Kategorie: Autismus – salziges Karamell

  • Tiimo – eine App für neurodiverse Menschen

    Ich habe es schon öfter erwähnt, aber jetzt endlich kommt der Beitrag: Meine Rezension zu Tiimo.

    Tiimo ist eine Art Kalenderapp, jedoch werden keine Ereignisse oder Termine eingetragen, sondern Routinen. Als Autist_in brauche ich Routinen, ich vergesse sonst Nahrung, Trinken, auf die Toilette zu gehen, wann ich losgehen muss (und verpasse dementsprechend den Bus oder bin viel zu früh da), etc.

    Routinen geben mir Sicherheit und die Möglichkeit, mein Leben so „normal“ wie möglich zu leben. (Nein, es ist nicht „normal“. Aber es kommt nahe genug an eure Vorstellung von Normalität dran, um den Begriff zu rechtfertigen.) Mit funktionierenden Routinen bin ich entspannt(er), kann studieren, arbeiten und Texte wie diesen schreiben. Unvorhergesehene Ereignisse zerstören Routinen, sind deshalb nicht gerne gesehen.

    Aber zurück zu Tiiimo. Es ist die erste App, der ich trotz Verbesserungsvorschläge fünf Sterne in der Bewertung geben würde. Ich nutze die Version für Android, kann also zur Apple-App nichts sagen (nehme aber gerne Eindrücke entgegen. Kommentarfunktion ist offen.).

    Es gibt sowohl voreingestellte Routinen und Ereignisse, als auch die Option, eigene Routinen und Ereignisse zu erstellen. Dazu werden die Dauer des Ereignisses, ein Bild/Emoji, bei Bedarf eine Hintergrundfarbe und eine Checkliste erstellt. Außerdem kann eingestellt werden, ob die Aktivität vorzeitig begonnen oder beendet werden kann (praktisch bei variablen Aktivitäten wie beispielsweise „auf Toilette gehen“).

    Außer der Dauer der Aktivität sind alle Einstellungen optional. Damit ist Tiimo sowohl für Menschen, die es minimalistisch-übersichtlich brauchen, als auch für jene, die mittels Farben/Emojis eine sofortige Zuordnung machen können, geeignet. Die App kann auf mehreren Geräten gleichzeitig laufen und zusätzlich auch über den PC bearbeitet werden.

    Mehrere Aktivitäten können zu Routinen zusammengefasst werden. Das erspart Zeit, da z.B. „Morgens“ als Routine in meinem Fall sechs verschiedene Aktivitäten umfasst: Aufstehen, Skincare, Yoga (falls möglich), Morgenhygiene, Anziehen, ins Wohnzimmer wechseln. Einige dieser Aktivitäten sind in (per Checkliste abhakbare) Unteraktivitäten unterteilt, um beispielsweise die nötige Reihenfolge bei der Skincare und der Morgenhygiene einhalten zu können. Da diese Routine grundsätzlich gleich bleibt, muss die erstellende Person für den Wochenplan (in meinem Fall der Herzmensch) nicht sechs einzelne Aktivitäten eintragen, sondern nur den Startpunkt der Routine – den Rest erledigt die App.

    Nachteile gibt es aber auch, deshalb hier meine Verbesserungsvorschläge:

    1. Eine Liste mit Aktivitäten, die nur einmal erstellt werden müssen. Derzeit wird jedes Mal eine „neue“ Aktivität erstellt, wodurch die Auflistung sehr unübersichtlich wird und es schlussendlich einfacher ist, jedes Mal wieder eine Aktivität „neu“ zu erstellen, anstatt sie in der Liste zu suchen.
    2. Eine Suchfunktion für Aktivitäten.
    3. Die Möglichkeit, Aktivitäten/Routinen löschen zu können.

    Sollten diese Dinge umgesetzt werden, wäre die App perfekt für mich. Derzeit ist sie nur fast perfekt (aber hat dennoch meine Lebensqualität deutlich erhöht.) Diese lange Liste an sich doppelnden Aktivitäten überfordert mich, jedes Mal eine neue Aktivität zu erstellen, überfordert dagegen auch, weil ich es immer gleichbleibend (optisch) brauche. Damit muss ich immer überlegen, welche Farbe ich welcher Gruppe von Aktivitäten zugeordnet habe.

    Kostenlos ist Tiimo nicht, dafür werbefrei und datensicher (nach eigener Aussage). Hinter der App steht ein Team, das sehr schnell und freundlich auf Kommentare und Anfragen reagiert. Meine Twitter-TL kann auch ihrem Twitter-Account folgen.
    Die Kosten belaufen sich auf (entweder) monatlich $4.49 / €3.99 / £4.49 oder $23.49 / €19.99 / £17.99 im Jahr (Stand 28.04.2021). In Anbetracht dessen, was ich bekomme (eine App, die mir ein lebenswerteres Leben als vorher ermöglicht), empfinde ich den Preis als fair.

    Falls eine Person diese Rezension auf Englisch übersetzen und Tiimo zukommen lassen möchte, wäre ich sehr dankbar!

  • Eisblumen III – pflegebedürftig? Du?!

    Sag mal, so ganz unter uns: Brauchst du das wirklich oder hast du einfach beim Antrag übertrieben und willst das Geld?

    Ein Freund, im Vertrauen.

    Damals hab ich gelacht. Gelacht, weil die Frage mein Imposter (bin ich wirklich pflegebedürftig, wirklich behindert genug?) traf, gelacht, weil es gleichzeitig so absurd war, gelacht, weil ich überfordert war.

    Aber es geht mir nicht aus dem Kopf und eigentlich ist es nicht zum Lachen. Die Frage geht in die gleiche Richtung wie „Du bist behindert? Du siehst gar nicht so aus!“ und „Ach, komm schon, du bist viel zu hübsch, um pflegebedürftig zu sein!“. Ob ich hübsch bin (oder zu hübsch), kann ich nicht beurteilen. Aber pflegebedürftig bin ich wohl – hat zumindest der MDK begutachtet und mir einen Pflegegrad von drei (von fünf) zugestanden.

    Seitdem kann ich Witze darüber machen, dass der Herzmensch dafür bezahlt wird, mit mir zusammenzuleben. Witze machen die Angst, die Abhängigkeit erträglicher. Wenn er geht (und sich keine andere Person findet), komme ich ins Heim. Er kann gehen, ich nicht. Er trägt die Verantwortung für mich. Und ganz nebenbei versuchen wir, eine gleichberechtigte Beziehung, auf Augenhöhe, polyamor und mit Kommunikation zu führen.

