disclaimer: Ich setzte selbstverständlich nicht Transfeindlichkeit und Antisemitismus gleich, ich stelle nur fest, dass die Verschwörungserzählungen beider Diskriminierungsformen sich ähneln.)

    Die Tatsache, dass die Gruppe gegen Genitalverstümmelungen zu sein scheint, freut mich sehr. In diesem Kontext lege ich ihnen nahe, sich mit den Operationen an intergeschlechtlichen Säuglingen zu befassen. Diese finden nicht in Kulturen der „Anderen“ sondern in der (falls wir bei diesem „Kulturbegriff“ bleiben), hegemonialen, christlichen Kultur statt. Oder wollt ihr Genitalverstümmelungen nur dort verurteilen, wo ihr Personen zu „Anderen“ erklären könnt?

    Butler und queer theory

    Weiter geht damit, dass Butler eigentlich gar keine krasse Theorie aufgestellt hat, sondern nur etwas, das Konsens sei, in Worte gefasst. In diesem Zusammenhang ist spannend, dass erst vor kurzem ein Interview von Butler im Guardian zensiert erschien. Der zensierte Teil geht auf Zusammenhänge von GCs (Gendercriticals) und Faschismus ein. Wenn die Trans-Lobby so mächtig ist, frage ich mich, wie da Zensur geschah.

    Nun, in Anbetracht der vorgebrachten Verschwörungsmythen mag das innerhalb dessen sogar logisch konsequent sein. Wenn Leute glauben, dass „queer Ideologie“ die Welt bereits beherrscht, dann wirkt queer „Ideologie“ selbstverständlich nicht subversiv. Dafür muss eins nur z. B. das TSG, den genauen Wortlaut des PStG, die Diskriminierungen von Schwulen und Lesben im Bereich der (Stiefkind)Adoption, die Tatsache, dass der Eintrag „divers“ das sächsische Impfportal zum Absturz brachte, die Unmöglichkeit einer medizinischen Transition ohne Pathologisierung ignorieren.
    (Die rechtlichen und gesellschaftlichen Tatsachen, inklusive Studien zur psychischen Gesundheit von trans Personen, sprechen leider das Gegenteil aus. Ich hätte also immer noch gern Belege für die Existenz jener Welt, ich glaube, da würde ich gerne wohnen.)

    schlechte Bücher, großer Einfluss

    Der nächste Absatz ist einfach zusammenzufassen. Butler hat ein schlechtes Buch geschrieben.
    Es behauptete, das „biologisches Geschlecht“ ausschließlich konstruiert sei. Im Ergebnis behaupten das jetzt ständig Leute und greifen damit in Wirklichkeit Frauen und feministische Errungenschaften an.

    Nun, leider hat die Biologie Butler Recht gegeben. Aber das wäre ja ein Fakt, der mit „auch die sind von der Genderideologie missbraucht worden“ widerlegt werden könnte. (Weshalb ich ihn eher pro forma anbringe.) Auch hier wieder ein Zirkelschluss. Butlers Buch war schlecht, deshalb sind alle Richtungen, die sich auf Butler beziehen (oder von euch dort eingeordnet werden), schlecht. Und sie müssen sich irren. Wenn eins Butler nicht mag, gibt es genug Arbeit im akademischen Kontext, die sich mit der Konstruktion von biologischem Geschlecht beschäftigt. Beispielsweise Fausto-Sterling oder Christine Delphy.

    Es braucht nicht zwangsläufig einen post-strukturalistischen Ansatz wie Butlers, um zu verstehen, dass biologisches Geschlecht ein Konstrukt ist. Kann natürlich sein, dass denen davon die Köpfe platzen.

    Darüber hinaus hat Butler selbst ein zweites Buch geschrieben, namentlich „bodies that matters“, das sich (im Gegensatz zu „gender troubles“, in dem das gar nicht vorkommt), damit auseinandersetzt, dass biologische Zuschreibungen gesellschaftliche Konstruktionen seien (wir weisen Penis und Vulvina die Attribute „männlich“ und „weiblich“ zu), gleichzeitig biologische Fakten (es gibt Penisse und Vulvinas) dadurch jedoch unberührt blieben. Kurz: Wurde eigentlich überhaupt gelesen, was so großmäulig kritisiert und/oder als Gefahr für die Allgemeinheit dargestellt wird?

