Bitte, lass uns einfach losfahren. Die erzählen da was von Antifa und dann stehen da nur halbnackte Macker auf der Bühne.
Freund eines Freundes, von der Arbeit auf einem Swiss Konzert kommend.
Ich kannte diesen Freund vorher nicht, aber nach der Aussage ist er in meiner Sympathie sprunghaft in die Höhe geschnellt. Ich saß nämlich, während wir vor der Location auf ihn warteten, auf dem Rücksitz und kritisierte monologisierend die auftretende Band.
Eine Band (und explizit deren Sänger, welcher namentlich die Band anführt), die ich als sektenähnliche Strukturen fördernd, misogyn, sexistisch, mackerhaft, frauenfeindlich und latent (kolonial)rassistisch einordnen würde. Es geht um „Swiss und die Andern“, teilweise aber auch um die Werke von Swiss solo.
Hier gibt es einen zweiten Teil.
Da das hier ein längerer Text wird, sind die jeweiligen Quellen und Belege immer hinter den direkten Zitaten, ihr erkennt sie an den hochgestellten Zahlen. Das sind Hyperlinks, die direkt zu den Seiten führen, auf die ich mich beziehe. Die Initialbuchstaben zeigen jeweils einen neuen Abschnitt an. Am Anfang wird es um die sektenähnliche Struktur der Sippschaften gehen. Danach gehe ich genauer auf den Sexismus und die Misogynie der Texte ein, um im Anschluss den Unterschied von „damals zu heute“ (also Swiss solo vs. Swiss und die Andern) herauszuarbeiten. Im Anschluss gibt es ein Fazit (oder ich hab den Kaffeebecher auf den Laptop geworfen, je nachdem).
Sippschaften
Eine Band, deren Fangemeinde in „Sippschaften“ organisiert ist, mittlerweile gibt es in jeder größeren Stadt eine. Hauptaufgabe der „Sippschaften“ ist es, Promo für die „Missglückte Welt“ zu machen – also mehr oder weniger für Swiss (und die Andern), deren Markenzeichen (und offizielles Label) ebenjene „missglückte Welt“ ist. Für eine Sippschaft braucht es mindestens fünf Leute, die gemeinsam eine_n Postmeister_in bestimmen, der_die für die Promo-Pakete und die organisatorische Ansprechbarkeit zuständig ist. Außerdem gibt es die Möglichkeit, Kutten (Jeansweste (80 Euro Bearbeitungsgebühr) bzw. Bomberjacke (90 Euro Bearbeitungsgebühr) zu leihen. Sie müssen nach Ende der Sippschaftsangehörigkeit zurückgegeben werden, dürfen jedoch individualisiert werden. Das Geld gibt es selbstverständlich nicht zurück. Außerdem sind Sippschaftszecken verpflichtet, einander zu helfen und zu unterstützen.1
Es gibt also eine Band, die ihre eigene Fangemeinde zu Promotern erzieht, indem sie ihnen Erkennungszeichen und Gruppenzugehörigkeit (und ab und zu, das wird nicht näher definiert, Gästelistenplätze und Freikarten) ermöglicht. Außerdem „darf“ man der Band bereits beim Soundcheck zusehen und es gibt ein Vorzugsrecht bezüglich Merch und Tickets. Einige Sippschaften haben ein „Anwärter_innensystem“ entwickelt, um Neue genau unter die Lupe nehmen zu können und zu bestimmen, wer dabei sein darf.
Linke Burschenschaft?
Ein Prinzip, das ich vor allem aus rechtsoffenen bis konservativen Kontexten kenne, namentlich Studentenverbindungen und Burschenschaften. Im Gegensatz zu jenen geht 1 bei den Sippschaften keinen „Lebensbund“ ein und es sind Frauen erlaubt. Höchst progressiv.