    Eine Beziehung, in der gleichzeitig er für mich verantwortlich ist, weil ich mich nicht alleine versorgen kann. Ich denke nicht an solche Sachen wie Essen, ich hab kein Zeitgefühl, kein Zahlengefühl, kein Gefühl für Verhältnisse. (Ich kann nicht einschätzen, ob etwas „viel“ ist oder „wenig“, ob eine Zeitspanne „lang“ ist oder „kurz“, ob ich „genug“ mache – oder nicht.) Ich bekomme Panikattacken, weil ich nicht einschätzen kann, ob das Geld reicht oder die Zeit, die ich für meine Hausarbeit(en) aufwende.

    Ich kann nicht alles essen – und was ich essen kann, ändert sich von Tag zu Tag, je nachdem, wie viele Reize ich gerade ertrage. Ich kann nicht alleine rausgehen, seit der Pandemie ist meine Reizschwelle so weit gesunken, dass ich bereits beim „aus der Tür treten“ in einem Overload gefangen bin.

    Ich kann mich meistens alleine waschen – aber eben nicht immer. Demütigung? Schamgefühl? Können wir uns nicht leisten. Es muss erledigt werden, es muss gepflegt und sich gekümmert werden. Darüber, ob wir die Badtür abschließen, weil „man das halt so macht“ können wir nur müde lächeln – das Risiko, dass ich die Tür nicht öffnen kann und Hilfe brauche, ist zu groß. Er wäscht mich, cremt mich ein, zieht mich aus und wieder an.

    Der Herzmensch organisiert meinen Alltag, unterstützt von Tiimo (dazu wird es noch einen eigenen Beitrag geben), einem Bullet Journal und einem Kalender. Er übersetzt für mich, wenn ich nonverbal bin, wir kommunizieren über Bildkarten und Telegram-Sticker (es gibt ein großartiges Stickerpack für solche Situationen, das sehr einfach und intuitiv ist). Er bietet mir Essen an, trinken, Stimming-Dinge, Kopfhörer, Ruhe, Decke. Er entscheidet für mich, wenn ich es nicht kann und setzt Grenzen, wo ich es nicht kann (wir erinnern uns, ich kann Verhältnisse nicht einschätzen, also auch nicht, wie viele Ressourcen ich für den Tag noch habe).

    Gleichzeitig müssen wir die Balance finden, zwischen Pflege und Beziehung, zwischen notwendigen Entscheidungen und Paternalismus, zwischen „ich entscheide für dich, weil du es nicht kannst“ und Übergriffigkeit. Es ist jedes Mal ein Abwägen, aber gleichzeitig bleibt nicht die Zeit, bewusst darüber nachzudenken oder es zu kommunizieren – das muss vorher geschehen, in ruhigen Momenten, nicht dann, wenn es notwendig ist, Entscheidungen zu treffen. (Ich kann da meist nicht helfen, mir in einem Overload Entscheidungen zu überlassen, sorgt zielsicher für Meltdown oder Shutdown. Es ist ohnehin alles zu viel.)

    Aber… reicht das, um „pflegebedürftig“ zu sein? Ist es wirklich Einschränkung genug? Ich habe keine Vorstellung davon, wie Menschen leben, die das nicht benötigen – ich habe es auch benötigt, als es noch nicht bezahlt wurde und der Herzmensch hat es bereitwillig übernommen.

    Wie leben Menschen, die mein Leben als „seltsam“ und „krank“ und „ich könnte das nicht“ beschreiben? Wie lebt ihr? Was ist eigentlich dieses „normal“ und warum habe ich so oft das Gefühl, gar nicht so weit weg davon zu sein – und gleichzeitig, es nie erreichen zu können?

    Ich hab nur ein Leben. Dieses. Mit all seinen Möglichkeiten und noch viel mehr seinen Begrenzungen. Brauche ich diese Unterstützung „wirklich“? Ja. Ja, brauche ich. Abhängigkeit und Hilflosigkeit sind keine schönen Gefühle, ich tausche die nicht begeistert gegen 500 Euro im Monat ein.

  • Routinen – zwischen Zwang und Freiheit liegen fünf Minuten.

    Wenn du dir den Text lieber anhören möchtest, anstatt ihn zu lesen, klicke auf PLAY.

    Mein Leben ist minütlich durchgeplant. Anfragen für Termine bitte mindestens ein paar Tage, besser eine Woche vorher.

    Ich (beim Zocken mit Freund_innen).

    Es ist Sonntag. Sonntag zwischen 15:30 Uhr und 16:15 Uhr schreibe ich für Minzgespinst. Sagt meine App, die vom Herzmensch verwaltet wird und meine Routinen enthält. (Über die App werde ich im nächsten Blogbeitrag ausführlich reden.)

    Ich bin Autist_in. Meine Uni hat für die Pandemie eine „lustige“ Liste über das „Lernen im Home Office“ veröffentlicht. Darin steht beispielsweise, dass eins immer um die gleiche Uhrzeit aufstehen soll, sich „Routinen überlegen“, um den Uni-Alltag auch während Corona aufrecht zu erhalten.

    Darüber kann ich nur müde lächeln. Wenn neurotypische Menschen darüber reden, dass sie „Routinen benötigen“, dann ist das nicht gleichbedeutend mit dem Bedürfnis der meisten autistischen Menschen bezüglich Routinen.

    Meine Tage laufen gleich ab: Ich wache auf. Ich bekomme eine Tasse Kaffee. Ich bleibe eine halbe Stunde im Bett sitzen und trinke eine bis zwei Tassen Kaffee. Währenddessen bespreche ich mit dem Herzmenschen den Tag, streichele den Kater oder surfe ein bisschen auf Twitter. Dann stehe ich auf, kümmere mich um meine Skincare-Routine (die wiederum eingeteilt ist in: Serum, Augenserum, Augenbrauenserum, Creme, Wimpernserum, Sonnenschutz, Bodylotion), danach ziehe ich Yoga-Kleidung an, versuche mich an zwanzig Minuten Yoga (je nach Schmerzlevel), dann nehme ich meine Kleidung, gehe ins Bad, wasche mich, putze mir die Zähne und ziehe mich an. (Den Rest erspare ich euch, aber ich denke, ihr könnt euch eine kleine Vorstellung davon machen.)