    Transfeindlichkeit an der Uni

    Das Verständnis von biologischem und sozialen Geschlecht war immer im Wandel begriffen. Der aktuelle Backlash „zur Biologie“ kann auch im wissenschaftlichen Kontext eindeutig transfeindlichen Argumentationen zugeordnet werden.
    „Die gemeinen trans Personen nehmen uns Feminismus weg“ heißt üblicherweise „wir wollen an der Uni keine trans Personen. Erst recht keine trans Frauen“. Wodurch diese dann immer prekärer im universitären Bereich arbeiten, wenn es überhaupt noch möglich ist

    Inwieweit feministische Errungenschaften in letzter Zeit durch trans Personen abgeschafft wurden, erschließt sich mir leider nicht, auch hier fehlen Belege.

    Bisher – um zum Ende zu kommen – ist dieser Ankündigungstext eine Reihe geraunter Verschwörungserzählungen. Eine „trans Lobby“ deutet sich an, welche die Rechte „echter Frauen“ beschneiden wollen würden (und dies angeblich bereits tun). Gleichzeitig aber zu irrational und ideologisch verblendet seien für „rationale Argumente“.

    Fazit

    Leider ist der eigene Text recht schwach an „rationalen Argumenten“, dafür reich an Verschwörungsmythen und Suggestionen. Es ist bemerkenswert schlecht recherchiert, was queer und trans-feministische Studien angeht. Da scheint gar nicht recherchiert geworden zu sein. Es herrscht der Trugschluss, weil im deutschsprachigen Raum in gewissen (!) akademischen Kontexten Butler rezipiert wird, sei Butlers Werk stellvertretend für queer theory. Aber eine tatsächliche Auseinandersetzung mit feministischen Studien, Queer Studies und Trans Studies hätte ja auch aufgrund der Komplexität der verschiedenen Forschungsansätze tatsächliche Theoriearbeit erfordert . Für einen akademisch geschriebenen Text voller Schachtelsätze fehlt es leider an Inhalt. Vielleicht sollte diesbezüglich nochmal Adorno vorgenommen werden, anstatt seltsame Ideen über die Existenz von trans Personen zu entwickeln.

    Exorzismen

    Im Übrigen: Die „Austreibung der Natur“ mittels eines „Exorzismus“ ähnelt doch sehr dem Absprechen meiner Existenz, allerdings scheint eine gar irrationale Angst bezüglich der Existenz von trans Succubi/Incubi oder anderer Dämonen vorhanden zu sein (ein Exorzismus ist immerhin wörtlich eine „Dämonenaustreibung“) und das halte ich im politischen Kontext mindestens für besorgniserregend. Klerikale Fundamentalist_innen mit Hang zu Exorzismus machen regelmäßig den „Marsch für das Leben“. Der will tatsächlich feministische Errungenschaften rückgängig und darüber hinaus das Gesetz bezüglich Abtreibung weiter verschärfen.

    Eine andere Lesart wäre, dass ihr uns als Exorzist_innen wahrnehmt, die den wahren Geist der Natur austreiben wollen würden. In diesem Kontext habe ich vage Assoziationen zu Impfgegner_innen und einem essentialistischen Naturbegriff, eher kontraproduktiv für eine progressive Gesellschaft. Eine Antifa, die in ihrem Naturbegriff noch hinter Rudolf Steiner zurückfällt, halte ich diskurstechnisch für nicht haltbar.

  • Ich und mein Penis – cissiger Genitalienfetisch.

    Sag mal, hast du deinen Penis noch oder hattest du deine GaOP schon?

    Typ auf ner Party. (Es gibt jedes Mal mindestens einmal pro Abend so einen Typ.)

    Ich drehe mich um. Hinter mir eine Runde von Menschen, einen davon kenne ich näher. „M., da wollen schon wieder Leute über meinen Penis reden!“ Ich spreche laut. Ich lege ein bisschen Spott in meine Stimme. Die Runde guckt irritierend, manche fangen an zu grinsen, M. lacht. Der Typ hinter mir fängt verlegen an zu stammeln. Die Frage nach meinem Penis ist vom Tisch, die Situation nicht mehr für mich unangenehm.

