Schlagwort: Analyse

  • Gestört, nicht krank. Ein Umgang mit mir.

    Wenn ich darüber rede (oder schreibe) wie es ist, als ich zu leben, dann komme ich oft in die Situation, dass Menschen hilflos werden. „Ich würde dir so gerne helfen, aber…“, und dann schauen sie mich mit traurigen Dackelaugen an und ich frage mich, wobei mir diese Menschen denn helfen wollen. Aber meine Kommunikation ist ohnehin oft gestört.

    Meistens geht es nämlich nicht darum, mir das Leben irgendwie zu erleichtern. Nein, sie wollen mich „gesund“ machen. Schließlich bin ich ja krank.

    Gestört, nicht krank.

    Nein. Ich bin gestört, nicht krank. Ich befinde mich auf dem Spektrum der Charakter- und Verhaltensweisen so weit abseits des als normal definierten Bereichs, dass es pathologisiert wurde. (Dabei ist die Art und Weise der Pathologisierung ein Problem für sich, aber das ist ein anderes Thema.) Der Unterschied liegt darin, dass Krankheiten eine andere Herangehensweise erfordern als Störungen. Meine Krankheiten sorgen dafür, dass es mir schlecht geht. Meine Störung sorgt dafür, dass es mir schlecht geht, weil ich anders bin – aber sie sorgt nicht aus sich selbst heraus dafür, dass es mir schlecht geht. Ich habe keinen Leidensdruck, der dafür sorgt, dass ich mich grundsätzlich als Problem wahrnehme – der kommt erst von außen. (Und ist mittlerweile dauerhaft da, aber auch das ist ein anderes Thema. Ich glaube, ich muss einen Fußnotenartikel zu diesem hier schreiben. Meine Güte.)

    Ich bin Autist_in. Das nennt sich in offizieller Diagnostik dann „Autismus-Spektrum-Störung„.

    Krank, nicht gestört.

    Ich bin auch krank. Ich habe Depressionen (wiederkehrende, seit mittlerweile anderthalb Jahrzehnten), körperliche Beschwerden dadurch, chronische Schmerzen. Das sind alles Sachen, bei denen ich tatsächlich Hilfe brauche – und sie mir auch einfordere. Beispielsweise durch den Nachteilsausgleich in der Uni oder durch den Antrag auf Schwerbehinderung. Aber auch dadurch, dass manchmal Umfeldmenschen für mich Dinge abholen oder ein Herzmensch mit mir rausgehen muss, weil es alleine nicht geht. Aber das meinen die Menschen meistens nicht, wenn sie mir so hilflos „helfen“ wollen.

    Ihr wollt mich „gesund“ zaubern, obwohl ich gar nicht krank bin.

    Neurodiversität und Maskieren

    Ich bin anders, als es der Bereich des Spektrums vorsieht und das macht euch hilflos. Ihr könnt meine Realität nicht nachvollziehen und ihr stellt sie euch schrecklich vor. Glaube ich. Zumindest sorgt eure Reaktion dafür, dass ich das denke. Wenn ihr mir wirklich helfen wollt, dann macht eure Welt für mich inklusiver. Sorgt dafür, dass ich mich in Räumen wohlfühle. Sorgt dafür, dass es weniger überfordernde Situationen gibt und sprecht Klartext. Lasst mir Raum, wenn ich gerade in ein Loch stürze und erzählt mir nicht, ich „solle mich beruhigen“. Stellt meine Realität nicht in Frage. Glaubt mir, dass auch meine Emotionen valide sind.

    Ich kann eure Realität auch nicht nachvollziehen. Aber im Gegensatz zu euch wurde mir beigebracht, dass ich deshalb ein Problem bin. Mir wurde beigebracht, dass ich mich ändern müsse, an die Norm anpassen und das ich erst, wenn ich das schaffe, ein Recht habe, mit euch zu interagieren. Gestört zu sein, ist ein Anpassungsurteil.