    Jeden Morgen, jeden Tag. Wird eine Kleinigkeit an dieser Routine verändert, artet das in einen Overload aus, der nicht selten im Meltdown endet. Danach ist der gesamte Tag gelaufen.

    Eine Kleinigkeit, das kann sein, dass di_er Postbot_in zum falschen Zeitpunkt klingelt. Oder der Herzmensch einen wichtigen Anruf bekommt, obwohl in der Routine etwas anderes steht. Das die Katzen sich jagen, bevor der Wecker klingelt. Kleinigkeiten, wie gesagt.

    Routinen geben mir Sicherheit. Ich kann mich auf Dinge verlassen, sie geben mir die Freiheit, im Rahmen meiner Möglichkeiten, mich zu entfalten. (Wie poetisch.) Gleichzeitig sind sie relativ starr – ich kann mich nicht „mal eben“ mit Freund_innen treffen, das bringt den gesamten Tag (und mit Pech auch den nächsten) durcheinander.

    Dating wird zu einer komplizierten Angelegenheit, da die meisten Menschen mit meinem Bedürfnis nach Planungssicherheit nicht umgehen können. Und: Routinen kosten Zeit. Wenn das ganze Leben minütlich geplant wird, dann muss diese Planung einberechnet werden.
    Ich habe das Glück/Privileg, einen Pflegegrad zugesprochen bekommen zu haben. Seitdem ist der Herzmensch auch dafür verantwortlich, sich um das micro managing meines Alltags zu kümmern – und mir geht es seitdem psychisch deutlich besser.

    Neurotypische Menschen neigen dazu, ihre eigenen Erfahrungen auf andere Menschen zu übertragen. Eine „hey, das kenne ich auch!“-Reaktion. Oft führt das aber dazu, dass autismusspezifische Bedürfnisse bzw. Einschränkungen nur abgeschwächt wahrgenommen werden. Ich meine, ja, Routinen brauchen die meisten Menschen – irgendwie. Und Routinen und Rituale tun wohl den meisten Menschen gut, zumindest sind die Zeitschriften gerade voller Empfehlungen, sich Routinen zu schaffen. Dennoch ist dieses Bedürfnis bei Autist_innen deutlich intensiver und Veränderungen im Tagesablauf können nicht nur als „unangenehm“ sondern „stressig, über schmerzhaft bis hin zu Blackout“ wahrgenommen werden.

    Deshalb ist es wichtig, denke ich, bei diesen Themen im Hinterkopf zu behalten, dass die eigene Wahrnehmung nicht unbedingt die Erfahrungswelt von Autist_innen widerspiegelt, wenn es darum geht, Verständnis zu zeigen.

    Die Menschen meiner Zocker_innen-Gruppe haben sich jetzt übrigens mit mir auf zwei feste Termine geeinigt, damit ich zweimal die Woche „Zocken ohne Macker“ im Kalender eintragen kann und nicht mehr aufgrund der Spontanität ausgeschlossen bin.

  • autistisch-aktivistischer Burnout

    Ich kann nicht mehr.

    Diesen Satz habe ich in den letzten paar Monaten sehr, sehr oft gesagt. Manchmal habe ich ihn geschrien. Ab und zu habe ich ihn nur gewimmert oder geflüstert.

    Am Ende konnte ich doch immer noch. Noch ein Stück. Noch ein paar Tropfen Kraft, noch ein Löffel aus dem letzten Ende der Besteckschublade geholt.

    Bis… Ja, bis vor zwei Wochen. Da war dann wirklich „Schicht im Schacht“ (Redewendung). Ich hab einen kurzfristigen Termin bei meiner Hausärztin gemacht, bekam TAVOR verschrieben.

    „Zwei Wochen nehmen, dann absetzen. Vorsicht, das hat Suchtpotential. Pass auf dich auf!“

    Hausärztin.

    Außerdem die nachdrückliche Aufforderung (nachdem ich letztes Jahr schon mit „Erschöpfungssyndrom“ insgesamt vier Monate am Stück krankgeschrieben war, auf mich aufzupassen und das Pensum endlich zu reduzieren.

    Nun gut. Ich werde sehen, was ich tun kann.

    Analytisch betrachtet ist diese Situation das Ergebnis unterschiedlicher Faktoren:

    1. Der autistische Burnout: Vor allem afab Personen erleiden ihn häufig, weil sie erst spät (oder zu spät/gar nicht) diagnostiziert werden. Weil sie nicht in das Klischee vom „weißen, männlichen Autisten, der sich den ganzen Tag mit Zügen beschäftigt“ passen. Weil ihre Spezialinteressen versteckter sind oder zumindest besser in das gesellschaftliche Bild von „Frauen“ passen. Weil sie soziale Berufe haben und/oder Kinder.
      Gleichzeitig wird von Frauen (und als Frauen gelesene Personen) deutlich mehr emotionale und physische Arbeit erwartet: Sie sollen den Haushalt machen, sich um den Nachwuchs kümmern, arbeiten gehen und dabei NICHT ZUSAMMENBRECHEN. Wie ich in diesem Beitrag bereits schrieb, ist maskieren unfassbar anstrengend. Wenn dann noch die „übliche Routine, erwachsen zu sein“ oben drauf kommt, und nie gelernt wurde, auf die eigenen Bedürfnisse als Autist_in zu achten, dann kommt früher oder später der autistische Burnout. Die Ressourcen sind aufgebraucht, es geht nicht mehr.
    2. Der aktivistische Burnout: „Ich bin mal eben schnell die Welt retten…“ – ups. Emanzipatorischer Aktivismus kostet Kraft. Es ist eine Menge Energie, die dafür aufgebracht wird, sich mit der Welt, der Gesellchaft, den (diskriminierenden) Strukturen und all dem Mist, der den Status quo darstellt, zu befassen. Aktionen dagegen (seien es Bildungsarbeit, Plena, Gruppen, Demonstrationen, Kunstaktionen, Flyer, Plakate… you name it) kosten Zeit, Energie und Geld. Zusätzlich kommen Repressionskosten, Diskriminierungserfahrungen und – irgendwann – eine gewisse Frustration. ES PASSIERT NICHTS. Oder nicht schnell genug. Und die Welt brennt, der Klimawandel schreitet voran, trans Personen begehen Suizid und in deutschen Gefängnissen verbrennen BPoC. DA MUSS DOCH ETWAS GETAN WERDEN! Und dann irgendwann sitzt eins da, hat neun Projekte gleichzeitig, die alle wichtig sind – und kann nicht mehr. Aktivistischer Burnout. Whoop. Whoop.