    Kleidung macht Geschlecht – oder so.

    Ich bin offen trans, bin offen mit meiner Existenz. Beantworte auch gerne Fragen, wenn sie respektvoll sind (und meine Genitalien in Ruhe lassen). Ich trug ein Netzshirt, einen Sport-BH, Hotpants und Socken zu klobigen Plateau-Sneakern. Full-Face-Make-Up. Ich MUSS also eine trans Frau sein, so die geniale Kombinationsgabe von cis Personen.

    Ich sags nicht gerne (naja, doch), aber weder künstliche Wimpern, noch Gelnägel machen mich zur Frau – letztere sorgen höchstens dafür, dass ich tippen komplett neu lernen muss (dieser Text ist eine gute Übung diesbezüglich). „Weiblich“ konnotierte Kleidung war noch nie mein Problem, machte keine Dysphorie. Seitdem ich Testosteron nehme, hab ich den nichtbinären Körper, ein Hormonlevel und eine Stimme, die mich euphorisch machen (und wenn ich mich ganz doll anstrenge, auch männliches Passing, also cis assumed privilege), aber das brauche ich im Alltag nicht.

    Ich bin euch keine Androgynität schuldig. Bin euch kein „männliches Auftreten“ schuldig. Ich mag meine Brüste, die tiefe Stimme, den beginnenden Bart auf der Oberlippe und am Kinn.
    Um den Herzmenschen zu zitieren:

    Kleidung macht Charakter!

    Fluff ist ein tuntiges Twink mit Brüsten.

    Herzmensch.

    Kleidung hat kein Geschlecht – warum sollten mich Minirock und Highheels zur Frau machen? Weil „erwartet“ wird, dass ich das trage? Weil der „Mann im Kleid“ für euch seltsam bis unvorstellbar ist? Meine Brüste so ästhetisch sind, dass sie nicht „natürlich“ sein können (nope, die sind nur groß, nicht besonders). Weil nichtbinäre Menschen am besten androgyn-männlich, ätherisch, non-sexuell zu sein haben? Woher kommen diese Zuschreibungen? Woher die Abwertung von Femininität?
    (Spoiler: Patriarchat.)

    Liebe cis Personen: Ihr dürft meine Femininität nicht mögen, gut leiden oder feiern. Ihr dürft mich meinetwegen auch sexualisieren, solange ihr das bei euch behaltet. Ich bin high femme, ich bin bitchy as fuck – aber ich werde dadurch nicht zur Frau (weder cis, noch trans). Und mein Penis ist meine Sache.
    HRT hat mir die Akzeptanz bis Liebe meines Körpers ermöglicht, das werde ich (Stand heute) nie wieder aufgeben. Es hat mich nicht dazu gebracht, meine Kleider, Hotpants und Overknees wegzuschmeißen.
    Das haben auch all jene nicht geschafft, die mir (auf die eine oder andere Art) vermittelten, ich wäre unzureichend oder „nicht richtig trans“ (das geht vor allem an den AntiD Fuckboy, der meinte, ich wäre nicht „richtig trans, ich würde keine Genitalverstümmelung anstreben wie die echten trans Personen“, mich aber trotzdem vögeln wollte).

    Küsschen und Stößchen – deal with me.

  • Trauer, Müdigkeit und Schmerz – you know, it’s 8. März

    Wenn du dir den Text über den Frauenkampftag lieber anhören möchtest, anstatt ihn zu lesen, klicke auf PLAY.

    Beim Frauenkampftag geht es nun mal ausschließlich um Frauen und die Diskriminierung, die sie als Frauen erleben. Ich gehe doch auch nicht mit einem All-Lives-Matter-Schild auf eine Black-Lives-Matter-Demo!

    Twitter. (Nein, ich verlinke den Account nicht.)

    Guten Morgen. Vorweg: Ich persönlich gehe nirgendwo mit einem All-Lives-Matter-Schild hin. Nicht auf eine Black-Lives-Matter Demo, nirgendwohin. Das liegt daran, dass dieser Slogan aus einer alt-right Richtung entstanden ist. Um die Kämpfe von Schwarzen Menschen gegen Diskriminierung und Rassismus zu schwächen und abzuwerten. Mit „All Lives Matter“ wird aus herrschender Position heraus der Kampf marginalisierter Gruppen unterdrückt und Diskriminierung verunsichtbart. Beim Frauenkampftag genauso?