Nachteil dagegen ist, dass Swiss und die Andern vor allem von jungen Menschen und Teenagern gehört wird, auch wenn das Altersspektrum bis in die Dreißiger hinaufgeht und somit eine – meiner Meinung nach – sektenähnliche Struktur gefördert wird, indem einige Fans Privilegien genießen, für die jedoch auch Promotionsarbeit übernehmen müssen. Eine Aufgabe, die normalerweise von Menschen geleistet wird, die dafür bezahlt werden, anstatt Jugendliche (durch den Merch und die Sippschaftskutten) dafür auch noch zahlen zu lassen. Im Gegenzug gibt es Zugang zu einer Struktur, die „Unterstützung“ und familiäres Umfeld propagiert – solange 1 spurt und ordentlich „Randale“ macht. Das Umfeld und der Zusammenhalt wird auch auf jedem Album in mehreren Texten beschworen und besungen – meist in „Du“-Botschaften, die Hörende direkt ansprechen und in die Gemeinschaft ziehen, bzw. darin halten sollen. Eine „Wir gegen Die“-Mentalität, welche Außenstehende schnell zu Feind_innen erklärt.
Sexismus
Gleichzeitig kommen in den Liedern immer wieder frauenfeindliche und misogyne Grundannahmen durch. Damit ich mir nicht vorwerfen lassen muss, ich würde dem Verfasser „seine alten Schinken“ vorwerfen, bewegen wir uns von der nahen Vergangenheit in die Ferne – und von subtilem Sexismus zu offener Frauenverachtung.
Der subtilere Sexismus der neueren Alben (von „Große Freiheit“ bis „Saunaclub“) zeichnet sich vor allem durch ein Bild aus, das seit Jahrhunderten gepflegt und gehegt wird: die Frau, als entweder „unerreichbare Heilige“ oder „schamlose Hure“, niemals als Freundin, gleichberechtigtes Subjekt oder gar Gegnerin – ausschließlich als Objekt in Abhängigkeit vom männlichen Subjekt.
Innerhalb der Songtexte (wir beginnen mit „Saunaclub“ von 2020 und arbeiten uns in die Vergangenheit vor) sehen wir das daran, dass beispielsweise „Alkohol“ seine Alkoholabhängigkeit beschreibt, bei der „Uschi“ ihn betrügt – und er sich in den Alkohol flüchtet.2 Während in „Besteste Band“, die zweite Strophe – in welcher er die Eltern seiner Freundin kennenlernt, aber nur der Vater der Freundin seine Meinung thematisiert. Sie selbst scheint zum Thema nichts zu sagen zu haben, die Meinung eines anderen Mannes zu ihrem Partner wiegt schwerer.3
Beispiele
Dieser Punk
In „Dieser Punk“ rühmt er sich darin, dass Frauen „keine Opfer von Männern“ seien, sondern „Sie benehm‘ sich wie ein Haufen von besoffenen Pennern – Ist normal, wenn man unser’n Scheiß hört“ – auch hier treffen Frauen keine eigenständigen Entscheidungen, sondern sind abhängig von ihrem Musikgeschmack. (Im gleichen Song werden „Hausmänner“ außerdem abwertend verwendet, denn offensichtlich reicht es nicht für einen „echten Mann“, zu Hause zu bleiben.)3
zehn kleine Punkah
Unabhängig davon, dass „zehn kleine Punkah“ Assoziationen mit einem gewissen, rassistischen Kinderlied wecken, ist der Sexismus und die Frauenverachtung, die in „Der letzte kleine Punkah ist voll einsam
Randale macht ohne die ander’n Punkah kein Spaß
Drum trifft er Neun and’re im Bett von deiner Mama
So werden aus einem ganz schnell Zehn kleine Punkah“ stecken, nicht einmal mehr subtil. Come on, andere Typen aufgrund der Sexgewohnheiten ihrer Mütter abwerten? Junge, das ist nicht links und nicht emanzipatorisch, sondern mittlerweile sogar da, wo es herkommt, im Battle-Rap, ein peinlicher Move.4
kein Blatt Papier
In „Kein Blatt Papier“ wird seine Freundschaft zu einem anderen Mann beschrieben – dessen Frau kommt nur vor, weil sie ihm schon die Couch bereitgemacht hat, wenn er „keine Penne hat“. Eine Meinung oder Freundschaft zu ihm scheint sie nicht zu haben – er ist Familie für den Angesprochen, nicht für dessen Familie. Frauen als Beiwerk, als nützliche Objekte und Dienstleistungserbringerinnen.5
(Ich bin ehrlich, ich möchte mich nicht durch die nächsten Jahre arbeiten. Aber machen wir erstmal weiter, ich werde dafür auch mit Kaffee versorgt. Küsschen an die Menschen im Hintergrund.)