    Und weil ich beides bin, habe ich mir – natürlich – auch beides gleichzeitig gegönnt. (Klingt lustig, fühlt sich aber nicht so an.)

    Deshalb wird es hier erstmal ruhiger werden. Ich werde nicht mehr wöchentlich posten können, denke ich.
    Es wird Zeit brauchen, um zu heilen. Zeit, die ich eigentlich gar nicht habe, weil ich von meinen Vorträgen, den Workshops und den Unterstützenden auf Steady lebe.
    Falls also monatlich ein bisschen Geld übrig ist und ihr mir etwas Gutes tun wollt, könnt ihr unten auf „die Schachtel füllen“ klicken (der schwebende Button) oder einfach hier. Falls ihr eine Orga kennt, die Lust hat, mich zu einer Veranstaltung einzuladen: Schreibt mir auf minzgespinst@posteo.de

    Ich liebe meine Arbeit und ich möchte sie nicht wegen meiner Erkrankungen aufgeben müssen.
    Das steht gerade auf der Kippe, leider.
    Jetzt konzentriere ich mich erst mal darauf, mit meinem Autismus ein Leben zu arrangieren, das mir die Selbstständigkeit ermöglicht, ohne mich auszubrennen. Dafür braucht es aber zunächst eine Pause und eine Ladung Löschwasser (Metapher). Bis bald!

  • Maskieren, Autismus, demaskieren.

    Nein. Nein, ich war nicht sauer, ich hatte bloß nicht genug Energie übrig, um im Shutdown dafür zu sorgen, dass neurotypische Menschen weiterhin denken, ich wäre neurotypisch. Dieses Verhalten von Autist_innen wird „maskieren“ genannt – wir setzen eine Maske auf, damit wir mit Menschen so interagieren können, dass diese uns für nicht allzu seltsam halten – oder gar für „normal“, also neurotypisch.

    Warst du heute irgendwie sauer? Du hast ausgesehen, als ob du [Dozentin] fressen wolltest!

    Kommilitone

    Maskieren kostet Energie, an guten Tagen etwas weniger, an schlechten Tagen mehr und an ganz schlechten Tagen (die, die schon den Tag über mit mehreren Meltdowns einhergingen, weil die Batterien leer sind) ist dafür keine mehr übrig.

    Ich weiß nicht, wie mein Gesicht aussieht, wenn ich nicht mehr maskiere. Ich habe nicht die Kraft, mich darum zu kümmern, deshalb lasse ich es einfach leer werden, anstatt „passende“ Mimik zu regulieren. Gleichzeitig bekomme ich regelmäßig die Rückmeldung, ich hätte „wütend“ ausgesehen oder „böse“ oder eben, als ob ich andere Personen hätte „fressen wollen“.

    Und am Ende sorgen diese Unterhaltungen dafür, dass ich doch wieder mehr maskiere. Das ich meine Grenzen noch ein bisschen weiter dehne, damit ich NT nicht erklären muss, dass das, was sie für Wut hielten, ein Ausdruck grenzenloser Erschöpfung war. (Ich bin normalerweise sehr gut darin, zu maskieren. Bin sehr gut darin, dass (vor allem) NT nicht wahrnehmen, wie es mir geht. Ich kann zehn Minuten nach einem Meltdown mit einem fröhlichen Lächeln vor der Kamera sitzen und einen Vortrag halten – weil ich mich zusammenreißen kann. Das hat Jahre an Druck und Therapie gekostet, das zu erlernen und jetzt kann ich es nicht mehr verlernen. Scheiße gelaufen, Pluspunkt für neoliberale Verwertbarkeit.)

    Selbstschutz

    Ich bin der Meinung, dass es für die meisten Menschen keine Rolle spielen muss, wie es mir geht und meine Emotionen bei mir am besten aufgehoben sind. Ich kenne die meisten Menschen, die ich kenne, aus Arbeitskontexten. In denen möchte ich nicht erklären, warum und wieso es mir schlecht geht, dass ich (mal wieder) haarscharf an der Grenze zur Suizidalität entlangschramme und meine Grenzen völlig überzogen habe. Außerdem habe ich ohnehin keine Worte dafür, andere Menschen stressen mich und in Eisblumen II gibt es die ganze Grundlage, warum „ich jammere und schütte mein Herz aus“ eher keine Option ist.

    Ich bin da, um eine Leistung abzuliefern und meinen Job zu machen. Und ich denke, dass ich in den meisten Fällen meinen Job sehr gut mache (zumindest gebe ich mir alle Mühe). Mein Job besteht oft darin, für andere Personen da zu sein und deren Problemen zuzuhören. Da haben meine Emotionen und meine Überlastung schlicht und ergreifend keinen Raum, solange (und das ist mir wichtig) ich meine Arbeit mit gleichbleibender Präzision erledige. Maskieren ist anerzogen und gleichzeitig notwendig.

    Ja, es gibt Ausnahmen. Tage, an denen ich meinen Job immer noch sehr gut erledige, aber nicht die Energie habe, die Maske aufrecht zu erhalten.

    Take The Mask Off

    Eine Forderung von Teilen der Autismus-Communitiy ist „Take the masks off“, bzw. „die Maske absetzen“. Das wir unsere Kraft nicht darauf verschwenden müssen, für neurotypische Menschen „angenehm“ auszusehen, sondern sie auf inhaltliche Arbeit verwenden können. Ich kann meine Maske nicht bewusst absetzen.

    Sobald ich mit Menschen zu tun habe, die nicht mit mir zusammen wohnen, maskiere ich. (Ansonsten würde ich sehr oft in Erklärungsnot geraten, wie es mir geht und damit kann ich nicht umgehen. Ich kann das nicht erklären. Es ist zu viel, es wird Menschen nerven und am Ende sind alle wieder böse. Das will ich nicht.)

