Ein Plenum, eine Arbeitssitzung, eine Gruppe diskutierender Menschen, eine hitzige Situation. Unterschiedliche Meinungen.
Dann die mahnende Stimme aus dem Off, alle Beteiligten mögen sich der Grundsätze von „gewaltfreie Kommunikation“ besinnen. Und wieder auf ein freundliches, sachliches, nettes, positives Feld der Kommunikation zurückkehren. Das ist dann immer der Moment, in welchem ich mich, als Autist_in, wehrlos und überfordert fühle. Ab jetzt werde ich kein Teil der Diskussion mehr sein können.
Doch, was ist das eigentlich, „gewaltfreie Kommunikation“ (kurz: GFK)?
Es wurde in den 1960er Jahren von Marshall Rosenberg entwickelt und kommt eigentlich aus der klinischen Psychotherapie.
Was ist Gewaltfreie Kommunikation?
Rosenberg nimmt an, dass jeder Mensch gern bereit sei, etwas für einen anderen Menschen zu tun, sofern bestimmte Bedingungen erfüllt sind (z. B. die Anfrage als Bitte formuliert ist und nicht als Forderung, er nicht den Eindruck hat, dadurch eine Pflicht abzuarbeiten oder den anderen in eine Pflicht zu setzen und so weiter).
Dieses Menschenbild geht auf die der humanistischen Psychologie entlehnte Haltung zurück, in einer schädigenden Aktion eines Individuums nicht den Ausdruck des inneren Wesens zu sehen, sondern die „fehlgeleitete“ Strategie eines eigentlich lebensdienlichen Impulses. Rosenberg bezieht sich besonders auf Carl Rogers. So nennt Rosenberg jede Form von Gewalt einen tragischen Ausdruck eines unerfüllten Bedürfnisses.
https://de.wikipedia.org/wiki/Gewaltfreie_Kommunikation
Die Grundpfeiler
Gewaltfreie Kommunikation unterteilt sich in vier Schritte:
- Beobachtung bedeutet, eine konkrete Handlung (oder Unterlassung) zu beschreiben, ohne sie mit einer Bewertung oder Interpretation zu vermischen. Es geht hierbei darum, nicht zu bewerten, sondern die Bewertung von der Beobachtung zu trennen. Das Gegenüber erhält Klarheit, worauf man sich bezieht.
- Die Beobachtung löst ein Gefühl aus, das im Körper wahrnehmbar ist und mit mehreren oder einem…
- Bedürfnis in Verbindung steht. Damit sind allgemeine Qualitäten gemeint, die vermutlich jeder Mensch auf Erden gerne in seinem Leben hätte. Beispielsweise Sicherheit, Verständnis, Kontakt oder Sinn. Gefühle sind laut GFK eine Art Indikator bzw. Ausdruck dessen, ob ein Bedürfnis gerade erfüllt ist oder nicht. Für den einfühlsamen Kontakt sind Bedürfnisse sehr wichtig, da sie den Weg zu einer kreativen Lösung weisen, die für alle Beteiligten passt.
- Aus dem Bedürfnis geht schließlich eine Bitte um eine konkrete Handlung im Hier und Jetzt hervor. Um sie möglichst erfüllbar zu machen, lassen sich Bitten und Wünsche unterscheiden. Bitten beziehen sich auf Handlungen im Jetzt, Wünsche dagegen sind vager, beziehen sich auf Zustände („sei respektvoll“) oder auf Ereignisse in der Zukunft.
Klingt alles erstmal richtig gut, ja? Ja. Grundsätzlich schon. Wenn es sich um einen Raum voller neurotypischer Personen handelt, die sich selbst dauerhaft reflektieren (wollen). Im Folgenden gehe ich auf die Punkte ein und formuliere meine Kritik daran. Anschließend werde ich die Problematik des Konzepts „Gewaltfreie Kommunikation“ im Ganzen fokussieren.
Die Problematik
Beobachtung
Eine neutrale Beschreibung einer Situation. Leider sind die meisten Beschreibungen nicht neutral, da (vor allem) neurotypische Menschen (also jene, die nicht auf dem Autismus/ADHS-Spektrum sind), nicht nur auf der Informationsebene kommunizieren, sondern gleichzeitig auf der emotionalen Ebene und der Beziehungsebene. Es werden also ohnehin noch mehr Dinge vermittelt, als die reine Information. Neurotypische Menschen reagieren intuitiv auf das, was sie (vermeintlich) auf emotionaler und/oder Beziehungsebene verstehen.
Gefühl
Äh… ja. Gefühle sind im Körper wahrnehmbar? Willkommen in meiner Welt, leider nicht. Ich nehme zwar körperlich wahr, dass sich etwas „unangenehm“ oder „angenehm“ anfühlt, aber mehr auch nicht. Ich kann Wut, Angst, Trauer, etc. nicht voneinander unterscheiden, weil sie sich alle als „Bauchschmerzen“ manifestieren. Mein Gefühlsspektrum umfasst die Felder „gut“, „schlecht“, „neutral“ und „leer“, wobei „leer“ sowohl eine depressive Episode, als auch ein Overload bedeuten kann. Ich finde das ausdifferenzierte Gefühlsspektrum neurotypischer Personen sehr faszinierend, kann damit aber leider nicht dienen. Grundsätzlich kann ich mir vorstellen, wie sich Menschen fühlen könnten, allerdings ist es mir deutlich lieber, Menschen würden mir sagen, wie sie sich fühlen.