Voicemail
2018 erschien „Randalieren für die Liebe“, in der das übliche Muster beibehalten wird. In der „Voicemail“ von Pat wird beklagt, dass das Album zu wenig „Mainstreamsongs“ hätte. „Wo, wo ist der Song, den Gertrude 5, beim Bügeln irgendwie mal locker mitsummen kann?
Wo? Wo?“ – Klar. Gertrude, fünf Jahre alt, muss bügeln können. Kleine Mädchen gehören schließlich in die Küche und die Wäschekammer.6 (Das schlimme ist, es ist immer noch subtiler als in der Vergangenheit.)
Edit: Mir wurde gesagt, dass meine Quelle fehlerhaft sei. Gertrude sei 53, nicht fünf. Der Sexismus (Frauen in die Küche, die Wäschekammer) bleibt meiner Meinung nach dennoch bestehen – es ist ein Trope, das nicht noch weiter gefördert werden sollte.
Hassen oder Lieben
In „Hassen oder Lieben“ wird die Kritik an ihnen damit abgeschmettert, dass sie „Patte machen“ und „die längste Penisse“ hätten. Feministische Kritiker_innen als „provinziell“, „neidisch“ oder „ungefickt“ darzustellen, ist ein tiefer Griff in die Mottenkiste der Misogynie. Außer einem „in Afrika verhungern die Kinder“-Take, wonach die Kritiker_innen selbst viel weniger links wären, weil sie Swiss und die Andern mit Eiern bewerfen, während „anderswo Menschen hungern“, kommt keine inhaltliche Auseinandersetzung. Diskreditierung statt Reflektion.7
Älteres
In den älteren Liedern (wir machen einen Sprung, ansonsten wird dieser Text wirklich viel zu lang) werden Frauen als „Votze“ bezeichnet8 und hindern entweder den Punk an der Entfaltung (die Frau als „häuslich bürgerlich“)9 oder stoßen ihn weg (weil er zu wenig Geld verdient)10 oder nutzen ihn aus11. Das transportierte Frauenbild ist wahlweise „unerreichbare Heilige“ (er liebt so sehnsüchtig, aber sie weiß nichts davon bzw. wurde grausam von ihm getrennt12) oder „bösartige Hure“ (er liebt sie, aber sie nutzt ihn nur aus13).
Freundschaft wird vor allem zwischen Männern thematisiert, die im Zweifelsfall von ihren Frauen am Mann-Sein gehindert werden.
Noch ältere Lieder, von Swiss damals noch solo veröffentlicht, thematisieren u.A. Sex mit toten Kindern14, Gewalt, Stalking/häusliche Gewalt/Folter/Gefangenschaft15, Vergewaltigung/Inzest/rape drugs16 (die Tatsache, dass es als Spendenaktion für dunkelziffer e.V. entstanden ist, macht die Themen der anderen Texte noch ein wenig ekelhafter) und Mord17, meistens grafisch beschrieben. (Bitte bedenkt das, bevor ihr euch die Quellen durchlest.) Auch hier sind Frauen die Objekte der Handlung, während den Tätern, als Subjekten, der Raum und die Definitionsmacht überlassen wird. Während damals Gewalt deutlich mehr Raum einnahm, wird die Frauenverachtung heute vor allem durch das Heilige/Hure Bild transportiert – in der „linken“ Szene machen sich vergewaltigte Frauen und tote Mädchen wahrscheinlich nicht so gut wie objektifizierte Frauen (weshalb Feminismus dringend notwendig ist, auch und gerade bei Zecken).
Fazit
Der Text hier ist sehr, sehr lang geworden – danke für die Menschen, die bis zum Ende gelesen haben. Abschließend kann ich nur sagen, dass ich entsetzt darüber bin, wie unreflektiert und fanatisch diese Band, aber auch der Sänger alleine, in „linken Kreisen“ angenommen und gefeiert werden. Andererseits wird diese Selbstdarstellung eben auch durch die sektenhafte Struktur der Sippschaften und die „Randale“ (also die aggressive Promotion) unterstützt und gefördert. Ich persönlich halte es für problematisch bis gefährlich, nicht intensiv auf „Swiss und die Andern“ aufmerksam zu machen und erwarte eigentlich von einer „linken“ Szene eine intensivere Auseinandersetzung als das plumpe Abfeiern von „wir sind gegen Nazis und den Staat“ – the bar is so low, you need a grave. (Der Anspruch ist so niedrig, du brauchst ein Grab (um ihn zu erreichen)).