Schlagwort: Analyse

  • FLINTA* – Potenzial und Grenzen

    Wofür steht FLINTA*?

    Warum FLINTA?

    FLINTA* ist ein Akronym1, das eine lange, historische Entwicklung hinter sich hat.
    Ungefähr in den 1970er Jahren entstanden die ersten Frauenräume, um Frauen eine Art Schutzraum vor dem Patriarchat zu bieten. Später (in den 80er Jahren) erweiterten sich einige dieser Räume explizit auf FrauenLesben. Das lag unter Anderem am „lesbischen Separatismus“, einer Strömung, die „Frauen“ in Abhängigkeit zum heterosexuellen Mann definierte. Lesben waren somit keine Frauen, sondern Lesben.

    „Lesbisch“ kann also nicht nur eine sexuell-romantische Orientierung, sondern auch ein (nichtbinäres) Geschlecht sein. In den 90er Jahren kam das T hinzu, um vor allem trans Frauen explizit einzuschließen.
    Trans Männer waren in vielen Fällen bereits vor ihrer Transition Teil von feministischen Räumen und somit oft automatisch „irgendwie“ dabei.
    Seit den 2010er Jahren wurden dann nichtbinäre und ageschlechtliche Identitäten mitbenannt, auch, um ein Gegengewicht zum Begriff „Frauen*“ zu bilden. 
    Wer mehr über die historischen Entwicklungen lesen möchte, kann das beispielsweise im Spinnboden-Archiv in Berlin tun.

    Diese Geschichte der Entwicklung von Frauen- zu FLINTA*-Räumen ist wichtig für eine heutige Kritik am Begriff und seiner Verwendung. 

    Verwendung und Kritik

    FLINTA* ist ein Überbegriff für Menschen, die in einem endo-cis-sexistischen2 System marginalisiert3 sind. Der Begriff schließt also auch Männer ein – und zwar nicht nur trans Männer, sondern auch inter cis Männer. 

    Oft sagen oder schreiben Menschen aber „FLINTA*“ und meinen damit „irgendwie weiblich“, „Leute, die ich für Frauen halte“ oder „Menschen, die von den meisten anderen für Frauen gehalten werden“. Manchmal meinen sie auch „Menschen mit Vulva4„, „Leute mit Brüsten“ oder „Personen, die menstruieren“. Wir sehen, die Geschichte des Begriffs sitzt tief. 
    Das zeigt sich auch regelmäßig in Veranstaltungseinladungen, die sich an „FLINTA*“ richten, gleichzeitig aber Männer – oder auch „nur“ cis Männer  – explizit ausschließen.
    Oder wenn in einer Gruppe zu kritischer Männlichkeit die Frage auftaucht, ob Menschen lieber mit Männern oder mit FLINTA* sprechen.

    Viele AMAB Personen, trans Männer und inter-cis Männer sind damit zwar theoretisch „mitgemeint“, praktisch aber ausgeschlossen. Und ihre Perspektiven finden selten Raum. Es ist nicht ausreichend durchdacht, Menschengruppen nur als Buchstaben in ein Akronym aufzunehmen und es dann „nach Bauchgefühl“ zu verwenden. Frauen* durch FLINTA* zu ersetzen bringt nichts, wenn nicht auch die politische Analyse dahinter weiterentwickelt wird. 

    Mittlerweile misstrauen viele „mitgemeinte“ Menschen dem Begriff zu Recht genauso wie der Bezeichnung „Frauen*“. Anstatt immer neue, angeblich inklusive5 Begriffe zu erschaffen, müssen wir Endo-Cis-Sexismus als Ganzes reflektieren und unsere Art, zu denken, ändern. Zum Beispiel, indem wir Menschen keine bestimmte Sozialisierung aufgrund ihres Geschlechts zuschreiben.

    Alternativen

    Wir müssen uns dringend Gedanken darüber machen, wozu sichere Räume da sein sollen. 
    In einem FLINTA* Raum kann es zu Transfeindlichkeit kommen. Transfeindliche Frauen existieren.
    Wie soll damit umgegangen werden? Wollen wir über Menstruation reden? Über sexualisierte Gewalt? Soll über Männlichkeit gesprochen werden? Natürlich kann auch über Sozialisierung geredet werden. Oder darüber, was das Patriarchat aus uns gemacht hat. Wenn cis Frauen sich einen Raum für sich wünschen, ist das genauso in Ordnung. Wenn es um Blasenentzündungen geht, sind nicht FLINTA* anfälliger, sondern Menschen mit kurzer Harnröhre.

    Es ist gewaltvoll, Menschen die Zugehörigkeit zur Gruppe abzusprechen. Und es ist problematisch, eine so unterschiedliche Gruppe von Menschen unter einen Begriff zu fassen und zu erwarten, dass alle die gleichen Erfahrungen gemacht haben. 

    Um eine nichtbinäre, inter Person, die im Alltag als cis Mann lebt, zu zitieren: „Das letzte Mal Catcalling hab  ich in einer Schwulenbar erlebt. Was soll ich auf ner Demo gegen Catcalling für FLINTA*? Im Aufruf steht, alle FLINTA* erleben Catcalling. Bin ich Ally? Bin ich nicht FLINTA*?“

    Fußnote:
    1: Akronym = Wort, das aus den Anfangsbuchstaben mehrerer einzelner Wörter zusammengesetzt ist.
    2: Endo-Cis-Sexismus = das System geschlechtlicher und medizinischer Normen, das besonders cis Frauen, inter und trans Menschen schadet
    3: marginalisiert = gesellschaftlich an den Rand gedrängt, unterdrückt
    4: Vulva = Venushügel, Schamlippen und Klitoris
    5: inklusiv = miteinbeziehend

  • Meinungsfreiheit – ein Gastbeitrag von Leon

    „Das darf ich sagen! Das ist von meiner Meinungsfreiheit gedeckt!“
    Wann ist es sinnvoll, mit dem Grundgesetz zu argumentieren? … und wann nicht? Ein juristischer Exkurs in Debattenkultur.

    Wie sagte mein Professor am Anfang der Grundrechtevorlesung so schön: „Alles, was nicht Staatsgewalt ist, ist auch nicht unmittelbar an Grundrechte gebunden.“. Polemische Aussage? Nö!

    Art. 1 III GG stellt klar, dass alle Staatsgewalt unmittelbar an Grundrechte gebunden ist.

    Erlässt der Bundestag also (als Teil der Legislative und damit Staatsgewalt) ein Gesetz, darf dieses nicht gegen Grundrechte verstoßen. Ob es das tut, wird dann im Zweifel durch eine Verfassungsbeschwerde vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden.

    Nimmt ein*e Polizist*in (als Teil der Exekutive) eine Person fest, muss bei Zweifeln wieder ein Gericht entscheiden, ob die Grundrechte dabei unbegründet eingeschränkt wurden.

    Und so weiter…

    Grundrechtswirkung

    Das Ganze nennt sich unmittelbare Grundrechtswirkung und zeigt die Rolle der Grundrechte in der deutschen Verfassung: Sie sind dafür da die Rechte von Menschen in Deutschland vor Verletzungen durch den Staat zu schützen.

    Für den Staat heißt das, dass er durch die Grundrechte verpflichtet ist, etwas zu tun oder zu unterlassen. Für die Einzelperson, dass diese das Recht hat, vom Staat ein Tun oder Unterlassen zu verlangen.

    Das ist nötig, da der Staat und die Menschen einander nicht gleichberechtigt gegenüberstehen. Es herrscht ein Machtgefälle, in dem (nur) der Staat das Recht und die Möglichkeit hat, Gewalt auszuüben. Die Grundrechte setzen dem Staat dabei Grenzen und schützen die Menschen vor dieser Gewalt.

    Anders sieht das Ganze in der Beziehung zwischen Privatpersonen aus. Diese stehen einander grundsätzlich gleichberechtigt gegenüber. Es gibt kein Machtgefälle und somit auch keine Partei, die besonders vor Eingriffen durch die andere Partei geschützt werden müsste. Zumindest ist das in der Theorie des Gesetzes so. Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

    Im Hinblick auf die Meinungsfreiheit darf der Staat einer Einzelperson also nicht vorschreiben, was diese sagen oder nicht sagen darf.

    Meinungsfreiheit und Menschenwürde

    Es wird aber in einer privaten Diskussion schwierig, die eigenen Aussagen damit zu rechtfertigen, dass diese durch die Meinungsfreiheit geschützt sind…

    Kommen wir jetzt aber zu diskriminierenden Aussagen, hantieren Menschen in Argumentationen regelmäßig mit der Meinungsfreiheit und der Würde des Menschen.

    Es gibt Situationen, in denen das auch tatsächlich sinnvoll ist. Geht es z.B. um das TSG, ist der Rückschluss auf die Menschenwürde angebracht, da es sich hierbei um ein formelles Bundesgesetz handelt. Als formelles Bundesgesetz ist das TSG ein Ausdruck staatlichen Handelns und somit Staatsgewalt. Das TSG muss also die Grundrechte wahren und darf u.A. nicht gegen die Menschenwürde verstoßen. Dass große Teile des TSG eben das nicht tun, hat das BVerfG seit vielen Jahrzehnten immer wieder bestätigt.

    Onkel Oskar und der T-Slur

    Anders sieht das Ganze aus, wenn Onkel Oskar den T-Slur verwendet. Hier ist in keinster Weise Staatsgewalt am Werk, weshalb es sich also nicht um unmittelbar an Grundrechte gebundenes Verhalten handelt. Es ist also nicht nur weird, wenn Onkel Oskar sich mit seiner Meinungsfreiheit herausreden will, sondern auch nicht hilfreich als Gegenargument die Menschenwürde anzubringen. (Onkel Oskar würde sich im Zweifel sowieso nicht davon überzeugen lassen…)

    Grundrechte und Offenbarungsverbot

    Grundrechte werden aber z.B. beim dead-naming wieder relevant. Hat eine Person über das TSG deren Vornamen und Personenstand geändert, geht damit ein Offenbarungsverbot einher. Das heißt, dass es gem. § 5 TSG verboten ist, den Geburtsnamen zu erforschen oder offenbaren. Da dieses Offenbarungsverbot Teil eines Gesetzes und folglich ein Akt öffentlicher Gewalt ist, ist es auch rechtlich durchsetzbar und gültig. Wird dieses Verbot missachtet, gilt dies als Ordnungswidrigkeit und kann rechtlich verfolgt werden.