    Nein. Das ist paternalisierender Bullshit. Ich habe das gleiche Recht darauf, mit euch zu leben, wie ihr auch. Ich bin nicht grundlegend falsch, nur anders.

    Und euer Mitleid, eure Hilflosigkeit, die sorgen nur dafür, dass ich mich frage, was denn an meinem DaSein, meinem SoSein so unglaublich furchtbar sein soll, dass es solche Reaktionen hervorruft.
    Ich bin nicht unglücklich damit, wie ich bin.

    Ich bin nur anders als ihr.

    Pathologisierung

    Und dadurch, dass ich Psychiatrie und psychiatrische Pathologisierung aufgrund von systematischer Kritik begonnen habe, kritisch zu sehen, bin ich auch der Meinung, dass es auch für Menschen mit Störungen einen Umgang gibt. Einen Umgang, der nicht auf einem Machtgefälle zwischen pathologisierten und normativen Menschen beruht, sondern der einfach die Emotionen und Bedürfnisse aller Beteiligten akzeptiert.

    Ich habe Verlustängste. In Gesellschaft genieße ich das Spotlight. Gleichzeitig nehme ich alle Reize viel intensiver wahr. Ich kann die Stimmungen anderer Menschen gut erkennen, aber ihre Intensität nicht nachvollziehen. Kommunikation muss klar, verständlich und deutlich sein. Ich habe gerne, viel und intensiv Sex. Und ich lebe polyamor.

    Das alles sind Verhaltensweisen, die Diagnosen ausmachen. Die pathologisiert werden. Neurologisch gestört. Emotional gestört. Sucht es euch aus. Sexismus und Transfeindlichkeit machen auch vor der Psychiatrie nicht Halt.

    Leider ist die Lösung für diese Bedürfnisse oft, dass ich sie rationalisieren und unterdrücken soll. Das empfinde ich als falsch. Es mag für diese Gesellschaft momentan funktionieren, aber ich finde auch diese Gesellschaft falsch.

    Kommunikation.

    Stattdessen bin ich für eine Kommunikation, in der ich alle Bedürfnisse erst einmal formulieren kann. In der die verschiedenen Bedürfnisse verhandelbar sind. Nein, mein(e) Gegenüber haben nicht die Pflicht, meine Bedürfnisse zu erfüllen. Sie dürfen jederzeit sagen, dass sie gerade nicht können oder wollen oder einfach Nein, ohne es zu begründen.
    Aber ich möchte sie aussprechen können, bevor ich sie rationalisieren muss. Ich möchte sagen können: „Ich brauche gerade eine Person, die mich festhält.“, aber ohne, dass die andere Person in den Druck kommt, dieses Bedürfnis erfüllen zu müssen. Aber damit kann sie es erfüllen, wenn sie das möchte. Und andersherum sollte es genauso möglich sein – Formulierung von Bedürfnissen und vollständige Akzeptanz der jeweiligen Reaktion.

    Dabei müssen dann die Bedürfnisse nicht mehr gewertet und analysiert werden. Sie sind erst einmal da und es kann ein Umgang damit gefunden werden. Ohne Pathologisierung, ohne Druck.

    Und hinterher kann ich immer noch gucken, an welchen Sachen ich arbeiten möchte (z.B die Verlassensängste) und welche Sachen ich eigentlich voll in Ordnung finde (Polyamorie, BDSM, Sex). Was ich bearbeiten will, dass soll dann auch durch Therapeut_innen bearbeitet werden können – aber ohne Diagnose, ohne Pathologisierung, ohne „Du bist ein Problem.“.

    Hübsche Wunschvorstellung, nicht?

  • DaSein und SoSein.

    Ich hatte im Laufe meines Lebens ungefähr dreizehn Jahre lang Psychotherapie. Ich bin knapp zwanzig.
    Das ist eine beeindruckende Zeitspanne, habe ich mir sagen lassen. Ich kann das nicht beurteilen, es war meine Normalität. Angefangen hat es, als ich sechs war und dann mehr oder weniger durchgängig, bis ich neunzehn wurde. Mein DaSein war behandlungswürdig, immer.
    Jetzt der erneute Anfang. Diese Therapie unterschied sich jedoch frappierend von allen anderen, die ich zuvor hatte.