    Ich weiß auch nicht genau, worauf ich mit diesem Text hinauswill. Ich kann nicht unterscheiden, ob Menschen wirklich daran interessiert sind, wie es mir geht oder ob das eine höfliche Floskel ist, die mit höflichen Nichtigkeiten beantwortet werden soll (der Einfachheit halber gehe ich grundsätzlich von letzterem aus, immer). Wenn sie es wirklich wissen wollen, tut es mir leid – ich kann mit eurer Aufmerksamkeit nicht umgehen. Das ist so viel soziale Interaktion und Anteilnahme, ich kann das nicht. Siehe Eisblumen II.

    Verwirrung

    Eine Freundin hat mein Kommunikationsverhalten mal mit „Ich weiß jetzt zwar genau, wie deine letzten Tage waren, aber immer noch nicht, wie es dir geht.“ beschrieben und das trifft es ganz gut. Ich kann nicht sagen, wie ich mich fühle, weil das meist selbst nicht ganz klar ist, aber ich kann beschreiben, was ich getan habe – und den meisten Menschen reicht das. Smalltalk ist reines Maskieren – und unbeschreiblich anstrengend.

    Ich bin selten wütend. Ich bin oft erschöpft, ich bin gut darin, mich theatralisch aufzuregen, aber ich bin nicht wütend. Und wenn ich wütend bin, kommuniziere ich das meist deutlich. Ich weiß auch nicht, wie mein Gesicht aussieht, wenn ich keine Maske trage. Es ist dann nur endlich mal entspannt, weil ich meiner Mimik keine Form mehr gebe. Ich schreibe diesen Text, während mein Gesichtsfeld flimmert und ich einen Tunnelblick auf den Bildschirm habe.

    Vielleicht wirke ich von außen wütend. Ich tippe schnell, ich wirke fokussiert. Stattdessen bin ich müde. Und erschöpft. Seit Wochen, Monaten.
    (Weil ich mir keine Pause gönne, weil ich dann in Einsamkeit ertrinken würde und das noch schlimmer klingt.
    Ja, ich sehe die Ironie und die Probleme selbst, ich kann sie nur nicht lösen. Tja. Erneut: Blöd gelaufen, aber neoliberale Selbstausbeutung läuft.)

  • Autigender: Identitäten und Einhörner.

    Autigender ist nicht real! Die können sich dann einfach als regenbogenbunte, glitzerpupsende Einhörner definieren und wissen gar nicht, was wirklich eine Behinderung ist! Das schadet uns!

    Zusammenfassung einer Twitter-Debatte.
    Ein lila Strich als optischer Blickfang

    Irgendwie hat „meine“ Autismus-Bubble auf Twitter (also die Menschen, denen ich folge und deren Ansichten und Meinungen ich bezüglich Autismus teile, natürlich habe ich da einen Bias) ein Problem mit trans Personen. Wobei „Problem“ trifft den Kern der Sache nicht so richtig, ich habe aber auch noch nicht ganz gegriffen bekommen, was jetzt die eigentliche Problematik ist. Es entzündet sich allerdings häufig am Begriff „Autigender“.

    Als ich verschiedene Menschen darauf ansprach, wurde mir gesagt, dass es wohl SelfDx (also Menschen ohne offizielle Autismus-Diagnose, die sich aber als Autist_innen bezeichnen) gibt, die gleichzeitig irgendwie in der trans Communitiy unterwegs sind und das „AutiGender“ als queere Identität verwenden, um zwischen „männlich“ und „weiblich“ noch „autistisch“ zu etablieren.

    Ich persönlich, seit Jahren in der deutschsprachigen trans/queer Communitiy unterwegs (und auf Twitter), habe davon noch nichts gehört. Deshalb habe ich mich auf die Suche danach gemacht – was ist „AutiGender“? Außerdem geht es in diesem Beitrag darum, dass queere Identitäten ebenfalls nichts sind, das sich Menschen „aussuchen“. Auch, wenn es von außen vielleicht so wirkt.

    Step 1 meiner Recherche:

    Das queer-lexikon, dessen Glossar die größte, deutschsprachige Rechercheplattform für queere Labels und Mikrolabels sein dürfte. Bei „AutiGender“ in der Suche ist selbige schnell erledigt: Keine Treffer. „Autismus“ gibt ein paar Treffer, diese beziehen sich jedoch alle auf den Kummerkasten. Das queer-lexikon kennt dieses Label also offensichtlich nicht.

    Step 2: Google.

    Hier gibt es sehr viele Treffer, die Autismus und trans und Autismus und Frauen behandeln. Spezifisch „AutiGender“ finde ich erstmal nicht, deshalb gehe ich auf die Quellen zu „Autismus und trans“ näher ein. Vielleicht geben die mir etwas mehr Input.

    • Autismus-Kultur benennt eine nicht näher definierte Studie, die davon ausgeht, dass ca. 5% der Autist*innen gendervariant seien. Letzte Änderung der Seite war am 16.03.2020. In diesem Beitrag geht es darum, wie die Kombination aus LGBTIQ und Autismus zu vermehrten Diskriminierungen und Ausschlüssen aus eigentlich zugehörigen Räumen führt/führen kann. Ähnliches habe ich hier ebenfalls beschrieben.
    • Eine Frage dazu beantwortete 2017 das AutismusFAQ. Sie definieren es ähnlich wie die oben genannte Twitter Menschen. „Mittlerweile wird er leider häufig synonym für das Gefühl verwendet, dass man auch ohne Diagnose manchmal Autistin ist. Oder sich eben weder als Mann noch Frau, sondern als Autistin fühlt (häufig, ohne diagnostiziert zu sein).“ Gleichzeitig geht die Seite aber auch auf den Ursprung des Begriffes ein. „Ein Gender, das nur als Autist*in verstanden werden kann.„.
    • Ähnlich greift es das AutisticAlien auf, das AutiGender als „Beziehung zum eigenen Geschlecht in Abhängigkeit vom Autismus“ definiert. (Orig: autigender isn’t a gender or gender identity, but rather, how one’s view of gender is affected by autism.) Auch hier betont die Quelle, dass „AutiGender“ als eigene, geschlechtliche Kategorie (also als eigenes Label für Geschlecht) abgelehnt wird.
    • Das gleiche beschreibt WIKIA, in einem eigenen Beitrag über „AutiGender“.
    • Dann gibt es noch diese Seite, (CN TRANSFEINDLICHKEIT), die aussagt, dass verschiedene Faktoren zu Dysphorie führen können. Nicht alle davon müssen mit Transgeschlechtlichkeit in Verbindung stehen. Und dann fährt sie mit Horror-Geschichten über Transition und Detransition fort. (Horror-Geschichten, weil es die realen Gegebenheiten, wie auch die rechtlichen Voraussetzungen für eine Transition hier völlig missachtet. Grausige Einzelbeispiele, die beim Lesenden Emotionen auslösen sollen, sind keine guten Quellen. Das ist eine Fake-News-Seite.)
    • Hier wird mal eben sowohl Autismus, als auch Transgeschlechtlichkeit als Modediagnose bezeichnet – ne, damit halte ich mich gar nicht erst auf, sorry not sorry.