Ich weiß es nämlich nicht. GFK wird dagegen in den meisten Kontexten so gelehrt, dass Menschen sich „in das Gegenüber einfühlen“ sollen, um dessen Gefühle „empathisch zu erleben“. Das Risiko der Projektion eigener Emotionen auf das Gegenüber ist hierbei hoch. Missverständnisse – vor allem in Bezug auf neurodiverse Menschen, aber auch bei neurotypischen Menschen, scheinen vorprogrammiert.
Bedürfnis
Wenn ich die Gefühle bereits nicht spezifisch benennen kann, ist es absolut unmöglich, daraus ein Bedürfnis abzuleiten. Die Suche nach dem Bedürfnis, es „erspüren zu müssen“, endet in allen Fällen im Overload, weil ich die Anforderungen weder erfüllen, noch verarbeiten kann. Es zu rationalisieren, wird dagegen als „entfremdete Kommunikation“ abgelehnt. (Wozu das im Extremfall führen kann, könnt ihr hier nachlesen.)
Bitte/Wunsch
Konkrete Bitten sind durchaus erfüllbar, solange sie auf der Informationsebene dargebracht werden. Wünsche wie „sei respektvoll“ sind für mich nicht umsetzbar, weil ich nicht einmal weiß, was die Person erwartet, wenn sie „respektvoll“ sagt. Worte sind definiert. Aber gerade jene, welche für soziale Interaktionen verwendet werden, enthalten Definitionen und Erwartungen, die weder der Duden, noch Übersetzungsprogramme wie „leo“ in petto haben. Das Ergebnis ist, dass ich eine Aufgabe bekomme, die ich jedoch nicht in eine Handlungsanweisung übersetzen kann. Ergebnis: Overload.
Gebrauch als Waffe
Unabhängig von der ableistischen Komponente in dieser Form der Kommunikation, kommt noch eine handlungsspezifische Komponente hinzu. Sehr oft wird das „Wie“ über das „Was“ gestellt. Die Art und Weise, etwas zu diskutieren, ist wichtiger als der Inhalt der Debatte. Das hat bereits Sebastian Friedrich in der ak Nr. 612, (19. Januar 2016, S. 2) treffend formuliert. Wer diesen Forderungen nicht nachkommt, erhält „Nachhilfe“ in GFK.
Ist mir auch schon passiert, danach habe ich Gruppen jedes Mal verlassen. Gewaltfreie Kommunikation nimmt die Emotionen und Bedürfnisse von (neurotypischen) Menschen ernst und geht auf die verschiedenen Ebenen der Kommunikation neurotypischer Menschen ein – die Beobachtung findet auf der Informationsebene statt, Gefühle und Bedürfnisse decken die emotionale Ebene ab und durch die Bitten/Wünsche sind wir auf der Beziehungsebene. Mir steht dabei ausschließlich die Informationsebene zur Verfügung, deshalb kann ich die restlichen Ebenen weder nachvollziehen, noch selbst betreten. Ich sehe die Ergebnisse von Kommunikation, aber ich verstehe nicht, wie sie zustandegekommen sind.
Von mir also zu erwarten, ich könne dieses Modell anwenden, bezeichne ich als gewaltvoll, weil ein Overload als annehmbarer Kollateralschaden gilt. Kommunikation – und vor allem autistische Kommunikation – ist ein komplexer Vorgang. Die Reizverarbeitung in Gesprächen (und vor allem Gruppen) fordert bereits von neurotypischen Menschen viel (deshalb sind Sitzungen so anstrengend), von Autist_innen (aufgrund der Reizverarbeitungsschwäche) noch deutlich mehr.
Fazit
Gleichzeitig baut die Erwartung, alle Menschen müssten GFK anwenden können, auch innerhalb von neurotypischen Gruppen ein Machtgefälle auf. Dieses wird teilweise als Gewaltinstrument genutzt. Wer „noch nicht so weit ist“ oder „es einfach nicht kann“, dessen Inhalt ist weniger wert. Die Art und Weise ist wichtiger als der Inhalt. Vor allem positive Emotionen (Dankbarkeit, Zustimmung, Freude) werden honoriert. Wut und Zorn sollen bevorzugt zugedeckt oder „mit Zuckerguss übergossen“ – schließlich können sie bei den Anderen negative Emotionen auslösen. Gerade in einer Gesellschaft, in der von FLINTA – Personen ohnehin erwartet wird, dass sie ausschließlich positive Vibes verströmen und „wütende Frauen“ ganz schnell die Diskursfähigkeit abgesprochen wird, halte ich diesen Umgang mit Emotionen für mindestens gefährlich.
Ebenso ist der Umgang innerhalb von gesellschaftlichen Machtverhältnissen (Diskriminierungen sind in unserer Sozialisation derzeit verankert) bei GFK nicht ausreichend reflektiert – und am Ende stehen wieder die objektiven, weißen, cis Männer als jene dar, die andere anleiten, weil sie es eben „schon besser können“. Gerne wird GFK auch in Kombination mit „Kritischer Männlichkeit“ angewandt, um sich nach außen hin von „toxisch männlicher Kommunikation“ abgrenzen zu können.
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