    Die Grundrechte sind insofern relevant, dass – vom Staat – durch die gesetzliche Regelung die Würde von Trans*Personen geschützt werden soll. Durch das Gesetz (again: Akt der öffentlichen Gewalt) wird das Verhalten von Privatpersonen sanktioniert, um eben diese Grundrechte zu wahren.

    Auch der Vorschlag für das Selbstbestimmungsgesetz greift dieses Offenbarungsverbot wieder auf.

    Trotz diesen rechtlichen Auseinandersetzungen mit der Rolle der Grundrechte, sollten wir einander natürlich trotzdem zuhören, einander respektieren und lieb und freundlich miteinander bleiben.

    Das hat aber nichts mit der Menschenwürde oder Meinungsfreiheit des Grundgesetzes zu tun, sondern gesellschaftlichen und moralischen Wertvorstellungen.

    Tldr; Grundrechte regeln die Beziehung der Menschen zum Staat und nicht zwischenmenschliche Beziehungen. Eigene Aussagen in privaten Debatten auf die Meinungsfreiheit zu stützen ist also eher schwach.

  • Liebe wen Du willst – Chronologie

    „Liebe wen Du willst“ e.V. ist ein gemeinnütziger, eingetragener Verein aus Berlin, der sich Bekämpfung von Diskriminierung, Homophobie, Mobbing und Gewalt auf die Fahne geschrieben hat. Seit 19.01.2022 gibt es mehrere Berichte auf social media, die an diesen Zielen zweifeln lassen.
    Ich berichte chronologisch. Gleichzeitig, und vorweg: Ich kann aufgrund meiner Behinderung keine Videos sehen, bin also auf Transkripte angewiesen. Sollte es da zu Fehlern gekommen sein, weist mich bitte darauf hin! Gelöschte Videos liegen als gespeicherte Dateien vor bzw. sind über eingebettete Videos Dritter nachzuvollziehen.

    Zeitangaben der Chronologie sind nach MEZ (Berlin). Mindestens eine beteiligte Person befindet sich gerade in den USA, somit kann es zu Überschneidungen bezüglich der Zeitangaben kommen.

    Ergänzungen werden fett markiert.

    13.01.2022

    der TikToker diemxoo macht ein Video über Xier/Xiem Pronomen. 

    16.01.2022

    Liebe wen Du Willst greift das Video auf, macht den „Witz“ „Xier, Xiem, Xylophon, hä?!“ und bezeichnet im laufenden Video Neopronomen als „Bullshit“ und „schädlich“. (Video gelöscht.) Es kommen neben Steven, dem 37-jährigen Gründer von „Liebe wen Du willst“ auch zwei (junge) trans maskuline Personen zu Wort. Beide bekräftigen, dass sie „Xier/Xiem“-Pronomen nicht verstehen würden bzw. unsinnig fänden.

    17.01.2022

    die TikTokerin frauloewenherz.de berichtet über den Verein „Liebe wen Du willst“ und das (missglückte) Pronomenvideo. Zusätzlich macht sie darauf aufmerksam, dass der 37-jährige Steve und der 18-jährige Jaron ein Paar seien (beide sind im Vorstand des Vereins).
    Jaron ist ebenfalls im Pronomenvideo zu sehen. Jaron wurde im Dezember 2021 volljährig. Die ersten Beziehungsfotos der beiden sind aus Sommer/Herbst 2021
    – ca. drei Monate vor Jarons 18. Geburtstag. 

    frauloewenherz.de kritisiert das fehlende, pädagogische Konzept und den nicht vorhandenen, akademischen Hintergrund bei „Liebe wen Du willst“. Die Notfall-Intervention würde von einem 17-jährigen geleitet. Die WhatsApp Gruppen (bei denen Name, Foto, Geburtsdatum, Wohnort und geschlechtliche/sexuelle Orientierung angegeben werden müssen) wären – rein hypothetisch – eine perfekte Grooming-Plattform. Sensible, persönliche Daten von vulnerablen Jugendlichen würden ungesichert in unbekannte Hände gegeben werden.

    Auch fehlende Intersektionalität wird angesprochen und das Team als „größtenteils weiß“ bezeichnet. Die Tatsache, dass das Team seit 2019 immer weiter schrumpft, wird als besorgniserregend kommuniziert.

    Lars Tönsfeuerborn kritisiert das Pronomenvideo von „Liebe wen Du willst“ auf Instagram und sieht ein größeres Problem: Kritkunfähigkeit, Diskriminierung, Gefährdung von Jugendlichen.

    18.01.2022

    Der TikToker MarcioTheSinger meldet sich zu Wort. Er versucht seit Oktober 2021, ein Video von sich auf dem YouTube Kanal von „Liebe wen Du willst“ entfernen zu lassen. Der Verein weigert sich jedoch.

    Auf Twitter ensteht ein Thread von @Ap_Saegge, der in den nächsten Tagen regelmäßig ergänzt wird.

    19.01.2022

    Das Vorstandsmitglied Vivien S. (auf TikTok @mrs.burnout) lädt ein zweiteiliges Video hoch, das mit „Rufmord“ übertitelt ist. Darin wird das fehlende, pädagogische Konzept und die nicht vorhandene akademische Ausbildung bestätigt. Gleichzeitig wird sich mit „Erfahrung“ und „logischem Denken“ verteidigt. Beides wäre viel wichtiger als eine entsprechende Ausbildung.

     Der 17-jährige Leiter der Krisen-Intervention, Tom, wird als „reif wie ein 30-jähriger“ bezeichnet. Als Beweis wird angeführt, dass er, selbst als er wegen Krebs und Chemotherapie „in Lebensgefahr“ geschwebt hätte, noch Privatnachrichten Hilfesuchender beantwortet hatte. 

    Außerdem sagt sie, Jaron hätte Steve die Liebe gestanden, somit sei es kein Grooming. Darüber hinaus wären die beiden mittlerweile zusammengezogen. Missbrauch ist ausgeschlossen. 
    Vivien S. teilt mit, Liebe wen Du willst hätte frauloewenherz.de wegen Rufmord angezeigt. (Video gelöscht.)

    Die Kritik am weißen Team wird mit „Was soll das? Rassismus gegen Weiße? Haben wir etwa zu Dingen keine Ahnung, weil wir weiß sind?!“ abgetan.

    „Liebe wen Du willst“ teilt ein Statement zum Pronomenvideo und entschuldigt sich, kündigt aber direkt an, eine Pro-Contra-Diskussion über Pronomen und Neopronomen durchführen zu wollen. (Video gelöscht.)

    Sven Lehmann, Queerbeauftragter der Bundesregierung, warnt auf Twitter vor dem Verein „Liebe wen Du willst“ und rät Menschen in akuten Krisensituationen und Ratsuchenden, andere, offizielle Stellen aufzusuchen. 

    Minzgespinst beginnt mit der Recherche, redaktionell durch IT unterstützt. Die IT merkt an, dass da Dinge fishy sind und startet sie mit der Analyse der Datenschutzerklärung (Unterstützung durch weitere Organisation in dem Bereich angefragt).

    Unmut Özdemir äußert sich und sagt, er hätte bereits 2020 die vorhandenen Strukturen scharf kritisiert und wäre daraufhin geblockt und aus den Gruppen ausgeschlossen worden.

    20.01.2022

    Die Berliner Polizei teilt mir auf Nachfrage mit, es hätte seit 2020 keine Zusammenarbeit mit Liebe wen Du willst gegeben und niemals eine Kooperation im Sinne einer Kooperationsvereinbarung bestanden. LSVD Deutschland distanziert sich und negiert die Existenz einer Kooperation. 

    Eine Presseanfrage an den Berliner Senat wird gestellt, inwiefern die Nummern auf der Seite von Liebe wen Du willst offizielle Notrufnummern seien und somit die Drohung eines Strafverfahrens nach § 145 StGB bei Missbrauch der Nummer berechtigt. Zitat:

    Hinweise:
    Unser Engagement richtet sich an Betroffene von Hasskriminalität, Opfer von Sexualstraftaten, suizidgefährdeten Personen. Der Missbrauch unserer Arbeit ist gemäß § 145 StGB strafbar und wird ohne Ausnahme strafrechtlich verfolgt.“

    Liebe wen Du willst – Kontakt

    Presseanfrage zur Kooperation / Kooperationsangebot an TikTok geht raus, um zu hinterfragen, wieso eine offizielle Kooperation mit TikTok bestand.

    Livestream von „Liebe wen Du willst“, in dem u.A. der Satz fällt „theoretisch (würde ich natürlich nie tun, wäre ja krank), aber theoretisch könnte ich auch mit einem neunjährigen Mädchen in einer Beziehung sein. Ich dürfte sie nur niemals anfassen.“ Bezogen ist der Satz darauf, dass zwischen Beziehungen und sexuellen Handlungen unterschieden werden müsse. Nur sexuelle Handlungen seien strafbar. „Und diese ganzen Klugscheißer wollen mir jetzt mitteilen, dass sie neben mir im Bett lagen, wo ich mit Jaron was hatte?!“

    21.01.2022

    Ich suche auf archive.org nach bisherigen Kooperationen von „Liebe wen Du willst“ und frage nach, inwiefern diese Kooperation tatsächlich bestanden hätte und ob sie fortgesetzt werden würden. Einige der genannten Kooperationen sind bezüglich Jugendschutz besorgniserregend (z.B. eine Erotikmesse oder eine Datingseite für Erwachsene). 