    Alle Jahre wieder…

    Ich bekam diesen Vorwurf, als die – alljährliche – Diskussion darüber entbrannte, ob die Umbenennung von „FrauenKampftag“ in „feministischer Kampftag“ nicht Frauenkämpfe der Historie verunsichtbaren würde. Das es vor allem darum geht, dass Frauen auf spezifische Weise unter dem Patriarchat leiden. Nun.
    Ich persönlich vertrete die Meinung, dass nichtbinäre Personen und trans Männer schon immer – wenn auch nicht unbedingt mit diesen Worten – Teil der Frauen- (und später Lesben- und FrauenLesben-)kämpfe waren. Es geht also nicht darum, Geschichte umzuschreiben, sondern sichtbar zu machen, was schon immer da war. Trans Frauen sind Frauen, deshalb benenne ich sie nicht spezifisch. Ein Frauenkampftag nur für cis Frauen wäre absurd.

    Es geht auch nicht spezifisch um das Leid, das Frauen erfahren, weil sie Frauen sind. (Dafür gibt es beispielsweise den 25. November, den „Internationalen Tag der Gewalt gegen Frauen“.) Es geht um Arbeitskämpfe, um (unsichtbare) Emo- und Care Work, es geht um Gender Pay Gap. Darum, dass „weiblich“ konnotierte Berufe schlechter bezahlt sind. Kurz: Es geht um all die Dinge, die tatsächlich Frauen, nichtbinäre Personen, trans Männer und inter Personen einen. Kämpfe, die sich durch die Position im Patriarchat ergeben und nicht durch das tatsächliche Geschlecht.

    (Wenn ich schlechter bezahlt werde, weil mich Leute für eine Frau halten, dann hilft nicht einmal der geänderte Personenstand. Für euch getestet.)

    …kommt das Cistus-Kind

    Andererseits… Ich kann verstehen, woher diese Argumentation kommt. Ich habe mich acht Jahre lang feministisch engagiert, bis ich mich geoutet habe und aus den Gruppen herauskomplimentiert wurde bzw. mich bereits im Vorfeld zurückgezogen hatte. Die Debatte um den Frauenkampftag erinnert mich jedes Jahr erneut daran.

    Ich kann verstehen, dass cis Frauen das Gefühl haben, ihnen würde etwas weggenommen werden, das ihnen aus der Historie und ihres Platzes im Patriarchat wegen zusteht. Das es sie frustet, wenn sie dabei zusehen müssen, wie etwas, worauf sie sich das ganze Jahr freuen, in einen Kampf um Begriffe, Ein- und Ausschlüsse ausartet. (Und das tut es, alle Jahre wieder kommt das Cistuskind auf die Netze nihieder, wo wir Menschen sind…)

    Wer nicht über den eigenen Tellerrand, die eigenen Erfahrungen hinwegblicken kann oder will, wird die Erfahrungen von trans Personen als nicht so wichtig wahrnehmen wie die eigenen – falls selbige überhaupt anerkannt werden. Ich habe auch mal so argumentiert, hatte das gesamte Klischee von „weiblicher“ und „männlicher“ Sozialisation internalisiert und well, ich habe mich selten auf so brutale Art und Weise einer Realität stellen müssen.

    Manchmal ist es tatsächlich Dysphorie.

    Ich habe meine Essstörung, meine Dysphorie, meinen Unwillen gegenüber dem Wort „Frau“ mit Femininismus, mit weiblicher Sozialisation, mit Patriarchat begründet. Habe mich mit aller Kraft und Macht der Wahrheit entgegengestellt – acht Jahre lang. Bis zu meinem Outing, bis ich meinen Namen, meinen Personenstand änderte und anfing, mir Testosteron auf die Haut zu schmieren.

    Es wird nicht geschehen, dass alle cis Frauen plötzlich feststellen, dass sie trans sind, wie es mir passiert ist (und wofür ich im Nachhinein unfassbar dankbar bin. Mein Leben ist trotz Transfeindlichkeit deutlich besser).

    Ob Frauenkampftag oder nicht – unsere Kämpfe bleiben verbunden.