    Zwischenstep: Identitäten.

    Wie euch vielleicht schon aufgefallen ist, lehne ich die Bezeichnung „definiert sich als“ ab. Ich bin trans, ich bin Autist*in, ich bin kurzhaarig, gepierct, tätowiert. Meine Identität, definiert als: als „Selbst“ erlebte innere Einheit, setzt sich aus diesen einzelnen Faktoren zusammen.

    Ich habe mir nicht ausgesucht, trans zu sein. Ich habe mir nicht ausgesucht, Autist*in zu sein. Beides war halt da, das eine (der Autismus) bedingt, wie ich die Welt sehe, das andere (trans) bedingte eine Bruchstelle zwischen „wie ich mich sehe“ und „wie mich die Welt sieht“. Während ich letzteres durch eine medikamentöse HRT, eine Personenstands- und eine Vornamensänderung mildere (sich also diese Bruchstelle langsam schließt), wird mein Autismus unverändert bleiben.

    Deshalb lehne ich auch „person first“ language (z.B. Mensch mit Autismus) ab – mein Autismus ist untrennbar mit mir verbunden.

    Queerfeindliche bzw. transfeindliche Gruppierungen haben sich die Vielzahl der Label, die es in der queeren Communitiy gibt, (und über die auch innerhalb der Community gestritten wird) zu nutze gemacht, um sich über Queers lustig zu machen. Ein beliebter Spruch ist „Ich identifiziere mich als Apache Helicopter (ein Kampfhubschrauber)“ oder „meine Pronomen sind ‚Arschloch/Leck mich’“. Hintergrund dessen ist, die selbstgewählten (Micro)Label von queeren Personen ins Absurde zu treiben – und damit die Absurdität der Label selbst aufzuzeigen.

    Anstatt bei „männlich“ und „weiblich“ zu bleiben, wie es die Norm vorsieht, wagen es queere Menschen, sich Bezeichnungen zu geben, die auf den ersten Blick seltsam oder absurd erscheinen – und die auch (wenn es nach ebenjenen konservativen Elementen geht) auch in dieser Ecke bleiben sollen. Cupioromantisch, a_romantisch, genderfluid, nichtbinär, trans – einige Beispiele. (Durch die Links kommt ihr zur jeweiligen Definition. Alle diese Label nutze ich für mich, wenn auch in unterschiedlichen Zusammenhängen.)

    Step 3: Zusammenführung der verschiedenen Begriffe zu Autigender

    Zu SelfDx habe ich keine spezifische Meinung, ich empfinde dieses Thema als zu komplex, um mich auf „die eine“ oder „die andere“ Seite zu stellen. Eine Diagnostik ist zeit- kraft- und geldraubend – und nicht immer von Erfolg gekrönt (selbst wenn die Person möglicherweise autistisch ist).

    Gleichzeitig habe ich ein Problem mit den Begriffen „autistische Züge“ und „sind wir nicht alle ein bisschen autistisch“ – nein, sind wir nicht. Autismus ist ein Spektrum, aber die Einladung ist exklusiv für Autist_innen. Das Spektrum beginnt nicht bei „neurotypisch“ und endet bei „Autismus“. Das Spektrum beginnt bei „Autismus“. Natürlich gibt es auch neurotypische Menschen, die an sich Wesenszüge bemerken, die sie als autistisch wahrnehmen – allerdings ist das nicht verwunderlich, schließlich sind auch Autist_innen Menschen und keine unter einem Stein hervorgekrochenen Aliens von einem anderen Stern. (Redewendung/Sarkasmus).

    Über den Autismus von niemals diagnostizierten Autist_innen kann 1 nur spekulieren, das liegt in der Natur der Sache. Ebenso darüber, inwieweit Autismus eine Be_Hinderung in einer idealen Welt sein wird, in der Inklusion real ist und Autismus keine Nachteile mehr mit sich bringt.
    Ich mag diese Spekulationen, halte sie aber für die heutige Debatte für nicht zielführend.

    „AutiGender“ halte ich – zumindest in der Form „wie Autist_innen ihr eigenes Geschlecht wahrnehmen“ für valide, wenn auch nicht unbedingt nützlich. Nicht nützlich, weil mein Autismus Auswirkungen darauf hat, wie ich alles wahrnehme, nicht nur mein Geschlecht. (Und ich möchte keine AutiBeziehungen, AutiEssen oder AutiArbeit haben, ich möchte einfach nur autistisch sein.)

    In der Definition „sich ein bisschen autistisch fühlen“ – nope. Geht weg damit. Geht genauso weg damit, wie mit „ein Tag im Rollstuhl“-Veranstaltungen, Trips durch die Stadt mit Augenbinde oder dem Tragen von Leuten, die damit „fühlen“ sollen, wie es ist, behindert zu sein. Mein Autismus ist kein Spielplatz, auf dem ihr euch austoben könnt – und meine Transidentität auch nicht.

    Autigender – ein Fazit

    Kritik an den oben genannten Personen dann aber mit „sich eine Identität nach Lust und Laune überstülpen“ zu äußern, wie es AutismusFAQ (und ebenso einige Menschen auf Twitter) taten, empfinde ich ebenfalls als unpassend. In Anbetracht der queeren Communitiy, der dieser Vorwurf regelmäßig gemacht und deren Sein als „lächerliches Identitätsding“ abgestraft wird.

    Wir suchen uns unsere (queere) Identität nicht aus, wir definieren sie nur. Dafür werden Worte genutzt, die auf den ersten Blick ungewohnt und seltsam erscheinen. Das liegt daran, dass es kaum bis keine Worte gibt, um ein Sein zu definieren, das außerhalb der Norm liegt.
    Schlussendlich ende ich – wie so oft – mit der Bitte, dass sich trans und Autismus verbinden lassen können sollen müssen. Der Spagat zwischen den Stühlen (Metapher) schmerzt.