    „Wir sind hier doch keine Besserungsanstalt!“ – ein Satz meiner letzten Therapeutin. Dieser Satz ist einmalig, ist besonders in meiner Historie an Therapeut_innen, denn die bisherigen benahmen sich durchaus so, als ginge es darum, mich zu verbessern. Mich anzupassen. Mich gefällig zu machen.
    Mein DaSein angenehmer zu machen, für andere.

    Gaslighting

    Wenn ich in der Sitzung eine problematische Situation schilderte, dann war die darauffolgende Überlegung, was ich daran ändern könnte, damit so eine Situation nicht wieder geschieht.
    „Du kannst andere Menschen nicht ändern, nur dich selbst.“, ist ein Satz, den ich so oder so ähnlich unendlich oft gehört habe. Immer dann, wenn ich der Meinung war, dass mit mir nichts falsch ist, dass sich meine Gegenüber falsch verhalten haben und das es somit unfair ist, dass ich mich ändern muss und nicht die Täter_innen. Meine Wut, meine Frustration, sie hatten keinen Platz in dieser Umgebung. Sie waren schlicht und ergreifend nicht erlaubt.

    Es gab kein Verständnis dafür, dass ich mich nicht immer ändern wollte. Es gab kein Verständnis für meine Situation, es wurde nie erklärt, dass es nicht um Schuld oder Unschuld ging.
    Für mich war klar: Du musst dich ändern, also bist du auch automatisch das Schuldige. Denn nur wer schuldig an der Situation ist, muss sich ändern. Alles andere wäre schließlich ungerecht.

    Gerechtigkeit

    Ja, ich glaubte an Gerechtigkeit, auch wenn das hieß, dass ich dauerhaft „an allem schuld“ war. Das machte mich zwar traurig, wütend und verzweifelt, aber es war so, dass „die Erwachsenen“ es schließlich besser wussten – und gerade in der Kinder- und Jugendpsychiatrie ist das Machtgefälle besonders hoch. Ich habe das nie hinterfragt. Nie, bis meine Psychologin mir den Satz von oben sagte – sie völlig erstaunt darüber, dass ich mich „bessern“ wollte, ich völlig erschüttert darüber, dass ich nicht grundsätzlich falsch bin.

    Es hatten nämlich alle vergessen zu erwähnen, dass der Satz eigentlich lauten müsste „Du kannst andere Menschen nicht ändern, aber du kannst DEINEN UMGANG mit ihnen ändern“. Dann wäre nämlich nicht dieses grundsätzliche „Ich bin fehlerhaft“ entstanden. Es wäre um Umgang gegangen, um beeinflussbares Verhalten – und nicht um den Minidrops, der zurechtgelutscht werden muss und bereits durch das SoSein ein Problem darstellt.

    In dieser letzten Klinik hatten meine Wut und meine Frustration Platz. Ich durfte mich darüber aufregen, wenn Menschen sich scheiße verhalten haben und es hatte Raum. Ich durfte wütend sein. Wut durfte ein Umgang sein. (Ich durfte keine weißen, alten Männer anzünden, aber eins kann ja nicht alles haben.)

    Raum zum DaSein

    Mir hatte vorher einfach noch kein psychologisches Fachpersonal erklärt, dass es mehr gibt, als sich selbst grundlegend ändern und anpassen zu müssen. Ich darf auch einfach sein und muss nicht mit allen Menschen zurechtkommen.

    Und wisst ihr, was traurig ist? Es hat dreizehn Jahre Therapie gebraucht, damit mir eine Psychologin vor einem halben Jahr mal die Erlaubnis gibt, dass ich anecken darf. Ich scheitern darf. Wütend sein darf. Ich Traurig sein darf. Nicht völlig falsch bin.

    Ich darf DaSein. Auch ohne, dass es allen gefällt.

Cookie Consent Banner von Real Cookie Banner Skip to content