    Aber ihr könntet zuhören. Unsere Kämpfe lassen sich nicht direkt voneinander trennen, weder in der Theorie, noch in der Realität. Gerade in der Realität sind (un)geoutete trans Männer und nichtbinäre Personen Teil von feministischen Gruppen. Und gerade diese Realität hat dazu geführt, dass aus FrauenRäumen Frauen*Räume wurden. Mit dem Sternchen, um die Personen, die sich in ihrer feministischen Entwicklung outeten, einzubeziehen.

    Es ist nämlich deutlich schwieriger, den Freund, der mal Freundin genannt worden ist oder die Liebhaberin, di_er sich als Liebhaber_in geoutet hat, aus Gruppen zu entfernen, als sich als geschlossene Gruppe gegen Männer, die als ein „außen“ imaginiert werden, darzustellen. So kamen auch die historischen Ausschlüsse von trans Frauen zustande, die eben nicht bereits vor ihrem Outing willkommen waren. Und es auch nach ihrem Outing besonders schwer haben. Leider reichen diese Ausschlüsse in ihren Wurzeln bis heute weiter – daran müssen wir arbeiten!

    Und müssen gemeinsam gekämpft werden.

    Heute sind wir eigentlich weiter. Wir haben mit FLINTA (Frauen, Lesben, inter, nichtbinär, trans, ageschlechtlich) ein Akronym dafür, dass die Räume der damaligen Zeit nicht hatten. Aber streng genommen meinen wir das gleiche.

    Ich würde meinen Geschwistern gerne den Schmerz und die Müdigkeit ersparen, die ich seit meinem Outing vor, während und nach dem 8. März erfahre. Es war mal ein empowernder Tag für mich. Lasst es das wieder werden. Bis dahin… bestreike ich den Streik und schone meine Ressourcen. Feministischer Kampftag statt Frauenkampftag.

  • Autigender: Identitäten und Einhörner.

    Autigender ist nicht real! Die können sich dann einfach als regenbogenbunte, glitzerpupsende Einhörner definieren und wissen gar nicht, was wirklich eine Behinderung ist! Das schadet uns!

    Zusammenfassung einer Twitter-Debatte.
    Ein lila Strich als optischer Blickfang

    Irgendwie hat „meine“ Autismus-Bubble auf Twitter (also die Menschen, denen ich folge und deren Ansichten und Meinungen ich bezüglich Autismus teile, natürlich habe ich da einen Bias) ein Problem mit trans Personen. Wobei „Problem“ trifft den Kern der Sache nicht so richtig, ich habe aber auch noch nicht ganz gegriffen bekommen, was jetzt die eigentliche Problematik ist. Es entzündet sich allerdings häufig am Begriff „Autigender“.

    Als ich verschiedene Menschen darauf ansprach, wurde mir gesagt, dass es wohl SelfDx (also Menschen ohne offizielle Autismus-Diagnose, die sich aber als Autist_innen bezeichnen) gibt, die gleichzeitig irgendwie in der trans Communitiy unterwegs sind und das „AutiGender“ als queere Identität verwenden, um zwischen „männlich“ und „weiblich“ noch „autistisch“ zu etablieren.

    Ich persönlich, seit Jahren in der deutschsprachigen trans/queer Communitiy unterwegs (und auf Twitter), habe davon noch nichts gehört. Deshalb habe ich mich auf die Suche danach gemacht – was ist „AutiGender“? Außerdem geht es in diesem Beitrag darum, dass queere Identitäten ebenfalls nichts sind, das sich Menschen „aussuchen“. Auch, wenn es von außen vielleicht so wirkt.

    Step 1 meiner Recherche:

    Das queer-lexikon, dessen Glossar die größte, deutschsprachige Rechercheplattform für queere Labels und Mikrolabels sein dürfte. Bei „AutiGender“ in der Suche ist selbige schnell erledigt: Keine Treffer. „Autismus“ gibt ein paar Treffer, diese beziehen sich jedoch alle auf den Kummerkasten. Das queer-lexikon kennt dieses Label also offensichtlich nicht.

    Step 2: Google.

    Hier gibt es sehr viele Treffer, die Autismus und trans und Autismus und Frauen behandeln. Spezifisch „AutiGender“ finde ich erstmal nicht, deshalb gehe ich auf die Quellen zu „Autismus und trans“ näher ein. Vielleicht geben die mir etwas mehr Input.