  • Eisblumen II

    You must be fun at parties.

    Tinder-Typ.

    Selbst ich weiß, dass das oben genannte Zitat kein Kompliment ist. Selbst ich, das Sarkasmus vor allem dann erkennt, wenn er mir frontal ins Gesicht schlägt, weiß, dass dieser Satz verwendet wird, um Menschen abzuwerten.

    Allerdings… er hat nicht unrecht. Nicht, dass ich auf allzuviele Parties gehen würde oder mit allzuvielen Menschen Kontakt hätte, aber wenn, dann ist „fun“ tatsächlich der falsche Begriff. Ich bin gut darin, Dinge (vor allem politische Dinge) zu erklären und schlecht darin, Smalltalk zu machen. Noch schlechter bin ich nur darin, einzuschätzen, was Menschen vor mir denken. RICHTIG GUT dagegen darin, das von allen Seiten zu überdenken, ohne zu einem Ergebnis (außer Angst und Unsicherheit) zu kommen.

    Kürzlich schrieb ich auf Twitter:

    13 Jahre Mobbing haben mich perfekt auf die Pandemiesituation vorbereitet.

    @wolkenfluff

    Die Schulzeit war eine Hölle auf Raten, trotz sieben Schulwechseln und zwei Klassenwechseln – ich war fehl am Platz. Aber wusste ja keins, dass ich Autist_in bin, also war ich nur „merkwürdig“ und „anders“. Kinder können grausam sein, wenn es darum geht, merkwürdige Kinder für ihr Sein zu bestrafen – und sie waren es, jahrelang und genüsslich.
    Ich hab es überlebt, paar Narben (physische und psychische) sind geblieben. Nun gut, kannste nichts machen.

    Während sich andere Menschen auf den ersten Partys betrunken haben, geknutscht, getanzt, sich gestritten und wieder vertragen, bin ich zu Hause geblieben und habe gelesen. Ich habe beeindruckend viel gelesen, aber ich hatte ja auch ausreichend Zeit dazu – die übliche Zeitverschwendung durch Freund_innenschaften und soziale Kontakte fiel weg.

    Das ist bis heute geblieben – doch ich werde nicht mehr gemobbt.
    Ich bin gut in dem, was ich tue, ich werde für meine Meinung, meine Ansichten und meine Einschätzungen geschätzt. Menschen fragen mich um Rat, ob ich Teil ihrer Projekte sein möchte oder brauchen Hilfe dabei, ihre Hosen zu flicken. Ich habe soziale Kontakte, politische Kontakte, Arbeitskontakte.
    Ich bin nicht mehr allein, zumindest nicht „allein, allein“.

    Manchmal – derzeit verstärkt – fällt mir auf, dass ich trotz allem diese sozialen Kontakte wie durch eine Glasscheibe betrachte. Ich bin Teil des Raumes, nicht aber der Gruppe. Ich mache Awarenessarbeit auf Partys – damit bin ich anwesend, aber kein Teil des Publikums. Ebenso in politischen Gruppen oder beim Kummerkasten. Ich bin allein, ohne allein zu wirken.

    Es ist ein sicherer Ort, ich kenne das Protokoll, ich weiß, was von mir erwartet wird. Es ist auch ein einsamer Ort, weil ich beobachte zwischenmenschliche Kommunikation und kann mir einbilden, ich wäre nicht außen vor – aber ich weiß es besser. Aber es ist immer noch besser als die echte Einsamkeit, die, die ich in den dreizehn Jahren Schulzeit erlebt habe.

    Ich habe letztes Jahr das erste Mal über meine Gefühle als Risikogruppe während der Pandemie geschrieben, ihr findet den Text unter Eisblumen.
    Jetzt ist Januar. Die Pandemie geht ins zweite Jahr, ich sitze am Fenster. Die Eisblumen sind nicht mehr nur metaphorisch, sie ranken sich auch physisch am Fenster entlang. Schön. Aber kalt. Und nass.

    Ich beobachte neurotypische Menschen. Ich sehe ihre Interaktionen miteinander. Ich verstehe sie nur nicht.
    Ich fühle mich in den meisten sozialen Interaktionen unwohl, unbeholfen, fehl am Platz. Ich bin verunsichert, ich weiß nicht, was von mir erwartet wird. Es gibt kein Protokoll, ich kann nicht abgleichen, ob ich es „richtig“ mache. Diese Unsicherheit, diese Emotionen, dieses „sich ständig hinterfragen“ ist anstrengend und deshalb ziehe ich mich oft und immer öfter freiwillig hinter die Glasscheibe zurück. Ich habe aufgegeben, Teil der Gruppe sein zu wollen und bin zufrieden mit der Außenseiterposition – rede ich mir ein. Es ist immer noch besser als die Alternative, dieses echte „allein, allein“.

    Und wenn ich mich genug anstrenge, dann mögen mich Menschen zumindest für das, was ich tue. Was ich kann. Was ich leiste. Sie laden mich zu Vorträgen ein, sie hören mir zu, sie lesen meine Texte. Das ist besser als nichts. Ich sollte zufrieden sein. Dieses „mehr“, das ich glaube, bei anderen zu sehen, dieses „Ich habe Freund_innen“, das ist bestimmt nur eine Projektion, das will ich gar nicht wirklich. Das ist alles nicht real und ich bin glücklich dort, wo ich gerade bin. Bestimmt.

    (Nein, ich wäre gerne irgendwo willkommen. Aber ich weiß nicht, wie ich das anstellen soll. Ich bin nicht gut darin, mich bei Menschen zu melden oder freundschaftliche Kontakte zu pflegen. Ich bin gut in beratender Arbeit und ich bin gut darin, mit Menschen Sex zu haben. (Das ist einfach, da gibt es ein Protokoll.) Alles dazwischen fühlt sich an wie ein Tanz über Glasscherben. Ich bin auch nicht gut darin, um Hilfe zu bitten, weshalb ich zwar über Einsamkeit schreibe, aber keine Ahnung habe, was ich dagegen tun soll.)