    „Liebe wen Du willst“ veröffentlicht ein Statement, indem sie mitteilen, dass sie frauloewenherz.de, QueerBILD, Sven Lehmann und Mental.Health.Mariam angezeigt hätten. Darüber hinaus wird auf die Kooperation mit der Polizei Berlin eingegangen: „Die Zustimmung für die Wort- und Bildmarke der Polizei Berlin wurde im August 2020 schriftlich erteilt!“ „So hat der Leiter des LKA535 unsere Arbeit und die Zusammenarbeit noch im Mai 2020 schriftlich gelobt, eine Aufhebung der Zusammenarbeit hat bis zum Shitstorm zu keinem Zeitpunkt stattgefunden!“

    Das Statement sagt, dass alle Unterstützenden und Kooperationen ausdrücklich zugestimmt hätten und der Verein nichts ohne Erlaubnis veröffentlichen würde. (Dem widerspricht das Statement vom 18.01.2022)
    Die Wort-Bild-Marke der Polizei Berlin wurde unvollständig von der Seite entfernt. Die Wort-Bild-Marken anderer Unterstützender und Kooperationen wurden vollständig entfernt.

    TikTok bietet Minzgespinst Telefonat an (vrstl. Mo/Di) B. übernimmt Gespräch. 

    22.01.2022

    Ich warte auf Antwort über die Kooperationen. Ein interviewter Sozialarbeiter (Name ist der Redaktion bekannt) bezeichnet die Beziehung zwischen Steve und Jaron als „mindestens unprofessionell“. Eine solche Konstellation sei in der Arbeit mit Jugendlichen zwingend zu vermeiden. Auch die Zusammenarbeit mit der Polizei in Krisensituationen sei problematisch. „Die Polizei ist leider in den meisten Fällen nicht für suizidale, queere Jugendliche ausgebildet. Hier sollte der Rettungsdienst die erste Wahl sein.“. 

    Fotos von der Gründungsadresse und der Impressumsanschrift mit Klingelschildern zeigen weder Vereinsnamen noch den Nachnamen des Vorsitzenden.

    Statement von Jaron bei @mrs.burnout auf TikTok. Er sagt, er ist glücklich und niemand hat das Recht, seine Beziehung zu beurteilen.

    23.01.2022

    fraulowenherz.de veröffentlicht ein Video mit einem Zusammenschnitt von Vivien S. und sich, in einem reaction-Format. (Zusammenschnitte, die dann einen Dialog ergeben.) Implizit wird der Umgang von Vivien S. und „Liebe wen Du willst“ mit Kritik kritisiert. In dem Video geht es ausschließlich um den Umgang mit Neopronomen.

    Auf Twitter veröffentlicht CaptainLala_ eine Zusammenfassung und Einordnung des neuesten Videos von „Liebe wen Du willst“. Der Verein hat das Video eines 15-jährigen Fans mit Körperbehinderung veröffentlicht. In diesem verteidigt sie den Verein und bittet um Nachsicht. CaptainLala_ kritisiert, dass „Liebe wen Du willst“ Kinder ihre Kämpfe führen lässt. Dieser Fan sei dadurch dem Hate ausgesetzt.

    Der Verein verändert mehrmals am Tag Aussagen auf seiner Website. Zuerst sind es vier Gruppen auf WhatsApp, dann drei. Auch die Aussagen über „Beratung“ schwanken. Unter „Vorfall melden“ könnte es das Angebot einer Rechtsberatung geben.

    Livestream von official.404 und sonix187 auf Instagram. „Liebe wen Du willst“ werden zugeschaltet.

    Liebe wen Du willst veröffentlich auf Instagram ein weiteres Statement.

    24.01.2022

    Ich erhalte die ersten Antworten auf die Presseanfragen. Liste der Anworten folgt ganz unten.

    Ein polizeiliches Führungszeugnis wird gepostet. Der Account official.404 erhebt in seiner Story schwere Vorwürfe. Gleicher Account fiel in der Vergangenheit durch eher antifeministische Aussagen auf.

    25.01.2022

    Steve ist seit 21.04.2021 bzw. 31.08.2021 laut Facebook-Profil verlobt. Unklar, mit wem.

    Minzgespinst bekommt Antwort auf die Anfrage bei der Senatsverwaltung für Inneres, Digitalisierung und Sport. Wir dürfen die Sprecherin Sylvia Schwab zitieren: „Notrufverbindungen im Sinne der Notrufverordnung (NotrufV) sich Verbindungen, die entweder durch die Wahl der europaeinheitlichen Notrufnummer 112 oder der zusätzlichen nationalen Notrufnummer 110 eingeleitet werden (§ 164 Abs. 1 Satz 1 Telekommunikationsgesetz – TKG). Die Entgegennahme von Notrufen erfolgt danach ausschließlich von der zuständigen Notrufabfragestelle (2 Nummer 2 NotrufV). Zuständig in Berlin sind die Berliner Feuerwehr bzw. die Polizei Berlin. Die Verwaltung der Notrufanschlüsse obliegt der Bundesnetzagentur.

    Davon zu unterscheiden ist die Frage einer etwaigen Strafbarkeit nach § 145 Strafgesetzbuch (StGB). Danach macht sich strafbar, wer absichtlich oder wissentlich Notrufe oder Notzeichen missbraucht. Diese Voraussetzungen sind bei der missbräuchlichen Verwendung von 110 und 112 erfüllt.

    Als „Notrufe“ im strafrechtliche Sinne kann aber jede akustische oder optisch wahrnehmbare Bekundung in Betracht kommen, die auf das Vorhandensein einer (vermeintlichen) Not- oder Gefahrenlage und die Notwendigkeit fremder Hilfe aufmerksam macht (vgl. Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, 30. Aufl. 2019, StGB § 145 Rn. 4). Es bedarf also nicht zwangsläufig eines Anrufs bei den Notrufnummern 110/112. Ob die Voraussetzungen im Einzelfall erfüllt sind, prüft – ggfs. nach entsprechender Anzeige – die zuständige Strafverfolgungsbehörde.“

    Es ist nicht ersichtlich, ob die „Notrufnummern“ von „Liebe wen Du willst“ tatsächlich Notrufnummern sind, da sie auch als Kontakt-Nummer für Presseanfragen, in der Satzung und im Impressum angegeben werden. (Screenshots liegen vor.)

    26.01.2022

    Die Website von „Liebe wen Du willst“ ist offline. Später postet „Liebe wen Du wilst“ Stories über einen „Hacker-Angriff“.

    Auf Twitter entstehen die ersten Gerüchte. Es wird vermutet, official.404 könnte hinter dem Hack stecken. 404 bestätigt diese Gerüchte bis jetzt nicht.

    „Liebe wen Du willst“ (genauer: mrs.burnout aka Vivien S.) kündigt ein Statement an.

    Ap_Saegge macht auf negative Reviews bezüglich der Arbeitsbedingungen aufmerksam. Sie stammen aus der Zeit vor der massiven Kritik – im Gegensatz zu den google reviews, die eher auf Shitstorm-Bombing zurückzuführen sind.

    Es wird der Verdacht geäußert, Follower könnten gekauft worden sein. Auffällig viele kyrillische Namen für eine rein deutschsprachige Organisation.

    Ältere Beiträge (September 2021) von „Liebe wen Du willst“ werden kritisiert. Steve bezeichnet u.A. geschlechterneutrale Sprache als „schädlich“. Im gleichen Livestream ist wohl ein (minderjähriger?) Junge allein in Steves Wohnung. Gegen Ende bezeichnet Steve“divers“ als „Geschlecht“ für Menschen „die noch nicht wissen, in welche Richtung es für sie geht“. (Anmerkung der Redaktion: Das ist falsch. „Divers“ ist ein Geschlechtseintrag, einer von vier rechtlichen Einträgen in Deutschland. Es ist eine juristische Kategorie. Geschlecht ist vielfältig, hierfür bitte zum queer-lexikon gehen.)

    27.01.2022

    Beiträge und Videos von „Liebe wen Du willst“ auf Instagram werden gelöscht.

    Der Freitag berichtet über den Fall „Liebe wen Du willst“. Leider wird @frauloewenherz.de nicht erwähnt.

    28.01.2022

    Der Beitrag zu geschlechterneutraler Sprache ist gelöscht. Hier eine Sicherung. Auch das Statement vom 23.01.2022 ist gelöscht. Hier eine Sicherung.

    29.01.2022

    Der Instagram-Account von „Liebe wen Du willst“ wurde (angeblich durch 404) gehackt und Material, das Steve der sexuellen Handlungen mit Minderjährigen beschuldigt, hochgeladen. Innerhalb von Sekunden sind jedoch entsprechende Beiträge gelöscht.

    Das Transkript eines erschütternden Videos taucht auf, in dem Steve immer wieder einen Jugendlichen angreift und sich hinterher als „Opfer“ des Jugendlichen darstellt. CN Gewalt, Gaslighting, Ableismus

    „Liebe wen Du willst“ postet eine ableistische Story und benutzt das Stigma über Borderline gegen Betroffene.

    Das Hacking der Seite geht weiter. mrs.burnout/Vivien S. verurteilt die Angriffe.

    30.01.2022

    404 „kritisiert“ Minzgespinst auf Instagram, wir haben die entsprechenden Passagen angepasst. Uns wird gedroht, wir würden „aus dem Weg geräumt werden, wie alle anderen“ (wenn wir unseren Job nicht so machen würden, wie 404 das erwartet. Andererseits seien wir keine Journalist_innen, sondern nur Wannabe-Journalist_innen). 404 misgendert uns.

    CaptainLala_ kündigt einen Exkurs bezüglich eines Chat-Protokolls von „Liebe wen Du willst“ und Steve an.

    31.01.2022

    Auf „Volksverpetzer“ erscheint ein Beitrag zu „Liebe wen Du willst“.

    Wir werden in Privatnachrichten von Einelpersonen für unsere Berichterstattung scharf kritisiert.

    01.02.2022

    Frau Loewenherz und Lars Tönsfeuerborn veröffentlichen ein gemeinsames Statement und kündigen
    eine intensive, saubere Recherche an.

    04.02.2022

    Drama Detective“ auf YouTube hat ein Update zu „Liebe wen Du willst“.