    • Autismus-Kultur benennt eine nicht näher definierte Studie, die davon ausgeht, dass ca. 5% der Autist*innen gendervariant seien. Letzte Änderung der Seite war am 16.03.2020. In diesem Beitrag geht es darum, wie die Kombination aus LGBTIQ und Autismus zu vermehrten Diskriminierungen und Ausschlüssen aus eigentlich zugehörigen Räumen führt/führen kann. Ähnliches habe ich hier ebenfalls beschrieben.
    • Eine Frage dazu beantwortete 2017 das AutismusFAQ. Sie definieren es ähnlich wie die oben genannte Twitter Menschen. „Mittlerweile wird er leider häufig synonym für das Gefühl verwendet, dass man auch ohne Diagnose manchmal Autistin ist. Oder sich eben weder als Mann noch Frau, sondern als Autistin fühlt (häufig, ohne diagnostiziert zu sein).“ Gleichzeitig geht die Seite aber auch auf den Ursprung des Begriffes ein. „Ein Gender, das nur als Autist*in verstanden werden kann.„.
    • Ähnlich greift es das AutisticAlien auf, das AutiGender als „Beziehung zum eigenen Geschlecht in Abhängigkeit vom Autismus“ definiert. (Orig: autigender isn’t a gender or gender identity, but rather, how one’s view of gender is affected by autism.) Auch hier betont die Quelle, dass „AutiGender“ als eigene, geschlechtliche Kategorie (also als eigenes Label für Geschlecht) abgelehnt wird.
    • Das gleiche beschreibt WIKIA, in einem eigenen Beitrag über „AutiGender“.
    • Dann gibt es noch diese Seite, (CN TRANSFEINDLICHKEIT), die aussagt, dass verschiedene Faktoren zu Dysphorie führen können. Nicht alle davon müssen mit Transgeschlechtlichkeit in Verbindung stehen. Und dann fährt sie mit Horror-Geschichten über Transition und Detransition fort. (Horror-Geschichten, weil es die realen Gegebenheiten, wie auch die rechtlichen Voraussetzungen für eine Transition hier völlig missachtet. Grausige Einzelbeispiele, die beim Lesenden Emotionen auslösen sollen, sind keine guten Quellen. Das ist eine Fake-News-Seite.)
    • Hier wird mal eben sowohl Autismus, als auch Transgeschlechtlichkeit als Modediagnose bezeichnet – ne, damit halte ich mich gar nicht erst auf, sorry not sorry.

    Zwischenstep: Identitäten.

    Wie euch vielleicht schon aufgefallen ist, lehne ich die Bezeichnung „definiert sich als“ ab. Ich bin trans, ich bin Autist*in, ich bin kurzhaarig, gepierct, tätowiert. Meine Identität, definiert als: als „Selbst“ erlebte innere Einheit, setzt sich aus diesen einzelnen Faktoren zusammen.

    Ich habe mir nicht ausgesucht, trans zu sein. Ich habe mir nicht ausgesucht, Autist*in zu sein. Beides war halt da, das eine (der Autismus) bedingt, wie ich die Welt sehe, das andere (trans) bedingte eine Bruchstelle zwischen „wie ich mich sehe“ und „wie mich die Welt sieht“. Während ich letzteres durch eine medikamentöse HRT, eine Personenstands- und eine Vornamensänderung mildere (sich also diese Bruchstelle langsam schließt), wird mein Autismus unverändert bleiben.

    Deshalb lehne ich auch „person first“ language (z.B. Mensch mit Autismus) ab – mein Autismus ist untrennbar mit mir verbunden.

    Queerfeindliche bzw. transfeindliche Gruppierungen haben sich die Vielzahl der Label, die es in der queeren Communitiy gibt, (und über die auch innerhalb der Community gestritten wird) zu nutze gemacht, um sich über Queers lustig zu machen. Ein beliebter Spruch ist „Ich identifiziere mich als Apache Helicopter (ein Kampfhubschrauber)“ oder „meine Pronomen sind ‚Arschloch/Leck mich’“. Hintergrund dessen ist, die selbstgewählten (Micro)Label von queeren Personen ins Absurde zu treiben – und damit die Absurdität der Label selbst aufzuzeigen.

