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Privates ist politisch!

oder: Warum ein Outcall kein privates Beziehungsdrama ist.

Dieser Text ist beisipelhaft. Es ist eine Situation, aber ich habe in den letzten Jahren viele dieser Situationen erlebt. Monis Rache war die bekannteste davon. Privates, übergriffiges Verhalten bleibt in den meisten Fällen… privat. Selbst wenn Betroffene sich finden.

Ich habe einen Tüpen outcallt, der über mehr als vier Jahre mit seiner (mittlerweile Ex-) Freundin eine monogame Beziehung führte. Sie wohnten seit etwas über einem Jahr zusammen.
Er schrieb mit C. mehr als neun Monate lang persönliche Nachrichten, baute eine emotionale Bindung auf – und verschwieg seine Freundin. Sogar die Möglichkeit einer Beziehung, jedoch keiner Fernbeziehung, war im Gespräch. Er schrieb mit mir über zwei Monate hinweg, wollte Nudes (und erhielt welche) – und verschwieg mir seine Freundin. Mit Nummer drei (deren Identität wir bewusst nicht veröffentlichen) schrieb er mehr als vier Monate, baute eine emotionale Bindung auf. Psychospielchen mit einer labilen Person inklusive – und seine Freundin verschwieg er. Es soll auch noch eine Nummer vier gegeben haben, mit der das Ganze noch intensiver ablief als mit uns dreien.

Systematik

Seine Art und Weise, sein Umgang hatte System. Es begann mit netten Gesprächen, zum Teil sehr persönlichen Themen. Privates wurde schnell besprochen und er erhielt intime Informationen. Er war ein guter Zuhörer, supportive und bestärkend. Psychische Probleme schienen ihm nicht fremd, aber er wollte nicht therapieren. Später jedoch übte er Druck aus, um die Frauen an sich zu binden. Er schrieb beispielsweise, dass er den Selbsthass der jeweiligen Frau nicht mehr ertrage, weil sie ihre Großartigkeit nicht sehen würde. Oder das sie zu weit in seine Psyche vorgedrungen sei und er deshalb den Kontakt abbrechen müsste. Ziel des Ganzen schien – im Kontext betrachtet – die Frauen zum Bitten zu bewegen und zur Unterwerfung. Sie sollten sich darum bemühen, die Beziehung zu erhalten und sich „bessern“, ergo nach seiner Pfeife tanzen.

Dabei war er nicht ungeschickt – ohne Kontext ist das System nur schwierig zu durchschauen gewesen. Vor allem, da es um persönliche Sichtweisen, um Emotionen und auch um psychische Krankheiten ging. Privates eben, das Menschen nicht unbedingt mit anderen teilen.

Drei der fünf Frauen kannten sich übrigens, waren teilweise befreundet. Zwei wussten von dem Kontakt, unterhielten sich auch darüber. Konkurrenz entstand nicht, was bei der späteren Konfrontation dann zu großem Erstaunen führte. Nein, wir kratzen uns nicht wegen eines Tüpen die Augen aus, besten Dank!

Die Situation (und zumindest ein Teil der Größenordnung) flog schließlich auf. Ich entschied ich mich (in Kommunikation mit einer weiteren betroffenen Frau) für einen Outcall. Mir wurde vorgeworfen, es sei ein Racheakt, weil mich die „Liebe meines Lebens betrogen hätte“. Ich würde ihn dafür bestrafen, nicht perfekt zu sein. Seine politischen Ideale kurz aus den Augen verloren zu haben. Ich würde übertreiben. Oder lügen.

Privates und Politik

Wir bewegen uns in politischen Kontexten. Wo ich an Menschen, die sich als Feminist_innen, Anarchist_innen, Antifaschist_innen bezeichnen, auch einen gewissen Anspruch habe. Privates ist politisch. Ich kann keiner Person vertrauen, die nach innen ihre gesamten Moralvorstellungen über den Haufen wirft und ignoriert. Es ist nicht nur ein moralisches Fehlverhalten, es ist ein moralisches Fehlverhalten in einem Kontext. Er hat sich gleichzeitig darüber definiert, für die Gleichberechtigung von Frauen, für Antifaschismus und für freiheitliche Lebensentwürfe zu stehen.

„Antifa heißt mehr als Nazis jagen…“ – vielleicht. Darüber lässt sich streiten. Aber spätestens, wenn Menschen sich explizit als Feminist_innen bezeichnen, dann ist es mehr als „Nazis jagen“. Dann gilt es, diesen Anspruch auch an sich selbst umzusetzen.
Es ist anstrengend, sich zu reflektieren und zu überlegen, wo das eigene Verhalten problematisch sein könnte. Oder auf Kritik zu hören, vor allem, wenn sie nicht nett daherkommt, sondern als aggressive Vorwürfe.

Hier allerdings ist es kein sexistischer Spruch, sondern ein System, das mindestens über neun Monate hinweg bestand und gepflegt wurde. Das ist kein „Versehen“ oder „Fehlverhalten“, das ist systematisch. Und gegen systematischen Sexismus, gegen systematische Ausnutzung von Frauen zu sein, das hat einen Namen: FEMINISMUS.

Und deshalb ist mein Outcall auch kein „Beziehungsdrama“, sondern der politische Outcall eines Sexisten.

Schweigen

Wir können nicht nach außen hin uns für Feminismus einsetzen und im Privatleben die schlimmsten Sexisten sein. Wer sich als Feminist labelt, der sollte dies auch versuchen umzusetzen. Ich erwarte keine Perfektion. Wir lernen alle. Dauerhaft.

Ich erwarte, dass systematische Ausnutzung von Frauen erkannt und verurteilt wird. Es ist Sexismus. Und ich erwarte, dass eine Szene, die sich als feministisch versteht, keine Sexisten in ihren Reihen duldet!

Die Realität sieht leider anders aus, es wurde sich wahlweise solidarisiert oder der Mund gehalten. Das macht mich traurig, auch wenn es zu erwarten gewesen war.
Ich habe lange überlegt, ob ich diesen Text veröffentlichen werde. Ich musste darüber nachdenken , welche niederen Beweggründe mir unterstellt werden könnten. Nachtreten? Ich habe ja schon seine Onlinepräsenz zerstört. Spaltung? Ich könnte ja ein Statement erwarten. Pathologisierung? Immerhin bin ich psychisch krank, daran muss es liegen!

Ich weiß es nicht. Ich weiß, dass mich die Bigotterie dieser Szene so viel Energie kostet, die ich eigentlich in positive Arbeit stecken könnte. Dieser Text wird öffentlich sein. Vielleicht nicht heute. Aber bald.

Hinterlasse ein paar Krümel.

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