    14.02.2022

    Von „Liebe wen Du willst“ und „Mrs._Burnout“ gab es in den letzten Wochen mehrere Statements, die innerhalb kürzester Zeit wieder gelöscht waren. Aus diesem Grund haben wir uns entschieden, diese nicht mehr mit aufzunehmen, bis ein finales Statement zustandekommt.

    Organisationen und Firmen:

    gay.parship

    Sie stimmten 2019 einmalig zu, als Unterstützende auf der Website aufgeführt zu werden. Sie sahen das Anliegen der Organisation als grundsätzlich sinnvoll. „Mit Blick auf die aktuellen Äußerungen fehlt dafür aber jegliche Basis. Parship steht für einen diskriminierungsfreien und weltoffenen Umgang, unabhängig von sexueller Identität und Orientierung. Daher haben wir den Verein bereits darum gebeten, unsere Logos zu entfernen.“ Es gab und gibt keine Zusammenarbeit zwischen parship und „Liebe wen Du willst“.

    100% Mensch:

    Hatte vor mehreren Jahren mal eine kurze Kooperation mit LWDW. Hat diese schnell wieder beendet. Logo blieb dennoch. Veröffentlichte jedoch ein Statement.

    Spreadshirt:

    Hatte 2019 ein Produkt-Sponsoring für den Verein. „Dabei wurde Teamwear in Form von T-Shirts und Turnbeuteln zur Verfügung gestellt. Desweiteren betreibt der Verein über Spreadshop einen Online-Shop. Ob dieser gegen unsere Community-Standards verstößt, ist gerade in der Prüfung.“

    LSVD Berlin-Brandenburg:

    distanziert sich vom Verein LWDW. Bekräftigt die Unterstützung von nichtbinären Personen. Korrekte Ansprache gehöre dazu. „Wir wurden auf der Webseite von „Liebe wen Du willst“ als Partner genannt. Nachdem wir die Veröffentlichungen von „Liebe wen Du willst“ geprüft haben, haben wir umgehend die Entfernung unseres Logos von der Webseite des Vereins veranlasst. Gegenüber dem Vorstand von „Liebe wen Du Willst“ haben wir unser Missfallen zum Ausdruck gebracht und deutlich gemacht, dass wir nicht mehr für eine Zusammenarbeit zur Verfügung stehen.“

    innocent:

    „Im Jahr 2019 wurden wir vom Verein diverse Male gebeten, unsere Reichweite für Projekte des Vereins zur Verfügung zu stellen und Aktionen des Vereins finanziell zu unterstützen.“ Innocent lehnte ab. Sie machen grundsätzlich kein finanzielles Sponsoring. „Nach den Hinweisen der User:innen haben wir den Verein gebeten, uns von der Liste der offiziellen Partner zu nehmen, da es ja keinerlei substanzielle Zusammenarbeit oder Unterstützung in den letzten Jahren gegeben hat. Und nur wegen eines kleine Getränke-Sponsorings gleich dauerhaft als offizieller Partner genannt zu werden, dafür sind wir viel zu schüchtern und bescheiden. Dieser Bitte wurde von Seiten des Vereins auch prompt Folge geleistet.“

    Venus Berlin:

    Bestätigt eine Instagram-Kommunikation im Jahr 2019. Kann keinerlei Absprachen oder Kooperationen nachvollziehen. Möchte nicht hundertprozentig ausschließen, dass es Absprachen gab, hat aber keine Dokumente/Unterlagen darüber.

    Fairtrade Deutschland

    Fairtrade Deutschland ist der Verein „Liebe wen Du willst“ nicht bekannt.

    Einzelpersonen:

    Electra Pain:

    „Es bestand tatsächlich eine offizielle Kooperation mit „Liebe wen du willst“ und die Nutzungserlaubnis meiner Wort-Bild-Marke. Die Kooperation bestand lediglich darin, dass ich ab und zu etwas von LWDW in meiner Story geteilt habe. Außerdem war ich mal über deren Kanal live und habe über LGBT-Themen geredet. Das ist alles aber schon etwas her. Ich habe die Zusammenarbeit sofort beendet nachdem ich gesehen hatte, dass sie sich in einem Video über Pronomen für non-binary Personen lustig gemacht haben. Das hat mich sehr geschockt und enttäuscht. Ich habe außerdem verlangt, dass alle Fotos von mir von deren Seiten genommen werden.“

    Jurassica Parka:

    Sie distanziert sich ausdrücklich von der Öffentlichkeitsarbeit des Vereins und sieht sich nicht als Unterstützerin.

    Hape Kerkeling:

    Unterstützt diese Organisation nicht mehr.

  • Binäres System und Nichtbinarität – @coding_void


    CN für den gesamten Text
    Transfeindlichkeit, Misgendern, Dysphorie, binäres System

    Ein Gastbeitrag von @coding_void.
    Vor einigen Jahren habe ich mein Geschlecht noch ausschließlich als Nicht-Binär bezeichnet.
    Ich verwendete nur das Pronomen „es“, liebte meinen Buzzcut und wartete darauf, endlich mit Hormonen anfangen zu können. Nicht um einen „weiblicheren“ Körper zu haben, sondern einen, der weniger „männlich“ ist. Dennoch war da oft die unterschwellige Gewissheit, vor allem doch als Mann behandelt und wahrgenommen zu werden. Egal, wie sehr ich dies hasste. Das ich, egal was ich machen würde, zwangsläufig in der Fremdzuschreibung „Mann“ gefangen blieb. Es war dabei selten offenes Misgendern oder direktes Absprechen meines Geschlechtes, auch wenn ich das durchaus erlebt habe. Das Problem saß tiefer, in der grundlegenden Art und Weise, wie soziale Räume und Interaktionen um mich herum gestaltet waren. Wie ich mich (nicht) in sie integrieren konnte. Wie sich ein binäres System unterbewusst darstellt.

    Dies kann mensch aus verschiedenen Perspektiven betrachten.

    Fremdzuschreibung und Dysphorie

    Zum Beispiel aus der von Dysphorie und psychischer Gesundheit. Mit mir selber war ich zwar halbwegs glücklich. Aber das Wissen um die Art und Weise, wie ich von anderen Menschen wahrgenommen wurde, ließ mich verzweifeln. Dies wird in der Regel als soziale Dysphorie bezeichnet und ist etwas, worunter viele trans Personen leiden.

    Eine andere Interpretation würde sich auf die männlichen Privilegien konzentrieren, die ich durch diese Fremdzuschreibung angeblich hatte. Es stimmt sicher, dass z.B. meine Meinung ernster genommen wurde, als die von Menschen, die weiblich „gelesen“ wurden. Da gibt es viele weitere Beispiele.

    Die Ebene, dass diese Fremdzuschreibung gewaltvoll ist, wird dabei aber außen vor gelassen. Bei binären trans Personen wird meist noch anerkannt, dass die fortgesetzte Assoziation mit ihrem AGAB ein Ausdruck von Transfeindlichkeit ist. Diese löst bei vielen trans Personen signifikanten Leidensdruck aus. Bei nicht-binären trans Personen fällt diese Anerkennung eher weg. So wird strukturelle Gewalt gegen eine Person, wiederum als Teilhabe an struktureller Gewalt bewertet. Bei AMAB nicht-binären Menschen wird so häufig ihre Unterdrückung verunsichtbart und Teile davon sogar als Privileg geframed.

    Zwar halte ich es nicht für falsch, spezifische(!) Privilegien zu benennen, auch wenn sie im scheinbaren Widerspruch zum realen Leiden ihrer Träger*innen stehen. Aber wenn es um Umstände geht, bei denen Ursache der Privilegien gleichzeitig Ursache des Leidensdruckes ist, ist fragwürdig, ob es Privilegien sind.

    CN Suizid

    An dieser Stelle ist es mir wichtig, dass dies nicht als „verletzte Gefühle“ gegenüber materiellen Bedingungen dargestellt werden kann. Statistisch haben mehr als ein Drittel aller trans Personen einen Suizidversuch überlebt. Nur um einmal klar zu machen, worauf dieser abstrakte Leidensdruck, den ich hier beschreibe, nicht selten hinausläuft.

    Zugang zu Räumen

    Eine weiterer Aspekt, neben den direkten psychischen Auswirkungen, ist zum Beispiel der Zugang zu Schutzräumen. Ich hätte damals Schutzräume benötigt, aber praktisch standen mir keine offen. Selbst ernannte FLINTA*-Räume, vom Namen her also trans und nicht-binäre Menschen explizit einschließend, zogen keine praktischen Konsequenzen daraus. Das ist vielleicht gut gemeint, aber wertlos. Ein Raum, bei dem ich damit rechnen muss, mich Transfeindlichkeit auszusetzen, wenn ich ihn betrete, ist kein Schutzraum für mich.

    Unser binäres System von Geschlecht, das uns Geschlecht von Geburt an und jeden Tag aufs Neue, von außen zuschreibt, gab mir nur eine Möglichkeit der Annerkennung als „nicht-männlich“: Weiblichkeit.

    Meine Konsequenz war, stärker auf den transweiblichen Aspekten meiner Identität aufzubauen, um eine „Nicht-Männlichkeit“ erreichen zu können. Transfeminine Personen erleben natürlich auch Misgendering, Ausschluss aus Schutzräumen und im speziellen Transmisogynie und daraus folgende Gewalt.
    Für mich bot Transfeminität die einzige Chance, der geschlechtlichen Fremdzuschreibung als „Mann“ zu entkommen, der ich auch als offen nicht-binäre Person durchgehend ausgesetzt war.

    Heute kann ich mich z.B. leichter in FLINTA*-Räumen aufhalten als damals. Zumindest solange ich genug sichtbaren Aufwand betreibe, Weiblichkeit zu performen.
    Der Übergang zu einem primär transweiblichem Auftreten hat mir die Lebensqualität und Verbesserung meiner psychischen Gesundheit gegeben, die ich mir aus Outing und Transition erhofft hatte.
    Nicht dadurch, dass ich glücklicher mit meinem Körper wurde, sondern, dass ich endlich weniger als „Mann“ wahrgenommen werde.

