Wir sind ein Debattenmagazin. Wenn du dich zu einem unserer Inhalte äußern möchtest, steht es dir frei, einen eigenen Beitrag zu verfassen. Wir haben bei dem betreffenden Artikel keine Diskriminierungsformen gesehen, sonst hätten wir ihn ja nicht veröffentlicht.
Ein linkes „Debattenmagazin“.
Ich mag Debatten. Debatten sorgen dafür, dass Menschen Argumente austauschen und im besten Fall mit mehr Wissen aus einer Situation hervorgehen, als sie hineingekommen sind – selbst, wenn sich keine Einigkeit innerhalb der Situation erzielen lässt.
Ich empfinde politischen Konsens als schwierig bis langweilig – ohne andere Gesichtspunkte (die durchaus valide sein können, es müssen nur nicht meine sein), gibt es keine Bewegung, nur Stillstand. Bereits Marx und Bakunin hatten einen lebhaften Briefwechsel, in dem sie sich gegenseitig die Schwächen der jeweiligen Analyse (und Lösungsansätze) vorwarfen (leider nicht Bakunins Antisemitismus, das hätte es noch besser gemacht. Aber auch Marx sah dort wohl keine zu kritisierende Diskriminierung). Eine objektive Wahrheit existiert ohnehin nicht, dafür sind die meisten Themen zu komplex und Personen zu verschieden.
Aber.
Für eine Debatte müssen Grundsätze eingehalten werden. Gerade linke Debatten zeichnen sich – normalerweise – dadurch aus, dass ihre Grundsätze über jene des Bürgertums hinausgehen.
Gegen jeden Sexismus, Rassismus, Antisemitismus (ab jetzt wird es schwieriger, Queerfeindlichkeit, Transfeindlichkeit und Inklusion sind schon deutlich seltener vorhanden).
Und ab jetzt wird es völlig kompliziert. Was Sexismus, Rassismus und Antisemitismus ist, darüber streiten sich bereits die Geister. Wenn für die einen die Gespräche darüber, ob „Frauen eh nur Falschaussagen bezüglich Vergewaltigung machen“ bloß eine Polemik darstellen, bezeichnen andere (darunter auch ich) diese durchaus als sexistisch. Geht doch die Aussage davon aus, dass Frauen
a) öfter lügen würden
b) seltener vergewaltigt werden, als sie (und Studien) behaupten
Wer ein Problem mit derlei Aussagen hat, darf gerne einen Debattenbeitrag schreiben und widerlegen, dass Frauen lügen und seltener vergewaltigt werden. Der freie Marktplatz der Ideen, eben.
Doch, ist dieser Marktplatz wirklich so „frei“? Gerade jene Strömungen, die (wahlweise) Feminist_innen oder Queers per se Sprechverbote unterstellen und den Queerfeminismus als „neoliberales Feigenblatt“ bezeichnen, berufen sich plötzlich auf den „freien Marktplatz der Ideen“, wenn es darum geht, die eigenen Veröffentlichungen mal materialistisch zu prüfen.
Materialistisch heißt hier: Das Sein bestimmt das Bewusstsein.
Es heißt, dass wir in einer patriarchalen, sexistischen Struktur leben, die dafür sorgt, dass (cis) Frauen dazu erzogen werden, körperliche Übergriffe eher über sich ergehen zu lassen, weil ihnen aberzogen wurde, ihre eigenen Grenzen setzen zu dürfen.
Es heißt, dass wir in einer Struktur leben, die (cis) Frauen dazu erzieht, Täter_innen im eigenen Umfeld zu negieren, da ihnen die Angst vor dem „Fremden in den Büschen“ beigebracht wurde, nicht aber die Angst vor der Vergewaltigung im eigenen Bett.
Diese Struktur, das Patriarchat, ist real. (Das wir das immer noch diskutieren müssen, ist seit den Tomatenwürfen von 1968 und dem Buch „Das andere Geschlecht“ von Simone de Beauvoir nun wirklich mehr als peinlich, aber offensichtlich sind wir tatsächlich noch nicht weiter.)
Es ist so real, dass es nicht „weggedacht“ werden kann. Eine Debatte, auf der einerseits weiße dya-cis Männer die Lebensrealität und die Erfahrungen von FLINTA diskutieren wollen und andererseits diese „beweisen“ sollen, dass der „Advocatus diaboli“, der sogenannte „Advokat des Teufels“ im Unrecht ist, ist von Haus aus nicht gleichwertig. Jedes Argument, das eine persönliche Situation als Grundlage hat (und jeder sexualisierte Übergriff ist eine persönliche Situation, strukturell sind nur Häufigkeit und Reaktionen darauf), kann als „emotional“ oder „erlogen“ abgeschmettert werden – so wird sexualisierte Gewalt zu einer philosophischen Frage, abgerundet mit dem Zitat eines Täters:
Taten – und ihre Konsequenzen – werden zu philosophischen Debatten, zu Wortklaubereien. Gleichzeitig wird jenen, die das nicht hinnehmen wollen, vorgeworfen, zu emotional zu reagieren, „Sprechverbote“ zu erteilen oder „überall Diskriminierung zu wittern“.
Nun, bei dieser Form der Debattenkultur brauche ich nicht die Nase eines Spürhunds, um Diskriminierung zu riechen – die stinkt bereits zum Himmel. Strukturelle Diskriminierungen mit einer „gleichbleibenden Debattengrundlage“ zu verunsichtbaren, um dann diskriminierende Klischees mit dem Anstrich einer intellektuellen Auseinandersetzung aneinanderzureihen, ist konservativer und neo-liberaler als den Menschen, die das tun, möglicherweise lieb ist. Es ignoriert gesellschaftliche Fakten und verklärt diese zu reinem Wunschdenken, anstatt sich realistisch mit ihnen auseinanderzusetzen.
Das wäre vermutlich einerseits zu anstrengend und andererseits komplizierter, als Behauptungen aufzustellen, wie beispielsweise, dass die Umbenennung einer Leipziger Studi-Zeitschrift die Islamisierung der Stadt belegen würde.
Eine persönliche Bemerkung zum Abschluss: Wenn du den Eindruck hast, nur von „verletzlichen Gefühlen auf Beinen“ umgeben zu sein, selbst aber den harten Macker markieren musst, dem Emotionen fremd sind, warum stehst du damit inhaltlich einer schlagenden Verbindung näher als feministischen Grundsätzen?