  • Gute Kommunikation mit neurotypischen Menschen

    Sorry! Ich wollte dich nicht verunsichern!
    Sorry, dass ich das nicht berücksichtigt habe.
    Danke für die gute Kommunikation!

    gemochter Politgruppenmensch

    Es ging darum, dass ich – gerade bei neuen Menschen – nicht unbedingt auseinanderhalten kann, ob Menschen im Spaß pöbeln oder ernsthaft verletzt sind. (In diesem Fall war die Begründung einfach. Die Person pöbelt gerne und ich lieferte ausnahmsweise eine Steilvorlage zum Pöbeln, die natürlich genutzt wurde.) Gute Kommunikation bedeutet, dass wir offen darüber reden können.

    Vorauseilender Gehorsam

    Ich jedoch wusste das nicht – und habe mich für meine Aussage entschuldigt, weil ich nicht einordnen konnte, ob ich eine Grenze überschritten hatte – oder nicht. Bevor ich also eine unangenehme Situation von allen Seiten überdenke, entschuldige ich mich lieber für den Fall der Fälle – und gebe die Möglichkeit, die Situation zu korrigieren. Ich habe gelernt, wenn ich das nicht tue, eskalieren Situationen. Es ist sehr anstrengend, immer darauf zu achten, „alles richtig“ zu machen. Ich habe oft Angst in sozialen Situationen.

    Ich musste auch erst lernen, dass diese Möglichkeit besteht. Seitdem ist sie ein guter Lackmus-Test, inwieweit Personen bereit sind, meine Form der Kommunikation zu akzeptieren. (Da ich jetzt weiß, dass die Person gerne pöbelt, kann ich entsprechendes Verhalten auch einordnen und reagieren – es halt also nur Klarheit gebracht. Sehr positiv.)

    Gleichzeitig entschuldigt sich die Person im Anschluss dafür, mich (und meine Form der Kommunikation) nicht bedacht zu haben. Das finde ich lieb, aber gleichzeitig ist das ein Anspruch, den ich weder an mich, noch an andere Menschen stelle. So wenig, wie ich die Bedürfnisse von neurotypischen Menschen automatisch in meine Kommunikation einbeziehen kann, so wenig erwarte ich von neurotypischen Menschen, dass sie mich in ihre einbeziehen.

    Betriebssysteme

    Wir laufen einfach auf komplett unterschiedlichen Betriebssystemen. Davon ist keins schlechter oder besser, aber sie funktionieren fundamental unterschiedlich. Das haben sogar Studien belegt. Wenn es eine Gruppe aus autistischen und eine Gruppe aus neurotypischen Menschen gibt, die „Stille Post“ spielen, ist das Ergebnis ungefähr gleich gut. Mischt man beide Gruppen, entsteht Wortsalat.

    Ich kann nicht nachvollziehen, wie Menschen Sarkasmus, Ironie, Witz oder auch versteckte Ernsthaftigkeit in Worten kommunizieren können, die für mich alle gleich klingen, während neurotypische Menschen nicht nachvollziehen können, dass für mich alles gleich klingt. Ein Gespür dafür zu haben, was „angemessen ist“, kenne ich nicht.

    Gleichzeitig kann ich verstehen, dass es „eben so ist“. Während die ableistische Gesellschaft, in der neurotypische Kommunikation die Norm ist, erwartet, dass ich „es eben kann“. Oder wenigstens so tue, als könnte ich es. Das Ergebnis: Die verletzten Gefühle neurotypischer Menschen und ein verwirrrtes, überfordertes Ich.

    Es ist also sogar eher ein Zeichen von guter, funktionierender Kommunikation, wenn ich euch „seltsam“ vorkomme – oder gar nachfrage. Ich vertraue dem Gruppengefüge ausreichend, um nicht maskieren zu müssen. Kann „ich“ sein und gleichzeitig sicher genug, dafür nicht bestraft oder ausgegrenzt zu werden. Ich erlebe aber immer wieder, dass „gute Kommunikation“ sehr viel Arbeit ist. Bestrafung von Menschen, die nicht ausreichend maskieren, ist einfacher.

    Ich kann Teil der Gruppe, der Kommunikation sein, ohne mich auf meine übliche Rolle – beispielsweise als professionell Awarenessperson – zu beschränken. Die einzig sichere Kommunikation habe ich, wenn ich eine feste Rolle übernehme. Das macht sehr einsam. Soziale Kontakte sind damit kaum möglich.

    Meine Rolle, meine Bühne

    Awarenessarbeit fällt mir leicht, weil es mehrere Punkte vereint, die mir helfen:

    1. Ich bin kein Teil des Geschehens. Von mir wird keine zwischenmenschliche Kommunikation erwartet, sondern eine beobachtende Position.
    2. Wenn ich benötigt werde, wenden sich Menschen an mich, um ein individuelles Problem zu lösen, das Teil einer strukturellen Problematik (Diskriminierung) ist.
    3. Menschen erwarten keinen Trost vom Awarenessteam, sondern Unterstützung und Hilfe. Somit werden auch Emotionen auf einer informativen Ebene übermittelt, statt zu erwarten, dass bekannt ist, was die betroffene Person braucht. (Einer der Gründe, warum ich gut darin bin: Ich nehme sehr viele Ebenen nicht wahr und kann deshalb die erhaltenen Informationen mit strukturellen Diskriminierungen vergleichen und entsprechend einordnen sowie Lösungen anbieten.)

    Wenn ich mich aus dieser begleitenden, beobachtenden Position herausbewege, ist das ein Zeichen dafür, dass ich mich in Gruppen wohlfühle. Gleichzeitig erhöht es das Risiko, dass ich Verhaltensweisen zeige, die neurotypische Menschen als „unpassend“ oder „seltsam“ wahrnehmen und ich im Anschluss nicht nur die Gruppe, sondern auch die offizielle Position als Awarenessperson verliere.

    Gute Kommunikation

    Deshalb bin ich durchaus vorsichtig, in welchen Gruppen ich mich sicher genug fühle, so aus mir herauszugehen, dass ich „die Maske absetze“, also nicht dauerhaft darauf achte, möglichst neurotypisch zu agieren.

    Ich brauche die Möglichkeit, meine Unsicherheit zu zeigen. Nachzufragen, ob ich es richtig verstanden habe. Dann muss ich gar nicht „mitgedacht“ werden. Ein gleichberechtiger Platz mit meiner Andersartigkeit umzugehen, reicht mir. Vor allem, weil ich mit Entschuldigungen, die ich als unlogisch (weil beispielsweise unmöglich) wahrnehme, ebenfalls nicht umgehen kann.

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