    Auch wenn ich meine Weiblichkeit mag, musste ich erkennen, dass sie mir zum Teil aufgezwungen wurde und wird.
    Ich würde gerne wieder einen Buzzcut tragen und mich allgemein gender non-conforming präsentieren. Aber der Effekt darauf, wie (nicht-)männlich ich von anderen Menschen wahrgenommen werde, hindert mich daran.

    Die Ironie, dass ich, als nicht-binäre Person, dadurch nicht nur Zweigeschlechtlichkeit, sondern auch stereotype Weiblichkeit reproduziere, ist mir bewusst.

  • Swiss: Heilige, Hure und die Andern (Teil II)

    Ey, Swiss! Wer hat euch erlaubt, die Regenbogenfahne zu nutzen?!

    Ich, beim Sehen von „Nicht kommen sehen“.

    Moin.
    Es ist August 2021 (als ich angefangen habe. Mittlerweile ist Oktober, oh. November. Wir sehen, ich leide unter Prokrastination.). Immer noch wird ein Artikel über Swiss geteilt, den ich im Oktober 2020 schrieb – nichtsahnend, was ich damit auslösen würde. Er ist hier verlinkt und hat mittlerweile knapp 10.000 Aufrufe. Die dürft ihr auch gerne verdoppeln und vielleicht werden dann die Beleidigungen, die ich im Ergebnis erhalte, ein bisschen kreativer.

    Unkreative Beleidigungen schalte ich übrigens prinzipiell nicht frei und deshalb strengt euch bitte ein bisschen an, ja?

    Swiss und die Andern waren ein gar fleißiger Haufen und haben im vergangenen Jahr viel veröffentlicht. In vielen Fällen hat Swiss dabei mit anderen Bands zusammengearbeitet. Dieser Beitrag wird sich mit den neuen Songs (2020, 2021) und ihren Videos auseinandersetzen. Für ihren Instagram gibt es vielleicht, irgendwann einen dritten Teil. (Weil Minzgespinst mittlerweilde auf Insta ist, bekomme ich viel mehr Dinge mit, die ich eigentlich nie wissen wollte, aber lassen wir das.)
    Danke nochmal an jene, die meinen Beitrag wohlwollend geteilt haben und die sagten, sie hätten viel gelernt. Für euch mache ich das hier!

    Übersicht über die Veröffentlichungen

    Beginnen wir chronologisch und arbeiten uns durch, wie gesagt, die Jungs waren fleißig. An Singles und EP wurde folgendes veröffentlicht:

    1. Nicht kommen sehen (2020) – mit Video
    2. 10 kleine Punkah (2020) – mit Video
    3. Herz auf St. Pauli (2020) – mit Video
    4. Alkohol (2020) – mit Video
    5. Lebe deinen Hass feat Ruffiction (2020) – mit Video
    6. Bullenwagen (2020) – mit Video
    7. Wir sterben alle (2020) – mit Video
    8. Schwarz Tot Gold (2020) – mit Video
    9. Mittelfinger Richtung Zukunft (2020) – mit Video
    10. FDM-Punk (2020) – mit Video
    11. No Pasaran (2020) – mit Video
    12. Stück für Stück (2020) – mit Video
    13. Kein Talent feat. ZSK (2020) – mit Video
    14. Orphan (2021) – mit Video
    15. Zatan lebt! (2021) – mit Video
    16. Panikk (2021) – mit Video
    17. Linksradikaler Schlager (2021) – mit Video
    18. Solikasse mit Joshi (2021) – mit Video
    19. Antifa (2021) – mit Video
    20. Keine Gewalt/Plenum (2021) – mit Video

    An Alben wurden nur zwei Neuerscheinungen veröffentlicht, namentlich „Saunaclub“ (2020) und „Orphan“ (2021). Stattdessen bekam jede Single ihr eigenes Video, und die waren teilweise aufwendig produziert. Es wurde also ordentlich in die eigene Visualisierung investiert.

    Ich stelle fest, die Lieder sind marginal besser, wenn Swiss (und die Andern) mit anderen Bands zusammen auftreten. Was das für den Stil der Band sagt – whatever. Nicht mein Sterni.

    Inhaltliche Analyse

    Mehrere Dinge sind auf jeden Fall prägnant und ich fasse hier zusammen. Die Zwischenüberschriften geben einen groben Überblick, aber natürlich ist es nicht vollständig.

    Sexismus

    Es werden immer mehr, deutlich sexualisierte Frauen (oder zumindest Menschen, die von mir in diesem Kontext als Frauen wahrgenommen werden). Von „ab und zu tanzt mal eine Frau im Hintergrund“ bis zu sehr sexualisiertem Tanzen und „auf den Arsch klatschen“ bei Keine Gewalt/Plenum. Gleichzeitig bleiben Frauen weiterhin passiv. Ein Beispiel dafür wäre „meine Schwester schläft im Shirt von Che Guevara“ oder (sinngemäß zusammengefasst) „meine Ex hat Angst, weil ich aus der Klapse raus bin“.

    Auch „Hurensöhne“ und Anspielungen auf Gewalt gegen Frauen ziehen sich durch, besonders bei 10 kleine Punkah, Kein Talent feat ZSK, Orphan, Panikk, Linksradikaler Schlager, Solikasse mit Joshi (die Dancemoves sind wiederum wirklich beeindruckend, ich erkenne das an), Antifa und Keine Gewalt/Plenum. Außerdem… kommt schon, ist wirklich „wir ficken deine Mama“ (wie bei 10 kleine Punkah und FDM-Punks und Panikk) das Niveau, auf dem sich eure Linksradikalität bewegt? Ist es wirklich so, so schwer, Frauen nicht als reine Ejakulationsobjekte wahrzunehmen?

    Ableismus

    Videos brauchen ne Epilepsiewarnung. Bei Alkohol wurde das umgesetzt, bei Nicht kommen sehen, Lebe deinen Hass feat Ruffiction, Mittelfinger Richtung Zukunft wäre es notwendig gewesen. Aber Ableismus ist bei euch und anderen Bands eh ein grundsätzliches Problem. Ich empfehle diesen Blogpost: Warum Nazis nicht dumm sind.

    Auch die Darstellung von psychischen Krankheiten und der „Klapse“ halte ich bei euch für problematisch bis gefährlich. Auch die linke Szene liebt ihren Ableismus, dafür muss es nicht einmal (wie bei der Terrorgruppe passiert) dazu kommen, dass Menschen einfach in die Konzerträume nicht reindürfen. Bei Swiss (und vielen anderen Punkbands) wird die Gesellschaft als „krank“ bezeichnet, was schlussendlich auch nur völkisches Denken ist: Die gesunde Gesellschaft, das gesunde Volk gegen die kranke Gesellschaft, das entartete Volk. Was dabei wiederum als „gesund“ oder „krank“ definiert wird, bleibt von der jeweiligen, politichen Überzeugung abhängig. Aber grundsätzlich problematisch ist die Metapher dennoch. Was macht ihr mit den „kranken“ Teilen, dem „Krebs“ der Gesellschaft? Erschießen, wie in Orphan? Satan opfern? Töten? Und wer definiert, was „krank“ ist?

    Schwulenfeindlichkeit

    Internalisierte Schwulenfeindlichkeit. In den Liedern 10 kleine Punkah, FDM-Punk, Panikk wird wahlweise (wie bei 10 kleine Punkah) Zärtlichkeit gegenüber Männern als „witzig“ und „Gag“ dargestellt oder in den anderen Liedern anale Vergewaltigung zur politischen Praxis erklärt. Bisschen ironisch, bei Linksradikaler Schlager dann „Homophobie ist widerlich“ zu singen, wenn dann die eigenen Songs dem dauerhaft widersprechen. Nein, Vergewaltigung (auch die von Bullen) und vor allem anale Vergewaltigung sind nicht witzig oder politisch. Die darin enthaltene Schwulenfeindlichkeit wird nicht weniger, nur weil ihr irgendwann mal „wir mögen keine Homophobie“ singt.

    Transfeindlichkeit und latenter Antisemitismus

    Transfeindlichkeit, binäres Geschlechterverständnis und Antisemitismus. Immer wieder in Songs, die diesbezüglich Raum zur Interpretation lassen (vor allem einer femininen Person eine „männliche“ Stimme zu geben, ist definitiv transmisogyn, siehe 10 kleine Punkah). Bezüglich Geschlechterverständnis: Für euch existieren offensichtlich ausschließlich Männer und Frauen. Geschenkt. Latenter Antisemitismus kommt immer mal wieder in Chiffren durch. Chiffren sind symbolartige Metaphern, die bewusst die eigentliche Bedeutung verschleiern. Antisemitische Chiffren sind auch in der linken Szene weit verbreitet. Aber ich gehe nicht davon aus, dass diese bewusst gewählt wurden.

    Gleichzeitig haben wir eine dauerhafte „die da oben mit dem Geld“-Rhetorik, darüber hinaus eine Anspielung auf schwarze Sonnen und satanische Rituale und die Zeile „ihr verleugnet mich, so wie den Holocaust“ in Orphan. In der Summe (ich habe mir die Lieder alle nacheinander angehört) wirkt es heftig und damit sollte sich auseinandergesetzt werden.

    Umgang mit Kritik

    Umgang mit Kritik: Klar, ihr könnt es immer extremer abwehren, euch grundsätzlich gegen jede Art der Kritik immunisieren und euch zusammen mit den Sippschaften in eure eigene „wir sind die Guten“-Bubble zurückziehen. Dies nennt sich ab einer gewissen Größe dann sektenhaftes Verhalten. Lieder wie 10 kleine Punkah, FDM-Punk, Kein Talent feat ZSK, Keine Gewalt/Plenum sind Songs, die bewusst auf innerlinke Kritik anspielen und sie lächerlich machen. Sorry Dudes, ich brauch kein Plenum, um euch albern zu finden, ich kriege das durchaus autonom hin. Mögt ihr nicht glauben, aber die Leute, die euch kritisieren, tun das durchaus aus unterschiedlichen Gründen und Perspektiven und kennen sich nicht einmal.