    Anstatt bei „männlich“ und „weiblich“ zu bleiben, wie es die Norm vorsieht, wagen es queere Menschen, sich Bezeichnungen zu geben, die auf den ersten Blick seltsam oder absurd erscheinen – und die auch (wenn es nach ebenjenen konservativen Elementen geht) auch in dieser Ecke bleiben sollen. Cupioromantisch, a_romantisch, genderfluid, nichtbinär, trans – einige Beispiele. (Durch die Links kommt ihr zur jeweiligen Definition. Alle diese Label nutze ich für mich, wenn auch in unterschiedlichen Zusammenhängen.)

    Step 3: Zusammenführung der verschiedenen Begriffe zu Autigender

    Zu SelfDx habe ich keine spezifische Meinung, ich empfinde dieses Thema als zu komplex, um mich auf „die eine“ oder „die andere“ Seite zu stellen. Eine Diagnostik ist zeit- kraft- und geldraubend – und nicht immer von Erfolg gekrönt (selbst wenn die Person möglicherweise autistisch ist).

    Gleichzeitig habe ich ein Problem mit den Begriffen „autistische Züge“ und „sind wir nicht alle ein bisschen autistisch“ – nein, sind wir nicht. Autismus ist ein Spektrum, aber die Einladung ist exklusiv für Autist_innen. Das Spektrum beginnt nicht bei „neurotypisch“ und endet bei „Autismus“. Das Spektrum beginnt bei „Autismus“. Natürlich gibt es auch neurotypische Menschen, die an sich Wesenszüge bemerken, die sie als autistisch wahrnehmen – allerdings ist das nicht verwunderlich, schließlich sind auch Autist_innen Menschen und keine unter einem Stein hervorgekrochenen Aliens von einem anderen Stern. (Redewendung/Sarkasmus).

    Über den Autismus von niemals diagnostizierten Autist_innen kann 1 nur spekulieren, das liegt in der Natur der Sache. Ebenso darüber, inwieweit Autismus eine Be_Hinderung in einer idealen Welt sein wird, in der Inklusion real ist und Autismus keine Nachteile mehr mit sich bringt.
    Ich mag diese Spekulationen, halte sie aber für die heutige Debatte für nicht zielführend.

    „AutiGender“ halte ich – zumindest in der Form „wie Autist_innen ihr eigenes Geschlecht wahrnehmen“ für valide, wenn auch nicht unbedingt nützlich. Nicht nützlich, weil mein Autismus Auswirkungen darauf hat, wie ich alles wahrnehme, nicht nur mein Geschlecht. (Und ich möchte keine AutiBeziehungen, AutiEssen oder AutiArbeit haben, ich möchte einfach nur autistisch sein.)

    In der Definition „sich ein bisschen autistisch fühlen“ – nope. Geht weg damit. Geht genauso weg damit, wie mit „ein Tag im Rollstuhl“-Veranstaltungen, Trips durch die Stadt mit Augenbinde oder dem Tragen von Leuten, die damit „fühlen“ sollen, wie es ist, behindert zu sein. Mein Autismus ist kein Spielplatz, auf dem ihr euch austoben könnt – und meine Transidentität auch nicht.

    Autigender – ein Fazit

    Kritik an den oben genannten Personen dann aber mit „sich eine Identität nach Lust und Laune überstülpen“ zu äußern, wie es AutismusFAQ (und ebenso einige Menschen auf Twitter) taten, empfinde ich ebenfalls als unpassend. In Anbetracht der queeren Communitiy, der dieser Vorwurf regelmäßig gemacht und deren Sein als „lächerliches Identitätsding“ abgestraft wird.

    Wir suchen uns unsere (queere) Identität nicht aus, wir definieren sie nur. Dafür werden Worte genutzt, die auf den ersten Blick ungewohnt und seltsam erscheinen. Das liegt daran, dass es kaum bis keine Worte gibt, um ein Sein zu definieren, das außerhalb der Norm liegt.
    Schlussendlich ende ich – wie so oft – mit der Bitte, dass sich trans und Autismus verbinden lassen können sollen müssen. Der Spagat zwischen den Stühlen (Metapher) schmerzt.

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