    Positives

    Was ich mochte: Herz auf St. Pauli war nett, No Pasaran war 0815 Punk, kannste schon machen. (Da Deutschland nie entnazifiziert wurde, wie ihr korrekt erkannt habt, sind die Nürnberger Prozesse (und ihr) nicht so einschüchternd, wie ihr vielleicht denkt, aber okay). Solikasse mit Joshi und Linksradikaler Schlager haben grundsätzlich Spaß gemacht zu hören, ich mag den Stalingradwitz beim letzteren.

    Fazit

    Was mir abschließend wichtig ist: Die Liste ist unvollständig und zu einigen Songs gäbe es deutlich mehr zu sagen. Mir geht es aber gar nicht um einzelne Songs, sondern um die Tatsache, dass hier eine Band „Punk“ macht, die eigentlich nichts anderes schreiben und in der Masse die nicht-problematischen Lieder Einzelfälle sind. Ich persönlich kenne keine cis männliche Punkband, die nicht irgendwo und irgendwann problematische Songs geschrieben hat. Aber die meisten machen das nicht als dauerhafte Hintergrundbeschallung.

  • Queer Exorzismus – eine Innenansicht

    Update, 12.11.2021:

    Wie ich heute erfuhr, wurden Teile dieses Textes und Verlinkungen hierher für einen hochschulpolitischen Antrag im StuRa der MLU verwendet. Es ist ein polemisch geschriebener Meinungstext. Der Aufhänger ist der Veranstaltungstext, dann werden ungefähr zwölf inhaltliche Schleifen gedreht. Er verarbeitet unter anderem meine persönlichen Erlebnisse mit Teilen des Umfelds des AK Antifa. Am Ende geht es wieder zurück zum Veranstaltungstext. Es ist kein inhaltlicher Analysetext zum Zustand der halleschen Hochschulpolitik. Ungefragt dafür verwendet zu werden, halte ich für mindestens unhöflich (as in: Leute, was sollte die Aktion?!

    (Update vom Update: Es kam eine Entschuldigung. Ist akzeptiert. Bitte nicht wiederholen.). Noch unangenehmer finde ich jedoch die entsprechenden Reaktionen unterschiedlichster Akteure, von bonjourtristesse bis zum alternativen Vorlesungsverzeichnis. In diesem Blog gibt es eine Maildresse und ein Impressum.
    Wenn ihr ein Problem mit mir habt, könnt ihr es auch direkt kommunizieren. Ich dachte, euch liegt so sehr an theoretischer Diskursarbeit? Queerer wirds hier nicht, queer-feministisch dagegen nicht zwingend.

    Anfang

    Guten Morgen. Das hier ist der erste Text im Herbst des Jahres 2021. Ich würde mich gern mit einer Tasse Tee auf der Couch zusammenzurollen und ein entspanntes Buch lesen (z. B. „das andere Geschlecht“ aus queer Perspektive). Stattdessen befasse ich mich mit dem Einladungstext zu einer Veranstaltung, weil mir (mal wieder) von der AG Antifa des StuRa der Universität Halle das Existenzrecht abgesprochen wird.

    Niemand spricht dir das Existenzrecht ab, du bist nicht Israel!

    Einer der Veranstaltenden, in einem privaten Kontext.

    Nun, ob das geschah (oder nicht), das werde ich im folgenden Beitrag besprechen. Wir fangen von oben an und arbeiten uns Absatz für Absatz vor. Außerdem (weil mir Barrierefreiheit überaus wichtig ist), werde ich die originalen Schachtelsätze in ein verständlicheres Format bringen. Wenn ein Ankündigungstext mindestens vier unterschiedliche Interpretationsebenen hat, versagt er im Bezug „rationale Argumentation“ leider.

    CN Transfeindlichkeit, Rassismus

    Eine Einleitung fehlt, wir landen direkt im Jahr 1991, als Judith Butler „gender trouble“ veröffentlichte. Angeblich der Beginn von etwas, das von dort „in die universitären Debatten und von dort aus in den Kulturbetrieb wanderte“. Hier zeigt sich, wie ignorant die AG/die Vortragenden sind:

    Queer/trans(-feministische) Arbeit im akademischen Kontext gab es lange vor Butler. Wir können bis zu Hirschfeld zurück gehen, oder uns die Trans Studies, die in den 70er/80er Jahren entstanden sind, anschauen. Wird die Unterwanderung der Trans-Lobby angedeutet, sind korrekte Zahlen notwendiger Beleg. Die Assoziation eines unaufhaltsamen Vormarsches eines nicht näher benannten „Etwas“ ist dabei nicht hilfreich. Worum es geht, erfahren wir erst im folgenden Satz: die „Vervielfältigung“ geschlechtlicher Identitäten zur „Subversion“ der „heterosexuellen Matrix“. Das sei „staatlicher wie gesellschaftspolitischer Arbeitsauftrag“. Große Worte, noch größere Zusammenhänge – die AG Antifa macht es nicht unter gesamtgesellschaftlichen Zusammenhängen. Nur… Was möchtet ihr uns damit sagen? Queer Kram tut Dinge in der Gesellschaft?

    Willkommen in der Matrix

    Als ich „Subversion heterosexueller Matrix“ google, stürzt mein Browser ab. Ein Arbeitsauftrag also, das Internet zu zerstören? Wohl kaum. Worauf die AG Antifa anspielt (was diesen Satz linguistisch sehr spannend macht), ist ein Zitat aus Judith Butlers „gender trouble“. Eine Einzelperspektive eine_r einzelnen Theoretiker_in also, die dennoch als „gesamtgesellschaftlich“ geframed wird. Außerhalb universitärer Kontexte dürfte sowohl Judith Butler, als auch dieses spezifische Zitat, mehrheitlich unbekannt sein. Dennoch suggeriert der Text, es gäbe einen (auch staatlichen) Arbeitsauftrag, die Forderungen aus der Analyse einer theoretischen Auseinandersetzung, gesellschaftlich umzusetzen.
    Zu Butler ist spannend, dass Butler als Bugfigur von queer/trans Bewegung (das scheint hier ein Einheitsbrei zu sein) dargestellt wird. Gerade im universitären Kontext von Trans Studies gibt es Kritik an Butler(s) Arbeit (wenn eins im akademischen Bereich bleiben will).

    Unterschiede verstärken die Norm

    De facto wäre mir neu, dass „gender trouble“ eine gesellschaftliche Bedienungsanleitung geworden ist, dafür fehlen schlicht die Belege, auch wenn der Ankündigungstext das Gegenteil behauptet. Wir befinden uns immer noch in den ersten Zeilen, deshalb fasse ich den nächsten Teil inhaltlich zusammen. Der Text behauptet, dass die dauerhafte Erinnerung dessen, dass es Abweichungen der (dya-cis-heterosexuellen) Norm gibt, diese Norm verfestigen würden. Die Bestätigung von queer Existenzen verfestigt die Norm. Genannt sind „die gleichgeschlechtliche Ehe“, „m/w/d“-Vermerke in Stellenausschreibungen, sprachmagische Appelle zur angeblichen „Sichtbarmachung“ randständiger Minderheiten allerorts“. Was der Text unter „sprachmagisch“ versteht, ist nicht erläutert. Ich vermute, es geht um die Debatte geschlechtergerechter Sprache und die Benennung aller geschlechtlicher Gruppen. Beispielsweise als Queer oder als LGBTQIA+.

    Diese Aufzählung ist ein rhetorischer Trick, dass drei völlig unterschiedliche, aus unterschiedlichen Gründen heraus entstandene, sprachlich-gesellschaftliche Situationen gleichgesetzt werden. Dadurch würde eine „Gegenargumentation“ (z. B., dass die meisten queer-feministischen Aktivist_innen die m/w/d-Vermerke politisch eher schädlich finden), grundsätzlich nur auf einen Teil der Aufzählung zutreffen. Das suggeriert, es käme zusammen, was zusammen gehört.

    Warum haben es Queers dann immer noch so schwer?

    Ungeachtet, dass die gleichgeschlechtliche Ehe vor allem monogamen Schwulen und Lesben zugute kommt. (Die immer noch beim Thema Adoption und Stiefkindadoption schwere, politische Kämpfe zu führen haben). Die m/w/d-Vermerke kommen aus rechtlichen (in Deutschland existieren vier Personenstände, deal with it) Kontexten. Forderungen nach geschlechtergerechter Sprache dagegen aus aktivistischen Kontext.

    Der Staat und queer Aktivist_innen sind keine Personalunion, noch „lenkt“ die „queere Ideologie“ als „repressive Instanz“. Im Gegenteil, gerade queer und trans Personen sind bis heute gesellschaftlicher staatlicher Repression gesondert ausgesetzt. Mir wäre nicht bekannt, dass es für cis Personen/heterosexuelle Paare gesonderte Gesetze gäbe. Diese existieren für gleichgeschlechtliche Paare bei Adoption und durch das TSG.

    Verschwörungsmythen

    Ein weiterer, geschickter, rhetorischer Kniff. Wenn etwas nicht existiert, ist der Beleg der Nichtexistenz deutlich schwieriger zu erbringen. Das Geraune, es wäre in „den Hinterzimmern“, dem „bürokratischen Imaginären“ dennoch existent. Diese Argumentationsstrukturen gibt es vor allem in antisemitischen Bereichen (auch der Begriff der „Transideologie“ bzw. der „Genderideologie“ stammt von einem Antisemiten, nämlich Kevin MacDonald, der die antisemitische Argumentation vertrat, dass Jüd*innen hinter der Auflösung des Geschlechtersystems durch u.A. Queer und trans Personen stehen würden) und ist politisch wie auch moralisch zu verurteilen. Es ist eine für Antisemitismus charakteristische Funktionsweise, vermeintliche Tatsachen zu behaupten, die nicht beweisbar sind. Diese vermeintlichen Tatsachen sind dann als Beweise für das eigene Verschwörungsdenken zu handhaben. Dies sorgt dafür, dass logische Einwände nicht mehr möglich sind.

    rassistische Entgleisungen

    Der nächste Teilsatz hat zwar keinen logischen Zusammenhang mit dem vorhergehenden, dennoch taucht er dort auf. Ich fasse zusammen: Es gibt Benennungen von Abweichungen. Diese sorgen dafür, dass sich die Norm noch fester im Kopf verankert. Weil dem so ist, werden mit rassistischem Nachdruck Ehrenmorde, Genitalverstümmelung, Kinderehen, sittsamkeitsbedingte Vollverschleierung und Zwangsverheiratungen zur „Kultur“ der „Anderen“ verklärt“. Die Gesamtheit der „queer“ bzw. „trans“ Personen (bzw. Ideolog_innen, je nachdem), argumentiert rassistisch, Ehrenmorde, Genitalverstümmelungen, Kinderehen und Zwangsverschleierungen seien Teil einer „anderen Kultur“ und müssten deshalb geschützt werden.

    Wäre das hier eine Hausarbeit oder ein Buch, das mir zum sensitivity reading vorliegt, würde ich Belege?! an den Seitenrand schreiben. Grundsätzlich sei es allen Leuten erlaubt, wirre Zusammenhänge zu konstruieren, ich hätte diese nur gerne ansatzweise logisch konsequent hergeleitet.
    Auch hier ginge wieder eine Menge Text dafür verloren, die Absurdität dieses Zusammenhangs herzuleiten. Deshalb habe ich die letzten fünf Absätze zu dem Thema gelöscht.
    Ich möchte die Beweispflicht an jene zurückgeben, die diesen Unfug behaupten. Bitte belegt, dass die Nennung nichtbinärerer Geschlechter zu vermehrten Zwangsehen und Vollverschleierungen führt. Ebenso die Verteidigung von Genitalverstümmelungen im Kontext der gleichgeschlechtlichen Ehe. Benennt, wer menschenfeindliche, misogyne Traditionen als Teil von „anderer Kultur“ allumfassend rechtfertigt, damit Akteur_innen statt diffusen Gruppenzuschreibungen kritisierbar sind!

    Antisemitismus ist KEINE Queerfeindlichkeit

    Auch hier wieder der gleiche, rhetorische Kniff. Es werden Behauptungen als Tatsachen präsentiert, die sich schlicht und ergreifend nicht belegen lassen.
    Zur vergleichenden Analyse schlage ich die üblichen, antisemitischen Verschwörungsmythen, namentlich die „Kindermorde“ und „Brunnenvergiftungen“ vor. Es ist unangenehm, wie sehr sich transfeindliche und antisemitische Verschwörungsmythen in ihren Grundzügen ähneln. In beiden Kontexten sind es zahlenmäßig kleine Gruppen, denen massive Macht zugeschrieben wird und die deshalb „machtmäßig beschränkt“ gehören. Ohne auch nur ansatzweise einen Beleg, dass diese Macht jemals existent gewesen sei. (Disclaimer: Ich setzte selbstverständlich nicht Transfeindlichkeit und Antisemitismus gleich, ich stelle nur fest, dass die Verschwörungserzählungen beider Diskriminierungsformen sich ähneln.)

    Die Tatsache, dass die Gruppe gegen Genitalverstümmelungen zu sein scheint, freut mich sehr. In diesem Kontext lege ich ihnen nahe, sich mit den Operationen an intergeschlechtlichen Säuglingen zu befassen. Diese finden nicht in Kulturen der „Anderen“ sondern in der (falls wir bei diesem „Kulturbegriff“ bleiben), hegemonialen, christlichen Kultur statt. Oder wollt ihr Genitalverstümmelungen nur dort verurteilen, wo ihr Personen zu „Anderen“ erklären könnt?

    Butler und queer theory

    Weiter geht damit, dass Butler eigentlich gar keine krasse Theorie aufgestellt hat, sondern nur etwas, das Konsens sei, in Worte gefasst. In diesem Zusammenhang ist spannend, dass erst vor kurzem ein Interview von Butler im Guardian zensiert erschien. Der zensierte Teil geht auf Zusammenhänge von GCs (Gendercriticals) und Faschismus ein. Wenn die Trans-Lobby so mächtig ist, frage ich mich, wie da Zensur geschah.

    Nun, in Anbetracht der vorgebrachten Verschwörungsmythen mag das innerhalb dessen sogar logisch konsequent sein. Wenn Leute glauben, dass „queer Ideologie“ die Welt bereits beherrscht, dann wirkt queer „Ideologie“ selbstverständlich nicht subversiv. Dafür muss eins nur z. B. das TSG, den genauen Wortlaut des PStG, die Diskriminierungen von Schwulen und Lesben im Bereich der (Stiefkind)Adoption, die Tatsache, dass der Eintrag „divers“ das sächsische Impfportal zum Absturz brachte, die Unmöglichkeit einer medizinischen Transition ohne Pathologisierung ignorieren.
    (Die rechtlichen und gesellschaftlichen Tatsachen, inklusive Studien zur psychischen Gesundheit von trans Personen, sprechen leider das Gegenteil aus. Ich hätte also immer noch gern Belege für die Existenz jener Welt, ich glaube, da würde ich gerne wohnen.)

    schlechte Bücher, großer Einfluss

    Der nächste Absatz ist einfach zusammenzufassen. Butler hat ein schlechtes Buch geschrieben.
    Es behauptete, das „biologisches Geschlecht“ ausschließlich konstruiert sei. Im Ergebnis behaupten das jetzt ständig Leute und greifen damit in Wirklichkeit Frauen und feministische Errungenschaften an.

    Nun, leider hat die Biologie Butler Recht gegeben. Aber das wäre ja ein Fakt, der mit „auch die sind von der Genderideologie missbraucht worden“ widerlegt werden könnte. (Weshalb ich ihn eher pro forma anbringe.) Auch hier wieder ein Zirkelschluss. Butlers Buch war schlecht, deshalb sind alle Richtungen, die sich auf Butler beziehen (oder von euch dort eingeordnet werden), schlecht. Und sie müssen sich irren. Wenn eins Butler nicht mag, gibt es genug Arbeit im akademischen Kontext, die sich mit der Konstruktion von biologischem Geschlecht beschäftigt. Beispielsweise Fausto-Sterling oder Christine Delphy.

    Es braucht nicht zwangsläufig einen post-strukturalistischen Ansatz wie Butlers, um zu verstehen, dass biologisches Geschlecht ein Konstrukt ist. Kann natürlich sein, dass denen davon die Köpfe platzen.

    Darüber hinaus hat Butler selbst ein zweites Buch geschrieben, namentlich „bodies that matters“, das sich (im Gegensatz zu „gender troubles“, in dem das gar nicht vorkommt), damit auseinandersetzt, dass biologische Zuschreibungen gesellschaftliche Konstruktionen seien (wir weisen Penis und Vulvina die Attribute „männlich“ und „weiblich“ zu), gleichzeitig biologische Fakten (es gibt Penisse und Vulvinas) dadurch jedoch unberührt blieben. Kurz: Wurde eigentlich überhaupt gelesen, was so großmäulig kritisiert und/oder als Gefahr für die Allgemeinheit dargestellt wird?

    Transfeindlichkeit an der Uni

    Das Verständnis von biologischem und sozialen Geschlecht war immer im Wandel begriffen. Der aktuelle Backlash „zur Biologie“ kann auch im wissenschaftlichen Kontext eindeutig transfeindlichen Argumentationen zugeordnet werden.
    „Die gemeinen trans Personen nehmen uns Feminismus weg“ heißt üblicherweise „wir wollen an der Uni keine trans Personen. Erst recht keine trans Frauen“. Wodurch diese dann immer prekärer im universitären Bereich arbeiten, wenn es überhaupt noch möglich ist

    Inwieweit feministische Errungenschaften in letzter Zeit durch trans Personen abgeschafft wurden, erschließt sich mir leider nicht, auch hier fehlen Belege.

    Bisher – um zum Ende zu kommen – ist dieser Ankündigungstext eine Reihe geraunter Verschwörungserzählungen. Eine „trans Lobby“ deutet sich an, welche die Rechte „echter Frauen“ beschneiden wollen würden (und dies angeblich bereits tun). Gleichzeitig aber zu irrational und ideologisch verblendet seien für „rationale Argumente“.

    Fazit

    Leider ist der eigene Text recht schwach an „rationalen Argumenten“, dafür reich an Verschwörungsmythen und Suggestionen. Es ist bemerkenswert schlecht recherchiert, was queer und trans-feministische Studien angeht. Da scheint gar nicht recherchiert geworden zu sein. Es herrscht der Trugschluss, weil im deutschsprachigen Raum in gewissen (!) akademischen Kontexten Butler rezipiert wird, sei Butlers Werk stellvertretend für queer theory. Aber eine tatsächliche Auseinandersetzung mit feministischen Studien, Queer Studies und Trans Studies hätte ja auch aufgrund der Komplexität der verschiedenen Forschungsansätze tatsächliche Theoriearbeit erfordert . Für einen akademisch geschriebenen Text voller Schachtelsätze fehlt es leider an Inhalt. Vielleicht sollte diesbezüglich nochmal Adorno vorgenommen werden, anstatt seltsame Ideen über die Existenz von trans Personen zu entwickeln.

    Exorzismen

    Im Übrigen: Die „Austreibung der Natur“ mittels eines „Exorzismus“ ähnelt doch sehr dem Absprechen meiner Existenz, allerdings scheint eine gar irrationale Angst bezüglich der Existenz von trans Succubi/Incubi oder anderer Dämonen vorhanden zu sein (ein Exorzismus ist immerhin wörtlich eine „Dämonenaustreibung“) und das halte ich im politischen Kontext mindestens für besorgniserregend. Klerikale Fundamentalist_innen mit Hang zu Exorzismus machen regelmäßig den „Marsch für das Leben“. Der will tatsächlich feministische Errungenschaften rückgängig und darüber hinaus das Gesetz bezüglich Abtreibung weiter verschärfen.

    Eine andere Lesart wäre, dass ihr uns als Exorzist_innen wahrnehmt, die den wahren Geist der Natur austreiben wollen würden. In diesem Kontext habe ich vage Assoziationen zu Impfgegner_innen und einem essentialistischen Naturbegriff, eher kontraproduktiv für eine progressive Gesellschaft. Eine Antifa, die in ihrem Naturbegriff noch hinter Rudolf Steiner zurückfällt, halte ich diskurstechnisch für nicht haltbar.

  • Meine Grenzen, eure Grenzen – autistische Empathie

    Autist_innen sind nicht empathisch, so das herkömmliche Klischee. Wir sind nicht in der Lage, Trost zu spenden (zumindest nicht so, wie neurotypische Leute sich das erwarten) und von emotionaler Kälte (so unser allseits verachteter Hans Asperger). Aber was ist eigentlich Empathie?

    Empathie bezeichnet die Fähigkeit und Bereitschaft, Empfindungen, Emotionen, Gedanken, Motive und Persönlichkeitsmerkmale einer anderen Person zu erkennen, zu verstehen und nachzuempfinden.[1][2] Ein damit korrespondierender allgemeinsprachlicher Begriff ist Mitgefühl.

    Zur Empathie wird gemeinhin auch die Fähigkeit zu angemessenen Reaktionen auf Gefühle anderer Menschen gezählt, zum Beispiel Mitleid, Trauer, Schmerz und Hilfsbereitschaft aus Mitgefühl.[3] Die neuere Hirnforschung legt allerdings eine deutliche Unterscheidbarkeit des empathischen Vermögens vom Mitgefühl nahe.[4][5]

    Wikipedia, ist ja kein wissenschaftliches Arbeiten hier.

    Spannend finde ich den ersten Teil, vor allem die Persönlichkeitsmerkmale, Gedanken und Motive anderer Personen zu erkennen, zu verstehen und nachzuempfinden.

    Oft, wenn ich mit anderen Menschen in Kontakt trete, sprechen wir recht schnell über deren persönliche Belange, ihre Geschichte, aber auch ihre Traumata, ihre psychischen Problematiken und ihren Umgang damit. Ich sage gerne, wie ich Menschen und Situationen wahrnehme. Sehr oft treffe ich damit zielsicher wunde, schmerzhafte Punkte bei meinen Mitmenschen. Ich mache das nicht absichtlich, zumindest nicht insofern, als das ich weiß, dass es sich um wunde Punkte handelt. Ich halte es einfach für einen offensichtlichen Beitrag zur Unterhaltung, für etwas, das anderen Menschen ebenso sichtbar sein müsste wie mir.

    Ist es nicht, habe ich schmerzhaft gelernt.

    Reaktionen

    Schmerzhaft, denn Menschen reagieren sehr unterschiedlich auf meine Art, das für mich offensichtliche, zu benennen. Die eine Hälfte wird wütend, geht und wir haben nie wieder Kontakt. Die andere Hälfte ist sehr dankbar dafür. Kann aber auch nicht sagen, warum ich so anders reagiere als die meisten anderen Menschen, mit denen sie vorher sprachen.

    Menschen agieren nicht logisch. Aber ihre Verhaltensweisen, ihr Umgang mit Situationen, beruht auf einem sehr logischen Konzept von Ursache und Wirkung. (Und von Privilegien und Unterdrückung).
    Patriarchale Strukturen sind real. Wenn mir ein cis Mann gegenübersitzt, der auf emotionale Anspannung mit Wut reagiert, dann ist es keine Raketenwissenschaft, dieses Verhalten auf patriarchale Strukturen zurückzuführen. (Emotionen müssen unterdrückt werden, die einzig erlaubte Emotion ist Wut.) Andererseits scheint es durchaus Raketenwissenschaft zu sein, immerhin hat das den cis Typen noch niemand gesagt.
    (Vielleicht, weil Wut oft Angst oder ihrerseits Wut hervorruft und das einer Analyse eher abträglich ist.)

    Empathie?

    Ich scheine also durchaus empathisch zu sein.

    Andererseits, der zweite Teil dieser Definition, mit den eigenen Erkenntnissen „angemessen“ umzugehen, scheint bei mir tatsächlich nicht zu funktionieren. Ich halte die Regeln menschlicher Kommunikation für ein wirres Durcheinander. Dreimal zu oft mit Kaffee übergossen und mindestens zweimal an den wichtigen Stellen angekokelt.

    Bin ich also empathisch? Vielleicht „zu“ empathisch? Bin ich empathisch aber nicht in der Lage, das eindeutig zu kommunizieren? Bin ich nicht empathisch, aber auf offensichtliche Art und Weise grausam?
    Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung.

    Wenn ich mit Menschen kommuniziere, dann möchte ich sie bestimmt nicht verletzen. Ich möchte auch nicht, dass sie sich „durchleuchtet“ fühlen, gleichzeitig kommuniziere ich immer aus einer analytischen Ebene heraus. Das macht den Umgang für viele Leute nicht einfacher. Ist es doch schlussendlich (wie immer) nicht die übliche Art, mit der neurotypische Leute kommunizieren.

    Möglicherweise ist auch das der Grund, warum wir als „nicht zur Empathie fähig“ wahrgenommen werden.
    Die Erwartungen der meisten Personen, die uns diagnostizieren und wissenschaftlich untersuchen, sind neurotypisch, ihre Kommunikation ist es auch.

  • autistisch-aktivistischer Burnout

    Ich kann nicht mehr.

    Diesen Satz habe ich in den letzten paar Monaten sehr, sehr oft gesagt. Manchmal habe ich ihn geschrien. Ab und zu habe ich ihn nur gewimmert oder geflüstert.

    Am Ende konnte ich doch immer noch. Noch ein Stück. Noch ein paar Tropfen Kraft, noch ein Löffel aus dem letzten Ende der Besteckschublade geholt.

    Bis… Ja, bis vor zwei Wochen. Da war dann wirklich „Schicht im Schacht“ (Redewendung). Ich hab einen kurzfristigen Termin bei meiner Hausärztin gemacht, bekam TAVOR verschrieben.

    „Zwei Wochen nehmen, dann absetzen. Vorsicht, das hat Suchtpotential. Pass auf dich auf!“

    Hausärztin.

    Außerdem die nachdrückliche Aufforderung (nachdem ich letztes Jahr schon mit „Erschöpfungssyndrom“ insgesamt vier Monate am Stück krankgeschrieben war, auf mich aufzupassen und das Pensum endlich zu reduzieren.

    Nun gut. Ich werde sehen, was ich tun kann.

    Analytisch betrachtet ist diese Situation das Ergebnis unterschiedlicher Faktoren:

    1. Der autistische Burnout: Vor allem afab Personen erleiden ihn häufig, weil sie erst spät (oder zu spät/gar nicht) diagnostiziert werden. Weil sie nicht in das Klischee vom „weißen, männlichen Autisten, der sich den ganzen Tag mit Zügen beschäftigt“ passen. Weil ihre Spezialinteressen versteckter sind oder zumindest besser in das gesellschaftliche Bild von „Frauen“ passen. Weil sie soziale Berufe haben und/oder Kinder.
      Gleichzeitig wird von Frauen (und als Frauen gelesene Personen) deutlich mehr emotionale und physische Arbeit erwartet: Sie sollen den Haushalt machen, sich um den Nachwuchs kümmern, arbeiten gehen und dabei NICHT ZUSAMMENBRECHEN. Wie ich in diesem Beitrag bereits schrieb, ist maskieren unfassbar anstrengend. Wenn dann noch die „übliche Routine, erwachsen zu sein“ oben drauf kommt, und nie gelernt wurde, auf die eigenen Bedürfnisse als Autist_in zu achten, dann kommt früher oder später der autistische Burnout. Die Ressourcen sind aufgebraucht, es geht nicht mehr.
    2. Der aktivistische Burnout: „Ich bin mal eben schnell die Welt retten…“ – ups. Emanzipatorischer Aktivismus kostet Kraft. Es ist eine Menge Energie, die dafür aufgebracht wird, sich mit der Welt, der Gesellchaft, den (diskriminierenden) Strukturen und all dem Mist, der den Status quo darstellt, zu befassen. Aktionen dagegen (seien es Bildungsarbeit, Plena, Gruppen, Demonstrationen, Kunstaktionen, Flyer, Plakate… you name it) kosten Zeit, Energie und Geld. Zusätzlich kommen Repressionskosten, Diskriminierungserfahrungen und – irgendwann – eine gewisse Frustration. ES PASSIERT NICHTS. Oder nicht schnell genug. Und die Welt brennt, der Klimawandel schreitet voran, trans Personen begehen Suizid und in deutschen Gefängnissen verbrennen BPoC. DA MUSS DOCH ETWAS GETAN WERDEN! Und dann irgendwann sitzt eins da, hat neun Projekte gleichzeitig, die alle wichtig sind – und kann nicht mehr. Aktivistischer Burnout. Whoop. Whoop.

    Und weil ich beides bin, habe ich mir – natürlich – auch beides gleichzeitig gegönnt. (Klingt lustig, fühlt sich aber nicht so an.)

    Deshalb wird es hier erstmal ruhiger werden. Ich werde nicht mehr wöchentlich posten können, denke ich.
    Es wird Zeit brauchen, um zu heilen. Zeit, die ich eigentlich gar nicht habe, weil ich von meinen Vorträgen, den Workshops und den Unterstützenden auf Steady lebe.
    Falls also monatlich ein bisschen Geld übrig ist und ihr mir etwas Gutes tun wollt, könnt ihr unten auf „die Schachtel füllen“ klicken (der schwebende Button) oder einfach hier. Falls ihr eine Orga kennt, die Lust hat, mich zu einer Veranstaltung einzuladen: Schreibt mir auf minzgespinst@posteo.de

    Ich liebe meine Arbeit und ich möchte sie nicht wegen meiner Erkrankungen aufgeben müssen.
    Das steht gerade auf der Kippe, leider.
    Jetzt konzentriere ich mich erst mal darauf, mit meinem Autismus ein Leben zu arrangieren, das mir die Selbstständigkeit ermöglicht, ohne mich auszubrennen. Dafür braucht es aber zunächst eine Pause und eine Ladung Löschwasser (Metapher). Bis bald!

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